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OGH vom 14.09.2022, 1Ob131/22d

OGH vom 14.09.2022, 1Ob131/22d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätin und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. WesselyKristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*, vertreten durch Mag. Gregor Kohlbacher, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17–19, wegen 21.502,07 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 15.767,99 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 49/22y-25, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben vom , GZ 8 Cg 25/21v-19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger veräußerte am einen gebrauchten Audi A6 um 7.600 EUR. Im Verfahren 4 C 52/18t des Bezirksgerichts Wolfsberg begehrte der Käufer dieses Fahrzeugs vom Kläger die Zahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeugs sowie einen weiteren Betrag von 1.373,10 EUR. Im Verfahren erster Instanz stützte sich dieser auf Gewährleistung, laesio enormis, Schadenersatz und Irrtum. Mit Urteil vom sprach das Bezirksgericht Wolfsberg dem Käufer des Fahrzeugs 1.386,82 EUR zu und wies das Zahlungsmehrbegehren sowie das Wandlungsbegehren ab. Es bejahte die Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs im Zeitpunkt der Übergabe und verneinte eine Verkürzung über die Hälfte. Dagegen erhob der Käufer des Fahrzeugs Berufung an das Landesgericht Klagenfurt. In der Rechtsrüge argumentierte er nur zum gewährleistungsrechtlichen Wandlungsanspruch und schloss diesen Teil mit folgenden Ausführungen:

„Am gegenständlichen Fahrzeug sind zum Zeitpunkt der Übergabe schwere Mängel vorgelegen, was bedeutet, dass das Fahrzeug zum Übergabezeitpunkt nicht verkehrs- und betriebssicher war. Dem Wandlungsbegehren war sohin schon deshalb (gewährleistungsrechtlich) stattzugeben (vgl 7 Ob 239/05f uva)“.

[2] Das Landesgericht Klagenfurt gab mit Urteil vom der Berufung des Käufers teilweise Folge. Es ging davon aus, dass der Käufer sein Begehren auf Aufhebung des Vertrags wegen Verkürzung über die Hälfte des wahren Werts aufrecht erhalten habe, bejahte diesen Anspruch und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es den Kläger schuldig erkannte, dem Käufer Zug um Zug gegen Rückgabe und Abholung des Fahrzeugs den Kaufpreis zu erstatten und einen weiteren Betrag von 1.138,50 EUR zu zahlen. Das Zahlungsmehrbegehren wies es ab. Die Revision gegen sein Urteil ließ das Landesgericht Klagenfurt nicht zu und wies einen Antrag des Klägers gemäß § 508 ZPO zurück.

[3] Mit Schreiben vom forderte der Kläger die Beklagte aus dem Titel der Amtshaftung zur Zahlung von 21.502,07 EUR binnen 14 Tagen auf, den er nach entgangenem Gewinn, den Kosten des Käufers sowie seinen eigenen Kosten im Vorverfahren (Anlassverfahren) aufschlüsselte. Das Aufforderungsschreiben langte bei der Finanzprokuratur am ein.

[4] Mit seiner Klage im Amtshaftungsverfahren begehrte der Kläger die Zahlung von 21.502,07 EUR samt 4 % Zinsen seit dem . Dazu brachte er – zusammengefasst – vor, das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht im Anlassverfahren habe seine Entscheidung in rechtswidriger und unvertretbarer Weise auf den Anspruchsgrund der laesio enormis gestützt, obwohl der Käufer des Fahrzeugs diesen Anspruchsgrund in der Berufung nicht mehr aufrecht erhalten habe.

[5] Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, der Käufer des Fahrzeugs habe in seiner Berufung unter anderem auf das in erster Instanz eingeholte Gutachten Bezug genommen, sodass er im Rechtsmittelverfahren seinen Wandlungsanspruch erkennbar auch auf laesio enormis gestützt habe. Die Formulierung, dass „[…] dem Wandlungsbegehren [...] sohin schon deshalb (gewährleistungsrechtlich) stattzugeben […]“ war, schließe andere Rechtsgründe neben der Gewährleistung nicht aus, sondern beziehe sämtliche weitere Rechtsgründe, auf die das Klagebegehren bereits in erster Instanz gestützt worden sei, konkludent ein. Die Entscheidung des Landesgerichts Klagenfurt sei daher jedenfalls vertretbar. Das Zinsenbegehren sei überhöht, weil ein Amtshaftungsanspruch nach § 8 AHG erst drei Monate nach dem Aufforderungsschreiben fällig werde.

[6] Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, dem Kläger 15.767,99 EUR samt 4 % Zinsen seit zu zahlen; das Mehrbegehren wies es ab. Der Käufer des Fahrzeugs habe seinen Wandlungsanspruch in der Berufung ausschließlich auf schwere Mängel am Fahrzeug gestützt, die der Verkehrs- und Betriebssicherheit des Fahrzeugs im Übergabezeitpunkt entgegengestanden hätten. Die Bezugnahme auf das kfz-technische Sachverständigengutachten in der Rechtsmittelschrift habe lediglich der Argumentation gedient, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe nicht verkehrs- und betriebssicher gewesen sei. Auch habe er mit seiner Tatsachenrüge keine Feststellungen zum Wert des Fahrzeugs bekämpft, sodass sich der Käufer im Berufungsverfahren deutlich erkennbar nicht mehr auf laesio enormis bezogen habe. Das Landesgericht Klagenfurt hätte daher im Rahmen der Rechtsrüge auf diesen Rechtsgrund nicht eingehen dürfen, weswegen die Rechtsmittelentscheidung im Anlassverfahren auf einer unvertretbaren Rechtsanwendung beruhe. Das Zinsenbegehren sei berechtigt, weil die Fälligkeit auch im Amtshaftungsrecht schon mit der zahlenmäßig bestimmten Einforderung eintrete.

[7] Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen erhobenen Berufung der Beklagten nur im Hinblick auf das Zinsenbegehren Folge und verpflichtete diese zur Zahlung von 15.767,99 EUR samt 4 % Zinsen seit dem ; das Zinsenmehrbegehren wies es ab. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts, dass das Berufungsgericht im Anlassverfahren seine Prüfungsbefugnis in unvertretbarer Weise überschritten habe. Das Berufungsgericht sei an eine Beschränkung der Klagegründe durch den Rechtsmittelwerber gebunden und habe daher Ansprüche oder Einwendungen außer Betracht zu lassen, auf die der Berufungswerber in seiner Rechtsrüge nicht mehr eingehe. Der Käufer des Fahrzeugs habe in seinem Rechtsmittel sowohl rechtlich als auch im Tatsachenbereich ausschließlich auf die seinem Standpunkt nach fehlende Betriebs- und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs Bezug genommen und damit den Tatbestand nach § 934 ABGB fallen gelassen.

[8] Rechtsfolge einer nicht oder nicht hinreichend deutlich erhobenen Aufforderung iSd § 8 Abs 1 AHG sei, dass dem Rechtsträger, soweit er den Ersatzanspruch anerkenne oder erfülle, für die Dauer von drei Monaten ab Geltendmachung, längstens jedoch bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung, Kostenersatz nach § 45 ZPO zustehe. Damit habe der Gesetzgeber keine gesetzliche Stundung angeordnet, sodass nach allgemeinen Grundsätzen die vom Beschädigten zahlenmäßig bestimmt geltend gemachte Schadenersatzforderung für den Beginn des Zinsenlaufes maßgeblich sei. Die auf Schragel (AHG³, Rz 244) gestützte Rechtsansicht der Beklagten, wonach die Bestimmung des § 8 Abs 1 AHG nach ihrem Zweck so zu verstehen sei, dass der Anspruch vor Ablauf der drei Monate nicht fällig werde, könne daher nicht geteilt werden. Das Erstgericht habe aber außer Acht gelassen, dass der Kläger der Beklagten in seinem Aufforderungsschreiben nach § 902 Abs 1 ABGB eine Frist zur Zahlung von 14 Tagen (bis zum ) eingeräumt habe, sodass sich die Beklagte erst ab in Zahlungsverzug befunden habe. Hinsichtlich der Nebengebühren (Zinsen) sei der Berufung daher teilweise Folge zu geben.

[9] Die ordentliche Revision ließ es zu, weil – soweit überblickbar – Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob § 8 Abs 1 AHG eine gesetzliche Stundung anordne oder ob die Fälligkeit des Amtshaftungsanspruchs auch vor Ablauf von drei Monaten nach Einlangen des Aufforderungsschreibens eintreten könne.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist zulässig, weil der Fachsenat zu der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage noch nicht ausdrücklich Stellung genommen hat; sie ist aber nicht berechtigt.

A. Zur Haftung dem Grunde nach:

[11] 1. Grundsätzlich richtig ist der Hinweis der Beklagten, dass nach Ausführung einer gesetzesgemäßen Rechtsrüge die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen zu prüfen ist (RS0043352). Dieser Grundsatz ist jedoch insoweit eingeschränkt, als der Rechtsmittelwerber Rechtsgründe, denen in sich geschlossene – also selbständige rechtserzeugende, rechtshemmende oder rechtsvernichtende – Tatsachen zugrunde liegen, behandeln muss, damit sie im Rechtsmittelverfahren überprüft werden können (zum Revisionsverfahren: Lovrek in Fasching/Konecny³ IV/1 § 503 ZPO Rz 188 f mwN). Das Berufungsgericht hat eine solche Beschränkung im Rechtsmittel des Käufers im Anlassverfahren angenommen. Soweit sich die Beklagte gegen diese Ansicht wendet und damit Rechtsfragen zum Grund des Anspruchs anspricht, kann sie keine Fehlbeurteilung aufzeigen.

2. Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, dass bei Vorliegen mehrerer selbständig zu beurteilender Rechtsfragen das Berufungsgericht an eine Beschränkung der Berufungsgründe durch die Partei gebunden ist (RS0043352 [T26; T30; T34 ua]; RS0043338). Das Berufungsgericht darf daher nicht von sich aus eine rechtliche Beurteilung in Bezug auf eine selbständige Einwendung vornehmen, wenn der Berufungswerber die diesbezügliche Rechtsansicht des Erstgerichts nicht bekämpft (RS0043338 [T32]; 3 Ob 166/16g mwN). Ein selbständiger Anspruchsgrund kann nicht anders behandelt werden.

[12] 3. Die Anfechtung eines Vertrags wegen laesio enormis bildet nach der Rechtsprechung einen selbständigen Streitpunkt (5 Ob 144/20t), der nicht mehr zu behandeln ist, wenn sich der Rechtsmittelwerber im Rechtsmittel inhaltlich nur mehr auf Gewährleistung stützt (4 Ob 202/09y; vgl auch 4 Ob 148/15s). Das traf hier zu:

[13] 3.1 Die Auslegung einer Prozesshandlung erfolgt nach ihrem objektiven Erklärungswert. Es kommt darauf an, wie sie unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der Prozess- und Aktenlage im Prozesshandlungszeitpunkt objektiv verstanden werden muss (RS0037416; RS0097531; RS0017881).

[14] 3.2 Das Berufungsgericht des Anlassverfahrens hatte das Rechtsmittel des Käufers auszulegen. Die Auslegung des Prozessvorbringens (der Berufungsschrift) ist nach allgemeinen Grundsätzen zwar eine solche des Einzelfalls und wirft daher nach der Rechtsprechung nur dann eine Rechtsfrage von der Bedeutung gemäß § 502 Abs 1 ZPO auf, wenn die Auslegung des Vorbringens mit seinem Wortlaut unvereinbar ist oder gegen die Denkgesetze verstößt (RS0042828 [T11]). Eine solche Auslegung ist dann aber auch unvertretbar und daher schuldhaft iSv § 1 Abs 1 AHG.

[15] 3.3 Die Vorinstanzen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass der Käufer in seiner Berufung im Anlassverfahren ausschließlich auf eine Haftung des nunmehrigen Amtshaftungsklägers aus Gewährleistung abzielte und nur zum Gewährleistungsbehelf der Wandlung gemäß § 932 Abs 2 ABGB argumentierte. Dass der Käufer ein Vorbringen zur Verkürzung über die Hälfte erstattet hätte, behauptet auch die Beklagte in ihrer Revision nicht, sondern erachtet (zusammengefasst) den Standpunkt des Berufungsgerichts im Anlassverfahren wegen der in der Rechtsmittelschrift verwendeten Wendung „Dem Wandlungsbegehren war sohin schon deshalb (gewährleistungsrechtlich) stattzugeben“ als vertretbar, weil damit der Anspruch nach § 934 ABGB im Rechtsmittelverfahren aufrecht erhalten worden sei.

3.4 Dieser Sichtweise kann schon nach dem Wortlaut der wiedergegebenen Passage nicht beigepflichtet werden, weil darin ausschließlich auf den Gewährleistungsbehelf der Wandlung abgestellt wird. Zwar können nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs das Gestaltungsrecht der Vertragsaufhebung wegen Verkürzung über die Hälfte und Ansprüche wegen Gewährleistung nebeneinander bestehen (RS0022009). Das Gewährleistungsrecht zielt aber auf die Herstellung der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung ab. Ansprüche danach können daher nur wegen Mängeln erhoben werden, die im Zeitpunkt des Gefahrenübergangs (der Übergabe) – zumindest latent – vorhanden waren (RS0018498). Demgegenüber ist für die Beurteilung des objektiven Missverhältnisses nach § 934 ABGB auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen, nicht aber auf einen etwaigen späteren Leistungszeitpunkt (§ 934 Satz 3 ABGB; RS0018871).

[16] Dass ein solches Missverhältnis bei Vertragsabschluss bestanden hätte, hat weder der Käufer in seiner Rechtsmittelschrift auch nur angedeutet noch das Berufungsgericht des Anlassverfahrens erörtert, das die Vermutungsbestimmung des § 924 ABGB zur Begründung für die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung heranzog und zudem zur Berechnung des Wertmissverhältnisses auf Kosten einer Mängelbehebung abstellte, deren Vorliegen das Erstgericht in seinen Feststellungen ausdrücklich verneint hatte. Soweit daher der Kläger in erster Instanz einen Anspruch nach § 934 ABGB überhaupt ausreichend schlüssig vorgebracht hatte, war ein solcher Anspruch jedenfalls nicht mehr Gegenstand im Verfahren vor dem Berufungsgericht des Anlassverfahrens. Dessen Entscheidung liegt damit eine unvertretbare Auslegung des Berufungsvorbringens zu Grunde, die einen Amtshaftungsanspruch begründet. Die weitwendigen Ausführungen der Beklagten zur semantischen Betrachtungsweise der Wendung „schon deshalb“ können zu keiner anderen Beurteilung dieser Frage führen.

B. Zum Beginn des Zinsenlaufs:

[17] 1. Die Bestimmung des § 1 AHG gibt dem Geschädigten einen Schadenersatzanspruch gegen den Rechtsträger, dem das schuldhafte und rechtswidrige Organverhalten zuzurechnen ist (RS0045688; RS0123768).

[18] Ein Anspruch auf Schadenersatz wird ganz allgemein erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig, sodass Verzugszinsen auch erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (RS0023392 [T6; vgl auch T8]). Darauf hat der Fachsenat bereits in seiner Entscheidung zu 1 Ob 32/94 auch für die Fälligkeit eines Amtshaftungsanspruchs abgestellt und Verzugszinsen ab dem auf das Aufforderungsschreiben folgenden Tag zuerkannt. Eine Auseinandersetzung mit der Bestimmung des § 8 AHG erfolgte in dieser Entscheidung nicht.

2. Die Beklagte vertritt in ihrer Revision – zusammengefasst – den Standpunkt, § 8 Abs 1 AHG verfolge den Zweck, dem Rechtsträger die Prüfung des an ihn gerichteten Ersatzanspruchs dem Grunde und der Höhe nach zu ermöglichen, sodass die Fälligkeit des Anspruchs vor Abschluss des Prüfungsverfahrens nicht eintreten könne, und geht damit von einer echten, die Fälligkeit hinausschiebenden Stundung (vgl RS0033283) aus. Darüber hinaus bezieht sie sich auch auf die Bestimmungen der §§ 904 und 907a Abs 2 ABGB. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden.

[19] 3. § 8 AHG in der Fassung BGBl 1989/343 (Erweiterte WertgrenzenNovelle 1989 – WGN 1989) hat folgenden Wortlaut:

„(1) Der Geschädigte soll den Rechtsträger, gegen den er den Ersatzanspruch geltend machen will, zunächst schriftlich auffordern, ihm binnen einer Frist von drei Monaten eine Erklärung zukommen zu lassen, ob er den Ersatzanspruch anerkennt oder den Ersatz ganz oder zum Teil ablehnt. Das im § 9 genannte Gericht kann dem Ersatzwerber für dieses Aufforderungsverfahren nach den Bestimmungen der ZPO über die Verfahrenshilfe einen Rechtsanwalt beigeben.

(2) Hat der Geschädigte den Rechtsträger zur Anerkennung eines Anspruches nicht oder nicht hinreichend deutlich aufgefordert oder die Klage vor Ablauf der Frist von drei Monaten erhoben oder den Anspruch erst im Laufe des Rechtsstreites geltend gemacht, so steht dem Rechtsträger, soweit er den Ersatzanspruch anerkennt oder erfüllt, für die Dauer von drei Monaten ab Geltendmachung, längstens jedoch bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung, Kostenersatz nach § 45 ZPO zu.“

[20] 3.1 Bis zur Novellierung dieser Bestimmung durch die WGN 1989 war der Rechtsweg für eine Amtshaftungsklage ohne ausreichende vorherige Aufforderung an die Finanzprokuratur, wenn der in Anspruch genommene Rechtsträger der Bund war, unzulässig und die Klage zurückzuweisen (vgl dazu RS0045609). In einem solchen Fall war der Geschädigte gezwungen, das Aufforderungsschreiben und das anschließende Gerichtsverfahren neuerlich anzustrengen, womit die Gefahr einer Verjährung seines Anspruchs verbunden sein konnte. Diese Rechtslage war nach Ansicht des Justizausschusses zur WGN 1989 aus der Sicht eines sachgerechten Rechtsschutzes unbefriedigend, weshalb die Schranke der Unzulässigkeit des Rechtswegs entfallen sollte. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die Unterlassung eines gehörigen Aufforderungsverfahrens für den Geschädigten nur mit allfälligen Kostenfolgen verbunden sein, wenn der Rechtsträger den Anspruch des Geschädigten vor Ablauf von drei Monaten anerkennt (AB 991 BlgNR 27. GP 15 f).

[21] 3.2 Zutreffend ist der Hinweis der Beklagten, dass § 8 AHG dem Rechtsträger die Möglichkeit gibt, den an ihn herangetragenen Anspruch dem Grunde und der Höhe nach auf seine Berechtigung hin zu prüfen. Zweck des Aufforderungsschreibens nach § 8 Abs 1 AHG ist es daher, den in Anspruch genommenen Rechtsträger mit der gegen ihn erhobenen Schadenersatzforderung zu konfrontieren und ihm vor Einleitung eines Prozesses dessen Prüfung zu ermöglichen (Ziehensack in Ziehensack, Amtshaftungsgesetz § 8 AHG Rz 11; Mader/Vollmaier in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 8 AHG Rz 2). Ob eine Schadenersatzforderung (dem Grund und/oder der Höhe nach) berechtigt ist, muss grundsätzlich aber jeder Schädiger, der mit einem solchen Anspruch konfrontiert ist, beurteilen, bevor er ihn entweder ablehnt oder erfüllt. Das Erfordernis der Anspruchsprüfung ist damit kein spezifisches Problem des aus Amtshaftung in Anspruch genommenen Rechtsträgers, sodass damit entgegen der Argumentation der Beklagten aus dieser Notwendigkeit keine gesetzliche Stundung abgeleitet werden kann.

[22] 3.3 Seit der Novellierung des § 8 AHG durch die WGN 1989 soll der Geschädigte, der einen Amtshaftungsanspruch geltend machen will, den Rechtsträger lediglich zur Erklärung über seine Forderung auffordern. Folge der unterbliebenen oder nicht hinreichend deutlichen Aufforderung im Sinn dieser Gesetzesstelle bzw einer vor Ablauf von drei Monaten nach einer schriftlichen Aufforderung erhobenen Klage ist nach der ausdrücklichen Anordnung des zweiten Absatzes dieser Bestimmung nur, dass der Rechtsträger allenfalls Anspruch auf Kostenersatz nach § 45 ZPO hat (so schon 1 Ob 111/06i; vgl auch Schragel AHG³ Rz 236).

[23] 3.4 Als einzige Konsequenz einer unterlassenen oder nicht ausreichend konkretisierten Aufforderung zur Erfüllung des Schadenersatzanspruchs ordnet das Gesetz somit eine prozessuale Folge, nämlich die Kostenersatzpflicht des an sich erfolgreichen Klägers an den im Amtshaftungsverfahren beklagten Rechtsträger an (dazu allgemein Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 45 Rz 1). Diese Folge kommt erst nach Erhebung der Amtshaftungsklage durch den Kläger zum Tragen.

[24] 3.5 Voraussetzung einer erfolgreichen Klageführung ist ganz allgemein die Fälligkeit des Anspruchs. Fehlt es an diesem Erfordernis bei Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, ist das Klagebegehren abzuweisen (vgl RS0036969 [T6]). Das Gesetz behandelt in § 8 Abs 2 AHG ausdrücklich auch den Fall, dass der Geschädigte zwar ein Aufforderungsschreiben erhoben hat, die Klage aber vor Ablauf von drei Monaten einbringt, und knüpft daran grundsätzlich die selbe Rechtsfolge wie an eine unterlassene oder nicht ausreichend konkretisierte Aufforderung. Ausgehend von der Ansicht der Beklagten, dass ein vom Geschädigten an den Rechtsträger (die Finanzprokuratur) gerichtetes Aufforderungsschreiben die Fälligkeit für drei Monate hinausschiebt, sofern sich der belangte Rechtsträger nicht vorher erklärt, müsste aber eine Leistungsklage, die vor Ablauf der Frist von drei Monaten erhoben wird, mangels Fälligkeit der Forderung abgewiesen werden, sofern nur der Schluss der mündlichen Verhandlung vorher eintritt. Ein solches Ergebnis kann der Regelung des § 8 AHG nicht unterstellt werden, zumal die Novellierung dieser Bestimmung durch die WGN 1989 nach der Absicht des historischen Gesetzgebers eine Verbesserung des Rechtsschutzes für den Geschädigten bezweckte.

4. Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Bestimmung des § 8 AHG keinen Einfluss auf die Fälligkeit einer an den belangten Rechtsträger herangetragenen Schadenersatzforderung hat. Die Ansicht Schragels (in AHG³ Rz 244), dass der Anspruch nicht vor Ablauf von drei Monaten fällig wird, ist daher abzulehnen. Wie der Fachsenat bereits in der Entscheidung zu 1 Ob 32/94 zugrunde legte, wird auch ein Amtshaftungsanspruch mit seiner zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig (so auch Mader/Vollmaier in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4 § 8 AHG Rz 2). § 8 AHG privilegiert den belangten Rechtsträger lediglich insoweit als er zur Wahrung seines Kostenersatzanspruchs abweichend von den allgemeinen Grundsätzen des § 45 ZPO (dazu MBydlinski in Fasching/Konecny³ § 45 ZPO Rz 7 f; Obermaier, Kostenhandbuch³ Rz 1.291) innerhalb der Schranken des § 8 Abs 2 AHG reagieren kann (vgl dazu Schragel aaO Rz 244; Mader/Vollmaier aaO§ 8 AHG Rz 9).

[25] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 iVm § 41 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00131.22D.0914.000

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