OGH vom 18.10.2022, 10ObS119/22f

OGH vom 18.10.2022, 10ObS119/22f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Claudia Biegler, M.A. (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*, geboren * 1990, *, vertreten durch die Siarlidis Huber-Erlenwein Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Wochengeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 18/22d16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Revisionsgegenständlich ist das Ausmaß des Wochengeldes, wenn die Versicherte zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft als geringfügig beschäftigte Dienstnehmerin gemäß § 19a ASVG selbstversichert war, in den letzten drei vollen Kalendermonaten zuvor jedoch auch Zeiten einer Vollversicherung liegen.

[2] Die Klägerin war im März 2021 geringfügig beschäftigt und gemäß § 19a ASVG selbstversichert. Im April 2021 war sie vollzeitbeschäftigt und vollversichert. Von bis (Eintritt des absoluten Beschäftigungsverbots) war sie neuerlich geringfügig beschäftigt und gemäß § 19a ASVG selbstversichert. Am trat der Versicherungsfall der Mutterschaft ein. Die Klägerin erhielt auch Sonderzahlungen ausgezahlt.

[3] Mit Bescheid vom gewährte die beklagte Österreichische Gesundheitskasse der Klägerin Wochengeld in Höhe von 9,61 EUR täglich und wies das Mehrbegehren ab.

[4] Die Vorinstanzen wiesen das dagegen, auf Zuerkennung eines höheren Wochengeldes gerichtete Klagebegehren ab. Die Sonderbestimmung des § 162 Abs 3a Z 1 ASVG regle die Höhe des Wochengeldes für Selbstversicherte nach § 19a ASVG erkennbar abschließend, was die Heranziehung des Beobachtungszeitraums des § 162 Abs 3 S 1 ASVG ausschließe.

Rechtliche Beurteilung

[5] In der außerordentlichen Revision macht die Klägerin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend.

[6] 1.1. Das Wochengeld soll einen Ersatz für den im Zusammenhang mit der Entbindung stehenden Verlust des Arbeitsverdienstes darstellen (RISJustiz RS0117195). Die Höhe dieses Ersatzes richtet sich grundsätzlich nach dem auf den Kalendertag entfallenden Teil des durchschnittlichen in den letzten 13 Wochen (bei Versicherten, deren Arbeitsverdienst nach Kalendermonaten bemessen oder abgerechnet wird, in den letzten drei Kalendermonaten) vor dem Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes, vermindert um die gesetzlichen Abzüge und unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen nach § 162 Abs 4 ASVG (§ 162 Abs 3 S 1 ASVG). Das Gesetz trifft hierbei für bestimmte Konstellationen Vorsorge, in denen im Beobachtungszeitraum (auch) Zeiten vorliegen, in denen kein Arbeitsverdienst (iSd § 162 Abs 3 S 1 ASVG) bezogen wurde, nämlich Zeiten des Bezugs einer Leistung nach dem KBGG oder nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (§ 162 Abs 3 S 4 ASVG) sowie Zeiten einer Arbeitsunterbrechung nach § 11 Abs 3 ASVG, einer Entgeltschmälerung aufgrund bestimmter Umstände oder des Bezugs von Wiedereingliederungsgeld (§ 162 Abs 3 S 6 lit a bis d ASVG).

[7] 1.2. Abweichend von dieser dem Durchschnittsprinzip folgenden Berechnung durch (rückwärtsgerichtete) Berücksichtigung eines Beobachtungszeitraums gebührt gemäß § 162 Abs 3a ASVG ein Wochengeld in bestimmter Höhe, nämlich geringfügig beschäftigten Selbstversicherten iSd § 19a ASVG ein fixes tägliches Wochengeld (in der der Klägerin bereits zuerkannten Höhe; § 162 Abs 3a Z 1 ASVG) und Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld ein Wochengeld in Höhe des gebührenden, täglichen Kinderbetreuungsgeldes (§ 162 Abs 3a Z 2 ASVG).

[8] 2.1. Nach dem insofern eindeutigen Wortlaut und der klaren Systematik dieser Bestimmungen ist die Höhe des Wochengeldes nur in den Fällen des § 162 Abs 3 ASVG von dem in einem Beobachtungszeitraum bezogenen Durchschnittsverdienst abhängig. Ist die Versicherte demgegenüber im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft (§ 120 Z 3 ASVG) nach § 19a Abs 6 ASVG selbstversichert (§ 162 Abs 3a Z 1 ASVG) oder bezieht sie Kinderbetreuungsgeld (§ 162 Abs 3a Z 2 ASVG), bedarf es der Heranziehung eines Beobachtungszeitraums nicht, weil das Wochengeld in der dort normierten Höhe gebührt, unabhängig davon, welcher Arbeitsverdienst zuvor erzielt wurde.

[9] 2.2. Während das Gesetz den vom Wochengeld abzudeckenden zukünftigen Einkommensausfall in § 162 Abs 3 ASVG somit anhand eines bis zum Eintritt des Beschäftigungsverbots bezogenen Durchschnittsverdienstes berechnet, entschied sich der Gesetzgeber in den in § 162 Abs 3a ASVG geregelten Fällen für eine grundsätzlich andere Berechnung, indem er nur den unmittelbar bei Eintritt des Beschäftigungsverbots erzielten Bezug für maßgebend erklärt. Dies hat ganz offensichtlich den Hintergrund, dass in diesen Fällen keine (ansonsten möglichen) Schwankungen des Entgelts berücksichtigt werden müssen, weil die nach § 19a ASVG Selbstversicherten einen vom konkreten Bezug (und allfälligen Schwankungen) unabhängigen – vergleichsweise niedrigen (Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 77 ASVG Rz 5) – Beitragssatz leisten bzw das Kinderbetreuungsgeld ohnedies regelmäßig in gleichbleibender Höhe gebührt(e).

[10] 3.1. Für die von der Klägerin vertretene Anwendung des § 162 Abs 3 ASVG auch auf den vorliegenden Fall, in dem die Klägerin bei Eintritt des Versicherungsfalls geringfügig beschäftigt und nach § 19a ASVG selbstversichert war, bleibt somit nach Wortlaut und Zweck des § 162 Abs 3a ASVG kein Raum. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber, der im Anwendungsbereich dieser Bestimmung eben nur die zuletzt (bei Eintritt des Versicherungsfalls) vorliegende Situation berücksichtigen wollte, den Fall nicht bedachte, dass zuvor (auch) ein höherer Arbeitsverdienst erzielt wurde.

[11] 3.2. Soweit die Revisionswerberin meint, dass der Zweck des Wochengeldes darin liege, das entfallende Einkommen zur Gänze zu ersetzen, ist dem zu entgegnen, dass der Gesetzgeber durchaus in Kauf nimmt, dass die Versicherte trotz des Wochengeldes einen Verdienstausfall erleiden kann (RS0117195). Den Ausführungen ist auch nicht zu entnehmen, aus welchem Grund die Einkommensersatzfunktion des Wochengeldes allgemein zur Berücksichtigung vergangener Arbeitsverdienste zwingen sollte, auch wenn – wie in den Fällen des § 162 Abs 3a ASVG – eine voraussichtlich zu erwartende Entwicklung (die weitere geringfügige Beschäftigung mit fixen Beiträgen bzw der weitere Bezug des Wochengeldes) zugrunde gelegt werden kann. Mit der Möglichkeit zur Selbstversicherung nach § 19a ASVG räumte der Gesetzgeber geringfügig Beschäftigten eine bloße Option ein, deren Inanspruchnahme mit unterschiedlichen Rechtsfolgen verknüpft ist. Die isolierte Betrachtung einer dieser (planbaren) Rechtsfolgen (der Berechnung des Wochengeldes nach § 162 Abs 3a ASVG) als für die Klägerin nachteilig (im Vergleich zu einer Berechnung nach § 162 Abs 3 ASVG) rechtfertigt eine den klaren Wortlaut korrigierende Auslegung nicht, weil es nicht Sache der Rechtsprechung ist, unbefriedigende Gesetzesbestimmungen zu ändern (RS0008880).

[12] 3.3. Die von der Revisionswerberin erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken werden vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt. Es scheint keineswegs unsachlich, dass der Gesetzgeber zur Berechnung des vom Wochengeld abzudeckenden Einkommensausfalls im Allgemeinen auf vergangene Werte und eine Durchschnittsbetrachtung abstellt, um zum Stichtag bestehende Zufälligkeiten auszublenden oder abzumildern, er hingegen in Fällen, in denen solche Zufälligkeiten unwahrscheinlich sind, die zum Stichtag geltenden Verhältnisse für maßgeblich erklärt. Eine die Anrufung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigende Rechtsfrage liegt nicht vor, wenn der Oberste Gerichtshof die verfassungsrechtlichen Bedenken des Rechtsmittelwerbers nicht teilt (RS0116943).

[13] 4. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision somit zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00119.22F.1018.000

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