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OGH vom 28.03.2023, 4Ob217/21x

OGH vom 28.03.2023, 4Ob217/21x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in der Rechtssache der klagenden Partei P*, vertreten durch Dr. Meinrad Küenburg, LL.M., Rechtsanwalt in Salzburg, und des auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenienten Dr. A*, vertreten durch Dr. Christoph Gernerth Mautner Markhof, Rechtsanwalt in Hallein, gegen die beklagte Partei M*, vertreten durch Dr. Thomas Stoiberer, Rechtsanwalt in Hallein, wegen Einwilligung in die Eigentumsübertragung (Streitwert 60.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 120/21m53, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 54 Cg 20/18z49, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

I. am durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka und Dr. Annerl sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Entscheidung über die Revision ist gemäß § 8 Abs 1 Z 2 OGHG in einem verstärkten Senat zu fällen.

II. am durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden, die Präsidentin Dr. Lovrek, die Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Kuras, Dr. Jensik, Hon.Prof. Dr. Gitschthaler und Hon.Prof. Dr. Höllwerth, die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau, die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, MMag. Matzka und Dr. Annerl sowie die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter zu Recht erkannt:

Der Revision wird gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil in seinem Punkt 1. wiederhergestellt wird, sodass es nunmehr lautet:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, aufgrund des durch Ausübung des dem Kläger eingeräumten Optionsrechts zu den im Optionsvertrag (Beilage ./A) genannten Bedingungen zustande gekommenen Kaufvertrags hinsichtlich der Liegenschaft in EZ * Zug um Zug gegen Einzahlung des bei Rechtskraft über diesen Rechtsstreit ergehenden Urteils fälligen Kaufpreis von 60.000 EUR zuzüglich eines Betrages, der sich aufgrund der Wertsicherung hinsichtlich der für September 2009 verlautbarten Indexzahl nach dem VPI 2005 oder des Nachfolgeindex ergibt, und zwar berechnet bis Juni 2018 (das sind 10.920 EUR), auf ein Treuhandkonto des Vertragserrichters oder eines von der beklagten Partei zu benennenden Treuhänders und Weisung an diesen, den Kaufpreis bei Vorliegen sämtlicher für die lastenfreie Eigentumsübertragung erforderlichen Urkunden an die beklagte Partei auszuzahlen, in die Einverleibung des Eigentumsrechts für P*, einzuwilligen.

2. Das weitere Begehren, vom zahlbaren Kaufpreis sei ein Betrag für bezahlte Mieten von 9.240 EUR in Abzug zu bringen, wird abgewiesen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vorbehalten.“

Über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens hat das Erstgericht zu entscheiden.

Text

Begründung und Entscheidungsgründe:

[1] Die Streitteile waren von 1999 bis 2017 Lebensgefährten. Der Kläger errichtete auf einem der Beklagten von ihren Eltern geschenkten Grundstück in den Jahren von 2008 bis Ende 2009/Anfang 2010 eine Werkshalle. Die Umwidmung des Grundstücks in Bauland-Gewerbegebiet erreichte der Kläger durch sein Bemühen und er zahlte auch die Kosten dafür.

[2] Im Jahr 2008 erörterten die Parteien mit ihrem Rechtsbeistand, dem Nebenintervenienten, die Folgen einer möglichen Auflösung der Lebensgemeinschaft. Der Nebenintervenient stellte hinsichtlich der Betriebsliegenschaft zwei Alternativen zur Diskussion, nämlich entweder die Ablöse für die Halle oder die Möglichkeit, dass der Kläger die Liegenschaft erwerben könne. Sodann schlug er ihnen einen Superädifikatsvertrag vor. Die Parteien präferierten aber einen Miet- und Optionsvertrag. Dabei teilten sie dem Nebenintervenienten mit, dass der Kläger die Möglichkeit haben sollte, das Grundstück um 60.000 EUR zu erwerben. Dies solle im Wege einer unbefristeten Option abgesichert werden. Der Kläger sagte, er kenne die Grundstückspreise aus Verkäufen in der Gegend, welche vergleichbar seien.

[3] Letztlich wurde von den Parteien, datiert mit , ein Optionsvertrag unterfertigt. Dieser sieht – soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung – Folgendes vor:

„[…]

I. Eigentumsverhältnisse

Die Verkäuferin [= Beklagte] ist grundbücherliche Alleineigentümerin der Liegenschaft […]. Auf dieser Liegenschaft wird eine Werkshalle im Ausmaß von 375 m² (75 m² Büro und 300 m² Halle) errichtet.

II. Optionsvereinbarung

Die Verkäuferin räumt hiermit dem Käufer [= Kläger] unwiderruflich das Recht ein, die Liegenschaft [...] zu den in diesem Vertrag genannten Bedingungen zu erwerben.

Der Käufer nimmt die Einräumung dieser Option hiermit ausdrücklich an.

III. Dauer/Ausübung

Das Optionsrecht kann frühestens ab ausgeübt werden und wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Das Optionsrecht ist mittels Einschreibebrief an die Verkäuferin bzw an einen allfälligen Rechtsnachfolger zu richten.

IV. Kaufbedingungen

Im Falle der Ausübung des Optionsrechtes erfolgt der Kauf und Verkauf der oben in Punkt I. näher bezeichneten Liegenschaft zu den nachstehenden Bedingungen:

1. Der von beiden Seiten als angemessen angesehene Kaufpreis beträgt EUR 60.000,00 (in Worten: Euro sechzigtausend).

2. Der Kaufpreis ist binnen zwei Wochen ab beglaubigter Kaufvertragsunterfertigung auf ein noch gesondert bekannt zu gebendes Treuhandkonto zu erlegen.

[...]

3. Der Kaufpreis von EUR 60.000,00 gilt als wertgesichert auf Basis des Verbraucherpreisindex 2005 vereinbart. Im selben Verhältnis wie der Verbraucherpreisindex steigt oder fällt, erhöht oder vermindert sich auch der zu bezahlende Kaufpreis. Als Basis für die Berechnung der Wertsicherung wird die für September 2009 verlautbarte Indexzahl vereinbart. Wird der Verbraucherpreisindex 2005 nicht mehr veröffentlicht, gilt als Wertsicherungsgrundlage jener Index, der diesem am ehesten entspricht.

[...]“

[4] In der Folge wurde auch ein Mietvertrag abgeschlossen. Die Mieteinnahmen wurden für die Errichtung des gemeinsamen Wohnhauses verwendet.

[5] Der Verkehrswert der Liegenschaft betrug im Februar 2009 130.000 EUR und im April/Juni 2018 mit Gebäude 250.000 EUR und ohne Gebäude 285.000 EUR. Dass der Beklagten bei Abschluss des Optionsvertrags der Wert der Liegenschaft bekannt war, konnte nicht festgestellt werden.

[6] Der Kläger übte in der am eingebrachten (und der Beklagten am zugestellten) Klage sein Optionsrecht aus und begehrt zusammengefasst, die Beklagte schuldig zu erkennen, aufgrund des durch Ausübung des Optionsrechts zustande gekommenen Kaufvertrags Zug um Zug gegen Bezahlung des Kaufpreises von 60.000 EUR zuzüglich eines Wertsicherungsbetrags (bis Juni 2018 10.920 EUR), in die Einverleibung des Eigentumsrechts für den Kläger einzuwilligen, in eventu 1. zum Kaufpreis (entsprechend dem halben Verkehrswert zum Zeitpunkt Februar 2009) von 65.000 EUR zuzüglich eines Wertsicherungsbetrags von 11.830 EUR; oder 2. zum Kaufpreis (entsprechend dem Verkehrswert vom Zeitpunkt Februar 2009) von 130.000 EUR zuzüglich eines Wertsicherungsbetrags von 23.660 EUR; oder 3. sofern der laesio enormis-Anfechtung der Beklagten Folge gegeben wird, zum Kaufpreis entsprechend dem Verkehrswert von 250.000 EUR; oder 4. sofern der laesio enormis-Anfechtung der Beklagten Folge gegeben wird und der Verkehrswert 285.000 EUR beträgt, zum Kaufpreis von 285.000 EUR. Weiters begehrt er, dass vom zahlbaren Kaufpreis ein Betrag für gezahlte Mieten von 9.240 EUR sowie im Fall der Eventualbegehren auch der vom Kläger gezahlte Betrag für die Aufschließung in Höhe von 14.073,29 EUR in Abzug zu bringen sei.

[7] Der Optionsvertrag sei zur Absicherung seiner wirtschaftlichen Existenz für den nicht vorhersehbaren Fall der Auflösung der Lebensgemeinschaft geschlossen worden. Man habe einen Freundschaftspreis vereinbart und nie die Absicht gehabt, den Verkehrswert zu zahlen. Dass ein Wertzuwachs eintreten werde, sei beiden bewusst gewesen. Die Beklagte habe keinen Schenkungswillen gehabt, sondern lediglich einen günstigen Kaufpreis vereinbart, der sich an einem aufgebesserten Grünlandpreis orientiert habe, weil sich der Kläger für die Umwidmung eingesetzt habe. Da es sich somit nicht um eine Schenkung handle, bestehe auch kein Formzwang. Eine Anfechtung wegen Irrtums oder laesio enormis sei verjährt, auf eine laesio enormis-Anfechtung sei überdies (konkludent) verzichtet worden. Die bewusste Einigung auf einen Preis unter der Hälfte des Verkehrswerts beruhe auf moralischen und sittlichen Gründen. Spätestens mit Klagseinbringung sei die Option ausgeübt worden.

[8] Die Beklagte wendete ein, sowohl der Mietvertrag als auch der Optionsvertrag seien Scheingeschäfte, die auf Anraten des Steuerberaters geschlossen worden seien. Mit dem Optionsvertrag hätte der Kläger nur für den Fall abgesichert werden sollen, dass der Beklagten etwas passieren würde, also für den Fall ihres Todes, keinesfalls für den Fall der Auflösung der Lebensgemeinschaft, an den gar nicht gedacht worden sei. Nachdem der Kläger gleichzeitig die Zivilteilung des gemeinsamen Wohnhauses betreibe, seine ihm von den Eltern geschenkten Liegenschaften aber in seinem eigenen Besitz behalte, sei das Ansinnen, nach Auflösung der Lebensgemeinschaft die der Beklagten von ihren Eltern geschenkte Liegenschaft nun günstig zu erhalten, sittenwidrig. Die Beklagte habe den Angaben des Klägers vertraut, dass der im Optionsvertrag festgelegte Preis dem damaligen Wert der Liegenschaft entspreche. Von einem Freundschaftspreis sei nie die Rede gewesen; allenfalls handle es sich um eine gemischte Schenkung, die notariatsaktspflichtig gewesen wäre. Dieser Formpflicht unterliege bereits der Optionsvertrag, der für die Einräumung des Gestaltungsrechts kein Entgelt vorsehe. Wäre die Form eingehalten worden, wäre die Beklagte umfassend über die Rechtsfolgen belehrt worden und hätte sie den Optionsvertrag nicht unterfertigt. Sie sei über den wahren Wert der Liegenschaft in Irrtum geführt worden; dieser liege jedenfalls über dem Doppelten des im Optionsvertrag Festgelegten. Eine überproportionale Wertsteigerung, wie sie nun eingetreten sei, sei nicht zu erwarten gewesen. Geltend gemacht würden Irrtum, List, Formmangel, laesio enormis, die clausula rebus sic stantibus und Zweckverfehlung der Leistung, weil alles unter der Bedingung des Fortbestands der Lebensgemeinschaft gestanden sei. Die Option sei nicht wirksam ausgeübt worden. Für die Beurteilung der laesio enormis seien aber die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Optionsausübung heranzuziehen; dies müsse auch für die Irrtumsanfechtung gelten. Beide Parteien hätten nicht gewusst, dass die Grundstückspreise derart ansteigen würden, weshalb ein gemeinsamer wesentlicher Geschäftsirrtum vorliege, ohne den die Beklagte den Vertrag nicht geschlossen hätte.

[9] Der Vertragserrichter des Optionsvertrags trat als Nebenintervenient dem Verfahren auf Seite des Klägers bei und ergänzte, er habe ursprünglich einen Superädifikatsvertrag vorgeschlagen, der von den Lebensgefährten als zu kompliziert erachtet worden sei. Ihm sei mitgeteilt worden, dass vereinbart worden sei, dass der Kläger die Möglichkeit haben sollte, das Grundstück der Beklagten zu einem Kaufpreis von 60.000 EUR zu erwerben, was im Wege einer unbefristeten Option abgesichert werden solle. Nach dem Wunsch der Parteien habe der Vertrag nicht nach außen in Erscheinung treten und auf der Liegenschaft keine Sicherungsrechte eingetragen werden sollen. Der Kläger habe mitgeteilt, dass er die Grundstückspreise kenne und sich diese im gewählten Rahmen bewegten; ein Missverhältnis sei nicht vorhersehbar gewesen.

[10] Das Erstgericht gab der Klage statt. Es sprach aus:

1. Die Beklagte ist schuldig, aufgrund des durch Ausübung des dem Kläger eingeräumten Optionsrechts zu den im Optionsvertrag (Beilage ./A) genannten Bedingungen zustande gekommenen Kaufvertrags hinsichtlich der Liegenschaft in EZ [...] Zug um Zug gegen Einzahlung des bei Rechtskraft über diesen Rechtsstreit ergehenden Urteils fälligen Kaufpreis von 60.000 EUR zzgl eines Betrages, der sich aufgrund der Wertsicherung hinsichtlich der für den September 2009 verlautbarten Indexzahl nach dem VPI 2005 oder des Nachfolgeindex ergibt und zwar berechnet bis Juni 2018 (das sind 10.920 EUR), insgesamt daher von 70.920 EUR auf ein Treuhandkonto des Vertragserrichters oder eines von der Beklagten zu benennenden Treuhänders und Weisung an diesen, den Kaufpreis bei Vorliegen sämtlicher für die lastenfreie Eigentumsübertragung erforderlichen Urkunden an die Beklagte auszuzahlen, in die Einverleibung des Eigentumsrechts für [den Kläger] einzuwilligen.

2. Vom zahlbaren Kaufpreis ist ein Betrag für bezahlte Mieten iHv 9.240 EUR in Abzug zu bringen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt der Rechtskraft vorbehalten.

[11] Die Einwendung der laesio enormis müsse innerhalb von drei Jahren ab Vertragsabschluss erhoben werden, auch wenn die Verkürzuung über die Hälfte sich nur auf eine Vertragsklausel beziehe, die erst nach Ablauf von drei Jahren geltend gemacht werden könne und selbst wenn der Verkäufer sich weiterhin im Besitz der Sache befinde und ungeachtet des Erfordernisses einer verwaltungsbehördlichen Genehmigung des Vertrags. Da die Einwendungsfrist abgelaufen sei, sei die Einrede der laesio enormis verfristet.

[12] Sittenwidrigkeit liege nicht vor. Eine Berufung auf die Umstandsklausel sei betreffend die Auflösung der Lebensgemeinschaft nicht möglich, weil die Parteien die mögliche Auflösung besprochen hätten und nicht vereinbart worden sei, dass die Option für diesen Fall nicht ausgeübt werden könne. Die Form des Einschreibebriefs diene hier Beweiszwecken, weshalb die Geltendmachung oder Ausübung der Option spätestens mit der Klage ausreichend sei. Der Nachweis einer Fehlvorstellung von der Wirklichkeit sei der Beklagten weder betreffend den Vertragszweck, noch den Kaufpreis gelungen. Da die Beklagte an den Vertrag gebunden sei, sei dem Hauptbegehren des Klägers stattzugeben. Weiters habe die Beklagte dem Kläger die nach Klagseinbringung von ihm aufgrund eines Scheingeschäfts geleisteten Mietzinse zu erstatten, weshalb sie vom zahlbaren Kaufpreis abzuziehen seien. Die Kostenentscheidung sei aus Verfahrensökonomie der Rechtskraft vorzubehalten.

[13] Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass das Haupt- und die Eventualbegehren abgewiesen wurden. Die Kostenentscheidung behielt es dem Erstgericht vor.

[14] In Abänderung der Feststellungen des Erstgerichts stellte es das Datum der Unterfertigung des Optionsvertrags mit fest. Im Übrigen verwarf es sowohl die Beweisrüge der Beklagten als auch eine in der Berufungsbeantwortung erhobene Beweisrüge des Klägers.

[15] Der Lauf der Verjährungsfrist für die laesio enormis beginne ab der Ausübung der Optionsberechtigung. Diese Einwendung sei daher hier nicht verjährt. Nach § 935 Satz 1 ABGB könne die Anwendung des § 934 ABGB (zuungunsten eines Nichtunternehmers) vertraglich nicht ausgeschlossen werden; auf einen konkludenten Verzicht, wie ihn der Kläger argumentiere, sei, weil er unwirksam sei, daher nicht einzugehen. Bei der Beurteilung des Missverhältnisses des Werts (§ 934 Satz 3 ABGB) seien die objektiven Werte der gegenseitigen Leistungen erst für den Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts festzustellen. Hier sei der Verkehrswert der Liegenschaft sowohl 2009 als auch 2018 bei mehr als dem Doppelten des im Optionsvertrag Vereinbarten gelegen. Die Anfechtung sei daher jedenfalls begründet, der Kaufvertrag sei (rückwirkend) aufzuheben. Das Hauptbegehren sei daher abzuweisen. Um das Gegengestaltungsrecht nach § 934 Satz 2 ABGB auszuüben, bedürfe es des Angebots der Differenz zum gemeinen Wert. Der Kläger habe mit dem ersten Eventualbegehren nur die Aufzahlung auf den halben gemeinen Wert angeboten, mit dem zweiten, dritten und vierten Eventualbegehren habe er zwar die Aufzahlung auf den gemeinen Wert angeboten, einmal den aus 2009, zweimal den aus 2018, mit oder ohne Gebäude, begehre aber gleichzeitig den Abzug unschlüssiger Ersatzansprüche für bezahlte Mieten und Aufschließungskosten, sodass keine wirksame Ausübung des Gegengestaltungsrechts vorliege, weshalb auch die Eventualbegehren abzuweisen seien.

[16] Die ordentliche Revision sei zwecks Klärung der Fragen der Zulässigkeit eines Abzugsbegehrens bei der Ausübung des Gegengestaltungsrechts des Verkürzenden bei der laesio enormis sowie des Zeitpunkts der Beurteilung des Missverhältnisses bei der laesio enormis zulässig.

[17] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen bzw den Eventualbegehren stattzugeben. Die Geltendmachung der laesio enormis sei verjährt. Sollte man diese jedoch für gerechtfertigt erachten, dann sei die Erklärung des Klägers hinsichtlich der Aufzahlungsbereitschaft bestimmt gewesen und er habe auch eine gültige Aufrechnungseinwendung hinsichtlich der Mietzinse und Aufschließungskosten erhoben. Die gegenteilige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts sei unrichtig. Im Übrigen liege aufgrund des Verstoßes gegen das Verbot der Überraschungsentscheidung im Zusammenhang mit der Qualifizierung der Aufrechnung und der nicht erschöpfenden Erörterung des Klagebegehrens eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor.

[18] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revision ist zur Klärung der Rechtslage zulässig und berechtigt.

I. Zum Verstärkungsbeschluss

[20] In Hinblick auf die im Folgenden dargestellte unterschiedliche Judikatur zum für die Beurteilung des laesio enormis-Einwands maßgeblichen Zeitpunkt (ErwGr II.4.3.3.) und zum Beginn der Verjährungsfrist (ErwGr II.4.4.2.) war die Entscheidung gemäß § 8 Abs 1 Z 2 OGHG in einem verstärkten Senat zu fällen.

II. Zur Sache

II.1. Zum Begriff der Option

[21] II.1.1. Die Option ist ein Vertrag, durch den eine Partei das Recht erhält, ein inhaltlich bereits festgelegtes Schuldverhältnis durch einseitige Erklärung in Geltung zu setzen (RS0115633; RS0017078 [T2]; RS0019191 [T3]). Sie gewährt also ein Gestaltungsrecht (RS0115633). Anders als der Vorvertrag gibt sie nicht bloß ein Recht auf Abschluss eines Hauptvertrags; ihre Ausübung begründet schon unmittelbar die vertraglichen Pflichten (RS0115633; vgl RS0019140). Die Stellung des Optionsberechtigten entspricht hinsichtlich des Hauptvertrags der eines Offertempfängers; auch der Letztere hat nämlich ein rechtsbegründendes Gestaltungsrecht, weil es von seinem einseitigen Willensentschluss abhängt, ob der Vertrag zustande kommt oder nicht (RS0115633; vgl auch RS0017078 [T5]).

[22] II.1.2. Die Option wird daher auch als „Angebot mit verlängerter Bindungswirkung“ bezeichnet (Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I15 Rz 457; Beclin in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 897 ABGB Rz 100; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 861 Rz 18; J. Noll, Der Optionsvertrag im Lichte der Ökonomie, AnwBl 2002, 506 [510]). Dennoch unterscheiden sich diese Rechtsinstitute, weil die Einräumung einer Option nicht – wie beim Angebot – durch einseitige Erklärung, sondern durch Vertrag erfolgt. Der Inhalt des durch Ausübung des Optionsrechts in Kraft gesetzten Vertrags wurde bereits durch Vereinbarung festgelegt, während der Inhalt des Angebots allein vom Anbietenden bestimmt wird (Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 861 Rz 18). Mit dem Optionsvertrag ist das Rechtsgeschäft jedenfalls bereits inhaltlich fixiert und wird erst mit der Ausübung der Option wirksam (Krejci,Optionsausübung und laesio enormis insbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Aufgriffsrechten, in FS Koziol [2010] 215 [217]).

[23] II.1.3. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde der Optionsvertrag auch als durch die Abgabe der Optionserklärung bedingter Vertrag angesehen (RS0024131). Die Lehre von den Gestaltungsrechten und die Bedingungskonstruktion schließen sich dabei nicht vollends aus (vgl Spitzer/Told/Felzmann, ABGB5 § 1068 Rz 2). Immerhin kann eine vom Willen einer Partei abhängige (Potestativ-)Bedingung auch als Gestaltungsrecht bezeichnet werden (idS etwa RS0020156). Jedenfalls für die hier zu untersuchenden Zwecke muss darauf somit nicht näher eingegangen werden.

[24] II.1.4. Eine andere Frage ist, ob die Vereinbarung der Einräumung einer Option und der durch ihre Ausübung in Geltung gesetzte Vertrag getrennte Rechtsgeschäfte sind. In neuerer Zeit bezeichnete der Oberste Gerichtshof den Optionsvertrag und den durch Ausübung des Optionsrechts optierten Vertrag in diesem Sinn als zwei Rechtsgeschäfte (9 Ob 69/19s ErwGr 2.7.). Dem lag eine Vereinbarung zugrunde, wonach für die Einräumung der Option ein gesondertes (auf den Kaufpreis anzurechnendes) Entgelt vereinbart war. Solche Vereinbarungen weisen zwar einen sehr engen Zusammenhang auf (9 Ob 69/19s [ErwGr 2.7.]; vgl auch Krejci in FS Koziol 216), unterliegen aber nach dem erkennbaren Parteiwillen – jedenfalls in ihren Wirkungen (Optionsrecht samt darauf entfallender Gegenleistung einerseits und Ansprüche aus dem bei Ausübung des Optionsrechts in Geltung gesetzten Vertrag andererseits) – unterschiedlichen Rechtsfolgen, insbesondere ist die für die Einräumung des Optionsrechts vereinbarte Gegenleistung naturgemäß nicht von der Ausübung des Optionsrechts abhängig.

[25] Die Beklagte stand bereits in erster Instanz auf dem Standpunkt, es handle sich beim Optionsvertrag um eine Schenkung und der Kaufvertrag sei wegen laesio enormis anfechtbar. Der Kläger hielt dem lediglich seine Rechtsansicht entgegen, dass die unentgeltliche Einräumung eines Vorkaufsrechts in einem selbständigen Vertrag ohne Gegenleistung keine formpflichtige Schenkung sei, was auf den vorliegenden Fall zu übertragen sei. Es ist der Entscheidung daher als unstrittig (§ 267 ZPO) zugrunde zu legen, dass das Optionsrecht hier in einem nach dem Parteiwillen selbständigen (und vom Kaufvertrag zu unterscheidenden) Vertrag eingeräumt wurde. Unabhängig davon ist allerdings der enge Zusammenhang zwischen dem Optionsvertrag und dem durch Ausübung des Optionsrechts in Wirksamkeit gesetzten Kaufvertrag zu berücksichtigen.

II.2. Entgeltlichkeit

[26] II.2.1. Die Entgeltlichkeit spielt bei der Frage der Formbedürftigkeit des Optionsvertrags und der Anfechtbarkeit wegen laesio enormis eine Rolle. Schenkungen ohne wirkliche Übergabe bedürfen der Notariatsaktsform (§ 1 Abs 1 lit d NotAktsG) und nur entgeltliche Verträge – nicht aber Schenkungsverträge – unterliegen der Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte (§ 934 Satz 1 ABGB).

[27] II.2.2.1. Nur wenn der Zweck der Leistung eine Freigebigkeit ist, liegt eine unentgeltliche Leistung vor (RS0033054). Sie ist (objektiv) durch das Fehlen einer konditional, kausal oder synallagmatisch verbundenen Gegenleistung charakterisiert, die in einer Handlung oder Unterlassung bestehen kann und keinen Vermögenswert haben muss (RS0017193 [T11]; RS0064338; Bollenberger/P. Bydlinski in KBB6 § 938 ABGB Rz 3). Es genügt, dass auf der Seite des Leistenden ein Interesse an einem bestimmten Verhalten des Empfängers der Leistung besteht (RS0018852; RS0017193 [T9]).

[28] II.2.2.2. Ob eine Schenkung vorliegt oder nicht, kann nicht allein danach beurteilt werden, dass der Empfänger des Vermögenswerts mangels Erbringung einer Gegenleistung objektiv in seinem Vermögen bereichert ist, vielmehr musste auch das Einverständnis der Vertragspartner über die Unentgeltlichkeit der Vermögensverschiebung vorhanden sein, welches ausdrücklich oder schlüssig erklärt worden sein muss (RS0018795; RS0018818).

[29] II.2.3.1. In der Literatur ist unbestritten, dass für die Einräumung der Option ein Entgelt vereinbart werden kann (Bollenberger/P. Bydlinski in KBB6 § 861 ABGB Rz 10; Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 861 Rz 18; Winner, Wert und Preis im Zivilrecht [2007] 185 FN 890). Nach Aichberger-Beig (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 908 ABGB Rz 55) werde bei Vereinbarung einer Option einer Partei gegen Gewährung eines Entgelts ermöglicht, die Wahl zu treffen, ob sie gebunden sein möchte oder nicht. Nach Winner (Wert und Preis im Zivilrecht [2007] 185 FN 890) könne die Optionsgewährung entweder entgeltlich, aber ohne genau festgelegtes Entgelt sein, oder entgeltsfremd, wenn sie im Bereich des Gesellschaftsrechts stattfinde.

[30] II.2.3.2. Nach herrschender Auffassung fallen Optionsverträge ebenso wie Vorkaufsrechte (5 Ob 131/10s = NZ 2011, 24 [Hoyer]; 1 Ob 108/03v; 8 Ob 683/86; F. Bydlinski in Klang² IV/2 760 ff; Ertl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 938 ABGB Rz 63) nicht unter den Begriff der „Schenkung“ in § 943 ABGB bzw § 1 NotariatsaktsG. Die dafür gebotenen Begründungen variieren jedoch:

[31] In der älteren Literatur wird teilweise angenommen, Vorkaufsrechte hätten keinen eigenen Vermögenswert (Stanzl in Klang² IV/1 596; ähnlich Ehrenzweig, System II/12 363; dagegen Ertl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 938 ABGB Rz 63). Überwiegend wird darauf abgestellt, dass die Schenkung auf eine dauernde Zuordnung einer Sache (iSd § 285 ABGB) zum Beschenkten abzielt (F. Bydlinski in Klang² IV/2 761 f; Ertl in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 938 ABGB Rz 63; Löcker in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 938 Rz 6; Schubert in Rummel, ABGB³ § 938 Rz 3). Daran fehle es bei Begründung eines Rechts, das nicht auf Dauer angelegt ist, sondern zwischen den Vertragspartnern den Austausch von Sache und Preis herbeiführen oder ohne Auswirkungen erlöschen soll (F. Bydlinski in Klang² IV/2 761 f).

[32] Nach der Gegenansicht stellt ein Vorkaufsrecht trotz seines vorübergehenden Charakters einen Vermögenswert dar (Faistenberger, Das Vorkaufsrecht [1972] 21 f). Jedenfalls eine auf dem Markt gehandelte Option sei tauglicher Schenkungsgegenstand (Kellner in Rummel/Lukas/Geroldinger, ABGB4 § 938 Rz 15; Liedermann, Parapatits in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 938 Rz 12).

[33] Nach anderer Auffassung nehmen „Hilfsgeschäfte“ wie Optionen oder Vorkaufsrechte am entgeltlichen oder unentgeltlichen Charakter des Hauptgeschäfts teil (vgl Oertmann, Entgeltliche Geschäfte [1912] 100) oder sind als „entgeltfremde Geschäfte“ einzuordnen (vgl Gschnitzer in Klang² IV/1 435, 438 zu Vorverträgen, Optionen und der Einräumung eines Vorkaufsrechts; krit F. Bydlinski in Klang² IV/2 761 ff).

II.2.4. Darauf kommt es hier aber nicht entscheidend an, weil das Optionsrecht im vorliegenden Fall – auch ohne gesonderte Vereinbarung eines Entgelts – nicht als unentgeltlich eingeräumt angesehen werden kann:

[35] II.2.4.1. Der Kläger brachte bereits in erster Instanz vor, dass der Optionsvertrag der Absicherung der Investition des Klägers (Umwidmung der Liegenschaft und Errichtung der Werkshalle) für den Fall der Beendigung der Lebensgemeinschaft diene. Das Erstgericht ging auf der Tatsachenebene davon aus, dass die Kosten der Errichtung der Werkshalle ausschließlich vom Kläger getragen wurden, und stellte fest, dass der Nebenintervenient zwei Alternativen zur Diskussion stellte, nämlich entweder die Ablöse für die Halle oder die Möglichkeit, dass der Kläger die Liegenschaft erwerben kann.

[36] II.2.4.2. Ausgehend von dieser Tatsachengrundlage kann von einer – für die Annahme einer Schenkung erforderlichen – Zuwendung aus Freigiebigkeit keine Rede sein. Das Recht des Klägers, die Liegenschaft zu erwerben, ist vielmehr im Zusammenhang mit der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung der Streitteile zu sehen. Aus dem bloßen Umstand, dass die Leistung der einen Seite objektiv wertvoller ist als die der anderen, kann auch nicht schon auf das Vorliegen einer gemischten Schenkung geschlossen werden (RS0019293). Von einer unentgeltlichen Zuwendung ist im vorliegenden Fall daher nicht auszugehen.

II.3. Notariatsaktspflicht

[37] II.3.1. Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Ausübung des Optionsrechts scheitere daran, dass der Optionsvertrag mangels Vereinbarung eines Entgelts eine Schenkung darstelle, sodass dafür ein Notariatsakt erforderlich gewesen wäre.

[38] II.3.2. Dem kann schon deswegen nicht gefolgt werden, weil es sich beim gegenständlichen Optionsvertrag nicht um eine unentgeltliche Zuwendung an den Kläger handelte (oben ErwGr II.2.4.2.). Eine formbedürftige Schenkung liegt daher nicht vor. Auf die Frage, ob und unter welchen Umständen die unentgeltliche Einräumung eines Optionsrechts als Schenkung ohne wirkliche Übergabe der Formpflicht des § 1 Abs 1 lit d NotAktsG unterliegen würde (zur Behandlung eines Vorvertrags als Hilfsgeschäft wie das Hauptgeschäft s aber RS0018773), muss somit nicht eingegangen werden.

II.3.3. Die Ausübung des Optionsrechts durch den Kläger scheitert also nicht daran, dass die Einräumung des Optionsrechts nicht in der von § 1 Abs 1 lit d NotAktsG vorgesehenen Notariatsaktsform erfolgte.

II.4. Laesio enormis

II.4.1. Allgemeines

[40] II.4.1.1. Hat bei zweiseitig verbindlichen Geschäften ein Teil nicht einmal die Hälfte dessen, was er dem andern gegeben hat, von diesem am gemeinen Wert erhalten, so räumt das Gesetz dem verletzten Teile das Recht ein, die Aufhebung des Vertrags zu fordern (§ 934 Satz 1 ABGB). Unter zweiseitig verbindlichen Geschäften sind die entgeltlichen Geschäfte zu verstehen (RS0018773). Die Anfechtbarkeit eines Vertrags wegen laesio enormis soll dazu dienen, einen inhaltlich ungerechten Vertrag aufhebbar zu machen (10 Ob 48/20m ErwGr 1.4). Verträge, die einen Partner massiv benachteiligen, ohne dass dieser Umstand auf den freien Willen des Benachteiligten zurückzuführen ist, sollen nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich keinen Bestand haben (10 Ob 3/21w ErwGr 1.1).

[41] II.4.1.2. Das Missverhältnis des Werts wird nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes nach dem Zeitpunkt des „geschlossenen Geschäfts“ bestimmt (§ 934 Satz 3 ABGB). Das Missverhältnis muss sich allein aus dem Vertragsinhalt, genauer aus dem Vergleich der vertraglich vereinbarten Leistungen ergeben (RS0018871 [T6]), woraus die Qualifikation als Wurzelmangel abgeleitet wird (vgl nur 10 Ob 3/21w ErwGr 3.2 mwN).

[42] II.4.1.3. In der neueren Literatur wird überdies auf hier – über die ausdrückliche Anordnung des § 935 ABGB hinaus – bestehende Einschränkungen hingewiesen. Solche könnten sich in bestimmten Fällen aus dem Vertragszweck (Apathy/Perner in KBB6 § 1068 Rz 4; Spitzer/Told/Felzmann in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1068 Rz 13 unter Hinweis auf 1 Ob 518/87 [Wiederkaufsrecht mit Sanktionszweck]; Karollus,Anfechtung wegen laesio enormis, wenn im konkreten Fall kein ungerechter Vertrag und kein ungerechter Preis vorliegt? JBl 2022, 689 [699]) oder aus dem Rechtsmissbrauchsverbot (Karollus, JBl 2022, 689 [698]) ergeben.

[43] Außerdem hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Vertragsauslegung im Einzelfall zu dem Ergebnis führen kann, dass zwei oder mehrere gesondert abgeschlossene Vereinbarungen nach dem übereinstimmenden Parteiwillen ein einheitliches Rechtsgeschäft bilden und bei der Ermittlung der für § 934 ABGB relevanten Gegenleistung zu berücksichtigen sind (3 Ob 85/22d ErwGr 1.1 f).

[44] Nach Karollus (JBl 2022, 689 [701]) müsse der Zweck des § 934 ABGB auch einen Einfluss auf die Auslegung haben: Wenn dieser Zweck in einem konkreten Einzelfall in keiner Weise mehr zutreffe, insbesondere weil der gemeine Wert für die Preisbildung keine Rolle gespielt habe, sondern dafür andere Gesichtspunkte maßgeblich gewesen seien, scheide eine Anfechtung wegen laesio enormis aus. Zu begründen sei dies entweder mit einer teleologischen Reduktion des § 934 ABGB oder mit einer Analogie zu § 935 Fall 2 oder 3 ABGB. Überdies sei stets eine wirtschaftliche Betrachtung des Sachverhalts und eine Gesamtbeurteilung mit allen wirtschaftlich zusammenhängenden Rechtsgeschäften vorzunehmen, woraus sich ebenfalls ergeben könne, dass in dem konkreten Fall kein Anlass für eine Anwendung der laesio enormis bestehe.

[45] II.4.1.4. Früher herrschte überdies die Auffassung, dass Optionsverträge nicht wegen laesio enormis anfechtbar seien (Krejci, FS Koziol 216). In neuerer Zeit wird die Anfechtbarkeit von Optionsverträgen wegen laesio enormis im Grundsatz bejaht, wobei jedoch gerade in der neueren Literatur hier Einschränkungen vorgenommen werden:

[46] So wird darauf hingewiesen, dass dasRechtsinstitut der laesio enormis ein klares synallagmatisches Verhältnis vor Augen habe und daher in gesellschaftsrechtlichen Konstellationen zumeist nicht passe (Wimmer, Wertdisparitäten bei Optionsverträgen [II], ecolex 2020, 118; vgl allerdings Reich-Rohrwig,Abtretungsanbote für GmbH-Geschäftsanteile – Steuerjudikatur und Gesellschaftsrecht,wbl 1987, 229 [235]; Karollus, NZ 1995, 193 [199]; Kalss, Die mangelnde Anwendbarkeit der laesio enormis auf einen Aufgriffspreis im Gesellschaftsvertrag eines Familienunternehmens, GesRZ 2013, 244 [246 ff]; Torggler, Gestaltungsfreiheit bei der GmbH, GesRZ 2010, 185 [191]).

[47] Nach Wimmer (Wertdisparitäten bei Optionsverträgen (I), ecolex 2020, 33 [35]) rücke bei fungiblen Waren bzw Wertpositionen, für die ein Markt oder Börsepreis besteht, das aleatorische Element, das dem Optionsgeschäft oftmals innewohne, in den Vordergrund. Bei diesen derivativen, kapitalmarktbezogenen Optionsverträgen bzw bei Spekulationsgeschäften sei jedenfalls die (analoge) Anwendung des § 1268 ABGB gerechtfertigt (vgl auch 4 Ob 44/11s: Kauf von Schweizer Aktien mit „eindeutig im Vordergrund stehendem spekulativen Element“). Hingegen sei dies bei Optionsverträgen im Liegenschaftsverkehr oder in gesellschaftsrechtlichen Konstellationen nicht immer der Fall (unter Hinweis auf 4 Ob 147/01y [Kauf einer Ordination samt Patientenstock] und 1 Ob 157/02y [Unternehmenskauf]). Hierbei sei stets im Einzelfall zu prüfen, ob das aleatorische Element derart stark ausgeprägt sei, dass es eine maßgebliche Rolle im Vertrag einnehme bzw sogar dessen Hauptzweck darstelle.

[48] II.4.1.5. Der Anspruch auf Aufhebung des Vertrags wegen Verkürzung über die Hälfte des wahren Werts muss, vom Fall einer Übereinkunft der Parteien abgesehen, gerichtlich durch Klage oder Einrede geltend gemacht werden (RS0018814). Das Begehren ist auf die rechtsgestaltende Aufhebung des Vertrags zu richten (10 Ob 3/21w ErwGr 3.1; 2 Ob 52/16k ErwGr 2.; Perner in Schwimann/Kodek5 ABGB § 934 Rz 15, 16). Erst das rechtsgestaltende Urteil des Gerichts hebt den Vertrag auf (10 Ob 3/21w ErwGr 3.1; 4 Ob 88/03z; Perner in Schwimann/Kodek5 ABGB § 934 Rz 14).

II.4.2. Anfechtbarkeit

[49] II.4.2.1. Der Einwand der Beklagten bezieht sich nach ihrem Vorbringen nicht auf den Optionsvertrag, sondern auf den in Aussicht gestellten Kaufvertrag, insbesondere stützt sie sich – auch noch in der Revisionsbeantwortung – nur auf ein Missverhältnis der darin vereinbarten Leistungen (60.000 EUR zuzüglich Wertsicherung einerseits und Liegenschaft andererseits).

[50] II.4.2.2. Im vorliegenden Fall liegt kein Spekulationsgeschäft im eigentlichen Sinn vor. Der bloße Umstand, dass mit dem Optionsvertrag – wie in jedem Fall – auch ein gewisses Risiko verbunden ist, macht den Vertrag noch nicht zu einem Glücksvertrag (Wimmer, ecolex 2020, 33 [35]; vgl Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 1267 ABGB Rz 9). So wohnt etwa zahlreichen Verträgen in der Wirtschaftspraxis und im Gesellschaftsrecht ein gewisses aleatorisches Element inne (Stefula in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 1267 ABGB Rz 13; Wimmer, ecolex 2020, 33 [36]). Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass der gemeine Wert bei der Festlegung des Kaufpreises im vorliegenden Fall keine Rolle gespielt hätte (vgl oben ErwGr II.2.4.2.). Zwar wollte der Kläger einen Preis in Höhe des halben Verkehrswerts festlegen; dieser Umstand war nach den Feststellungen der Vorinstanzen der Beklagten aber nicht bekannt. Auch die anderen in der Literatur erörterten Ausnahmefälle (vgl ErwGr II.4.1.3.) liegen nicht vor.

II.4.3. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Wertrelationen

[51] II.4.3.1. Das bei der laesio enormis erforderliche Missverhältnis des Werts der einander gegenüberstehenden Leistungen wird „nach dem Zeitpunkt des geschlossenen Geschäfts“ bestimmt (§ 934 Satz 3 ABGB). Das Werteverhältnis im Zeitpunkt der Abwicklung (der vereinbarten oder tatsächlichen Übergabe oder der sonstige Übergang der Gefahr für Leistungsstörungen) ist umgekehrt nicht relevant. Daher ist der Wert einer gekauften Sache nach ständiger Rechtsprechung abgestellt auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses festzustellen (RS0018871).

[52] II.4.3.2. Bei Optionen ist zwischen dem Optionsvertrag selbst und dem durch Ausübung der Option zustandegekommenen Rechtsgeschäft zu unterscheiden (F. Bydlinski in FS Georgiades 62). Der Optionsvertrag selbst kann unter Umständen einer eigenständigen Äquivalenzprüfung unterliegen, wenn für die Einräumung des Optionsrechts ein „Bindungsentgelt“ oder ein sonstiger konkreter Vorteil für den Optionsunterworfenen vereinbart wird. Voraussetzung dabei ist, dass sich durch Vergleichsfälle ein „gemeiner Wert“ (Marktwert) der Optionsbindung feststellen lässt (F. Bydlinski in FS Georgiades 62 f).

[53] In diesem Fall ist die Äquivalenzprüfung ausschließlich auf den Zeitpunkt der Einräumung der Option zu beziehen; nachträgliche Entwicklungen, die das Äquivalenzverhältnis zwischen den im Hauptvertrag vorgesehenen Leistungen betreffen, sind unerheblich. Der Grund dafür liegt darin, dass in diesem Fall das für die Option vorgesehene Entgelt aus ökonomischer Sicht eine Art „Versicherung“ gegen künftige (aus Sicht des Optionsunterworfenen) ungünstige Entwicklungen darstellt (vgl J. Noll, AnwBl 2002, 506 [510]). Dieses gilt daher auch und gerade das mit der Option verbundene Risiko ab; insoweit bestehen Berührungspunkte zum Glücksgeschäft nach § 1268 ABGB, nach dem § 934 ABGB auf Glücksverträge keine Anwendung findet. Über Glücksverträge hinausgehend wird diese Bestimmung dann herangezogen, wenn einem Vertrag ein nicht lediglich untergeordneter aleatorischer Charakter zukommt (Karollus, JBl 2022, 689 [692]; vgl RS0106040; 6 Ob 20/19p ErwGr 1.2.; zur Abgrenzung siehe auch RS0018925).

[54] Ist für die Option hingegen – wie in der Praxis häufig – kein gesondertes Entgelt vorgesehen, ist § 934 ABGB insoweit nicht anwendbar (vgl auch § 935 ABGB). In der Regel geht es daher um die Äquivalenzverhältnisse im durch die Ausübung der Option zustande gekommenen Hauptvertrag (F. Bydlinski in FS Georgiades 63).

[55] Die Frage, ob im letzteren Fall, also dann, wenn für die Option kein besonderes Entgelt bedungen wurde, für die Prüfung der Wertrelationen auf den Zeitpunkt der Einräumung der Option oder auf denjenigen der Ausübung der Option abzustellen ist, wird in Lehre und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt:

II.4.3.3. Rechtsprechung

II.4.3.3.1. Nach einem Teil der Rechtsprechung ist in Analogie zum verwandten Institut des Vorvertrags, bei dem der Abschluss des Vorvertrags und nicht jener des Hauptvertrags als relevant angesehen wird (vgl 8 Ob 148/09m; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 68), der Zeitpunkt der Einräumung der Option für die Beurteilung des Missverhältnisses der gegenseitigen Leistungen maßgebend (2 Ob 17/97g SZ 70/28; 7 Ob 232/97m; RS0107619).

[57] Auch bei einem – der Option ähnlichen – Verkauf mit Vorbehalt des Wiederkaufs (Wiederkaufsrecht; §§ 1068 ff ABGB) kommt es nach der Entscheidung 1 Ob 518/87 auf die Wertverhältnisse zum Zeitpunkt des ursprünglichen Kaufvertrags und nicht auf jene zum Zeitpunkt der Wiederkaufserklärung an. In einer späteren Entscheidung wurde diese Frage offen gelassen (2 Ob 557/91).

II.4.3.3.2. Nach neueren Entscheidungen ist demgegenüber – unter ausdrücklicher Ablehnung der Entscheidung 2 Ob 17/97g – auf den Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts abzustellen.

[59] Dies wurde erstmals in der Entscheidung 4 Ob 159/01p (JBl 2002, 243 = EvBl 2002/41 = RdW 2002, 148 = SZ 74/152) ausgesprochen. Der vierte Senat vertrat die Auffassung, es sei sachgerechter, bei der Beurteilung des Missverhältnisses des Werts die objektiven Werte der gegenseitigen Leistungen erst für den Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts festzustellen. Der Optionsvertrag sei aufgrund seiner einseitigen Bindung eher dem Anbot und der nachfolgenden Annahmeerklärung ähnlich als dem Vorvertrag, weil der Optionsgeber aus dem Optionsvertrag noch zu keiner Leistung verpflichtet sei. Bei Optionsverträgen sei zunächst ungewiss, ob und wann eine Verpflichtung zum Leistungsaustausch entstehe. Von einem „geschlossenen Geschäft“ im Sinne des § 934 ABGB könne erst im Zeitpunkt des Zugangs der Annahmeerklärung gesprochen werden; nur auf diesen Zeitpunkt sei die Bewertung von Leistung und Gegenleistung zu beziehen. Die objektiven Werte der gegenseitigen Leistungen seien erst für den Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts festzustellen, weil erst dann das (von den Parteien im Optionsvertrag zunächst bloß in Aussicht genommene) Rechtsgeschäft volle Wirksamkeit erlange und wechselseitige Leistungspflichten auslöse. Die Richtigkeit dieser Auffassung zeige sich besonders dann, wenn zwischen Optionsvertrag und Leistungsaustausch nach Optionsausübung ein ungewöhnlich langer Zeitraum (im damaligen Fall: mehr als 20 Jahre) liege: Der Gesetzeszweck, die objektive Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung in einem gewissen Rahmen zu gewährleisten, verlange, dass man für den Bewertungszeitpunkt nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Optionsvertrags abstelle, in welchem noch völlig ungewiss sei, ob und wann ein Leistungsaustausch erfolgen werde, sondern auf den Zeitpunkt der Optionsausübung, mit welcher Erklärung die in ihrem Wert zu beurteilenden wechselseitigen Vertragspflichten des angestrebten Hauptvertrags ja überhaupt erst entstünden. Erst dann sei eine sichere Beurteilung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Geschäfts möglich, also die Prüfung, ob die Parteien für ihre eigene Leistung eine annähernd gleichwertige Gegenleistung erhalten hätten.

[60] Dieser Auffassung schloss sich der erste Senat in der eine Option auf Erwerb eines GmbH-Geschäftsanteils betreffenden Entscheidung 1 Ob 67/03i an. Der Senat lehnte eine Orientierung am Rechtsinstitut des Vorvertrags überdies mit der Begründung ab, dass beim Vorvertrag – anders als bei einem Angebot bzw einer Option – beide (und nicht bloß einer der beiden) Vertragspartner bereits verpflichtet seien.

[61] In der Entscheidung 2 Ob 210/13s wurde diese Judikaturlinie referiert. In concreto hielt der zweite Senat diese Judikaturlinie jedoch nicht für anwendbar, weil der vorliegende Sachverhalt mit den „Optionsfällen“ nichts gemein habe, sondern die vertragliche Willenseinigung über Leistung und Gegenleistung bereits abgeschlossen sei und die Parteien an ihre Vertragserklärungen gebunden seien; es sei nicht einmal – wie bei einer aufschiebenden Bedingung – ungewiss, ob der Vertrag jemals Wirksamkeit erlangen werde. Dass zwischen Vertragsabschluss und Eintritt der Wirksamkeit (mit dem Tod des Klägers) ein langer Zeitraum verstreichen könne, ändere nichts an der Maßgeblichkeit des Vertragsabschlusses. Andernfalls wäre bei der Anfechtung wegen laesio enormis stets auf einen vereinbarten späteren Erfüllungszeitpunkt abzustellen, was aber der Regelung des § 934 Satz 3 ABGB klar widerspreche.

[62] Für den Vorvertrag nach § 936 ABGB sprach hingegen die Entscheidung 8 Ob 148/09m aus, es habe bei dem allgemeinen im Gesetz auch festgelegten Grundsatz zu bleiben, dass für die Beurteilung des Missverhältnisses nach § 934 ABGB auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Vorvertrags abzustellen sei.

[63] In der Entscheidung 9 Ob 69/19s (= ZFR 2020, 193 [Klever]) wurde diese Frage nicht behandelt. Die Entscheidung betraf eine Option zum Erwerb eines goldenen Kunstwerks aus der Keltenzeit. Der Kläger hatte im Vertrag ausdrücklich erklärt, im Falle der Annahme der Option und der Durchführung dieses Kaufvertrags um den Wert der besonderen Vorliebe zu kontrahieren. Zutreffend habe das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass zwar den Parteien bei Vertragsabschluss mehrere übereinstimmende Expertisen über den Kaufgegenstand vorgelegen seien, nach denen dessen Wert mit einem mehrfachen Euromillionenbetrag angegeben worden sei, doch sei darin auch festgehalten worden, dass eine finanzielle Bewertung nur sehr schwer möglich gewesen sei, weil es sich beim Kaufgegenstand um ein einzigartiges, Kunstunikat gehandelt habe. Daher sei die Anfechtung nach § 935 zweiter Halbsatz ABGB ausgeschlossen.

[64] In der Entscheidung 6 Ob 20/19p (ecolex 2019, 883 [Peissl]) wurde lediglich der Meinungsstand referiert, weil in concreto eine Anfechtung wegen laesio enormis ausgeschlossen war. Der sechste Senat fügte jedoch an, dass „durchaus einiges für das Argument Krejcis spricht, aufgrund dieser Rechtsprechung trage das (mitunter sehr hohe) Nachteilsrisiko ausschließlich der aus dem optierten Vertrag Verpflichtete, werde der Optionsberechtigte die Option doch (nur) dann ziehen, wenn dies für ihn günstig sei, andernfalls nicht“.

[65] In der Entscheidung 7 Ob 14/22t verwies der Oberste Gerichtshof auf die dargestellte Rechtsprechung, die von den Parteien im konkreten Fall jedoch nicht in Zweifel gezogen worden war.

[66] In der zuletzt ergangenen (ein Wiederkaufsrecht betreffenden) Entscheidung 10 Ob 51/22f konnte der Oberste Gerichtshof die Frage, welcher Zeitpunkt als Vertragsabschlusszeitpunkt im Sinne des § 934 Satz 3 ABGB (und für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 1487 ABGB) bei Wiederkaufsvorbehalten und bei Optionsverträgen heranzuziehen sei, dahingestellt lassen, weil der vorliegende Sachverhalt mit dem Entstehen eines Anspruchs infolge Ausübung eines einseitigen Gestaltungsrechts oder sonstigen „Optionsfällen“ nicht vergleichbar sei. Die vertragliche Willenseinigung über Leistung und Gegenleistung sei hier vielmehr bereits im Jahr 2007 abgeschlossen gewesen.

II.4.3.4. Literatur

II.4.3.4.1. Einräumungszeitpunkt

[67] Auch in der Literatur werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Nach Zeiller (Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie III/1 [1812] § 934 Anm 4) bleiben nachfolgende Verbesserungen oder Verschlimmerungen unberücksichtigt. Allerdings dachte Zeiller dabei nicht an den – damals noch unbekannten (vgl Georgiades, Optionsvertrag und Optionsrecht, in FS Larenz [1973] 409) Optionsvertrag. Zahlreiche Autoren in neuerer Zeit (Krejci in FS Koziol 215 [insb 224 f]; J. Noll, AnwBl 2002, 506 [511]; Peissl, ecolex 2019, 885 [Anmerkung zu 6 Ob 20/19p]; Rauter in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 351 Rz 20; Welser, Der Zeitpunkt des Wertvergleichs bei Anfechtung einer Optionsvereinbarung wegen laesio enormis, NZ 2019/92, 281 [283 ff]; Wimmer, Wertdisparitäten bei Optionsverträgen [II], ecolex 2020, 118 [120]; Winner, Wert und Preis 183 ff) stellen auf den Zeitpunkt der Einräumung der Option ab.

[68] Diese Auffassung wird im Wesentlichen mit der Ähnlichkeit des Optionsvertrags zum Vorvertrag (bei dem der Zeitpunkt des Abschlusses des Vorvertrags und nicht jener des Hauptvertrags maßgeblich ist) sowie mit der Überlegung begründet, dass nachträgliche Wertveränderungen unberücksichtigt bleiben sollten und die dem Optionsvertrag zugrundeliegende vertragliche Risikoverteilung nicht unsachlich zu Lasten des aus der Option Verpflichteten verschoben werden sollte.

[69] Nach Pfersmann (Bemerkenswerts aus der SZ 74/II, ÖJZ 2005, 530 [534 f]) missachte die Entscheidung 4 Ob 159/01p ohne zwingende Notwendigkeit das begründete Vertrauen des aus der Option Berechtigten, sodass sich die Frage stelle, welchen Wert ein Vertrag samt wertsichernder Indexklausel habe, wenn der Vertragspartner laesio enormis einwenden könne, die er bezogen auf den Zeitpunkt des seinerzeitigen Vertragsabschlusses nicht habe einwenden können.

[70] Auch nach Perner (in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 934 Rz 9) sei die Option mit dem (zweiseitigen) Vorvertrag enger verwandt als mit der (einseitigen) Offerte und würden bei Abstellen auf den Zeitpunkt der Ausübung der Option nachträgliche Wertänderungen in unzulässiger Weise berücksichtigt und die Risikotragung unsachlich zu Lasten des Optionsberechtigten verschoben werden.

[71] Krejci (in FS Koziol [2010] 215, 226 ff) spricht sich ebenfalls gegen die Rechtsprechung zu dem (erst) mit Ausübung der Option angenommenen maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung des Wertmissverhältnisses (und gegen die in der Entscheidung 2 Ob 17/97g vertretene Lösung des Verjährungsbeginns) aus. Dem Institut der Verkürzung über die Hälfte gehe es nicht um die Abwehr eines zukünftigen Übels, sondern um eines, das von Anfang an bestehe. Es gehe um die Möglichkeit, eine vorweg vereinbarte Inäquivalenz der Leistungswerte zu bekämpfen, nicht aber darum, bereits Vereinbartes in Hinblick auf spätere Entwicklungen wieder umzustoßen. Wenn es das Institut der Verkürzung über die Hälfte zulasse, dass sich jemand von Anfang an unbedingt zur Übernahme des Risikos späterer Wertentwicklungen verpflichte, stelle sich die Frage, warum eine derartige Risikoübernahme nicht auch möglich sein solle, wenn das Risiko nur bedingt schlagend werde. Sei schon die unbedingte Risikotragung zulässig, müsse es die bedingte erst recht sein. Beim optierten Vertrag gehe es nicht um eine neu zu beurteilende Wertrelation, sondern um das Schlagendwerden eines im Optionsvertrag bereits übernommenen Risikos späterer Wertentwicklung. Wer eine eigenständige Äquivalenzprüfung des optierten Vertrags anerkenne, reduziere die Verlässlichkeit und Sicherheit des Optionsvertrags.

[72] Wimmer (ecolex 2020, 118) formuliert sogar, durch die neuere Rechtsprechung werde dem Stillhalter die Möglichkeit eingeräumt, die Willenserklärung entgegen dem Grundsatz der Vertragstreue (opportunistisch) umzustoßen.

[73] Ähnlich argumentiert auch Welser (NZ 2019/92, 281 [283 ff]), die Option sei ein einseitiges Gestaltungsrecht, mit dessen Ausübung von den Parteien nur ein im Vorhinein inhaltlich vereinbartes Rechtsverhältnis in Kraft gesetzt werde; die Ausübung der Option sei kein Abschluss des Rechtsgeschäfts im Sinne des § 934 ABGB. Die laesio enormis könne auf keinen Fall dazu eingesetzt werden, nach Abschluss des Vertrags eintretende Änderungen von Umständen, also spätere Entwicklungen, vor allem Wertänderungen, zu berücksichtigen. Sie sei kein Mittel zur Anpassung oder Aufhebung von Verträgen wegen Änderung von Umständen, sondern stelle auf einen Wurzelmangel ab. Die neuere Rechtsauffassung führe zu einer unzulässigen Aufhebung der vereinbarten oder sich aus dem Grundvertrag ergebenden Risikotragung. Das Wertentwicklungsrisiko sei geradezu geschäftstypisch. Folge man dieser Rechtsprechung, wäre es inkonsequent, nicht auch bei anderen bedingten Rechtsgeschäften den Bedingungseintritt als den maßgebenden Zeitpunkt für den Wertvergleich zu qualifizieren.

[74] Karollus (Anfechtung wegen laesio enormis, wenn im konkreten Fall kein ungerechter Vertrag und kein ungerechter Preis vorliegt? JBl 2022, 689 ff), bezeichnet zwar die Auffassung, wonach auf den Zeitpunkt der Ausübung des Wiederkaufsrechts abzustellen sei, als herrschend, vertritt jedoch die Auffassung, eine Neuorientierung der Judikatur wäre zu begrüßen, weil die aktuelle Position des Obersten Gerichtshofs zu einer erheblichen Entwertung des Rechtsinstituts der Option führe: Wenn sich eine Option für den Optionsberechtigten besonders vorteilhaft entwickle, stehe sie unter dem Damoklesschwert der laesio enormis. Dabei werde vernachlässigt, dass es gerade dem Wesen einer Option entspreche, wenn dem aus der Option Berechtigten die Chancen aus einer Veränderung der Wertverhältnisse zukommen und korrespondierend damit der aus der Option Verpflichtete das Risiko einer Veränderung der Wertverhältnisse trage. Durch die neuere Judikatur zu Optionen komme es überdies zu unerklärlichen Wertungswidersprüchen mit Vorverträgen, bei denen auch nach der derzeitigen Judikatur ausschließlich auf die Wertverhältnisse zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vorvertrags abgestellt werde. Ausschlaggebend sei, dass die Parteien die inhaltliche Einigung bereits bei der Begründung der Option getroffen hätten. Bei Zugrundelegung der Auffassung der Rechtsprechung drohe auch der vom Gesetzgeber vorgesehene Anfechtungsausschluss des § 935 Fall 3 ABGB (Kenntnis des wahren Werts) in einem solchen Fall ins Leere zu laufen, weil der aus der Option Verpflichtete zum Zeitpunkt der Abgabe seiner Willenserklärung (bei der Begründung der Option) den künftigen, zum Zeitpunkt der Optionsausübung bestehenden Wert gar nicht kennen, sondern dazu höchstens bestimmte Erwartungen haben könne.

[75] II.4.3.4.2. Allerdings nehmen die meisten Autoren, die auf den Zeitpunkt der Einräumung der Option abstellen, daneben noch eine Korrekturmöglichkeit wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage an, wenn sich in der Folge die Wertrelationen für jene Partei, die die Option eingeräumt hat, grob nachteilig entwickeln (so zB Krejci, FS Koziol 226).

[76] J. Noll (AnwBl 2002, 506 [512]) verweist auf die Ähnlichkeit zwischen der Begründung der Entscheidung 4 Ob 159/01p und Geschäftsgrundlagenerwägungen. Leistungen, deren Verhältnismäßigkeit im Zeitpunkt der Erbringung wegen gravierender unerwarteter äußerer Ereignisse nicht mehr gegeben seien, sollten verhindert werden.

[77] Wimmer (ecolex 2020, 118 [120 f]) betont, dass der Rückgriff auf Geschäftsgrundlageerwägungen nur ultima ratio darstelle.

[78] Auch nach Winner (Wert und Preis 186 f) könne auf Optionen das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in seiner in § 936 ABGB festgehaltenen Form Anwendung finden (ebenso schon 1 Ob 472/49 = SZ 23/187; Gschnitzer in Klang² IV/1 570; Perner in Schwimann/Kodek,ABGB5 § 936 Rz 8).

II.4.3.4.3. Ausübungszeitpunkt

[79] Nach anderen Autoren sind die Wertrelationen im Ausübungszeitpunkt maßgeblich (F. Bydlinski, Optionsvertrag und Äquivalenzverschiebung, in FS Georgiades [2006] 53 [66 f]; ebenso Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1068 Rz 20; Beclin in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 897 Rz 100; P. Bydlinski in KBB6 § 934 ABGB Rz 1; Hödl in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKomm5 § 934 Rz 6 und Rz 12; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 74; Spitzer/Told/Felzmann in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1068 Rz 13; Verschraegen in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1068 Rz 3; Vollmaier in Kerschner/Fenyves/Vonkilch, Klang³ § 1487 ABGB Rz 20; allgemein Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag [1965] 276, nach dem in den Fällen, in denen das Gesetz den Zeitpunkt des Vertragsschlusses für maßgeblich erkläre, unter Vertragsschluss der Zeitpunkt des Zugangs der Optionserklärung zu verstehen sei).

[80] F. Bydlinski (in FS Georgiades 65 ff) begründet die Maßgeblichkeit des Ausübungszeitpunkts zusammengefasst damit, dass der Wortlaut des § 934 Satz 3 ABGB sowie die Sachstruktur des Optionsvertrags mit seinen in Wahrheit zu unterscheidenden zwei Vertragsverhältnissen, von denen es auf die Wertverhältnisse im entgeltlichen Hauptvertrag ankommen müsse, für die Prüfung der Wertverhältnisse im Zeitpunkt der Optionsausübung sprächen, in dem erst der Hauptvertrag zustande komme. Dazu komme die Parallele zu einem langfristig bindenden Offert. Hier könne vor der Annahmeerklärung von einem „zweiseitig verbindlichen Geschäft“ überhaupt keine Rede sein. Würde man auf den Zeitpunkt des Optionsvertrags statt auf jenen der zunächst durchaus unsicheren und vielleicht viel späteren Optionsausübung abstellen, müsste die Äquivalenzstörung auf ihre rechtliche Bedenklichkeit in einem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem der Leistungsaustausch aus dem Hauptvertrag bedingt, also eine unsichere Hypothese, sei, während der Zeitpunkt, in dem die beiderseitigen Leistungspflichten und damit die allfällige Inäquivalenz tatsächlich entstünden, unberücksichtigt und daher das Wertmissverhältnis unkontrolliert bliebe.

[81] Nach Reischauer (in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 74 ff) sei der jüngeren Rechtsprechung deshalb zu folgen, weil bei der Option zum Zeitpunkt ihrer Einräumung – anders als beim Vorvertrag – noch jegliche Gewissheit über eine künftig entstehende Verpflichtung zur Leistung fehle. § 934 ABGB habe vor allem den üblichen Fall vor Augen, in dem ein Vertrag unmittelbar zur Leistung verpflichte. Die Optionsberechtigung erstrecke sich nicht selten auf einen langen Zeitraum. Die Entwicklung des Wertgefüges sei zum Zeitpunkt der Einräumung des Optionsrechts kaum absehbar. Die Analogie zu einer Vertragsofferte mit langer Bindungswirkung sei passend. Erst mit dem Zugang der Annahmeerklärung komme der Vertrag zustande und dies sei der maßgebende Zeitpunkt für den Vergleich der Werte.

[82] Auch beim Wiederkaufsrecht ist nach der wohl herrschenden Auffassung auf den Zeitpunkt der Ausübung des Wiederkaufrechts abzustellen (F. Bydlinski in FS Georgiades 69 FN 28; Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1068 Rz 20; Verschraegen in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.06 § 1068 Rz 3; Apathy/Perner in KBB6 § 1068 Rz 4; Spitzer/Told/Felzmann in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 1068 Rz 13; aA Karollus, JBl 2022, 689 [695], nach dem bei dieser Auffassung der Umstand, dass der Wiederkaufsverpflichtete die Sache zuvor zu genau demselben Preis erworben habe, um den er die Sache nunmehr wieder hergeben müsse, zu wenig berücksichtigt werde).

II.4.3.5. Stellungnahme des Senats

II.4.3.5.1. Einräumungszeitpunkt

[83] Der Senat schließt sich in diesem Punkt der Entscheidung 2 Ob 17/97g und den unter ErwGr II.4.3.4.1. dargestellten Literaturmeinungen an. Überzeugend erscheint dabei nicht nur die Parallele zum Vorvertrag (vgl 8 Ob 148/09m), sondern vor allem die Überlegung, dass es dem Institut der laesio enormis nicht um die Abwehr eines zukünftigen Übels geht, sondern um eines, das von Anfang an besteht (Krejci in FS Koziol 227). Es geht um die Möglichkeit, eine vorweg vereinbarte Inäquivalenz der Leistungswerte zu bekämpfen. Wenn es das Institut der laesio enormis zulässt, dass sich jemand von Anfang an unbedingt zur Übernahme des Risikos späterer Wertentwicklungen verpflichtet, ist nicht zu sehen, warum eine derartige Risikoübernahme nicht auch möglich sein soll, wenn das Risiko nur bedingt schlagend wird: Ist schon die unbedingte Risikotragung zulässig, muss es die bedingte erst recht sein. Beim optierten Vertrag geht es nicht um eine neu zu beurteilende Wertrelation, sondern um das Schlagendwerden eines im Optionsvertrag bereits übernommenen Risikos späterer Wertentwicklung (Krejci in FS Koziol 229).

[84] Das Wertentwicklungsrisiko ist bei Optionen geradezu geschäftstypisch. Das Abstellen auf den Zeitpunkt der Optionsausübung führt demgegenüber zu einer unzulässigen Aufhebung der vereinbarten oder sich aus dem Grundvertrag ergebenden Risikotragung. Würde man auf den Zeitpunkt der Ausübung der Option abstellen, wäre es inkonsequent, nicht auch bei anderen bedingten Rechtsgeschäften den Bedingungseintritt als den maßgebenden Zeitpunkt für den Wertvergleich zu qualifizieren, was die herrschende Auffassung aber ablehnt (vgl nur Krejci in FS Koziol 227).

[85] Dabei werden Option und Angebot mit verlängerter Bindungswirkung auch nicht unterschiedlich behandelt: Der Oberste Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei der Option und dem Hauptvertrag um einen zweiaktigen Vorgang handelt, der einem Offert und der nachfolgenden Annahmeerklärung ähnlicher ist als einem zweiseitig verpflichtenden Vorvertrag, ist doch der Optionsgeber allein aus dem Optionsvertrag noch zu keiner Leistung verpflichtet (RS0115633 = 4 Ob 159/01p; zur Parallele von Offert und Option auch F. Bydlinski in FS Georgiades 66 und Winner, Wert und Preis 184; zu Unterschieden zwischen Offert und Option allgemein Georgiades in FS Larenz 412 ff).

[86] Mit dem Abstellen auf das „geschlossene Geschäft“ war – in Abgrenzung zum Zeitpunkt der Erfüllung – die „Abschließung“ des Geschäfts gemeint und es sollte dadurch bei der Schätzung durch den Sachverständigen beiden Teilen ermöglicht werden, „ihre Erinnerungen über die Veränderung der auf den Preis einfließenden Umstände vorzubringen“ (Zeiller, Commentar III/1 [1812] § 934 Anm 4 aE). An ein zeitliches Auseinderfallen von Angebot und Annahme und an zwischenzeitige Wertänderungen wurde dabei offensichtlich nicht gedacht. Die Möglichkeit, den Vertrag wegen laesio enormis anzufechten, beruht allerdings maßgeblich auf dem Schutz des Verkürzten, der über die Wertrelation irrt (vgl auch Zeiller, Commentar III/1 [1812] § 934 Anm 6) oder sie zumindest nicht kennt (§ 935 ABGB). Scheidet die Anfechtung wegen laesio enormis bei Kenntnis des wahren Werts aus, zeigt dies, dass es um den Wert der Leistungen bei Abgabe der (bindenden) Erklärung des Verkürzten geht (Winner, Wert und Preis 186), sodass nicht nur bei der Option, sondern auch bei zeitlichem Auseinanderfallen von Angebot und Annahme auf den Zeitpunkt der Bindung des Verkürzten abzustellen ist (idS auch Winner, Wert und Preis 186, nach dem bei der Auslegung der Offerte besonders berücksichtigt werden müsse, was gewollt sei und welche Umstände vorausgesetzt worden seien, worauf hier mangels zeitlichen Auseinanderfallens von Angebot und Annahme nicht näher eingegangen werden muss).

II.4.3.5.2. Nachträgliche Änderungen

[87]  Nach Auffassung zahlreicher Autoren, die bei der Anfechtung einer Option wegen laesio enormis auf den Einräumungszeitpunkt abstellen, ist eine Anfechtung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage möglich, wenn durch Folgeentwicklungen eine massive Störung in den ursprünglichen Wertrelationen eintritt (oben ErwGr II.4.3.4.2.).

[88] Für diese Auffassung spricht, dass es sich dabei um einen allgemeinen, weder auf Optionen noch auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 934 ABGB beschränkten Einwand handelt. Nach ständiger Rechtsprechung darf ein Vertrag dann gelöst werden, wenn im Festhalten am Vertrag, im Beharren auf Verpflichtungen, deren Erfüllung dem Schuldner nicht mehr zumutbar ist, geradezu ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben erblickt werden muss (RS0017498). Dieses Recht muss einem Vertragspartner insbesondere dann eingeräumt werden, wenn die objektive Geschäftsgrundlage fortgefallen ist, also der im Vertragsinhalt zum Ausdruck gelangte, von beiden Teilen anerkannte wesentliche Vertragszweck (Endzweck im Sinne des § 901 ABGB) – auch ohne dass die Leistung als solche unmöglich geworden wäre – nicht nur zeitweilig unerreichbargeworden ist (RS0017498). Wesentlicher Vertragszweck kann hiebei auch die Höhe der zu erbringenden Gegenleistung sein (RS0017498).

[89] Für krasse Äquivalenzstörungen zum Zeitpunkt der der Option stellt § 934 ABGB eine lex specialis dar. Insoweit scheidet daher eine Berufung auf das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage aus. Zu prüfen ist daher lediglich, ob der Wertentwicklung ausreichendes Gewicht zukommt, um als Wegfall der Geschäftsgrundlage qualifiziert werden zu können.

[90] § 934 ABGB können nach herrschender Auffassung Anhaltspunkte für das erforderliche Gewicht der Äquivalenzstörung entnommen werden (vgl 1 Ob 44/98x = immolex 1999/44 [Pfiel]; F. Bydlinski, Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage im österreichischen Recht, ÖBA 1996, 499 [508 f]; Fenyves in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 901 ABGB Rz 94 und 102). Nach F. Bydlinski (ÖBA 1996, 499 [509]) geht es dabei jedoch nur um eine „Basiswertung“, die, kombiniert „mit dem personalen Schutz- und Zumutbarkeitskriterium“, in einem beweglichen System abweichende Beurteilungen erlaubt, je nachdem, ob dem benachteiligten Vertragspartner „unmittelbar der wirtschaftliche Existenzverlust“ droht, bloß eine „erhebliche Verschlechterung“ seiner wirtschaftlichen Existenz zu befürchten ist oder dem konkreten Vertrag im Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Gesamtlage keine solche Bedeutung zukommt. Im ersten Fall sei jede im Rechtsverkehr unübliche, jedoch quantitativ beliebige Äquivalenzstörung beachtlich und im zweiten Fall das Hälftekriterium der laesio enormis als „Zweifels- und Faustregel“ maßgeblich, während der Wegfall der Geschäftsgrundlage im dritten Fall eine Äquivalenzstörung voraussetzt, bei der „nach der Beurteilung des verständigen Verkehrs ein relevantes Entgelt überhaupt nicht mehr vorhanden“ ist.

[91] Soweit für die Option ein Entgelt zu entrichten ist, ist bereits damit das Risiko aller späteren nachteiligen Entwicklungen abgegolten. Bei Optionen mit stark spekulativem Charakter wird eine Anfechtung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zudem schon wegen der sich aus § 1268 ABGB ergebenden Wertung ausscheiden. Aber auch in allen anderen Fällen ist zu berücksichtigen, dass allen Optionsverträgen ein gewisses spekulatives Element immanent ist (vgl Winner, Wert und Preis 183 f). Die geschäftstypische Risikoübernahme prägt auch den Hauptvertrag (vgl Winner, Wert und Preis 185; Krejci, FS Koziol 215 [225 ff]; Wimmer,ecolex 2020, 120; aA Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 74 ff). Daher ist hier bei der Anfechtung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein strenger Maßstab anzulegen. Die Anfechtung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage würde hier wegen des typischen Risikoelements voraussetzen, dass die nachträgliche Entwicklung eine ganz erhebliche, das Maß des § 934 ABGB deutlich übersteigende wirtschaftliche Schlechterstellung zur Folge hätte.

[92] Der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass nachfolgende Entwicklungen nicht nur in der Form eintreten können, dass sich erst nach Einräumung der Option eine Inäquivalenz ergibt oder eine bestehende Inäquivalenz verstärkt wird, sondern auch umgekehrt dazu führen, dass eine solche Inäquivalenz oder gänzlich wird. Inwieweit in einem derartigen Fall dem Stillhalter die Anfechtung des Optionsvertrags unter Berufung auf die seinerzeitige Inäquivalenz in entsprechender Anwendung der zur Klaglosstellung bei der Irrtumsanfechtung entwickelten Grundsätze (vgl 3 Ob 94/21a; RS0016244), wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses oder wegen Rechtsmissbrauchs (dazu in anderem Zusammenhang Karollus, JBl 2022, 689 [698]) verwehrt ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Klärung.

[93] Eine – nach diesen Grundsätzen allenfalls mögliche – Anfechtung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist im vorliegenden Fall jedenfalls nicht gegeben, weil eine entsprechend massive und unvorhersehbare Wertveränderung hier nicht vorliegt (vgl noch unten ErwGr II.5.3.2.).

II.4.4. Verjährung

II.4.4.1. Allgemeines

[94] II.4.4.1.1. Weil somit die Wertverhältnisse im Jahr 2009 (also mehr als drei Jahre vor der Erhebung des laesio enormis-Einwands) entscheidend sind, kann dem Verjährungseinwand des Klägers überhaupt Berechtigung zukommen. Nach ihrem Vorbringen geht es der Beklagten bei der Einrede der laesio enormis um die Aufhebung des durch Optionsausübung optierten Vertrags, der nach ihrer Rechtsauffassung vom Optionsvertrag getrennt zu beurteilen ist (ErwGr II.4.2.1.). Die Frage, ob diese Rechtsauffassung zutrifft und welcher Vertrag (Optionsvertrag, optierter Vertrag oder beide) Gegenstand der Anfechtung sein kann bzw muss und ob auch die Verjährung getrennt oder einheitlich zu beurteilen ist, stellt sich aufgrund des Ergebnisses dieser Prüfung nicht.

[95] II.4.4.1.2. Nach § 1478 Satz 2 ABGB führt der Nichtgebrauch eines Rechts, das an sich schon hätte ausgeübt werden können, durch 30 Jahre zu seiner Verjährung. Das maßgebliche „Recht“ ist im vorliegenden Zusammenhang (oben ErwGr II.4.4.1.1.) jenes auf Anfechtung des optierten Vertrags wegen laesio enormis. Aus § 1478 ABGB wird der allgemeine Grundsatz abgeleitet, dass die Verjährungsfrist mit der objektiven Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts zu laufen beginnt (RS0034382) und Anlass zur Klage bestand (RS0034418). Subjektive oder nur in der Person des Berechtigten liegende Hindernisse haben dagegen – sofern das Gesetz keine Ausnahme macht (vgl § 1489 ABGB) – in der Regel auf den Beginn der Verjährungsfrist keinen Einfluss (RS0034248; RS0034445).

[96] II.4.4.1.3. Das Recht, einen entgeltlichen Vertrag wegen Verkürzung über die Hälfte aufzuheben, muss binnen drei Jahren geltend gemacht werden; nach Verlauf dieser Zeit ist es verjährt (§ 1487 ABGB). Über den Beginn der Verjährungsfrist enthält § 1487 ABGB keine Anordnung, sodass insofern auf die geschilderten allgemeinen Grundsätze zurückgegriffen wird.

[97] II.4.4.1.4. Durch die dreijährige Frist des § 1487 ABGB wird nach herrschender Auffassung nicht nur die aktive (klageweise), sondern auch die einredeweise Geltendmachung des Anfechtungsrechts abgeschnitten (RS0018798; RS0019052 [T4]; Gschnitzer in Klang² IV/1 564 FN 65; Klang in Klang² VI 664 f; Meissel in KBB6 § 1451 Rz 4; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.07 § 1487 Rz 8; Vollmaier in Kerschner/Fenyves/Vonkilch, Klang³ § 1487 Rz 21; aA G. Kodek, Die Einrede im Zivilrecht [2020] 394 ff und 399 f, der grundsätzlich zwischen der aktiven und passiven Geltendmachung differenziert und in Analogie zu § 43 IO die unbefristete Möglichkeit der Einrede der laesio enormis vertritt).

II.4.4.2. Rechtsprechung

II.4.4.2.1. Der Einwand der laesio enormis muss nach der ständigen Rechtsprechung innerhalb von drei Jahren ab Vertragsabschluss erhoben werden (9 Ob 29/13z ErwGr 3.; 1 Ob 686/81; 6 Ob 222/61; 1 Ob 13/50 SZ 23/31; GlU 1268 = JB 36), und zwar auch dann, wenn die Verkürzung über die Hälfte sich nur auf eine Vertragsklausel bezieht, die erst nach Ablauf von drei Jahren geltend gemacht worden ist (RS0018798), sich der Verkäufer weiterhin im Besitz der Sache befindet (RS0019052 [T2]), der Vertrag einer verwaltungsbehördlichen Genehmigung bedarf (RS0019052 [T3]) oder unter einer aufschiebenden Bedingung geschlossen wurde (RS0019052 [T5]).

II.4.4.2.2. In der zur Anfechtung einer Option (Anbot auf Schenkung eines Geschäftsanteils an einer GmbH) wegen Irrtums ergangenen Entscheidung 1 Ob 61/97w kam der Oberste Gerichtshof (wie schon in 10 Ob 504/94) zum Ergebnis, dass die Irrtumsanfechtung von einseitig empfangsbedürftigen Willenserklärungen in analoger Anwendung des § 1487 ABGB in drei Jahren ab Erklärungszugang verjähre (vgl RS0034470). Die gesonderte Anfechtbarkeit einer Option beziehungsweise Offerte mit unbestimmter Bindungsfrist schließe die spätere Vertragsanfechtung aus, wenn die Ausübung der Option bzw die Annahme des Anbots erst mehr als drei Jahre nach Einräumung der Option bzw des Zugangs der Offerte erklärt worden sei (RS0108893). Der Irrende dürfe die Anfechtung nicht deshalb unterlassen, weil die Annahme seines Anbots innerhalb der von vornherein unbestimmten und deshalb potentiell (auch) mehrjährigen Bindungsfrist allenfalls unterbleiben könnte.

II.4.4.2.3. Abweichend dazu wurde zu 2 Ob 17/97g (SZ 70/28) ausgesprochen, dass die Verjährungsfrist des § 1487 ABGB erst mit dem Zustandekommen des aufgrund einer Option geschlossenen Vertrags zu laufen beginne. Zwar müsse die Einrede der Verkürzung über die Hälfte innerhalb von drei Jahren nach Vertragsabschluss erhoben werden. Gegenstand der Anfechtung durch die Beklagte sei jedoch nicht etwa die Vereinbarung der Option, sondern vielmehr der unter Ausnützung dieser Option zustande gekommene Kaufvertrag. Es sei daher auf den Zeitpunkt des Abschlusses dieses Vertrags und nicht auf den Zeitpunkt der Einräumung der Option abzustellen. Der Kaufvertrag selbst sei aber erst durch die Annahmeerklärung der Klägerin zustande gekommen. Der optionsberechtigten Klägerin käme wie einem Offertempfänger ein Gestaltungsrecht zu. Die unterschiedliche Behandlung der Verjährungsfrist beim Vorvertrag, bei dem diese bereits mit dessen Abschluss zu laufen beginne, und bei der Option sei dadurch gerechtfertigt, dass die Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnen könne, bevor die Option ausgeübt worden sei, zumal vom anderen Teil nicht zu erwarten sei, dass er Schritte zur Durchsetzung seines Aufhebungsanspruchs unternehme, solange unsicher sei, ob die Option ausgeübt werde.

[101] Diese Entscheidung wurde ohne eigene Stellungnahme in 7 Ob 232/97m referiert.

II.4.4.2.4. Jene Judikaturlinie, die für die Wertinäquivalenz auf den Zeitpunkt der Ausübung der Option abstellt (1 Ob 67/03i; 4 Ob 159/01p), thematisiert den Beginn der Verjährungsfrist nicht näher, weil danach auch das Anfechtungsrecht erst ab der Ausübung des Optionsrechts ausgeübt werden und die Verjährung daher nicht vor diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen kann.

II.4.4.3. Literatur

[103] II.4.4.3.1. Krejci (in FS Koziol 219 ff) spricht sich gegen die in der Entscheidung 2 Ob 17/97g angenommene Lösung des Verjährungsbeginns aus. Es handle sich um einen Wurzelmangel, also einen von Anfang an gegebenen Mangel, nicht um später auftretende Störungen. Dafür sprächen auch Verkehrsschutzerwägungen.

[104] II.4.4.3.2. Nach Vollmaier (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1487 ABGB Rz 20) setzt der Lauf der Verjährungsfrist bei Optionsverträgen (für den Gegner des zur Ausübung Berechtigten) erst mit deren Ausübung ein, weil vom anderen Teil nicht zu erwarten sei, dass er Schritte zur Durchsetzung seines Aufhebungsanspruchs unternehme, solange unsicher sei, ob die Option ausgeübt werde. Wolle aber der Optionsberechtigte selbst den Vertrag anfechten, erscheine es sachgerecht, die Verjährung ab erstmaliger Ausübbarkeit seines Optionsrechts laufen zu lassen.

[105] II.4.4.3.3. Im Übrigen wird in der Literatur die bestehende Rechtsprechung ohne eigene Stellungnahme referiert (s M. Bydlinski in Rummel, ABGB3 § 1487 Rz 6; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGBON1.07 § 1487 Rz 7) oder der Verjährungsbeginn im Ausübungszeitpunkt als selbstverständlich bezeichnet, weil – ausgehend von diesem Zeitpunkt als für den Wertevergleich maßgebend – der Anfechtungstatbestand erst dann erfüllt sei (Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 148 f).

II.4.4.3.4. Nach der weitergehenden Auffassung von G. Kodek (Einrede 383 ff) ist demgegenüber – sofern nicht ein besonderes Interesse an rascher Klarstellung bestehe – die verteidigungsweise Geltendmachung von Gestaltungsrechten mittels Einrede unbefristet möglich. Letztlich gehe es darum, wem die Klagsführung eher zumutbar sei. Hier bestehe eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass diese Wertung anders ausfalle, wenn es nicht um die Rechtsverfolgung mittels Klage, sondern bloß um die Rechtsverteidigung mittels Einrede gehe: So lasse § 414 Abs 3 UGB die Aufrechnung mit verjährten Ansprüchen gegen den Spediteur zu, wenn vorher der Verlust, die Minderung, Beschädigung oder verspätete Ablieferung angezeigt worden sei (G. Kodek, Einrede 380).

[107] Diese Regelung sei nur vor dem Hintergrund einer allgemeinen Regel erklärbar, dass grundsätzlich auch mit verjährten Forderungen aufgerechnet werden könne, sofern sich diese einmal unverjährt gegenübergestanden seien (G. Kodek, Einrede 381; vgl RS0034016; 6 Ob 110/12p = SZ 2012/90 = GesRZ 2013, 38 [Torggler]; 7 Ob 9/13v = ÖBA 2014/2022 [Madl] = ZFR 2013/161 [Lenz]; 7 Ob 246/18d ErwGr 5.3.1; 6 Ob 89/21p; offen gelassen in verstSen 6 Ob 179/14p ErwGr 5.1.8. = JBl 2016, 193 = SZ 2015/135). Der Grund dafür liege darin, dass der Aufrechnungsberechtigte keinen Anlass gehabt habe, die Aufrechnung innerhalb der Verjährungsfrist geltend zu machen, weshalb ihm keine Saumsal vorgeworfen werden könne (G. Kodek, Einrede 383 ff; ähnlich insoweit für die Irrtumsanfechtung schon Kerschner, Irrtumsanfechtung [1984] 86, nach dem die Interessenabwägung nur dann zum Nachteil des Irrenden ausschlage, wenn er bereits geleistet habe). Dieselbe Wertung stehe hinter § 1483 ABGB, wonach eine Forderung nicht verjähre, wenn der Gläubiger ein Pfand in Händen habe. Die die „Perpetuierung der Einrede“ an die rechtzeitige Anzeige des Mangels knüpfende Regelung des § 933 Abs 3 ABGB sei nicht Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, sondern trage einem in der Situation der Vertragserfüllung bestehenden besonderen Klarstellungsinteresse Rechnung (G. Kodek, Einrede 388 f). Demgegenüber lasse § 43 IO sogar bei einer Präklusivfrist die Geltendmachung der Insolvenzanfechtung mittels Einrede unbefristet zu (G. Kodek, Einrede 386). Die Gegenauffassung würde einen Schuldner, der sich an sich rein passiv verhalten wolle, weil ihm die Möglichkeit der Abwehr weiterer Forderungen des Gläubigers ausreiche, stets dazu zwingen, selbst aktiv zu werden und eine Klage zu erheben. Dies wäre nicht zuletzt auch unter prozessökonomischen Gesichtspunktenkontraproduktiv. Handlungslasten träfen im Allgemeinen nur denjenigen, der eine Veränderung des bestehenden Zustands anstrebe (G. Kodek, Einrede 385, unter Berufung auf Spiro, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fallfristen I [1975] 513). Damit schütze das österreichische Recht das „Passivitätsinteresse“ des Schuldners in der Regel durch die zeitlich unbeschränkte Möglichkeit der verteidigungsweisen Geltendmachung von Gestaltungsrechten, allenfalls eingeschränkt durch eine Obliegenheit zur außergerichtlichen Anzeige innerhalb der Verjährungsfrist. Dies begünstige die Beibehaltung des status quo und mildere die Schwierigkeiten (und Kosten), die sich aus dem Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung ergeben. Zusätzlich mildere dieser Ansatz die Konsequenzen der objektiven Ausgestaltung der meisten Verjährungsfristen (G. Kodek, Einrede 386 ff). Diese Auffassung erfuhr in Rezensionen von Jelinek (JBl 2022, 198 [200]) und Sieber (ÖJZ 2021, 959) Beachtung (vgl auch Nigl RZ 2020, 274), während P. Bydlinski (ÖBA 2020, 822 [823]) diese Position als zu großzügig ansieht und für eine Analogie zu § 933 Abs 3 ABGB eintritt.

II.4.4.4. Stellungnahme des Senats

[108] II.4.4.4.1. Die Verjährungsfrist beginnt nach allgemeinen Grundsätzen mit der objektiven Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts zu laufen; subjektive oder nur in der Person des Berechtigten liegende Hindernisse haben darauf in der Regel keinen Einfluss (oben ErwGr II.4.4.1.2.).

II.4.4.4.2. Die Beweggründe für die kurzen Verjährungsfristen des § 1487 ABGB wurden schon ursprünglich darin gesehen, dass der Verkürzte binnen dieses Zeitraums leicht zur Kenntnis seiner Verkürzung gelangen könne und beiden Teilen daran liege, von den Gegenansprüchen bald unterrichtet zu werden, überhaupt aber, dass die Tatsachen, wovon die Beurteilung abhänge, „nach einer längeren Zeitfrist gewöhnlich sehr verdunkelt, und die Entscheidungen unsicher gemacht werden“ (Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie IV [1813] § 1487 Anm 1).

II.4.4.4.3. Auch beim Optionsvertrag bestehen Anlass und objektive Möglichkeit der Geltendmachung bereits ab der Vereinbarung des Optionsrechts, und zwar unabhängig davon, wer zur Optionsausübung berechtigt ist und wann vom Optionsrecht Gebrauch gemacht wird.

II.4.4.4.4. Daran ändert die bei Optionsverträgen (zunächst) bestehende Ungewissheit, ob der optierte Vertrag jemals in Wirksamkeit gesetzt werden wird, nichts. Selbst wenn man davon ausginge, dass der zur Anfechtung Berechtigte vor Ausübung des Optionsrechts subjektiv weniger Anreiz zur Geltendmachung seines Rechts verspürt, wäre dies nach den geschilderten allgemeinen Grundsätzen nicht relevant. Abgesehen davon, dass auch ohne Einräumung eines Optionsrechts bei nicht sofort zu erfüllenden Verträgen in gewisser Hinsicht stets ungewiss ist, ob es tatsächlich zum Leistungsaustausch kommen wird (sei es, weil der Gegner darauf nicht dringt, sei es, weil dem Leistungsstörungen entgegen stehen), stellt das Anfechtungsrecht des § 934 ABGB auf zukünftige Entwicklungen eben nicht ab, sondern darauf, dass der Verkürzte einen inhaltlich ungerechten Vertrag geschlossen hat. Die entsprechende Prüfung und Beurteilung der tatsächlichen Grundlagen ist dem Verkürzten bereits bei Einräumung des Optionsrechts möglich und er wird damit auch nicht in besonderem Maß belastet, muss er doch jederzeit mit der Ausübung des Optionsrechts durch den Optionsberechtigten rechnen und kann er auch bereits ab der Einräumung des Optionsrechts leicht zur Kenntnis seiner Verkürzung gelangen. Darüber hinaus haben beide Teile
– insbesondere auch der Optionsberechtigte – ein Interesse daran, Klarheit über bestehende Anfechtungsrechte zu erhalten, die bei späterer Geltendmachung schwerer nachzuweisen oder zu entkräften wären.

II.4.4.4.5. Es mag zutreffen, dass damit (auch) solche Prozesse geführt werden, derer es nicht bedürfte, wenn und weil das Optionsrecht nie ausgeübt wird. Gleichzeitig werden aber umgekehrt auch Streitigkeiten verhindert oder ein damit verbundener Aufwand reduziert, wenn nach rechtzeitiger Klärung oder Verjährung des Anfechtungsrechts (spätere) Prozesse über das Bestehen eines Optionsrechts nicht geführt oder erleichtert werden. Mit der Vermeidung von (früheren und unnötigen) Rechtsstreitigkeiten ist überdies die Gefahr des allgemein geminderten Rechtsschutzes durch nach langer Zeit geführte Verfahren nicht zu rechtfertigen, weil die Richtigkeit von in solchen – dann ganz generell ermöglichten – Prozessen erzielten (Beweis-)Ergebnissen zweifelhaft und letztlich von Zufällen abhängig wird.

II.4.4.4.6. Dabei macht es – mangels diesbezüglicher Differenzierung in § 1487 ABGB (arg: „müssen binnen drei Jahren geltend gemacht werden“) – keinen Unterschied, ob die laesio enormis im Wege einer Klage oder in einem Einwand gegen ein Begehren des Optionsberechtigten „geltend gemacht“ wird. Die Anerkennung eines „Passivitätsinteresses“ des zur Anfechtung Berechtigten (außerhalb des Anwendungsbereichs anderslautender Regelungen; vgl § 43 IO) würde dem Zweck der kurzen – und durch Vereinbarung nicht verlängerbaren (§ 1502 ABGB) – Verjährungsfrist des § 1487 ABGB vielmehr gleichermaßen widersprechen.

II.4.4.4.7. Zu erwägen wäre allerdings, ob die Einrede der laesio enormis infolge sinngemäßer Anwendung des § 933 Abs 3 ABGB durch außergerichtliche Anzeige perpetuiert werden kann (idS Vollmaier in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 1487 ABGB Rz 21; Reischauer in Rummel/Lukas, ABGB4 § 934 Rz 152; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGBON1.07 § 1487 Rz 8; Garber in Schwimann/Neumayr, ABGB Taschenkommentar5 § 1487 Rz 5; Perner in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar5 § 934 ABGB Rz 14; s bereits Vollmaier, Verjährung und Verfall [2009] 139 f; vgl auch 4 Ob 194/28 SZ 10/176). Mangels entsprechender Grundlage im Parteienvorbringen bedarf dies hier aber keiner näheren Prüfung.

II.4.5. Rechtssätze

[115] II.4.5.1. Der verstärkte Senat beschließt daher folgende Rechtssätze:

[116] II.4.5.1.1. Für die Prüfung des Wertverhältnisses des im Optionsvertrag in Aussicht gestellten Hauptvertrags im Sinne des § 934 ABGB ist auf den Zeitpunkt der Bindung des Verkürzten an seine Erklärung abzustellen, mit der er dem Optionsberechtigten das Optionsrecht einräumt; bei Zusammenfallen von Angebot und Annahme ist daher der Zeitpunkt der Einräumung des Optionsrechts maßgeblich.

[117] II.4.5.1.2. Die Verjährungsfrist für die Anfechtung des im Optionsvertrag in Aussicht genommenen Hauptvertrags wegen laesio enormis läuft mit objektiver Möglichkeit der Geltendmachung; die Ungewissheit, ob und wann der Optionsberechtigte von seinem Optionsrecht Gebrauch macht, hat auf Beginn und Lauf der Verjährungsfrist keinen Einfluss. Nach Ablauf der Frist kann auch keine Einrede mehr erhoben werden.

II.4.6. Anwendung im konkreten Fall

[118] II.4.6.1. Da der Einwand der laesio enormis hier unstrittig mehr als drei Jahre nach Einräumung des Optionsrechts erhoben wurde, ist er verjährt.

[119] II.4.6.2. Mangels Berechtigung des Einwands der laesio enormis ist auf die vom Kläger hilfsweise angebotene Aufzahlung auf den gemeinen Wert im Sinn des § 934 Satz 2 ABGB und auf eine allfällige Wirkung dieser Erklärung nicht weiter einzugehen.

II.5. Umstandsklausel

[120] II.5.1. Die Beklagte hält der Ausübung der Option überdies die Umstandsklausel entgegen.

[121] II.5.2. Nach ständiger Rechtsprechung gilt für einen Optionsvertrag ebenso wie für einen Vorvertrag die clausula rebus sic stantibus (RS0019195). Ein Vertrag darf dann gelöst werden, wenn im Festhalten am Vertrag, im Beharren auf Verpflichtungen, deren Erfüllung dem Schuldner nicht mehr zumutbar ist, geradezu ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben erblickt werden muss. Dieses Recht muss einem Vertragspartner insbesondere dann eingeräumt werden, wenn die objektive Geschäftsgrundlage fortgefallen ist, also der im Vertragsinhalt zum Ausdruck gelangte, von beiden Teilen anerkannte wesentliche Vertragszweck (Endzweck im Sinn des § 901 ABGB) – auch ohne dass die Leistung als solche unmöglich geworden wäre – nicht nur zeitweilig unerreichbar geworden ist.

[122] Wesentlicher Vertragszweck kann hierbei auch die Höhe der zu erbringenden Gegenleistung sein (RS0017498). Eine Vertragspartei kann sich auf eine Änderung der Sachlage, deren Fortdauer eine typische Voraussetzung des Geschäfts bildet, nicht berufen, wenn die Änderung keine unvorhersehbare ist, wenn also mit der Möglichkeit einer Änderung gerechnet werden muss. Wer angesichts einer solchen Möglichkeit vorbehaltlos ein Geschäft schließt, trägt das Risiko des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (RS0017593). So muss etwa jeder mit einer Änderung von Warenpreisen und mit einer Minderung der Kaufkraft einer Valuta rechnen (RS0017593 [T3]). Der Umstand, dass der Wert einer verkauften Sache in der Folge steigt, ist im Regelfall ebenso vorhersehbar (RS0017593 [T22]).

[123] II.5.3. Die Beklagte begründet ihren Einwand mit der – nach ihrer Ansicht nicht vorhersehbaren – Auflösung der Lebensgemeinschaft mit dem Kläger und damit, dass sich die Grundstückspreise wesentlich mehr erhöht hätten als die Wertsicherung nach dem Verbraucherpreisindex. Darin ist ihr nicht zu folgen:

II.5.3.1. Abgesehen davon, dass die Auflösung einer Lebensgemeinschaft grundsätzlich nicht unvorhersehbar ist, war diese Möglichkeit nach dem festgestellten Sachverhalt vor dem Abschluss des Optionsvertrags sogar ganz konkret Thema zwischen den Parteien. Die Vereinbarung sollte erkennbar gerade für diesen Fall gelten.

[125] II.5.3.2. Auch die Änderung der Grundstückspreise war im vorliegenden Fall nicht unvorhersehbar. Als Gründe für den hier ausnahmsweise vom Gesetz berücksichtigten Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl dazu schon oben II.4.3.5.2.) werden in der Rechtsprechung nur exorbitante Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse (Perner in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 936 ABGB Rz 25), etwa eine Erhöhung (um ein Vielfaches) des Werts der zu erwerbenden Sache oder eine Verdoppelung des ortsüblichen Preises einer Liegenschaft innerhalb von drei Jahren angesehen (7 Ob 540/94; RS0019193).

[126] Mit solchen Fällen ist der vorliegende aber nicht vergleichbar, zumal den Parteien das Risiko einer Wertveränderung durchaus bewusst war, wie die für den Kaufpreis vereinbarte Wertsicherung zeigt. Tatsächlich hat sich der Wert des Kaufgegenstands (nach Punkt IV.5. des Optionsvertrags einschließlich Gebäude) innerhalb von nicht ganz zehn Jahren nicht einmal verdoppelt und auch das ursprüngliche Wertverhältnis änderte sich in etwa im gleichen Ausmaß zugunsten des Klägers, also nicht dermaßen massiv, dass von einer exorbitanten und unvorhersehbaren Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse gesprochen werden könnte, die eine Befreiung der aus der Option verpflichteten Beklagten rechtfertigen würde.

II.6. Weitere Einwendungen der Beklagten

[127] II.6.1. Soweit die Beklagte ein sittenwidriges Vorgehen des Klägers darin ortet, dass er auch Hälfteeigentümer einer anderen Liegenschaft sei und sich weigere, dieses Hälfteeigentum aufzugeben, ist der Konnex zum gegenständlichen Optionsvertrag und der Liegenschaft nicht ersichtlich. Die Ausübung der Option wird durch einen vom Kläger insgesamt angestrebten Vermögensvorteil allein nicht wegen Sittenwidrigkeit unwirksam.

II.6.2. Auf den in erster Instanz erhobenen und vom Erstgericht als nicht berechtigt beurteilten Einwand, die Ausübung des Optionsrechts sei nicht in der vereinbarten Form erfolgt, kam die Beklagte schon in der Berufung nicht zurück, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist (RS0043352 [T37]; RS0043338 [T17]).

II.7. Berechtigung des Hauptbegehrens

[129] II.7.1. Da die Option vom Kläger wirksam ausgeübt wurde, ist die Beklagte nach Punkt V. des Optionsvertrags als Verkäuferin verpflichtet, alle zur vereinbarungsgemäßen Einverleibung des Eigentumsrechts erforderlichen Unterschriften zu leisten und Erklärungen abzugeben, insbesondere den Kaufvertrag samt Aufsandungserklärung beglaubigt zu unterfertigen. Es besteht daher auch die Verpflichtung der Beklagten zur Einwilligung in die Einverleibung seines Eigentumsrechts (Zug um Zug gegen Erlag des vereinbarten und wertgesicherten Kaufpreises), sodass dem Hauptbegehren Berechtigung zukommt.

[130] II.7.2. Der Kläger brachte in erster Instanz vor, dass vom Kaufpreis für die Liegenschaft einerseits die seit Klagseinbringung an die Beklagte zu Unrecht bezahlten Mieten von 9.240 EUR und andererseits – aber nur in dem Fall, dass der Kläger wegen laesio enormis einen höheren als den vereinbarten Kaufpreis zahlen müsse – die für Umwidmung und Aufschließung aufgewendeten Kosten von 14.073,29 EUR in Abzug zu bringen seien.

[131] II.7.2.1. Auf einen allfälligen Abzug der Umwidmungs- und Aufschließungskosten ist nicht einzugehen, weil der vom Kläger (in den Eventualbegehren) formulierte Fall, für den er den Abzug dieser Kosten geltend macht, nicht eingetreten ist.

II.7.2.2. Hinsichtlich des vom Kläger durchgeführten Abzugs für rückforderbare Mietentgelte ging das Erstgericht zwar von einem Scheingeschäft aus. Daraus allein kann aber nicht geschlossen werden, dass ein Rechtsgrund für die Leistungen nicht vorlag: (Insbesondere aus Steuergründen eingegangene) Scheingeschäfte sind zwar hinsichtlich des vordergründig zu Tage tretenden Inhalts nichtig, im Falle eines gewollten verdeckten (dissimulierten) anderen Geschäfts aber nach dessen wahrer Beschaffenheit zu beurteilen und insoweit wirksam (RS0018131; vgl auch RS0018171; RS0018107 [T11]). In diesem Sinn führte auch das Berufungsgericht aus, dass sich der unstrittige Tatsachenkern hier darauf beschränke, dass der Mietvertrag „steuerliche Gründe“ gehabt habe und es nach der Auffassung beider nicht darum gehen habe sollen, dass einer dem anderen die Liegenschaft nur gegen Entgelt zur Verfügung stelle. Mit der bloßen Behauptung, dass die Zahlungen „ohne Rechtsgrund (weil Scheingeschäft)“ erfolgt seien, zeigt die Revision nicht auf, warum dem Kläger konkret ein – nicht näher konkretisierter – Rückforderungsanspruch zustehen soll. Der begehrte Abzug vom Kaufpreis kommt daher auch insofern nicht in Betracht, sodass auf die Frage der Einordnung dieses Abzugs (unbedingte Aufrechnungserklärung oder prozessuale Aufrechnungseinrede) nicht einzugehen ist.

II.8. Ergebnis und Kostenentscheidung

II.8.1. Zusammenfassend erweist sich daher das Klagebegehren nur im Sinne des ersten Hauptbegehrens als berechtigt, sodass das Ersturteil in seinem Punkt 1. wiederherzustellen und die Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich des zweiten Hauptbegehrens zu bestätigen war.

II.8.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00217.21X.0328.000

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