OGH vom 27.09.2022, 2Ob155/22s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch ANWALTGMBH Rinner Teuchtmann in Linz, wider die beklagte Partei G*, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, wegen 13.750,67 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 29/22s42, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom , GZ 14 C 443/20b38, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
I. Das Urteil des Berufungsgerichts wird im Umfang der Abweisung des Klagebegehrens in Höhe von 6.875,34 EUR samt 4 % Zinsen daraus seit als Teilurteil bestätigt.
Die Entscheidung über die auf dieses Teilbegehren entfallenden Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
II. Im Übrigen werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die hierauf entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Die Klägerin bewohnt mit ihrem Ehemann eine von der Beklagten gemietete Wohnung im Erdgeschoß einer Wohnhausanlage. Die Mieter sind berechtigt, auch die allgemeinen Teile der Liegenschaft zu nutzen. Nach dem Hauseingang rechts des Mietobjekts befinden sich an der Hauswand drei mit Lichtschachtgittern abgedeckte Lichtschächte.
[2] Am ging die Klägerin mit ihrem 2jährigen Enkel an der Hand auf dem Gehsteig in Richtung Spielplatz. Das Kind riss sich von ihrer Hand los und lief in Richtung der Lichtschächte. Die Klägerin lief ihrem Enkel hinterher, stieg dabei auf ein leicht verbogenes, schräg auf der Einfassung liegendes Lichtschachtgitter, rutschte in den Schacht und verletzte sich.
[3] Die Positionierung des Lichtschachtgitters außerhalb der Fassung war für die Klägerin leicht erkennbar. Ihr war auch bekannt, dass das Gitter hin und wieder außerhalb der Fassung lag, weshalb sie ihrem Enkel auch nacheilte. Da sie ahnte, dass das Gitter nicht in der Fassung liegen würde, hätte sie es leicht vermeiden können, auf das Gitter zu steigen.
[4] Wer das Lichtschachtgitter wann aus der Fassung gehoben hatte, konnte nicht festgestellt werden.
[5] Wenn – was etwa einmal jährlich vorkam – ein Lichtschachtgitter außerhalb der Fassung lag, legte es der Hausmeister wieder in diese zurück. Auch kam es vor, dass die Gitter etwas nach unten gebogen waren, weil Mieter ihre Einkäufe über die Küchenfenster in die Wohnung gaben. Wenn der Hausmeister dies bemerkte, nahm er das Gitter heraus, bog es gerade und legte es wieder in die Fassung. Der Hausverwaltung war dies nicht bekannt. Im Bericht eines 2017 mit der Überprüfung der Gebäudesicherheit beauftragten Fachunternehmens waren keine Hinweise auf eine allfällige Gefährlichkeit der Lichtschachtgitter enthalten.
[6] Mit ihrer 2019 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von näher aufgeschlüsselten 13.750,67 EUR (Schmerzengeld, Pflege und Haushaltsführungskosten, Fahrtkosten, Medikamentengebühr und pauschale Unkosten) und bringt im Wesentlichen vor, die Beklagte sei dazu verpflichtet, die Lichtschachtgitter so in der Vorrichtung zu montieren, dass eine Gefährdung von Menschen durch Verschieben oder Verrutschen vermieden werde. Entsprechend § 27 Abs 3 Oö BauTG müssten Schächte trag und verkehrssicher abgedeckt werden. Die Beklagte habe auf die Änderung der Rechtslage seit dem Jahr 2013 nicht reagiert und den Schacht nicht trag und verkehrssicher abgedeckt.
[7] Die Beklagte wendet ein, die Anlage werde durch den Hausmeister regelmäßig geprüft und allfällige Vandalismusschäden würden beseitigt. Ohne Manipulation könne das Gitter nicht aus der Fassung gleiten. Die Beklagte sei ihrer Pflicht zur Objektsicherung auch durch die Beauftragung eines Fachunternehmens mit der Überprüfung ausreichend nachgekommen. § 27 Abs 3 Oö BauTG sei erst nach Errichtung in Kraft getreten und daher nicht maßgeblich. Die Gefahrenquelle sei überdies leicht erkennbar gewesen. Die Klägerin treffe das Alleinverschulden.
[8] Das Erstgericht wies die Klage im zweiten Rechtsgang (erneut) ab. § 27 Abs 3 Oö BauTG sehe nur vor, dass Schächte trag- und verkehrssicher abgedeckt werden müssten. Zu einer Verschraubung der Lichtschachtgitter verpflichte die Norm nicht. Die Herausnahme des Gitters durch eine unbekannte Person sei der Beklagten nicht anzulasten. Das außerhalb der Fassung liegende Gitter sei für die Klägerin leicht erkennbar gewesen. Sie hätte der Gefahr daher leicht begegnen können.
[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Der Lichtschacht sei keine im Zuge eines Wegs befindliche Anlage, sondern ein Werk iSd § 1319 ABGB. Die Abdeckung des Lichtschachts durch ein Lichtschachtgitter stelle – auch ohne Verschraubung – eine trag und verkehrssichere Abdeckung gemäß § 27 Abs 3 Oö. BauTG dar. Die Herausnahme des Gitters aus der Fassung durch eine unbekannte Person sei als Vandalismus zu qualifizieren und begründe keine haftungsbegründende mangelnde Beschaffenheit des Werks, die für den Unfall ursächlich gewesen sei. Überdies sei der Klägerin die Gefahrenquelle leicht erkennbar gewesen und hätte sie es ohne Weiteres vermeiden können, auf das Gitter zu steigen. Die Revision ließ das Berufungsgericht über Antrag der Klägerin zur Reichweite der sich aus dem Oö BauTG ergebenden Sicherungspflichten nachträglich zu.
[10] Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Abänderungsantrag, ihrer Klage vollinhaltlich stattzugeben. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei der Beurteilung des Umfangs der Verkehrssicherungspflichten eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist teilweise im Sinne einer Aufhebung auch berechtigt.
[13] Die Klägerin argumentiert, die baubehördliche Genehmigung der Anlage könne die Beklagte nicht exkulpieren. Die regelmäßig außerhalb der Fassung liegenden Lichtschutzgitter seien dem der Beklagten gemäß § 1313a ABGB zuzurechnenden Hausmeister bekannt gewesen. Sie hätte die Gefahrenquelle – wie zwischenzeitig auch erfolgt – ohne Weiteres durch Verschrauben beseitigen können und müssen.
[14] 1. Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werks jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht, so ist der Besitzer des Gebäudes oder Werks zum Ersatz verpflichtet, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werks ist und er nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe (§ 1319 ABGB). Der vorliegende, abseits der Weganlage situierte Lichtschacht ist als Werk iSd § 1319 ABGB zu qualifizieren (RS0029932 [T41]).
[15] 2. Besteht zwischen dem Geschädigten und dem Besitzer des Bauwerks auch ein vertragliches Schuldverhältnis, kommen aber ohnehin (auch) die allgemeinen Grundsätze vertraglicher Haftung zur Anwendung (Weixelbraun-Mohr in Kletečka/Schauer, ABGBON1.07 § 1319 Rz 23).
[16] 3. Bei einem Bestandvertrag besteht gemäß § 1096 Abs 1 Satz 1 ABGB die Hauptleistungspflicht des Bestandgebers darin, dem Bestandnehmer den bedungenen Gebrauch der Bestandsache zu gewähren und sie in brauchbarem Zustand zu erhalten (RS0020724). Die Instandhaltungspflicht des Vermieters umfasst nicht nur das eigentliche Bestandobjekt oder mitgemietete, außerhalb davon gelegene Räumlichkeiten oder Flächen, sondern auch die allgemeinen Teile des Hauses, die der Mieter nach Vertrag oder Verkehrsübung benützen darf und beinhaltet weiters die vertragliche Nebenpflicht, für die gefahrlose Benützung dieser Teile Sorge zu tragen (RS0106104; 2 Ob 70/12a Pkt 2.).
[17] Dass sich die Lichtschächte nach den Feststellungen des Erstgerichts außerhalb der allgemeinen Weg- und Verkehrsflächen befinden, ändert nichts daran, dass sie – entsprechend dem eindeutig so zu verstehenden, von der Beklagten insoweit ausdrücklich zugestandenen Klagsvorbringen – zu jenen Anlagen zählen, zu deren Mitbenützung die Klägerin berechtigt ist. Die Beklagte hat darauf aufbauend auch immer nur argumentiert, die Lichtschächte entsprächen sämtlichen Sicherheitsvorschriften. Die mietvertragliche Nebenpflicht des Vermieters, den Mieter vor Gefahrenquellen im Zusammenhang mit der Benützung des Mietobjekts und der allgemeinen Teile des Hauses, zu deren Benützung der Mieter nach dem Vertrag oder der Verkehrsübung berechtigt ist, zu schützen, erfasst daher (räumlich) auch den Bereich der Lichtschächte.
[18] 4. Die Klägerin fällt als Ehefrau des Mieters, mit dem sie die Wohnung gemeinsam bewohnt, in den Schutzbereich des zwischen diesem und der Beklagten abgeschlossenen Mietvertrags (RS0023168 [T6]). Ihr stehen daher unmittelbare vertragliche Ansprüche gegen den Schuldner zu (vgl RS0037785), der gemäß § 1313a ABGB auch für das Verschulden jener Personen haftet, deren er sich zur Erfüllung bedient (vgl RS0017185).
[19] Die Beklagte hat sich daher auch das Verschulden ihres Hausmeisters gemäß § 1313a ABGB (vgl 1 Ob 62/11s) und sein Wissen in Bezug auf den ihm übertragenen Aufgabenbereich (vgl RS0028495) zurechnen zu lassen.
[20] 5. Die Genehmigung oder Überwachung einer Anlage durch die zuständige Behörde beziehungsweise die Erfüllung ihrer Auflagen bedeutet nicht notwendig, dass der Inhaber einer Anlage keine weiteren Vorkehrungen zur Vermeidung oder Verringerung von Gefahren zu treffen hat (RS0118600; RS0023511). Die Verkehrssicherungspflicht kann durch allenfalls bestehende öffentlichrechtliche Sondervorschriften immer nur ergänzt, aber nicht ersetzt werden (RS0023419). Damit sind nur die Mindestanforderungen an die vom Verantwortlichen zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen umrissen. Die Pflicht des Veranstalters, eigenverantwortlich zu prüfen, welche Vorkehrungen zu treffen sind, damit niemand zu Schaden kommt, bleibt unberührt (RS0023419 [T1]). Das Vorliegen einer entsprechenden baubehördlichen Genehmigung kann daher den zur Sicherung des Verkehrs Verpflichteten nicht entschuldigen, wenn er aufgrund eigener Kenntnis um den Bestand einer Gefahrenquelle weiß oder wissen muss, aber ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen zu deren Beseitigung unterlässt (RS0023419; RS0023437; RS0038574). Als Verschulden ist dem Verkehrssicherungspflichtigen schon zuzurechnen, wenn er Anzeichen einer drohenden Gefahr ignoriert (5 Ob 273/03p = RS0023419 [T5]). Besteht nach den Erfahrungen des täglichen Lebens eine naheliegende und voraussehbare Gefahrenquelle, hat der Inhaber der Anlage die zur Gefahrenabwehr notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen auch dann zu treffen, wenn er durch die baurechtlichen Vorschriften nicht dazu verhalten wäre (6 Ob 132/03k = RS0023437 [T3]).
[21] Dem der Beklagten zuzurechnenden Hausmeister war bekannt, dass die Lichtschachtgitter – aus welchem Grund auch immer – wiederholt (einmal jährlich) verbogen waren sowie nicht in ihrer Fassung lagen und daher insoweit eine Gefahrenquelle vorlag, zumal sie von Mietern verwendet wurden, ihre Einkäufe in die Wohnung zu schaffen. Dennoch unterließ sie es, die Gitter – wie in der Zwischenzeit geschehen – durch einfache und ihr daher auch ohne Weiteres zumutbare Maßnahmen zu fixieren. Eine Haftung der Beklagten ist daher entgegen der Ansicht der Vorinstanzen schon aufgrund dieser Versäumnisse grundsätzlich zu bejahen, ohne dass es auf die Auslegung des § 27 Abs 3 Oö BauTG oder darauf ankommt, weshalb das Gitter im vorliegenden Fall außerhalb der Fassung lag.
[22] 6. Zwar entfällt eine Verkehrssicherungspflicht, wenn sich jeder selbst schützen kann, weil die Gefahr leicht (= ohne genauere Betrachtung) erkennbar ist (RS0114360). Dies betrifft aber Konstellationen, in denen die Gefahrenquelle bei objektiver Betrachtung einer durchschnittlich aufmerksamen Person sofort in die Augen fällt (RS0114360 [T11]; 7 Ob 179/19b [kniehoher Poller]; 5 Ob 47/20b [Hotelbett auf gut sichtbarem Podest]; 3 Ob 77/20z [4,5 cm hohe, farblich gekennzeichnete und gut sichtbare Betonschwelle]).
[23] Eine derartig augenfällige Gefahrensituation liegt aber bei objektiver Betrachtung einer durchschnittlich aufmerksamen Person in Bezug auf ein schräg außerhalb der Einfassung liegendes, teils von Sträuchern umgebenes Lichtschachtgitter nicht vor. Daran ändert auch die vom Erstgericht getroffene Feststellung, es sei leicht erkennbar gewesen, dass das Gitter außerhalb der Fassung lag, nichts, weil ihr bekannt war, dass das Gitter wiederholt außerhalb der Fassung lag und sie aufgrund einer derartigen Befürchtung auch ihrem Enkel nacheilte, sodass sich ihre Aufmerksamkeit bereits auf den Lichtschachtbereich konzentrierte. Von einer Gefahrenquelle, die einer durchschnittlich aufmerksamen Person sofort in die Augen fällt, kann aber keine Rede sein.
[24] Dass die Klägerin trotz der für sie leichten Erkennbarkeit dennoch in den Lichtschacht stürzte, führt daher nicht zum Entfall der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten, sondern ist im Rahmen ihres Mitverschuldens zu berücksichtigen.
[25] 7. Bei Schadenersatzansprüchen wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt ein Mitverschulden dann vor, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig erkennen konnte, dass Anhaltspunkte für eine solche Verletzung bestehen, und die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen (8 Ob 102/20p Rz 28). Von jedem Fußgänger ist überdies zu verlangen, vor die Füße zu schauen, der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuzuwenden und einem auftauchenden Hindernis oder einer gefährlichen Stelle nach Möglichkeit auszuweichen (RS0027447).
[26] Für die Klägerin war die schräge Lage des Lichtschachtgitters außerhalb der Fassung zwar leicht erkennbar. Sie ahnte auch, dass dieses nicht ordnungsgemäß positioniert war. Berücksichtigt man aber, dass sie ihrem Enkelkind nacheilte, um es vor einem allfälligen Absturz zu schützen, sodass ihre Aufmerksamkeit primär darauf gerichtet war, und stellt man diesem Verhalten das von der Beklagten trotz Kenntnis der nicht unerheblichen Gefahrenquelle über mehrere Jahre hinweg unterbliebene, aber einfach mögliche Fixieren der Lichtschachtgitter gegenüber, erscheint eine Verschuldensteilung von 1 : 1 angemessen.
[27] 8. Das Urteil des Berufungsgerichts war daher lediglich hinsichtlich der Abweisung der Hälfte des Klagebegehrens als Teilurteil zu bestätigen. Im Übrigen ist das Verfahren zur Schadenshöhe ergänzungsbedürftig.
[28] 9. Die Klägerin wird mit ihren weiteren Revisionsausführungen auf diese Entscheidung verwiesen. Die in der Revision behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[29] 10. Die Kostenentscheidung gründet sich für das Teilurteil auf § 52 Abs 4 ZPO und für den Aufhebungsbeschluss auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00155.22S.0927.000 |
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