OGH vom 15.11.2022, 11Os99/22a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. BachnerForegger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kornauth als Schriftführer in der Strafsache gegen * M* und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten * M* sowie die Berufung des Angeklagten O* T* gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom , GZ 20 Hv 11/22a67, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, im Schuldspruch des Angeklagten * M* zu A I 4 (wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Drogenausgangsstoffen nach § 32 Abs 2 SMG), demzufolge auch im diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Linz verwiesen.
Mit seiner Sanktionsrüge wird der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte M* auf die Aufhebung verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten T* wird das Landesgericht Linz entsprechende Aktenteile dem Oberlandesgericht Linz vorzulegen haben.
Dem Angeklagten M* fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem – auch einen Freispruch des Beschwerdeführers und einen Schuldspruch des Mitangeklagten enthaltenden – angefochtenen Urteil wurde * M* jeweils eines Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (A I 1) und Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG (A I 2), ferner (richtig) eines Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG (A I 3 a) und mehrerer solcher Vergehen nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG (A I 3 b) sowie eines Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Drogenausgangsstoffen nach § 32 Abs 2 SMG (A I 4) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er, soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde und für die amtswegige Maßnahme von Bedeutung,
(A I) in L*
(1) am O* T* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, indem er ihm mit einem Samurai-Schwert mit einer Klingenlänge von rund 75 cm von hinten einen Hieb in den linken unteren Rückenbereich versetzte, wodurch der Genannte knapp oberhalb des Beckenkamms eine in das subkutane Fettgewebe reichende, rund 15 cm lange klaffende Schnittwunde erlitt, und
(4) bis zum einen Drogenausgangsstoff, nämlich 50 Gramm „1-Phenyl-2-Nitropropen“, mit dem Vorsatz besessen, dass dieser bei der vorschriftswidrigen Erzeugung von Suchtmitteln in einer die Grenzmenge (§§ 28b, 31b SMG) übersteigenden Menge verwendet werde.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit b, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten * M*.
[4] Die Mängelrüge (Z 5) richtet sich gegen die den Schuldspruch zu A I 1 (mit-)tragende Feststellung (US 9), wonach der Beschwerdeführer (dem Mitangeklagten) O* T* mit einem Samurai-Schwert von hinten einen Hieb in den linken unteren Rückenbereich versetzte.
[5] Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider steht die Aussage des beigezogenen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Gerichtsmedizin, wonach man anhand der Wunde die Details der bei der Wundsetzung ausgeführten Bewegung (mit dem Samurai-Schwert) nicht mehr rekonstruieren könne (ON 66 S 30), dieser Feststellung keineswegs erörterungsbedürftig entgegen. Das Beschwerdevorbringen übergeht zudem prozessordnungswidrig (RIS-Justiz RS0116504) die weitere Aussage des Experten, wonach man den diesbezüglichen Angaben des O* T* – der Beschwerdeführer habe ihm von hinten einen Hieb mit dem Schwert versetzt, als er sich über seine Ehegattin gebeugt habe – aus medizinischer Sicht nichts entgegenhalten könne (ON 66 S 30).
[6] Dass – wie der Beschwerdeführer vermeint – ein Beweisergebnis einer Feststellung widerspricht, begründet keinen Widerspruch in der Bedeutung der Z 5 dritter Fall (siehe dazu vielmehr RIS-Justiz RS0119089).
[7] Sinnfällig kein Widerspruch (Z 5 dritter Fall) besteht zwischen den beiden Urteilsaussagen, (1.) zunächst habe O* T* nach einer verbalen Auseinandersetzung „unvermittelt“ mit dem Griff eines Messers auf den Beschwerdeführer eingeschlagen, womit jener „der ursprüngliche Aggressor“ gewesen sei (US 13), und (2.) später habe der Beschwerdeführer – „ohne dass ein Angriff gegen ihn oder J* T* im Gange“ gewesen, „unmittelbar bevor[gestanden]“ oder er „auch nur von einer solchen Situation aus[gegangen]“ wäre – O* T* von hinten einen Hieb mit einem Samurai-Schwert versetzt (US 15).
[8] Jenes Sachverhaltssubstrat, aufgrund dessen sie das Vorliegen einer Notwehr- oder Putativnotwehrsituation zum Tatzeitpunkt (A I 1) verneinten, erschlossen die Tatrichter vor allem aus den Angaben des O* T* im Zusammenhalt mit den Ausführungen des erwähnten Sachverständigen, während sie die diesbezügliche Verantwortung des Angeklagten als unglaubhaft verwarfen (US 14 f).
[9] Die Beschwerdekritik (Z 5 vierter Fall), das Erstgericht habe die betreffende Sachverhaltsgrundlage bloß auf (nicht näher genannte) „vorliegende Beweisergebnisse“ gestützt, versäumt es solcherart, die Gesamtheit der Entscheidungsgründe in den Blick zu nehmen (siehe aber RIS-Justiz RS0119370).
[10] Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich darin, aus den – im Urteil erörterten (US 10 ff) – Einlassungen der Angeklagten und dem Gutachten des Experten anhand eigener Beweiswerterwägungen dem Beschwerdestandpunkt günstigere Schlussfolgerungen einzufordern. Damit bekämpft sie bloß die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.
[11] Gestützt auf Z 9 lit b und (insoweit mit dem Ziel der „Haftung wegen des korrespondierenden Fahrlässigkeitsdelikts“) Z 10 behauptet der Beschwerdeführer einen Feststellungsmangel in Bezug auf Notwehr (§ 3 Abs 1 erster Satz StGB) oder Putativnotwehr (§ 8 StGB); dies unter Hinweis auf seine Verantwortung, das Schwert sei ihm „vor die Füße gefallen“, er hätte bemerkt, dass O* T* es „ans[ehe]“, und sich gedacht, wenn dieser das Schwert nehme, dann wäre „es vorbei“ mit ihm, weshalb er das Schwert „genommen“ und O* T* einen Hieb versetzt hätte (ON 66 S 9).
[12] Indem er sich solcherart über den – zuvor mit Mängelrüge erfolglos bekämpften – Inhalt des Urteils hinwegsetzt, das den (aus Beschwerdesicht indizierten) Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht ausdrücklich verneint (US 14 f), bringt er den herangezogenen (materiell-rechtlichen) Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0099707 [T1, T2, T3], RS0118580 [T14]).
[13] Soweit der Rechtsmittelantrag auf gänzliche Urteilsaufhebung abzielt, den Schuldspruch zu A I 2, 3 und 4 jedoch inhaltlich unbekämpft lässt, ist die Nichtigkeitsbeschwerde mangels deutlicher und bestimmter Bezeichnung angeblich Nichtigkeit bewirkender Umstände unausgeführt geblieben (§§ 285d Abs 1, 285a Z 2 StPO).
[14] Im Umfang des Freispruchs des Beschwerdeführers (US 4) hätte die Nichtigkeitsbeschwerde nur zu dessen Nachteil ergriffen werden können (§ 281 Abs 1 iVm § 282 Abs 2 StPO); zugunsten des Mitangeklagten (in Bezug auf dessen Schuldspruch – US 2 f) wäre er ebenso wenig anfechtungslegitimiert (§ 282 Abs 1 StPO; Ratz, WK-StPO § 282 Rz 27).
[15] Im bisher dargestellten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[16] Aus ihrem Anlass überzeugte sich jedoch der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil im Schuldspruch zu A I 4 nicht geltend gemachte Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO anhaftet, die dem Angeklagten M* zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
[17] Die Bestimmung des § 32 Abs 2 SMG stellt den Erwerb und den Besitz von Drogenausgangsstoffen mit dem Vorsatz, dass diese bei der vorschriftswidrigen Erzeugung von Suchtmitteln in einer die Grenzmenge (§§ 28b, 31b SMG) übersteigenden Menge verwendet werden, unter Strafe. Nach der Legaldefinition des § 4 SMG sind Drogenausgangsstoffe die im Anhang 1 der Verordnung (EG) Nr 273/2004 betreffend Drogenausgangsstoffe, ABl Nr L 47 vom , sowie im Anhang der Verordnung (EG) Nr 111/2005 zur Festlegung von Vorschriften für die Überwachung des Handels mit Drogenausgangsstoffen zwischen der Union und Drittländern, ABl Nr L 22 vom , erfassten Stoffe. Ob die darin nicht angeführte Chemikalie „1-Phenyl-2-Nitropropen“ deckungsgleich mit einem dort explizit genannten Wirkstoff, dessen Stereoisomeren oder Salzen ist, kann dem Urteil nicht entnommen werden. Dies bedürfte aber – selbst für den Fall der Annahme von Gerichtsnotorietät (RIS-Justiz RS0124169 [insbesondere T1]) – einer entsprechenden Tatsachenfeststellung (RIS-Justiz RS0114428 [insbesondere T15]). Die bloß unter Verwendung des Rechtsbegriffs „Drogenausgangsstoff“ getroffenen Urteilsaussagen bleiben damit ohne Sachverhaltsbezug und vermögen solcherart den Schuldspruch nach § 32 Abs 2 SMG nicht zu tragen (RIS-Justiz RS0119090).
[18] Dies führte – erneut im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
[19] Die zusätzliche Aufhebung des Schuldspruchs wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach dem ersten und zweiten Fall (A I 3 a) sowie nach dem achten Fall (A I 3 b) des § 27 Abs 1 Z 1 SMG zwecks Eröffnung der Möglichkeit diesbezüglichen diversionellen Vorgehens (RISJustiz RS0119278) ist nicht geboten. Nach dem Urteilssachverhalt sind nämlich insoweit – auch isoliert betrachtet – die Voraussetzungen des § 35 (iVm § 37) SMG nicht erfüllt (US 22 [zu mangelnder Begehung ausschließlich für den persönlichen Gebrauch, ohne daraus einen Vorteil zu ziehen – § 35 Abs 1 SMG] und US 5 [zu spezialpräventiver Kontraindikation früherer Aburteilungen wegen Suchtmitteldelinquenz – vgl § 35 Abs 2 Z 3 SMG]).
[20] Angesichts der Kassation des (den Beschwerdeführer betreffenden) Strafausspruchs hat die Sanktionsrüge (Z 11) auf sich zu beruhen.
[21] Mit seiner Berufung war der Angeklagte M* auf die Aufhebung zu verweisen.
[22] Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten T* kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[23] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a StPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00099.22A.1115.000 |
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