OGH vom 27.09.2022, 2Ob145/22w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon.Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Dr. Helmut Denck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei E*, vertreten durch Grgić Partneri Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Zweigniederlassung Wien, wegen 6.812,60 EUR sA über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 35 R 87/21k18, mit dem einer Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 33 C 382/20b14, nicht Folge gegeben wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
[1] Am ereignete sich in Niederösterreich ein Verkehrsunfall, an dem die Ehefrau des Klägers als Lenkerin des von ihm gehaltenen Fahrzeugs und der Lenker eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs beteiligt waren. Das Alleinverschulden am Verkehrsunfall trifft den Lenker des Beklagtenfahrzeugs.
[2] Aufgrund des Unfalls führte ein Flugrettungsverein (im Folgenden: Flugrettung) zwei medizinisch notwendige Transporte durch und stellte der Frau des Klägers unter Berücksichtigung der von der KFA als zuständigem Sozialversicherungsträger erhaltenen Zahlungen insgesamt restliche 6.812,60 EUR „zur Weiterleitung an die Privatversicherung“ in Rechnung.
[3] Grundlage für die von der KFA geleisteten Beträge ist die seit geltende Vereinbarung zwischen verschiedenen Flugrettungsdiensten, darunter auch die hier tätige Flugrettung, und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger, der sich auch die KFA angeschlossen hat.
Diese Vereinbarung („Direktverrechnungs-vereinbarung“) lautet auszugsweise wie folgt:
„Präambel
Flugrettung ist als Teil des Rettungswesens
in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache, Flugrettungsdienste einzurichten und zu betreiben, obliegt den Ländern. Die Sozialversicherung trifft kein gesetzlicher Auftrag zur Sachleistungsvorsorge im Rahmen der Flugrettung, es besteht lediglich die Verpflichtung, einen Kostenersatz an den Versicherten zu leisten. Versicherte und deren anspruchsberechtigte Angehörige (im Folgenden kurz Patienten) haben demnach bei Vorliegen der gesetzlichen und satzungsmäßigen Voraussetzungen Anspruch auf Kostenersatz für Flugtransporte. … Um die Vorleistungspflicht der Versicherten auszuschließen, wird die nachstehende Vereinbarung zur Direktverrechnung dieses Kostenersatzes abgeschlossen.
§ 1
Gegenstand
(1) Diese Vereinbarung regelt die Abgeltung von Flugtransporten, die durch die Flugrettungsbetreiber mit Notarzthubschraubern, die den luftfahrtbehördlichen Anforderungen entsprechen und an landesrechtlich genehmigten Standorten stationiert sind, durchgeführt werden, für Versicherte und deren anspruchsberechtigte Angehörige aller im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zusammengefassten SV-Träger. …
§ 2
Übernahme des Kostenersatzes
(1) Für die Übernahme des Kostenersatzes durch die SV-Träger sind deren einschlägige Rechtsvorschriften und satzungsmäßigen Bestimmungen maßgebend, sofern sie gegenüber der Mustersatzung des Hauptverbandes keine Schlechterstellung für die Flugrettungsbetreiber bedeuten.
(2) Für medizinisch indizierte Flugtransporte im Sinne des § 4 wird ein Ersatz der Kosten für den Flugtransport vom Abholort in die nächstgelegene geeignete Behandlungsstelle übernommen, wenn wegen der Dringlichkeit des Falles die Beförderung auf dem Landweg nicht zu verantworten wäre.
(3) Die Höhe der Kostenersätze wird im Anhang 2 geregelt, der einen integrierenden Bestandteil der Vereinbarung zur Direktverrechnung darstellt. ...
§ 3
Rechnungslegung an den Patienten
(1) Mit den im Anhang 2 festgelegten Kostenersätzen sind sämtliche Ansprüche der Flugrettungsbetreiber gegenüber den SV-Trägern abgegolten. Die Flugrettungsbetreiber sind, mit Ausnahme von:
a) Flugtransporten und Bergungskosten aufgrund von Unfällen in Ausübung von Sport und Touristik im Sinne des § 131 Abs 4 ASVG,
b) oder wenn der Transport auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters durchgeführt wird und sich der Patient oder dessen gesetzlicher Vertreter schriftlich bereit erklärt, die diesbezüglichen Kosten zu übernehmen,
c) oder in den Fällen der Abs 3 und 4,
nicht berechtigt, vom Patienten bzw. dessen gesetzlichen Vertreter oder Rechtsnachfolger Zahlungen einzufordern oder entgegenzunehmen.
…
(3) Sofern ein Anspruch auf Kostentragung durch eine allenfalls auch zu Gunsten eines Dritten (z. B. Verursacher eines Schadens, Halter eines Kraftfahrzeuges, o. ä.) bestehende privatrechtliche Versicherung besteht, ist der Flugrettungsbetreiber berechtigt, für seine Leistung Entgelte von dieser privatrechtlichen Versicherung in Höhe der Differenz zwischen dem jeweils zur Anwendung kommenden sozialversicherungsrechtlichen Kostenersatz und den tatsächlichen Kosten der erbrachten Leistung zu verlangen. Die Geltendmachung des Anspruchs gegenüber dieser privatrechtlichen Versicherung hat aus versicherungsrechtlichen Gründen vom Patienten direkt auf Basis einer vom Flugrettungsbetreiber ausgestellten Rechnung zu erfolgen. Die Übermittlung der Rechnung an den Patienten durch den Flugrettungsbetreiber hat gemeinsam mit einem Begleitschreiben entsprechend dem im Anhang 5 bzw. 5a dargestellten Muster zu erfolgen.
(4) Mit Ausnahme von Flugtransport- und Bergungskosten aufgrund von Unfällen bei Ausübung von Sport und Touristik im Sinne des § 131 Abs 4 ASVG, oder wenn der Transport auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters durchgeführt wird, verzichtet der Flugrettungsbetreiber auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche gegenüber dem Patienten bzw. dessen gesetzlichen Vertreter oder Rechtsnachfolger und dem SV-Träger. Dieser Verzicht gilt auch für den Fall einer Ablehnung der Kostenübernahme durch den SV-Träger bzw. wenn keine Haftungs- und/oder Deckungsansprüche des Patienten aus einer von ihm abgeschlossenen Privatversicherung (zum Beispiel Unfallversicherung und/oder Bergekostenversicherung) gegenüber dem jeweiligen Versicherungsunternehmen besteht. Für den Fall des Bestehens einer Privatversicherung gelten hinsichtlich der Geltendmachung des Anspruchs des Flugrettungsbetreibers die Bestimmungen des Abs 3 analog.
…
§ 5
Abrechnung
(1) Die anfallenden Kostenersätze sind vom jeweiligen Flugrettungsbetreiber mit dem SV-Träger direkt auf elektronischem Weg (beiderseitiger elektronischer Datenaustausch) abzurechnen.…“
Der Anhang 2 dieser Vereinbarung hat unter anderem folgenden Inhalt:
„I. Allgemeines
(1) Mit den unter Punkt II. festgelegten Kostenersätzen sind sämtliche Ansprüche der Flugrettungsbetreiber gegenüber den SV-Trägern abgegolten.…
(2) Mit den unter Punkt II. angeführten Pauschalen werden die Kostenersätze für entstandene Flugtransportkosten, zu deren Gewährung der SV-Träger aufgrund dereinschlägigen gesetzlichen und satzungsmäßigen Bestimmungen verpflichtet ist, abgegolten. Es handelt sich dabei um keine Deckung der Vollkosten einer Transportleistung. …“
[4] Die Ehefrau des Klägers trat ihm ihre Schadenersatzforderung im Zusammenhang mit den von ihr noch nicht bezahlten Kosten der ihr „zur Weiterleitung an die Privatversicherung“ in Rechnung gestellten Hubschraubertransporte zum Inkasso ab.
[5] Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung der seiner Frau in Rechnung gestellten, nicht vom Sozialversicherungsträger beglichenen Flugrettungskosten in Höhe von 6.812,06 EUR. Der Sozialversicherungsträger habe aufgrund der „Direktverrechnungsvereinbarung“ nur einen Teil der Gesamtkosten ersetzt. Die Flugrettung sei nach der Vereinbarung berechtigt, den Differenzbetrag vom Verletzten, einer Privatversicherung, aber auch von der Versicherung des Schädigers zu verlangen.
[6] Die Beklagte wendet im Wesentlichen ein, die Flugrettungstransportkosten würden aufgrund der medizinischen Notwendigkeit vom Sozialversicherungsträger übernommen, sodass ein allfälliger Schadenersatzanspruch der Ehefrau des Klägers mit Zahlung zur Gänze auf diesen übergegangen sei, auch wenn dessen Zahlung nur einen Teil der Kosten abgedeckt habe. Der Ehefrau des Klägers sei auch kein Schaden entstanden, weil diese gemäß § 3 der „Direktverrechnungsvereinbarung“ nicht zum Ersatz der Kosten gegenüber der Flugrettung verpflichtet werden könne.
[7] Das Erstgericht gab der Klage statt. Krankentransportkosten seien Heilungskosten iSd § 1325 ABGB. Ersatzberechtigt sei derjenige, der die Kosten getragen habe. Die Kosten seien gemäß der Direktverrechnungsvereinbarung nur zum Teil vom Sozialversicherungsträger zu tragen. Der nicht gedeckte Rest sei gemäß § 3 Abs 3 der Direktverrechnungsvereinbarung von der Ehefrau des Klägers zu leisten. Der Forderungsverzicht der Flugrettung gegenüber dem Patienten werde nicht schlagend, weil gerade jener Fall ausgenommen sei, dass ein Anspruch auf Kostentragung gegenüber einer auch zu Gunsten eines Dritten bestehenden privatrechtlichen Versicherung bestehe. Die Legalzession erfasse den Schadenersatzanspruch nur bis zur Höhe der Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers. Der Kläger habe daher aufgrund der wirksamen Inkassozession Anspruch auf Zahlung der Krankentransportkosten.
[8] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Krankentransportkosten seien Heilungskosten gemäß § 1325 ABGB und Teil der vom Sozialversicherungsträger zu gewährenden ärztlichen Hilfe bzw Anstaltspflege. Die sozialversicherungsrechtlichen Normen (§§ 131 Abs 3, 135 Abs 4 und Abs 5, 144 Abs 5 ASVG) sähen in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Kompetenzbestimmungen, nach denen das Rettungswesen in Gesetzgebung und Vollziehung Ländersache sei, lediglich einen Kostenersatz, aber keine Sachleistungsverpflichtung vor. Dies komme auch in der Präambel der Direktverrechnungsvereinbarung zum Ausdruck. Da die Vereinbarung – anders als jene, die der zu 2 Ob 158/88 ergangenen Entscheidung zugrunde gelegen sei – nicht die Erbringung einer dem Sozialversicherungsträger obliegenden Sachleistung durch eine dazu verpflichtete Flugrettung gegen Entgelt, sondern bloß die Abgeltung der Transportkosten im kurzen Weg regle, liege keine Vereinbarung gemäß § 338 ASVG vor. Mangels Auftrags des Sozialversicherungsträgers zur Erbringung einer Sachleistung (für ihn) bleibe der transportierte Patient Auftraggeber des Transports und gehe der kongruente Schadenersatzanspruch lediglich in Höhe der Kostenerstattungspflicht auf den Sozialversicherungsträger gemäß § 332 ASVG über. Den Restschaden könne der Patient geltend machen. Die Leistung der Flugrettung solle nicht dem Schädiger zu Gute kommen. Diese verzichte gegenüber dem Patienten nur dann auf ihre nicht gedeckten Transportkosten, wenn diesem kein Anspruch gegenüber einer privatrechtlichen Versicherung zustehe. Selbst aus einem allfälligen Forderungsverzicht gegenüber dem Patienten wäre für die Beklagte nichts gewonnen, weil dann ein Fall bloßer Schadensverlagerung vorläge. Die Flugrettung trage aufgrund der Direktverrechnungsvereinbarung, die insoweit einen Vertrag zu Gunsten des Patienten darstelle, den Schaden. Dies solle aber den Schädiger nicht entlasten. Es liege in diesem Zusammenhang auch kein Vertrag zu Lasten der beklagten Versicherung vor, weil ihr keine Mehrleistung auferlegt werde, die sie nicht ohnehin nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen zu erbringen hätte. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil seit der zu 2 Ob 158/88 ergangenen Entscheidung keine die im Flugrettungssystem eingetretenen Änderungen berücksichtigende Rechtsprechung vorliege.
[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die ordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Klage abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
[12] Die Beklagte argumentiert, die Flugrettung habe gegenüber der Geschädigten gemäß § 3 Abs 4 der Direktverrechnungsvereinbarung auf die Geltendmachung weiterer Ansprüche aus der Transportleistung verzichtet. Sie könne daher als unmittelbar Geschädigte keinen Schaden erleiden. Jener der Flugrettung sei aber ein bloß mittelbarer, nicht ersatzfähiger Schaden. Die Rechtsprechung zur Drittschadensliquidation setzte voraus, dass der leistende Dritte das wirtschaftliche Risiko der Rechtsgutverletzung aufgrund besonderer Rechtsbeziehung zum Verletzten selbst zu tragen habe. Die Verletzte sei nicht Vertragspartei der Direktverrechnungsvereinbarung. Diese stelle auch keinen Vertrag zu ihren Gunsten, sondern einen solchen zu Lasten der Versicherer dar, weil ein nicht privatversicherter Schädiger ebenfalls vom Verzicht auf Inanspruchnahme durch die Flugrettung erfasst sei, die Beklagte aber für einen Schaden einstehen müsse, der weder dem Geschädigten noch einem Schädiger ohne privatrechtliche Versicherung verrechnet werden dürfe. Die beklagte Haftpflichtversicherung müsse aber nur jene Schäden ersetzen, die tatsächlich eingetreten seien. Da die Direktverrechnungsvereinbarung in § 3 Abs 3 eine unwirksame Vertragsbestimmung zu Lasten der Beklagten enthalte, mangle es der Klägerin aufgrund der Legalzession des § 332 ASVG auch an der Aktivlegitimation. Überdies hätten die Vorinstanzen keine Tataschenfeststellungen zum Vorbringen der Beklagten getroffen, die Patientin habe keinen Schaden erlitten, weil sie unter keinen Umständen zu einer Zahlung an die Flugrettung verpflichtet werden könne.
Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:
1. Einordnung der Flugrettung ins Sozialversicherungsrecht
[13] 1.1 Nach Art 10 Abs 1 Z 12 BVG obliegt dem Bund die Gesetzgebung und Vollziehung in den Bereichen „Gesundheitswesen mit Ausnahme des Leichen- und Bestattungswesens sowie des Gemeindesanitätsdienstes und Rettungswesens, hinsichtlich der Heil- und Pflegeanstalten, des Kurortewesens und der natürlichen Heilvorkommen jedoch nur die sanitäre Aufsicht“. Die Angelegenheiten des Hilfs- und Rettungsdienstes, die die Regelung der Organisation von Erster Hilfe und Krankentransporten, ihre Finanzierung und die Anerkennung von Organisationen als Träger dieser Aufgaben beinhalten, sind hingegen nach Art 15 Abs 1 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache. Flugrettungsdienste einzurichten, zu betreiben und (zum großen Teil) zu finanzieren, obliegt den Ländern (Herzog/Hubmayr, Flugrettung in Österreich – Aktuelle Übersicht über das System, SozSi 2018, 233 [234]; Schrammel/Welser,Kostentragung bei Flugrettungseinsätzen [2007], 3).
[14] 1.2 Krankentransportkosten sind Teil der vom Sozialversicherungsträger zu gewährenden ärztlichen Hilfe (6 Ob 173/02p), sie sind eine Annexleistung der Krankenbehandlung (10 ObS 72/14g mwN; Feltl in Mosler/Müller/Pfeil, Der SVKomm § 135 ASVG Rz 26; Schrammel/Welser aaO 32). Die Sicherstellung der Ansprüche auf Leistung aus der Krankenversicherung erfolgt im Rahmen der Sachleistungsvorsorge entweder durch eigene Einrichtungen des Sozialversicherungsträgers oder durch den Abschluss von Verträgen gemäß § 338 ASVG. Auch die Flugrettung kommt als „anderer Vertragspartner“ iSd § 338 Abs 1 ASVG in Betracht (vgl 6 Ob 173/02p; Schrammel/Welser aaO 44 f).
[15] 1.3 Es besteht aber keine generelle Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers, die ihm obliegenden Leistungen in natura, als Sachleistung zu erbringen (RS0111541 [T5]) und daher auch kein durchsetzbarer Anspruch auf Gewährung von Sachleistung (RS0111541 [T8]). Stellt der Sozialversicherungsträger daher einen Transport nicht als Sachleistung über eigene Einrichtungen oder über Vertragspartner gegen direkte Verrechnung der Kosten mit dem Vertragspartner zur Verfügung, muss sich der Versicherte diese Leistung zunächst selbst verschaffen und hat grundsätzlich deren Kosten selbst zu tragen, um nachher die satzungsgemäßen Geldleistungen mittels Leistungsklage auf Gewährung von Kostenersatz (Kostenerstattung oder Kostenzuschuss) liquidieren zu können (RS0111541 [T10]).
[16] Ob die durchgeführte Flugrettung eine vom Sozialversicherungsträger gewährte Sachleistung darstellt oder ein Fall bloßer Kostenerstattung vorliegt, hat Konsequenzen für den Umfang der Legalzession nach § 332 Abs 1 ASVG (vgl dazu unten Pkt 3.2).
2. Schadenersatzrechtliche Einordnung der Flugrettungskosten
[17] Krankentransportkosten sind Heilungskosten iSd § 1325 ABGB. Ersatzberechtigt hinsichtlich dieser Kosten ist nach der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs derjenige, der sie getragen hat, auch wenn es sich dabei um eine vom Verletzten verschiedene Person handelt (2 Ob 99/20b Rz 1 mwN). Dies gilt gleichermaßen für Kosten der Flugrettung. Im vorliegenden Fall macht der Kläger als Inkassomandatar seiner verletzten Frau – „zur Weiterleitung an die Privatversicherung“ – in Rechnung gestellte Flugtransportkosten geltend.
3. Legalzession gemäß § 332 Abs 1 ASVG
[18] 3.1 Gemäß § 332 Abs 1 ASVG – sowie dem analogen § 125 BKUVG (Auer-Mayer in Mosler/Müller/Pfeil, Der SVKomm § 332 ASVG Rz 1) – geht der Anspruch des Verletzten gegen den Schädiger nach dem Grundsatz der kongruenten Deckung insoweit auf den Sozialversicherungsträger über, als dieser an den Verletzten Leistungen zu erbringen hat (RS0030708). Die Legalzession zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers verfolgt einerseits den Zweck, eine doppelte Befriedigung des Geschädigten (durch Kumulation der Leistungen), andererseits aber auch eine Entlastung des Schädigers (durch Anrechnung der Versicherungsleistung als Vorteil) zu verhindern (RS0085212; RS0122868; RS0085230).
[19] Der Umfang des Forderungsübergangs und damit der Regressanspruch des Sozialversicherungsträgers ist in zwei Dimensionen begrenzt, nämlich einerseits mit der Höhe des Schadenersatzanspruchs des Geschädigten und andererseits mit dem Anspruch des Geschädigten auf Leistungen gegenüber dem Sozialversicherungsträger. Der Schadenersatzanspruch des Geschädigten bildet den Deckungsfonds, der selbständig nach den Grundsätzen des Haftpflichtrechts zu berechnen ist (RS0030708 [T2], RS0085365 [T1]).
[20] 3.2 Im vorliegenden Fall bildet der Anspruch auf Ersatz der Heilungskosten den Deckungsfonds des Geschädigten, der auch die Kosten des Krankentransports umfasst.
3.2.1 Ist der Verletzte sozialversichert und sind die Voraussetzungen für den Ersatz einer privaten Krankenbehandlung nicht gegeben, so sind in Bezug auf durch aus der Sozialversicherung abgedeckte Schäden jene Behandlungskosten maßgebend, die in diesem Zusammenhang vom Sozialversicherungsträger aufzuwenden sind. Nach Lehre und Rechtsprechung wird die Höhe des kongruenten Schadenersatzanspruchs mit denjenigen Behandlungskosten bemessen, die dem Geschädigten „als Sozialversichertem“ entstanden sind (RS0030639; 2 Ob 95/11a Pkt 2.7; Auer-Mayer aaO Rz 17). Würde der Heilungskostenaufwand davon unabhängig nach dem Interesse des Geschädigten berechnet, gelangte man zu einem den Aufwand des Sozialversicherungsträgers übersteigenden Restanspruch des Geschädigten und damit zu einer partiellen Doppelliquidation, falls der Anspruch trotz vorheriger Schadensbeseitigung mittels Sachleistung geltend gemacht würde (Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 332 ASVG Rz 43). Hat der Sozialversicherungsträger die Heilungskosten des Verletzten zu tragen, geht daher der kongruente Schadenersatzanspruch des Verletzten gegen den Schädiger im Rahmen der im § 332 Abs 1 ASVG normierten Legalzession unabhängig davon auf den Sozialversicherungsträger über, ob dieser für seine allenfalls weniger aufwenden musste, als der Geschädigte ohne Sozialversicherung aufwenden hätte müssen. Weder verbleibt in derartigen Konstellationen ein Teil des kongruenten Ersatzanspruchs beim Verletzten noch besteht für Dritte, die Heilungskosten für den Verletzten aufgewendet haben, die Möglichkeit, den Ersatz derartiger Aufwendungen vom Schädiger – sei es im Wege eines Direktanspruchs nach § 1325 ABGB oder eines Verwendungsanspruchs nach § 1042 ABGB – zu verlangen. Dies gilt für vom Sozialversicherungsträger aufgewendete Vertragsarztkosten wie für von ihm aufgewendete Kosten der Spitalsbehandlung und für Krankentransportleistungen. Soweit daher der Schaden durch die Sachleistung abgegolten ist, verbleibt kein Restanspruch des Geschädigten (RS0085186; Auer-Mayer aaO Rz 50, 61).
[21] 3.2.2 Hat der Sozialversicherungsträger aber keine Sachleistung zu erbringen, sondern ist er – wie auch bei wahlärztlicher Behandlung (vgl § 131 ASVG) oder im „vertragslosen Zustand“ bzw „kassenfreien Raum“ (dazu §§ 131a, 131b ASVG) – lediglich zur (teilweisen) verpflichtet, verbleibt der mit den sozialversicherungsrechtlich nicht gedeckten „Restschäden“ des Geschädigten kongruente Ersatzanspruch beim Geschädigten und kann von diesem direkt gegen den Schädiger geltend gemacht werden (vgl Auer-Mayer aaO Rz 49). Wird daher die Transportleistung nicht als Sachleistung vom Sozialversicherungsträger erbracht, sondern ist lediglich ein Kostenerstattungsanspruch angeordnet, verbleibt der Schadenersatzanspruch des Geschädigten mangels kongruenter Sozialversicherungsleistung insoweit bei diesem, als der Sozialversicherungsträger keine Kostenerstattung zu gewähren hat.
[22] 4. In der Entscheidung 2 Ob 158/88 ging der Oberste Gerichtshof davon aus, dass der Sozialversicherungsträger seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Übernahme der Transportkosten durch den Abschluss eines Rahmenvertrags nach § 338 ASVG nachkam, mit dem er die Durchführung des Flugtransports der Flugrettung übertrug und dafür das vereinbarte Entgelt zahlte. Der Flugrettungstransport wurde als eine vom Sozialversicherungsträger durch einen Vertragspartner erbrachte Sachleistung qualifiziert.
[23] 5. Das Berufungsgericht ging hingegen unter Hinweis auf den in §§ 131 Abs 3, 135 Abs 4 und Abs 5, 144 Abs 5 ASVG vorgesehenen Kostenerstattungsanspruch des Versicherten und die zwischen dem Sozialversicherungsträger und der Flugrettung abgeschlossene, seit geltenden „Direktverrechnungsvereinbarung“ davon aus, dass – anders als in der der Entscheidung 2 Ob 258/88 zugrunde liegenden Vereinbarung – die Flugrettung nicht mit der Erbringung der Sachleistung „Flugtransport“ gegen Entgelt für den Sozialversicherungsträger verpflichtet, sondern lediglich zur Vermeidung einer Vorleistung des Versicherten eine Direktverrechnung im Fall der Leistungserbringung vereinbart wurde. Gegen diese mit dem Wortlaut, insbesondere der Präambel der Vereinbarung in Einklang stehende Beurteilung führt die Revision keine Argumente ins Treffen.
[24] Mangels Vorliegens einer vom Sozialversicherungsträger durch einen hiezu verpflichteten Dritten gewährten Sachleistung geht der Schadenersatzanspruch des Geschädigten auch nur im Umfang der zu gewährenden Kostenerstattung auf den Sozialversicherungsträger über. Der „Restanspruch“ verbleibt – anders als bei Zurverfügungstellung der Sachleistung Flugtransport durch den Sozialversicherungsträger bzw eines von diesem mit einer Vereinbarung nach § 338 ASVG verpflichteten Dritten – beim Geschädigten. Eine zu vermeidende partielle Doppelliquidation tritt in diesem Fall nicht ein, weil der Anspruch nicht trotz vorheriger Schadensbeseitigung mittels sozialversicherungsrechtlicher Sachleistung geltend gemacht wird.
[25] 6. Die Argumentation der Beklagten, der unmittelbar Geschädigten sei wegen des in der Direktverrechnungsvereinbarung enthaltenen Verzichts der Flugrettung auf Geltendmachung der Kosten ihr gegenüber kein Schaden entstanden, entfernt sich vom Wortlaut und Zweck der Vereinbarung. Zwar enthält § 3 Abs 4 der Direktverrechnungsvereinbarung einen generellen Verzicht gegenüber dem Patienten mit Ausnahme von Flugtransport- und Bergungskosten aufgrund von Unfällen bei Ausübung von Sport und Touristik iSd § 131 Abs 4 ASVG, oder wenn der Transport auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten erfolgt. Allerdings ist die Bestimmung nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit § 3 Abs 1 und Abs 3 der Direktverrechnungsvereinbarung zu lesen, aus denen abzuleiten ist, dass ein solcher Verzicht – trotz des weiteren Wortlauts des Abs 4 – gerade für jene, auch hier vorliegende Konstellation, dass ein Anspruch (der Geschädigten) auf Kostentragung durch eine allenfalls auch zu Gunsten eines Dritten bestehende privatrechtliche Versicherung besteht, nicht abgegeben wird. In einem solchen Fall ist die Flugrettung auch berechtigt, vom Patienten Zahlungen einzufordern oder entgegenzunehmen (§ 3 Abs 1 der Direktverrechnungsvereinbarung). Wenn in § 3 Abs 3 der Direktverrechnungsvereinbarung davon die Rede ist, dass die Flugrettung berechtigt ist, Entgelt in Höhe der Differenz zwischen dem Kostenersatz des Sozialversicherungsträgers und der tatsächlichen Kosten von der Versicherung (und nicht vom Patienten) zu verlangen, ist dies nicht als Schaffung einer (neuen) Verbindlichkeit der privatrechtlichen Versicherung gegenüber der Flugrettung und damit als ein unzulässiger und daher unwirksamer (RS0084880) Vertrag zu ihren Lasten zu verstehen. Wie aus den weiteren Bestimmungen hervorgeht (Geltendmachung des Anspruchs durch den Patienten auf Grundlage der auf ihn ausgestellten Rechnung) geht es bloß darum, dass der grundsätzlich gegenüber der Flugrettung zahlungsverpflichtete Patient (§ 3 Abs 1) bei Bestehen einer privatrechtlichen Versicherung die Kosten im Rahmen seines Schadenersatzanspruchs geltend machen soll. Der Beklagten wird damit auch keine, von ihr nicht ohnehin nach schadenersatzrechtlichen Grundsätzen zu ersetzende Leistung aufgebürdet.
[26] Eine Schadensverlagerung aufgrund eines Verzichts der Flugrettung auf die Geltendmachung der Kosten gegenüber dem Patienten findet daher im konkreten Fall gar nicht statt, sodass sich die Frage der Drittschadensliquidation insoweit nicht stellt.
[27] Sekundäre Feststellungsmängel zum Thema Leistungsverpflichtung der Geschädigten liegen nicht vor, weil es sich dabei um eine anhand der ohnehin festgestellten Vertragsgrundlagen zu beurteilende Rechtsfrage handelt.
[28] 7. Dass die Flugrettung gegenüber Schädigern ohne privatrechtliche Versicherung auf die Geltendmachung der Kosten verzichtet hätte und daher insoweit eine Benachteiligung der Beklagten vorliege, lässt sich der Direktverrechnungsvereinbarung nicht entnehmen.
[29] 8. Soweit die Beklagte einwendet, der Ehefrau des Klägers sei mangels bereits erfolgter Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten noch kein Schaden entstanden, ist ihr Folgendes zu entgegnen:
[30] Nach herrschender Auffassung stellt auch das Hinzukommen von Passiva einen positiven Vermögensschaden dar, weil das gegenwärtige Vermögen durch diese Belastung eine Minderung erfährt (RS0022568; RS0022518). Aus dem Grundsatz der Naturalrestitution folgt, dass bei einem Schaden in Form des Entstehens einer Verbindlichkeit auch ein Freistellungsanspruch des Geschädigten gegenüber dem Schädiger jedenfalls dann anzuerkennen ist, wenn die konkrete Verbindlichkeit zu Gunsten des dritten Gläubigers bereits entstanden ist und von ihm auch geltend gemacht und damit fällig gestellt wurde. In diesem Fall kann der Geschädigte grundsätzlich ein Begehren auf Befreiung von dieser konkreten Verbindlichkeit gegenüber dem Schädiger stellen (1 Ob 121/17a; RS0132150). Lehnt der Schädiger – wie im vorliegenden Fall – die Leistung von Schadenersatz ernsthaft und endgültig ab, kann der Geschädigte an Stelle des auf Naturalrestitution gerichteten Befreiungsanspruchs auch Leistung des Interesses an sich selbst begehren (RS0022672; 6 Ob 159/15y Pkt 3.2.).
[31] 9. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
[32] 10. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00145.22W.0927.000 |
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