OGH vom 12.10.2022, 1Ob158/22z

OGH vom 12.10.2022, 1Ob158/22z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely-Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen V*, vertreten durch die gerichtliche Erwachsenenvertreterin E*, diese vertreten durch die Celar Senoner Weber-Wilfert Rechtsanwälte GmbH in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 260/22a-88, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Das Erstgericht erklärte die gerichtliche Erwachsenenvertretung für beendet und enthob die gerichtliche Erwachsenenvertreterin – die Mutter der Betroffenen – ihres Amtes. Die Betroffene sei in der Lage, ihre Angelegenheiten mit Unterstützung der Behindertenhilfe und ihrer Familie selbstbestimmt wahrzunehmen.

[2] Das Rekursgericht wies den Rekurs, soweit ihn die gerichtliche Erwachsenenvertreterin im eigenen Namen erhoben hatte, als unzulässig zurück und gab dem Rechtsmittel im Übrigen keine Folge.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der gerichtlichen Erwachsenenvertreterin, den sie namens der Betroffenen und in deren Interesse erhebt. Als noch nicht rechtskräftig enthobene gerichtliche Erwachsenenvertreterin ist sie zwar legitimiert, das Rechtsmittel im Namen und Interesse der Betroffenen zu erheben (RS0006229 [T18; T33]; 8 Ob 49/21w), sie kann darin aber keine Rechtsfragen von der Bedeutung gemäß § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigen.

[4] 1. Zentrales Anliegen des Erwachsenenschutzrechts ist, die Autonomie einer schutzberechtigten Person möglichst umfassend zu wahren und deren Selbstbestimmung im größtmöglichen Umfang so lange wie möglich aufrecht zu erhalten (4 Ob 115/19v). Die betroffene Person soll vorrangig durch die erforderliche Unterstützung selbst in die Lage versetzt werden, ihre Angelegenheiten zu besorgen und am Rechtsverkehr teilzunehmen. Daraus ist der Grundsatz der Subsidiarität der Erwachsenenvertretung abzuleiten: Die Bestellung eines Erwachsenenvertreters kommt nur dann in Betracht, wenn dies zur Wahrung der Rechte und Interessen der betroffenen Person unvermeidlich ist (4 Ob 75/20p; vgl auch 4 Ob 180/18a).

[5] 2. Die gerichtliche Erwachsenenvertretung ist nach § 246 Abs 3 Z 3 ABGB zu beenden, wenn die übertragene Angelegenheit erledigt ist oder die Voraussetzungen für die Bestellung nach § 271 ABGB weggefallen sind. Aus dem Grundsatz, dass die (gerichtliche) Erwachsenenvertretung ausschließlich dann in Betracht kommt, wenn sie zur Wahrung der Rechte und Interessen der betroffenen Person unvermeidlich ist (§ 241 Abs 1 ABGB), folgt zwingend, dass sie auch zu beenden ist, wenn die betroffene Person durch ein entsprechendes Unterstützungsangebot in die Lage versetzt werden kann (vgl dazu die in § 239 Abs 2 ABGB beispielhaft aufgezählten Formen), am Rechtsverkehr ohne Nachteil für sich teilzunehmen.

[6] 3. Die Betroffene lebt selbständig, geht einer geregelten Tätigkeit nach und bezieht daraus ihr eigenes Einkommen. Fest steht zudem, dass sie mit Unterstützung ihrer Familie und der Behindertenhilfe in der Lage ist, ihre Angelegenheiten im Rechtsverkehr selbstbestimmt wahrzunehmen, und dass sie die notwendige Unterstützung auch tatsächlich erhält. Damit begründet es aber auch keine im Einzelfall (vgl dazu RS0106166 [T11]) aufzugreifende Fehlbeurteilung, dass die Vorinstanzen die Voraussetzungen für die Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters als nicht mehr gegeben erachteten und die Erwachsenenvertretung beendeten. Die Behauptung der Rechtsmittelwerberin, die Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung erfolge zur „Unzeit“, ist durch den festgestellten Sachverhalt nicht gedeckt. Das Erstgericht hielt dazu ausdrücklich fest, dass bei keiner der von der betroffenen Person zu besorgenden Angelegenheiten die Notwendigkeit einer Vertretung besteht, und die Betroffene im Übrigen in der Lage wäre, eine Vollmacht (rechtsgeschäftlich) zu erteilen. Das kann nur so verstanden werden, dass dringende Angelegenheiten, welche eine Erledigung durch einen Erwachsenenvertreter erforderlich machen könnten, nicht absehbar sind. Soweit sich die Rechtsmittelwerberin zur Begründung ihres Standpunkts auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 8 Ob 49/21w beruft, übersieht sie darüber hinaus, dass es im vorliegenden Fall nicht um den Übergang von der gerichtlichen zur gesetzlichen Erwachsenenvertretung geht, sondern darum, dass die Betroffene unter Berücksichtigung der ihr zukommenden Unterstützung – insbesondere durch ihre Mutter – überhaupt keiner Erwachsenenvertretung bedarf. Völlig unerheblich ist daher, ob ein naher Angehöriger zur Übernahme der gesetzlichen Erwachsenenvertretung bereit wäre.

[7] Einen (allenfalls) im Interesse der Betroffenen wahrzunehmenden Mangel des Verfahrens erster Instanz (vgl RS0050037 [T4] zur ausnahmsweisen Berücksichtigung solcher Mängel im Interesse des Kindeswohls) zeigt das Rechtsmittel nicht auf.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00158.22Z.1012.000

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