OGH vom 14.09.2022, 15Os71/22p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Mag. Turner als Schriftführer in der Strafsache gegen * K* wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 32 U 139/20i des Bezirksgerichts Floridsdorf, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom , AZ 132 Bl 19/22f, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:
Spruch
In der Strafsache gegen * K* wegen § 83 Abs 1 StGB, AZ 32 U 139/20i des Bezirksgerichts Floridsdorf, verletzt das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom , AZ 132 Bl 19/22f, § 467 Abs 2 StPO und § 471 StPO iVm § 295 Abs 1 StPO.
Dieses Urteil – nicht aber der unter einem gefasste Beschluss (II./) – wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst erkannt:
Die Berufung der Staatsanwaltschaft wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit Urteil des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 32 U 139/20i-42, wurde * K* des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen á 4 Euro (im Fall der Uneinbringlichkeit 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verurteilt.
[2] Während der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichtete (ON 41 S 4), meldete die Staatsanwaltschaft Wien „Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe“ sowie „Beschwerde“ „gegen das Unterbleiben eines Beschlusses gemäß § 494a Abs 4 und 6 StPO“ an (ON 43).
[3] Den ihr samt Urteil am übermittelten Akt stellte die Anklagebehörde am mit der Erklärung zurück, auf eine Rechtsmittelausführung zu verzichten (ON 42 S 4).
[4] In der am zu AZ 132 Bl 19/22f des Landesgerichts für Strafsachen Wien durchgeführten Berufungsverhandlung beantragte die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft, die „tat- und schuldangemessene Erhöhung der Strafe und einen Beschluss zum Widerruf der bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe“.
[5] Mit Urteil vom selben Tag erhöhte das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht „in Stattgebung“ der Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Strafe die über den Angeklagten verhängte Geldstrafe auf 180 Tagessätze á 4 Euro (im Uneinbringlichkeitsfall 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe; I./).
[6] Zugleich fasste das Berufungsgericht den Beschluss (II./), aus Anlass der Beschwerde der Staatsanwaltschaft festzustellen, dass eine Beschlussfassung nach § 53 StGB, § 494a StPO rechtsirrig unterblieben ist, und sah vom Widerruf der mit Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom , AZ 32 U 39/17i, gewährten bedingten Strafnachsicht ab.
Rechtliche Beurteilung
[7] Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht, AZ 132 Bl 19/22f, steht – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt – mit dem Gesetz nicht im Einklang.
[8] Die Staatsanwaltschaft kann gegen Urteile des Bezirksgerichts sowohl zu Gunsten des Angeklagten als auch zu dessen Nachteil die Berufung ergreifen (§ 465 Abs 1 und Abs 3 StPO).
[9] Gemäß § 467 Abs 2 StPO hat ein Berufungswerber bei der Anmeldung der Berufung oder in der Berufungsschrift (ua) ausdrücklich zu erklären, durch welchen Ausspruch (§ 464 StPO) er sich beschwert findet, widrigenfalls auf die Berufung (oder auf Nichtigkeitsgründe) vom Landesgericht keine Rücksicht zu nehmen ist.
[10] Berufungen, die weder bei ihrer Anmeldung noch bei ihrer Ausführung die Punkte des Erkenntnisses bezeichnen, durch die sich der Rechtsmittelwerber beschwert erachtet, sind gemäß § 470 Z 1 StPO in Beschlussform zurückzuweisen.
[11] Nach § 471 StPO gilt für die Anberaumung und Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung beim Landesgericht (unter anderem) § 295 StPO, dessen Abs 1 zufolge sich das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung auf die der Berufung unterzogenen Punkte zu beschränken hat. Die Beschränkung des Berufungsgerichts auf die der Berufung unterzogenen Punkte bringt (ua auch) zum Ausdruck, dass deren Änderung nur nach Maßgabe einer den Berufungswerber treffenden Beschwer in Betracht kommt; nur insoweit kann dieser einen Ausspruch „der Berufung unterziehen“ (15 Os 18/21t, 19/21i, 20/21m).
[12] Vorliegend ließ die Berufung der Staatsanwaltschaft lediglich erkennen, dass sie sich „gegen den Ausspruch über die Strafe“ richtet (ON 43); sie bot aber weder bei ihrer Anmeldung noch anlässlich einer schriftlichen Ausführung (zumal auf eine solche explizit verzichtet wurde; ON 42 S 4) eine Festlegung über die Richtung der Sanktionsanfechtung (zu Gunsten oder zum Nachteil des Angeklagten) und war damit nicht am Verfahrensrecht (§ 467 Abs 2 StPO) ausgerichtet (15 Os 18/21t, 19/21i, 20/21m; Ratz, WK-StPO § 295 Rz 7; Leitner in Schmölzer/Mühlbacher, StPO2 § 295 Rz 9). Die Berufung der Staatsanwaltschaft wäre daher bereits bei nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen gewesen (§ 470 Z 1 StPO; RIS-Justiz RS0100560).
[13] Das in meritorischer Erledigung der Berufung ergangene Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht verletzt daher zum Nachteil des Angeklagten § 467 Abs 2 StPO und § 471 StPO iVm § 295 Abs 1 StPO.
[14] Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, die Feststellung dieser Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), das Urteil des Landesgerichts – nicht aber den unter einem gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht (II./) – aufzuheben und die Berufung der Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00071.22P.0914.000 |
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