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OGH vom 21.11.2022, 11Os97/22g

OGH vom 21.11.2022, 11Os97/22g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. BachnerForegger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen * M* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 116/2013 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom , GZ 51 Hv 41/22x67, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGHGeo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom , GZ 37 Hv 3/21d-37, wurde * M* des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (I/), der Vergehen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a Abs 1 StGB (II/a/) und des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2013/116 (II/b/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er zu I/

zwischen und in L* und anderen Orten gegen * K* eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er

a/ der Genannten oftmals wiederholt Tritte und Schläge versetzte und sie an den Haaren zog, wodurch sie Hämatome, Prellungen, eine Rippenverletzung und eine Verstauchung des linken Unterarms erlitt,

b/ am eine großteils gefüllte Wasser-Plastikflasche gegen sie schleuderte sowie sich am auf sie setzte und ihr mehrere Schläge versetzte, wodurch sie jeweils einen (US 5 f: mittels mehrwöchigen Gipsverbands behandelten) Bruch des linken Kleinfingers, mithin eine an sich schwere Verletzung mit einer über 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung erlitt,

c/ ihr mit dem Bügeleisen und ihrem Mobiltelefon gegen die Stirn schlug,

d/ mit dem Stecker des Bügeleisens gegen ihren Oberschenkel schlug,

e/ sie zumindest einmal vor ihrer Nachbarin an den Haaren zurück in die Wohnung zog,

f/ ihr Mobiltelefon regelmäßig nach Nachrichten an Dritte oder von Dritten durchsuchte, ihr Kontaktaufnahmen mit Dritten untersagte, sie wiederholt zur Folgeleistung seiner Anweisungen unter der Androhung, ihr ansonsten „Angst in die Knochen zu jagen“ und sie zu schlagen, veranlasste.

[3] Mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom , GZ 11 Os 76/21t-10 (ON 47 der Hv-Akten), wurde in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft dieses Urteil, das im Übrigen unberührt blieb, im Schuldspruch zu I/b/, in der diesen miteinbeziehenden Subsumtionseinheit nach § 107b Abs 1 StGB und demzufolge im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

[4] Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom , GZ 48 Hv 53/21p-51, wurde der Angeklagte (im zweiten Rechtsgang) wegen der zu I/b/ dargestellten Vorfälle zweier Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt (III/) und hiefür unter Einbeziehung des nach der erwähnten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs rechtskräftigen Schuldspruchs (bei der nach § 107b Abs 1 StGB gebildeten Subsumtionseinheit ohne das Faktum I/b/ des ersten Rechtsgangs) gemäß § 28 StGB nach § 201 Abs 1 StGB in der Fassung BGBl I 116/2013 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

[5] Mit Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom , 11 Os 34/22t-4 (ON 59 in den Hv-Akten), wurde dieses Urteil in teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten im Schuldspruchpunkt III/ und im Strafausspruch aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache dazu an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.

[6] Mit dem nun angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte (im dritten Rechtsgang) wegen der zu I/b/ dargestellten Vorfälle (abermals) zweier Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig erkannt (III/) und hiefür unter Einbeziehung des nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom , 11 Os 76/21t-10, rechtskräftigen Schuldspruchs gemäß § 28 StGB nach § 201 Abs 1 StGB in der Fassung BGBl I 116/2013 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[7] Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 11 StPO.

[8] Unter Berufung auf die Teilbarkeit der Aussage gemäß § 156 Abs 3 zweiter Satz StPO (vgl Kirchbacher/Keglevic, WK-StPO § 156 Rz 19) kritisiert die Verfahrensrüge (Z 3) die Verlesung der Angaben der * K* vor der Kriminalpolizei (ON 2 S 23 ff) und im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung (ON 6) in der Hauptverhandlung am (ON 66 S 20 ff) gegen den Widerspruch des Verteidigers (ON 66 S 16), weil es in der „weiteren Hauptverhandlung lediglich um den Lebenssachverhalt zur absichtlich schweren Körperverletzung ging, nicht aber um den die sexuelle Integrität der Zeugin betreffenden Sachverhalt“.

[9] Sie ignoriert, dass der Angeklagte (auch) die hier (noch) in Rede stehenden Angriffe im Rahmen einer aufrechten Beziehung mit * K* in deren Wohnung setzte (ON 2 S 24 f, ON 6 S 12, ON 66 S 20 und 22), weshalb ein Betretungs und Annäherungsverbot zum Schutz der Genannten vor Gewalt nach § 38a Abs 1 SPG erteilt hätte werden können. Insoweit war gemäß § 66a Abs 1 Z 2 StPO zwingend von einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Opfers (vgl Kier, WKStPO § 66a Rz 5 ff) auszugehen (vgl ON 66 S 19), sodass die schriftliche (RISJustiz RS0111315) Inanspruchnahme der Aussagebefreiung des § 156 Abs 1 Z 2 StPO durch das Opfer mit Eingabe vom (ON 63) berechtigt erfolgte und demzufolge die Voraussetzungen des § 252 Abs 1 Z 2a StPO für die beanstandeten Verlesungen vorlagen.

[10] Dem Vorbingen, das Opfer sei nie zu einem „Lebenssachverhalt in Richtung § 84 Abs 4 StGB“ vernommen worden, genügt zu erwidern, dass (auch) die hier (noch) gegenständlichen Vorfälle am und am und die durch diese jeweils verursachte schwere Körperverletzung in Gestalt eines gebrochenen Kleinfingers Gegenstand des Abschlussberichts der Kriminalpolizei vom (ON 2) und (in extenso) der kontradiktorischen Vernehmung des Opfers am waren (ON 6 S 17 ff, 31 f, 35 ff, ON 66 S 20 ff).

[11] Die Unzulässigkeit der Verlesung der Aussagen auf einen Verstoß gegen § 252 Abs 1 Z 4 StPO zufolge tatsächlich nicht erteilten Einverständnisses stützende Rüge verkennt, dass das Erstgericht nach zunächst gegenteiliger Protokollierung (ON 66 S 20) klarstellte (ON 66 S 28), dass es von einem derartigen Einverständnis ohnehin nicht ausging, die Verlesung vielmehr ausschließlich auf berechtigte Inanspruchnahme einer Aussagebefreiung nach kontradiktorischer Vernehmung (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO) stützte.

[12] Den obigen Ausführungen zur Zulässigkeit der Verlesung der Aussagen des Opfers zufolge geht auch die Kritik (Z 4) an der vom Erstgericht auf die berechtigte Inanspruchnahme einer Aussagebefreiung gestützten Abweisung (ON 66 S 19) des auf (neuerliche) Vernehmung der * K* gerichteten Antrags (ON 66 S 16 ff) ins Leere. Hinweise darauf, dass sich die Genannte trotz Inanspruchnahme ihrer Aussagebefreiung dennoch zu einer neuerlichen Aussage in der Hauptverhandlung bereit finden würde, wurden im Beweisantrag nicht dargetan (vgl jedoch RISJustiz RS0117928).

[13] Soweit die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) eine fehlende Begründung der Feststellungen zur Dauer der durch die zwei in Rede stehenden Angriffe jeweils verursachten Gesundheitsschädigung reklamiert, spricht sie angesichts der weiteren Konstatierungen, wonach beide Angriffe je einen Bruch des linken Kleinfingers (vgl RIS-Justiz RS0092410; aber auch RS0092611) zur Folge hatten (US 5 f – hier also an sich schwere Körperverletzungen), keinen für die Subsumtionsfrage entscheidenden Umstand an. Im Übrigen (dSn Z 5 zweiter Fall) werden in der Hauptverhandlung hervorgekommene Umstände, welche gegen die Angaben des Opfers zur Dauer seiner Gesundheitsschädigung (ON 2 S 24 f, ON 6 S 37 f, ON 66 S 21) sprächen und daher erörterungsbedürftig wären, mit der bloßen Behauptung, dass das Opfer keine Ärztin sondern „medizinische Laiin“ sei, nicht aufgezeigt.

[14] Dem Einwand offenbar unzureichender Begründung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite zuwider ist der Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrunde liegendes Wollen oder Wissen (US 8) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS-Justiz RS0116882, RS0098671).

[15] Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) bedeutet die erschwerende Wertung von Verletzungsfolgen, die über das für die Subsumtion notwendige Ausmaß hinausgehen, keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot nach § 32 Abs 2 erster Satz StGB (RISJustiz RS0132896; Ratz, WKStPO § 281 Rz 711; vgl RS0130193). Da eine schwere Körperverletzung schon bei einer der in § 84 Abs 1 StGB genannten Varianten erfüllt ist, begründet die kritisierte Annahme der „zweifache[n] Qualifikation“, mithin des Vorliegens einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung zusätzlich zur Zufügung einer an sich schweren Verletzung (US 3) keine Nichtigkeit (RISJustiz RS0119312).

[16] Die weitere Sanktionsrüge (Z 11 dritter Fall) übergeht, dass nicht die Korrektheit der Feststellung von Strafzumessungstatsachen, sondern nur deren rechtsfehlerhafte Beurteilung nichtigkeitsrelevant ist und einwandfreie Sachverhaltsermittlung der Strafzumessungs-
tatsachen nur mit Berufung eingefordert werden kann (Ratz, WKStPO § 281 Rz 680 mwN). Zudem wird mit der Behauptung unterlassener oder unzureichender Wertung einzelner Strafzumessungsgründe und der Kritik am Unterbleiben bedingter Strafnachsicht nach § 43a Abs 4 StGB kein Nichtigkeitsgrund geltend gemacht, sondern bloß ein Berufungsvorbringen erstattet (Ratz, WKStPO § 281 Rz 728).

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[18] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00097.22G.1121.000

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