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OGH vom 16.05.2023, 2Ob233/22m

OGH vom 16.05.2023, 2Ob233/22m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*, vertreten durch Bechtold und Wichtl Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wider die beklagte Partei A*, vertreten durch die MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in Götzis, wegen 74.244,17 EUR sA (Revisionsinteresse 49.044,17 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 138/22v-51, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 4 Cg 54/21w-44, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 170,82 EUR (darin enthalten 28,47 EUR USt) bestimmten Kosten der Bekanntgabe des Vollmachtswechsels binnen 14 Tagen zu bezahlen. Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] 1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob sich der Kläger auf seinen – vom beklagten Erben geforderten – Pflichtteil die vom 2018 verstorbenen Erblasser eingeräumte Wohnmöglichkeit nach § 784 ABGB nicht anrechnen lassen muss.

[2] 2. Das Berufungsgericht nahm unter anderem eine Schenkung aus sittlicher Pflicht nach § 784 dritter Fall ABGB an und ließ die Revision im Zusammenhang mit den Ausnahmeregeln des § 784 erster und dritter Fall ABGB zu.

Rechtliche Beurteilung

[3] 3. Die Revision des Beklagten ist entgegen diesem nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch nicht zulässig.

[4] 4. Der allgemeine Begriff „sittliche Pflicht“ bedarf anhand konkreter Umstände einer Auslegung. Dabei kommt es grundsätzlich und für die verschiedensten Lebensbereiche auf die Anschauungen der redlichen und rechtsverbundenen Mitglieder der betroffenen Verkehrskreise an (RS0121353 [T1]). Eine Schenkung, mit der einer sittlichen Pflicht entsprochen wurde, ist anzunehmen, wenn dazu eine besondere aus den konkreten Umständen des Falls erwachsene, in den Geboten der Sittlichkeit wurzelnde Verpflichtung des Schenkers bestand (vgl RS0018833 [T7]). Maßgeblich dafür, ob die Schenkung in Erfüllung einer sittlichen Pflicht erfolgt ist, sind die persönlichen Beziehungen zwischen Geschenkgeber und Geschenknehmer sowie ihre Vermögens- und Lebensverhältnisse (RS0012972 [T5]). Ob nach diesen Kriterien eine Schenkung in Entsprechung einer sittlichen Pflicht (oder aus Gründen des Anstandes) vorliegt, lässt sich nur von Fall zu Fall entscheiden (RS0018833 [T7]; 2 Ob 224/22p).

[5] 5. Im vorliegenden Fall hatte der Erblasser ein massives Eigeninteresse am Einzug des Klägers und dessen Familie in sein Haus. Er hätte es sonst nicht „halten“ können, somit es verkaufen oder vermieten und in eine billigere Wohnung übersiedeln müssen. Der Kläger kam dem Drängen seines Vaters, in dessen Haus einzuziehen und mit Frau und Kindern das erste Obergeschoß und den Dachboden zu nutzen, nur widerwillig nach, zumal er (auch finanzielle) Nachteile (fast 20 Jahre lange Zurückzahlung des Kredits für die sinnlos gewordenen Investitionen in die nach dem Einzug aufgegebene Genossenschaftswohnung) in Kauf nehmen musste. Er zahlte bis zum Auszug seiner Kinder 4/5, danach 2/3 der Betriebskosten des Hauses.

[6] 6. Ausgehend von dieser Sachlage sah das Berufungsgericht die Einräumung eines Wohnrechts als Schenkung aus sittlicher Pflicht an. Gegen diese Beurteilung führt der Revisionswerber nichts Stichhaltiges ins Treffen. Er legt in der Rechtsrüge nicht ausreichend dar, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts unrichtig sein sollte. Sein Vorwurf, der Kläger habe sich in erster Instanz nicht auf den dritten Fall des § 784 ABGB gestützt, ist aktenwidrig. Die Behauptung, die Betreuungsleistungen des Klägers gingen über die übliche Beistandspflicht nicht hinaus, ignoriert die Sachlage betreffend die Interessenlage der Beteiligten.

[7] 7. Die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO liegen somit nicht vor.

[8] 8. Die Kostenentscheidung gründet sich für die Bekanntgabe des Vollmachtswechsels auf §§ 41, 50 ZPO, im Übrigen auf §§ 40, 50 ZPO. Der Kläger hat nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00233.22M.0516.000

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