OGH vom 15.03.2023, 3Ob213/22b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. WeixelbraunMohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* P*, vertreten durch Scheer Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei G* P*, vertreten durch Mag. Peter Michael Wolf, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Unterhalt, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 43 R 140/22i130, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , GZ 4 C 45/19i118, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts (mit Ausnahme der Kostenentscheidung) wiederhergestellt wird.
Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Fällung der Entscheidung über die Kosten des Verfahrens aufgetragen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Bezirksgerichts M* vom aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden. Das vorliegende Verfahren betrifft rückständigen Unterhalt der Klägerin für die Zeit von November 2018 bis Jänner 2022 (30.113 EUR) sowie laufenden Ehegattenunterhalt ab (geltend gemachter Betrag: monatlich 1.605 EUR).
[2] Der Beklagte ist seit November 2018 als Angestellter unselbständig erwerbstätig. Seit 2016 macht er zusätzlich eine Ausbildung zum Psychotherapeuten. Dafür entstanden ihm im Zeitraum 2016 bis 2019 43.000 EUR an Ausbildungskosten, die er steuerlich geltend machte. Im Jahr 2020 erhielt er dafür Steuergutschriften in Höhe von 3.693 EUR (für das Jahr 2018) und von 21.604 EUR (für das Jahr 2019) ausgezahlt. Um seine Ausbildung als Psychotherapeut abschließen zu können, müsste der Beklagte noch 600 Praxisstunden aufwenden, was ihm aufgrund seiner beruflichen Auslastung nicht möglich ist. Seit Mai 2017 wohnt die Klägerin alleine in der bisherigen Ehewohnung, einem Reihenhaus in V*, das im jeweiligen Hälfteeigentum der Streitteile steht. Der fiktive Mietzins für das Reihenhaus beträgt monatlich 1.200 EUR.
[3] Das Erstgericht gab dem Unterhaltsbegehren teilweise statt. Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, führte es aus, dass die Kosten für die zusätzliche Ausbildung des Beklagten mangels Existenznotwendigkeit von der Bemessungsgrundlage nicht abgezogen werden könnten. Die dafür im Jahr 2020 an ihn ausgezahlten Steuergutschriften hätten seine verfügbaren Mittel erhöht, weshalb diese in das Jahreseinkommen für das Jahr 2020 miteinzubeziehen seien. Da die Klägerin das im beiderseitigen Miteigentum stehende Reihenhaus nunmehr alleine bewohne, sei nach der Rechtsprechung der angemessene fiktive Mietwert (hier) in Höhe des Hälftebetrags von 600 EUR vom Unterhaltsanspruch der Klägerin abzuziehen. Eine Berücksichtigung des fiktiven Mietwerts im Rahmen der Unterhaltsbemessungsgrundlage habe nicht zu erfolgen.
[4] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht, der Berufung des Beklagten hingegen teilweise Folge und wies das Klagebegehren zum rückständigen Unterhalt zur Gänze (auch hinsichtlich weiterer 5.004 EUR sA) ab. Hinsichtlich des laufenden Unterhalts bestätigte das Berufungsgericht den teilweisen Zuspruch des Erstgerichts in Pkt 2 seines Urteils (monatlich 540 EUR ab ) und in dessen Pkt 3 (monatlich 1.140 EUR ab grundbücherlicher Eintragung des Wegfalls der Miteigentümergemeinschaft des Beklagten an der Liegenschaft in V*). Zur Berufung des Beklagten führte das Berufungsgericht aus, dass Aufwendungen des Unterhaltspflichtigen für seine berufliche Ausbildung nur dann einkommensmindernd wirkten, wenn die Ausbildung ein höheres Einkommen zur Folge habe oder zur Sicherung seiner beruflichen Existenz diene. Im Anlassfall seien diese Voraussetzungen nicht gegeben, weshalb die Kosten für die zusätzliche Ausbildung des Beklagten keine Abzugspost von der Bemessungsgrundlage seien. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts könne die daraus resultierende Steuergutschrift jedoch nicht dem Einkommen für das Jahr 2020 hinzugerechnet werden, weil Werbungskosten, die nicht als die Unterhaltsbemessungsgrundlage schmälernd anzuerkennen seien, dem Unterhaltspflichtigen nicht „doppelt“ verrechnet werden dürften. Zur Berufung der Klägerin vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, dass der teilweise als Naturalunterhalt des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigende fiktive Mietwert der Ehewohnung entgegen der Ansicht der Klägerin zu keiner Erhöhung der Unterhaltsbemessungsgrundlage führen könne, weil es sich dabei um keine tatsächliche Einnahmequelle des Unterhaltspflichtigen, sondern um eine reine Rechnungsgröße für die Ausmittlung des Wertes des anrechenbaren Naturalunterhalts für die Zurverfügungstellung von Wohnraum handle. Die ordentliche Revision sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
[5] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren „im bekämpften Umfang“ stattgegeben werde. Sie sei im abgewiesenen rückständigen Ehegattenunterhalt sowie in der Differenz zwischen dem begehrten monatlichen Unterhalt (1.605 EUR) und dem zugesprochenen monatlichen Unterhalt in Höhe von 1.140 EUR beschwert.
[6] Mit seiner – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Berücksichtigung von Steuergutschriften für Werbungskosten im Rahmen der Bemessungsgrundlage abgewichen ist. Dementsprechend ist die Revision teilweise berechtigt.
[8] 1. Zu den Ausführungen der Streitteile zum Wert des Entscheidungsgegenstands ergibt sich Folgendes:
[9] Die Anfechtbarkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich gemäß § 502 Abs 4 ZPO nach dem Wert des Entscheidungsgegenstands, über den das Berufungsgericht entschieden hat, der also zum Zeitpunkt der Entscheidung zweiter Instanz zwischen den Parteien noch strittig war (RS0122735). Beim Unterhalt bestimmt sich dieser Wert mit dem 36-fachen des laufenden monatlichen Unterhalts. Bereits fällig gewordene Beträge sind nicht gesondert zu berücksichtigen (RS0114353; RS0122735). Wird die Erhöhung oder Herabsetzung eines Unterhaltsbetrags begehrt, so bildet den Streitwert nicht der Gesamtbetrag, sondern nur der dreifache Jahresbetrag der begehrten Erhöhung oder Herabsetzung (vgl RS0046543). Im Anlassfall betreffen die Spruchpunkte 2 und 3 im Urteil des Erstgerichts den laufenden Unterhalt. Diese Entscheidung wurde von beiden Parteien bekämpft. Zu Spruchpunkt 2 (ab ) betrug der zwischen den Parteien im Berufungsverfahren strittige monatliche Unterhaltsbetrag 1.245 EUR und zu Spruchpunkt 3 (ab der grundbücherlichen Eintragung des Wegfalls der Miteigentümergemeinschaft des Beklagten) 1.085 EUR. In beiden Fällen liegt der 36-fache Betrag über 30.000 EUR.
[10] 2.1 Die Bemessungsgrundlage für die Ausmittlung des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs des Unterhaltsberechtigten richtet sich nach der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Bei unselbständig Erwerbstätigen bestimmt sich die Bemessungsgrundlage nach dem Nettoeinkommen, also dem Bruttogehalt einschließlich der Überstundenentlohnung und der Sonderzahlungen vermindert um die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge (vgl RS0047489). Maßgebend ist die Summe der dem Unterhaltsschuldner tatsächlich zufließenden verfügbaren Mittel (vgl RS0013386). Da es auf das tatsächliche Nettoeinkommen im Sinn der verfügbaren Mittel ankommt, sind nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch Steuerrückzahlungen (bzw Jahresausgleichsbeträge), die etwa aus der Berücksichtigung von Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnlichen Belastungen oder infolge zu viel bezahlter Einkommensteuer erfolgen, als Einkommen des Unterhaltspflichtigen anzusehen und in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen (vgl RS0000433; RS0013386 [T10]). Sie erhöhen die Bemessungsgrundlage in dem Jahr, in dem sie dem Unterhaltspflichtigen zufließen, weshalb diese Einkommensbestandteile auf dieses Jahr aufzuteilen sind (RS0047261). Die Einbeziehung der erwähnten Steuergutschriften in die Unterhaltsbemessungsgrundlage gilt unabhängig davon, ob die jeweilige Aufwendung selbst, die der Steuerrückzahlung zugrunde liegt, unterhaltsrechtlich von der Bemessungsgrundlage abgezogen werden kann oder nicht (2 Ob 223/98b; 6 Ob 153/16t; 6 Ob 7/18z). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht die Rechtsprechung nur bei einem unterhaltsrechtlich neutralen Verlust aus einer gewerblichen Tätigkeit (vgl 1 Ob 206/16z).
[11] 2.2 Als Zwischenergebnis folgt, dass das Berufungsgericht die im Jahr 2020 dem Beklagten gewährten Steuergutschriften (Werbungskosten für seine zusätzliche Ausbildung) zu Unrecht aus der Unterhaltsbemessungsgrundlage für dieses Jahr ausgeschieden hat.
[12] 3.1 Zur Frage der Wohnversorgung durch den Unterhaltspflichtigen meint die Klägerin, dass die Anrechnung des fiktiven Mietwerts als Naturalunterhalt gleichzeitig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen rechnerisch erhöhe, weshalb die Bemessungsgrundlage um den (gesamten) fiktiven Mietwert zu erhöhen sei.
[13] Darin kann der Klägerin nicht beigepflichtet werden.
[14] 3.2 Nach gefestigter jüngerer Rechtsprechung wird die Wohnversorgung des Unterhaltsberechtigten durch eine diesem vom Unterhaltspflichtigen überlassene Wohnung wegen der damit verbundenen Verminderung des Unterhaltsbedarfs bei der Unterhaltsbemessung dadurch berücksichtigt, dass der fiktive Mietwert für die Wohnmöglichkeit ganz oder teilweise als Naturalunterhalt angerechnet wird (RS0047254 [T11]; 3 Ob 217/21i; 6 Ob 52/22y). Anerkannt ist die Anrechnung einer fiktiven Mietersparnis auch dann, wenn der Unterhaltsschuldner (nur) Miteigentümer (bzw gemeinsamer Wohnungseigentümer) der dem Unterhaltsberechtigten zur Verfügung gestellten Wohnung ist (RS0121283 [T2]; 3 Ob 217/21i). Das Ausmaß der Anrechnung richtet sich nach dem Prinzip der Angemessenheit, wobei sich die Angemessenheitsgrenze nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt (RS0121283 [T1]; RS0047254 [T8 und T13]; vgl auch 2 Ob 211/18w).
[15] 3.3 Zur Anrechnung des fiktiven Mietwerts für die der Klägerin zur Verfügung gestellte Wohnmöglichkeit bestehen gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, das in dieser Hinsicht von den zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, keine Bedenken. Gegen die Höhe des angerechneten fiktiven Mietwerts wendete sich die Klägerin auch nicht.
[16] Die Berücksichtigung einer zur Verfügung gestellten Wohnmöglichkeit als Naturalunterhalt des Unterhaltsberechtigten bewirkt beim Unterhaltspflichtigen weder einen Zufluss an finanziellen Mitteln noch führt diese Berücksichtigung dazu, dass sich der Unterhaltspflichtige Aufwendungen erspart. Aus diesem Grund führt der fiktive Mietwert – im Einklang mit der Beurteilung der Vorinstanzen und entgegen der Ansicht der Klägerin – zu keiner Erhöhung der Bemessungsgrundlage. Die in der Revision angesprochene vereinzelte Kritik an dieser Rechtsprechung in der Literatur sowie vereinzelt gebliebene abweichende Beurteilungen insbesondere zweitinstanzlicher Gerichte bieten keinen Anlass, von der dargelegten Judikatur abzugehen (vgl 3 Ob 217/21i).
[17] 4. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass die Klägerin mit ihrer Ansicht zur Einbeziehung des fiktiven Mietwerts für die zur Verfügung gestellte Wohnmöglichkeit in die Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht im Recht ist. Gegenteiliges gilt jedoch für die Einbeziehung der Steuerguthaben für Werbungskosten, die dem Beklagten im Jahr 2020 zugeflossen sind. Die von der Klägerin zu Recht begehrte Berücksichtigung dieser Beträge führt – entsprechend der unbeanstandeten Berechnung des Erstgerichts (siehe dazu US 20) – zu einem Anspruch der Klägerin auf rückständigen Unterhalt für das Jahr 2020 in Höhe von 5.004 EUR sA. In dieser Hinsicht ist der Revision teilweise Folge zu geben, was zur Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts führt.
[18] Die Kostenentscheidung war im Sinn des Rechtssatzes zu RS0124588 dem Berufungsgericht vorzubehalten (vgl 8 ObA 24/12f; 3 Ob 210/19g; 4 Ob 33/21p).
[19] Über den in der Revisionsbeantwortung des Beklagten enthaltenen Berichtigungsantrag zur Zinsstaffel in der zweitinstanzlichen Entscheidung hat ebenfalls das Berufungsgericht zu entscheiden.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00213.22B.0315.000 |
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