Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 29.07.2015, RV/7101966/2014

Anwendung der Übergangsbestimmung des § 28 Abs 38 Z 1 UStG

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch [denSenat] in der Beschwerdesache der [Bf], gegen die Bescheide des Finanzamt Neunkirchen Wr. Neustadt vom betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuer für die Monate Februar 2013 bis April 2013 und Mai 2013 bis September 2013, vom betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuer für den Monat November 2013, vom betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuer für den Monat Dezember 2013, vom betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuer für den Monat Jänner 2014, vom betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuer für den Monat Februar 2014, vom betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuer für den Monat April 2014 und vom betreffend die Festsetzung von Umsatzsteuer für den Monat Mai 2014, in der Sitzung am , nach Durchführung einer mündlichen Senatsverhandlung in 1030 Wien, Hintere Zollamtsstraße 2b, im Beisein der [Schriftführerin], zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.

II. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Die beschwerdeführende Gesellschaft (in Folge: Beschwerdeführerin) betreibt ein Büro- und Geschäftszentrum.

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung betreffend die Umsatzsteuer des Zeitraumes Februar bis Oktober 2013 wurden folgende Feststellungen getroffen:

"Vorsteuern iZm. Gebäudeerrichtung

Im Jahr 2008 wurde von der Stadtgemeinde Neunkirchen der Gesamtbau des [X1] in Neunkirchen, bestehend aus dem Gebäude 'Bauteil I' und dem 'Bauteil II' mit einem einheitlichen Bescheid für die [BfVar1] bewilligt. ln der Folge wurde 2008 mit der Errichtung des 'Bauteil 1' unverzüglich begonnen. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde nach der Errichtung von 'Bauteil I' gestoppt.

Im März 2013 wurde die Errichtung von 'Bauteil II' begonnen. Mit der Bauausführung wurde die Firma [Archtitekt] beauftragt. Das geprüfte Unternehmen geht von der bis zum gültigen Umsatzsteuerrechtslage aus.

Die Finanzverwaltung vertritt jedoch die Rechtsansicht, dass es sich bei der Errichtung des Gebäudes von 'Bauteil II' um die Errichtung eines eigenen Gebäudes handelt, welches eigenständig wirtschaftlich genutzt werden kann und unabhängig vom bisher bestehenden Gebäude von 'Bauteil I' existieren könnte.

Das Finanzamt Neunkirchen Wiener Neustadt stellt fest, dass nicht der Zeitpunkt der Baubewilligung im Jahr 2008, sondern die tatsächliche Setzung von Errichtungshandlungen im März 2013 maßgeblich für die Anwendung des Umsatzsteuergesetzes 1994 ist.

Des weiteren wurde im Zuge der Prüfung ein Gutachten der Firma [Bauunternehmen] vom über die geotechnische Beurteilung im Zuge des Baugrubenaushubs vorgelegt:

Laut der [BfVar2] sei der , an dem die Schürfe durchgeführt wurden, als Baubeginn anzusehen.

Nach Ansicht ([GZ]) des bundesweiten Fachbereichs USt 'sind die vorgenommenen Erdarbeiten dem Bodenbefund und nicht der Bauausführung zuzurechnen, was insbesondere dadurch ersichtlich wird, dass nach den Grabungsarbeiten mehrere Monate keinerlei Bautätigkeit erfolgt ist. Es ist daher von einem Neufall iSd. 1. StabG 2012 auszugehen.'

Daher ist der definitive Beginn der Bauarbeiten als maßgeblicher Zeitpunkt der Gebäudeerrichtung anzusehen, die damit zusammenhängenden Vorsteuern, welche auch gesondert in der Kennzahl 028 ausgewiesen werden, sind iSd. § 6 Abs. 2 UStG idgF. (neue Rechtslage für Gebäudeerrichtungen ab ) zu berichtigen:

Gebäudeflächen, welche an Unternehmer vermietet werden, die nahezu ausschließlich Umsätze ausführen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, vermitteln dem Vermieter das Recht zum Vorsteuerabzug, man spricht hier von steuerpflichtigen Umsätzen zu mind. 95% im Verhältnis zum gesamten steuerbaren Umsatz.

Jedoch werden einige Flächen auch an Unternehmer vermietet werden, welche aufgrund ihrer umsatzsteuerliehen Stellung nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind bzw. keine Unternehmereigenschaft entfalten.

Im Verhältnis zur Gesamtfläche sind dies 20,30 % (Berechnungen siehe BEILAGE 1). Dieser Prozentsatz wird auf die gesamten Vorsteuern, die aus der Gebäudeerrichtung resultieren, angewandt. Die Vorsteuern 'Gebäude' lt. KZ 028 werden um diesen Prozentsatz gekürzt, Berechnungen dazu siehe BEILAGE 2."

Infolgedessen erließ die belangte Behörde die angefochtenen Umsatzsteuer-Festsetzungsbescheide in teilweiser Aberkennung des Vorsteuerabzuges entsprechend den Berechnungen des Prüforgans.

Die Bescheide betreffend Umsatzsteuer für 02-04/2013 und 05-09/2013 wurden mit einem direktem Hinweis auf die abgabenbehördlichen Prüfungsfeststellungen begründet.

Die Bescheide betreffend Umsatzsteuer für 11/2013, 12/2013, 01/2014 und 2/2014 enthalten folgende Begründung:

"Die in der UVA geltend gemachten Vorsteuern wurden analog zu den Prüfungsfeststellungen zu ABNr. 222053/13, Niederschrift vom , Tz. 4 berichtigt.

Die für die Gebäudeerrichtung angefallenen Vorsteuern lt. KZ 028 wurden um 20,30 %. berichtigt [...]"

Der Bescheid betreffend Umsatzsteuer für 04/2014 wurde wie folgt begründet:

"Die Begründung der Vorsteuerkürzung ist in den Umsatzsteuerfestsetzungsbescheiden 1,2, und 3/2014 zu lesen [...]."

Der Bescheid betreffend Umsatzsteuer für 05/2014 enthält schließlich folgende Begründung:

"Analog zu den Korrekturen der Vorsteuern der UVAs 1,2, und 4/2014 wird die auf die Gebäudererichtung entfallende Vorsteuer im Ausmaß von 20,3% berichtigt. [...]"

In den dagegen erhobenen Beschwerden bekämpfte die Beschwerdeführerin die vorgenommenen Vorsteuerkürzungen wie folgt:

"Sachverhaltsdarstellung

Die [BfVar3] hat aufgrund des Baubewilligungsbescheids der Stadtgemeinde Neunkirchen vom mit der Errichtung eines Büro- und Geschäftszentrum, bestehend aus Bauteil 1 und Bauteil 2, im Jahre 2008 begonnen. Bauteil 1 wurde im Mai 2009 fertiggestellt Mit der Errichtung des ebenfalls im Jahre 2008 baugenehmigten Bauteils 2 wurde plangemäß im August 2012 begonnen.

Noch im August 2012 wurde durch die Firma [BauunternehmenVar1] mit dem Baugrubenaushub begonnen und ein Bericht über die geotechnische Beurteilung und das Fundierungskonzept im Zuge des Baugrubenaushub sam erstellt.

Aufgrund des Baubeginns durch Aushub der Baugrube im August 2012 sowie in Anlehnung an die Randziffer 899c der Umsatzsteuerrichtlinien 2000 in der geltenden Fassung wurden von der [BfVar3] die Vorsteuern aus den Errichtungsausgaben in voller Höhe geltend gemacht, da in den verbindlichen Mietanboten die Option zur Steuerpflicht gemäß § 6 Abs. 2 UStG idF vor dem 1. StabG 2012 wahrgenommen wurde.

Im Rahmen einer Außenprüfung gemäß § 147 BAO mit Datum der Schlussbesprechung am wurde vom Finanzamt Neunkirchen Wiener Neustadt abseits unserer Feststellungen die Rechtsansicht vertreten, dass es sich beim Bauteil 2 einerseits um ein eigenständiges Gebäude handelt und weiters, dass keine Errichtungshandlungen vor dem gesetzt wurden.

Dies begründet die Finanzverwaltung wie folgt:

'Des weiteren wurde im Zuge der Prüfung ein Gutachten der Firma [Bauunternehmen] vom über die geotechnische Beurteilung im Zuge des Baugrubenaushubs vorgelegt: Laut der [BfVar2] sei der , an dem die Schürfe durchgeführt wurden, als Baubeginn anzusehen. Nach Ansicht ([GZ]) des bundesweiten Fachbereichs USt 'sind die vorgenommenen Feststellungen Erdarbeiten dem Bodenbefund und nicht der Bauausführung zuzurechnen, was insbesondere dadurch ersichtlich wird, dass nach den Grabungsarbeiten mehrere Monate keinerlei Bautätigkeit erfolgt ist. Es ist daher von einem Neufall iSd. 1. StabG 2012 auszugehen'.'

Die Finanzverwaltung hat den Bauteil 2 nach diesen Feststellungen als 'neuen Rechtsfall' (Gebäudeerrichtung nach dem ) eingestuft und entsprechend den Vorsteuerabzug gemäß § 6 Abs 2 UStG idF nach dem 1. StabG 2012 eingeschränkt.

Begründung

Die Randziffer 899c der Umsatzsteuerrichtlinien 2000 behandelt die Zuordnung der Möglichkeit zur Option zur Steuerpflicht nach § 6 Abs. 2 UStG idF vor oder nach dem 1. StabG 2012. Nach dieser Randziffer besteht die Möglichkeit zur Option zur Steuerpflicht, wenn mit der Errichtung des Gebäudes vor dem begonnen wurde. Weiters wird in dieser Randziffer erläutert, dass eine Errichtung eines Gebäudes in mehreren Bauabschnitten nicht hinderlich für die Anwendung der Altregelung ist, solange für alle Bauabschnitte eine Baubewilligung vor dem vorliegt und mit der Errichtung des ersten Bauabschnittes bereits begonnen wurde.

ln dem vorliegenden Fall wurden beide Bauabschnitte bereits im Jahr 2008 bewilligt und der erste Bauteil wurde bereits 2009 fertiggestellt. ln Anlehnung an die oben erwähnte Randziffer ist unserer Ansicht nach eine Einstufung als einheitliches Bauvorhaben gerechtfertigt. Der zweite Bauabschnitt wurde plangemäß im Jahre 2012 begonnen. Dafür spricht auch, dass die beiden Bauteile auch technisch eng miteinander verwoben sind. Bauteil 2 verfügt beispielsweise weder über einen eigenen Technikraum, noch über eigene Telefon- und Internetanschlüsse und auch die Fernwärme ist über Bauteil 1 angebunden. Beide Gebäudeteile werden gemeinsam verwaltet und betrieben.

Weiters behauptet die Finanzverwaltung wie oben angeführt, dass der Baugrubenaushub nur zur Entnahme und Beurteilung von Bodenproben erfolgte. Es handelt sich hiebei aber entgegen der Meinung der Finanzbehörde nicht um Bodenproben, wie sie bei der Beurteilung der Frage der grundsätzlichen Bodenbeschaffenheit oder eventueller Kontaminationen regelmäßig vor einer Einreichung oder einem Liegenschaftserwerb gezogen werden, sondern um Bodenproben zur konkreten Vorbereitung der unmittelbar anschließenden Arbeiten am Fundament des zum Gesamtbauvorhaben gehörenden Bauteils 2, so dass nach unserer Beurteilung jedenfalls bereits Errichtungshandlungen vor dem stattgefunden haben. Damit ist aus unserer Sicht eine Einstufung in die Altregelung des § 6 Abs. 2 UStG gerechtfertigt, und zwar unabhängig davon, ob der Bauteil 2 nun als eigenständiges Gebäude betrachtet wird.

Wir ersuchen daher um Änderung der berufungsgegenständlichen Bescheide wie folgt:

• Aufhebung der im Betreff genannten Festsetzungsbescheide

• bescheidmäßige Einstufung des Gebäudes in die Altregelung vor dem 1. StabG 2012 und Gewährung des vollen Vorsteuerabzugs unter Zugrundelegung der eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen.

[...]"

Den Beschwerden wurde beigelegt:

  • der verfahrensgegenständliche Baubewilligungsbescheid der Stadtgemeinde Neunkirchen vom

  • die geotechnische Beurteilung im Zuge des Baugrubenaushubs vom samt Fundierungskonzept und Fotodokumentation

  • der Einreichplan vom

In der Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen führte das Prüforgan ua folgendes aus:

"Nach Ansicht des Finanzamtes Neunkirchen Wiener Neustadt sind die Grabungsarbeiten vom August 2012 nicht als Baubeginn anzusehen. Durch die Grabungsarbeiten wurden die Grundlagen für die Fundamentierungs- und Statikberechnungen erarbeitet. Erst nach Vorliegen der genauen Ausmaße und des Planes für die Fundamente kann die Baugrube entsprechend genau ausgehoben werden. Und dieser genaue, den Plänen entsprechende Aushub wurde im März 2013 durchgeführt. Es entspricht auch nicht den Erfahrungen des täglichen Lebens, wenn eine Baugrube mehr als 6 Monate vor dem Baubeginn ausgehoben wird (Ränder brechen ein, Tiefe stimmt nicht mehr, Niveau passt nicht mehr).

Dazu passt, daß es Meldungen in der lokalen Presse gibt, in denen über Vermessungsarbeiten am berichtet wird. Weiters wird über den Baubeginn ab berichtet. Entsprechende Kopien der Presseartikelliegen dieser Stellungnahme bei. Ein Ausschnitt aus der Zeitung [Zeitung1] ist unten eingefügt. Bemerkt wird, daß auf der Farbausgabe auf dem Foto im Hintergrund eine Person bei Vermessungsarbeiten zu sehen ist. Diese Person steht im Schnee (also Februar 2013), eine Baugrube ist weder zu sehen noch erkennbar.

Weiters gibt es noch einen diesbezüglichen Artikel in der Zeitung [Zeitung2]

Nach Ansicht des Finanzamtes Neunkirchen Wiener Neustadt war Baubeginn März 2013 und somit ist die neue Rechtslage gültig. Die anläßlich der Außenprüfung vorgenommene Kürzung der Vorsteuern wurde zu Recht vorgenommen."

Der Stellungnahme des Prüforgangs wurde beigelegt:

  • Ausschnitt aus der Zeitung [Zeitung1]

  • Artikel aus der Zeitung [Zeitung2a]

Nach Aufforderung durch die belangte Behörde äußerte sich die Beschwerdeführerin zur Stellungnahme des Prüforgangs führte ua aus:

"ln der Stellungnahme des Betriebsprüfers wird wie in der vorangegangen Außenprüfung festgehalten, dass die Grabungsarbeiten im August 2012 zur Erhebung der Grundlagen für die Fundamentierungs- und Statikberechnungen noch nicht als Baubeginn angesehen werden, sondern erst der Baubeginn gemäß Pressemeldungen mit März 2013 festzulegen ist.

Die Stellungnahme nimmt jedoch keinerlei Bezug auf unsere Begründung der Beschwerde, dass in vorliegendem Fall ein einheitliches Bauvorhaben vorliegt.

ln der von uns in der Beschwerde angeführten Randziffer 899c der Umsatzsteuerrichtlinien 2000 wird erläutert, dass eine Errichtung eines Gebäudes in mehreren Bauabschnitten nicht hinderlich für die Anwendung der Altregelung ist, solange für alle Bauabschnitte eine Baubewilligung vor dem vorliegt und mit der Errichtung des ersten Bauabschnittes bereits begonnen wurde.

Wie bereits in der Beschwerde erläutert, wurden beide Bauabschnitte bereits im Jahr 2008 bewilligt und der erste Bauteil wurde bereits 2009 fertiggestellt ln Anlehnung an die oben erwähnte Randziffer ist unserer Ansicht nach eine Einstufung als einheitliches Bauvorhaben gerechtfertigt. Dafür spricht auch, dass die beiden Bauteile auch technisch eng miteinander verwoben sind. Bauteil 2 verfügt beispielsweise weder über einen eigenen Technikraum, noch über eigene Telefon- und Internetanschlüsse und auch die Fernwärme ist über Bauteil 1 angebunden. Beide Gebäudeteile werden gemeinsam verwaltet und betrieben.

Da unserer Ansicht nach ein einheitliches Bauvorhaben vorliegt, ist die Festlegung eines tatsächlichen Baubeginns für die weitere Auslegung des Sachverhaltes unerheblich."

Gegen diese Gegenäußerung der Beschwerdeführerin nahm das Prüforgan seinerseits Stellung, verwies zunächst auf die - oben wiedergegebenen - abgabenbehördlichen Prüfungsfeststellungen, worin die Ansicht vertreten wurde, dass es sich beim "Bauteil II" um ein eigenständiges Gebäude handle, welches eigenständig wirtschaftlich genutzt werden könne und unabhängig vom bisher bestehenden Gebäude "Bauteil I " existieren könne und führte darüberhinaus folgendes aus:

"Ergänzend dazu wird festgestellt, daß die Gebäude räumlich getrennt sind (sind nicht zusammengebaut) und im Anlageverzeichnis das besagte Gebäude eigens geführt wird und eine eigene Nutzungsdauer hat (nicht auf Restnutzungsdauer des ersten Gebäudes aktiviert).

Es wird darauf hingewiesen, daß der "Bauteil I' 2009 fertiggestellt wurde (ist auch in der Gegenäußerung angeführt) und der "Bauteil II' 2013 begonnen wurde."

Aufgrund eines Antrages auf Unterlassung einer Beschwerdevorentscheidung legte die belangte Behörde die Beschwerden samt Akten direkt dem Bundesfinanzgericht vor.

Über Antrag der Partei fand am eine mündliche Verhandlung vor dem Senat statt, worüber folgende Niederschrift erstellt wurde:

"Beginn der Amtshandlung: 10:00 Uhr

Die Vorsitzende eröffnet die mündliche Verhandlung (§ 275 Abs 1 BAO).

Der Berichterstatter trägt die Sache vor und berichtet über die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahmen (§ 275 Abs 2 BAO).

Die Vorsitzende erteilt für ergänzende Sachvorbringen der beschwerdeführenden Partei das Wort.

Diese führt aus:

'Es geht im konkreten Fall um die zeitliche Verschiebung von Umsatzsteuerlasten, letztlich ging es um die Finanzierung. Es gibt eine Gesamtfertigstellungsmeldung von der Baubehörde, die sowohl für den Bauteil I sowie auch für den Bauteil II gemeinsam erteilt wurden (am ). Eine diesbezügliche Unterlage wird nicht vorgelegt. Es handelt sich dabei um ein gemeinsames Projekt mit einer gemeinsamen Parkplatznutzung. Die zwei Gebäude stehen zwar räumlich getrennt, sind jedoch organisatorisch und rechtlich und im Erdgeschoss bzw. im Keller baulich als Einheit zu betrachten, d.h., sie stehen auf einem gemeinsamen Baugrund, haben ein gemeinsames Baurecht, ein gemeinsames Parknutzungskonzept und waren als einheitliches Projekt gedacht.'

Frage Vorsitzende:

'Wann wurde der Bauauftrag für den Bauteil II erteilt?'

Antwort Beschwerdeführer (Bf.):

'Im August 2012. Unterlagen werden nicht vorgelegt, sind jedoch vorhanden.'

Die Vorsitzende erteilt für ergänzende Sachvorbringen der belangten Behörde das Wort.

Diese führt aus:

'Ich verweise auf die im bisherigen Verfahren getroffene Feststellung, dass es um ein Gebäude geht, dass der Bauteil II ein eigenes Gebäude ist und die Bauführung zwei Gebäude betroffen hat. Aus diesem Grund sehe ich die Ausführungen im Verwaltungsakt sowie die rechtlichen Ausführungen als richtig. Ich war persönlich auch vor Fertigstellung vor Ort und habe eine bauliche Verbindung der Erdgeschosse der beiden Gebäude (Bauteil I und Bauteil II) nicht erkennen können.'

Die Vorsitzende erteilt der beschwerdeführenden Partei das Schlusswort (§ 275 Abs 2 letzter Satz BAO):

Diese führt aus:

'Ich darf abschließend auf die architektonische Einheit des Gebäudes hinweisen und auch, dass ich den Umsatzsteuerrichtlinien vertraut habe und ersuche um Stattgabe der Beschwerden.'

Der Senat zieht sich zur Beratung und Abstimmung über die Beschwerdesache zurück (die Parteien verlassen den Raum).

Die Niederschrift über die Beratung und Abstimmung erfolgt gemäß § 277 Abs 3 BAO gesondert.

Die Vorsitzende verkündet die Entscheidung über die Beschwerde mit den wesentlichen Entscheidungsgründen:

I. Die Beschwerden werden abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.

II. Eine Revision an den VwGH wird gemäß Art 133 Abs 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Damit wird die mündliche Verhandlung geschlossen (§ 277 Abs 4 BAO).

Ende der Amtshandlung: 11:30 Uhr"

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Das Bundesfinanzgericht stellt auf Basis des oben geschilderten Verwaltungsgeschehens und der aktenkundigen Unterlagen folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:

Die Beschwerdeführerin betreibt ein Büro- und Geschäftszentrum, bestehend aus zwei räumlich voneinander getrennten Gebäuden.

Die Beschwerdeführerin überlässt hierin die Nutzung an Geschäftsräumen aufgrund von Bestandsverträgen.

Im August 2012 fanden Grabungsarbeiten zur geotechnischen Beurteilung der Bodenbeschaffenheit am Standort des zu erichtenden zweiten Bauteils statt.

Die tatsächliche Bauausführung im Sinne von tatsächlichen handwerklichen Baumaßnahmen bezüglich des zweiten Bauteiles begann nach dem . Die Miet- und Pachtverhältnisse betreffend die im zweiten Bauteil befindlichen Geschäftsräume begannen nach dem .

Die Nutzung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin wurde durch deren Leistungsempfänger nicht nahezu ausschließlich für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen.

Der Anteil jener Geschäftsräume, welche solcherart nicht nahezu ausschließlich für Umsätze verwendet wurden, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, im Verhältnis zur Gesamtfläche der Geschäftsräume betrug in den streitgegenständlichen Monaten 20,30 %.

Zu dieser Sachverhaltsfeststellung gelangt das Bundesfinanzgericht aufgrund folgender Beweiswürdigung:

Dass das Büro- und Geschäftszentrum der Beschwerdeführerin aus zwei räumlich voneinander getrennten Gebäuden besteht, ergibt sich nicht nur aus den aktenkundigen Unterlagen (Einreichpläne, Fotos), sondern wurde auch von der Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde nie bestritten. Die Feststellung von zwei räumlich getrennten Gebäuden vermag auch nicht durch die erstmals in der mündlichen Verhandlung erhobene Behauptung einer (auch) im Erdgeschoß vorliegenden baulichen Verbindung in Zweifel gezogen zu werden, zumal eine räumliche Verbindung der beiden Gebäude nicht nur der Aktenlage widerspräche, sondern auch der Aussage des Vertreters der belangten Behörde im Zuge der mündlichen Verhandlung, wonach dieser persönlich einen Augenschein des "Bauteils II" vor dessen Fertigstellung unternahm und keine räumliche Verbindung der beiden Gebäuden im Erdgeschoß feststellen konnte. Gleiches gilt für das in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin erstattete Vorbringen, dass beiden Bauteilen ein gemeinsamer Baubewilligungsbescheid zugrunde liege und auch beide Bauteile mit einer gemeinsamen Fertigstellungsanzeige der Behörde gemeldet worden seien, da beide Umstände für die (steuer-)rechtliche Beurteilung des Vorliegens von einem oder zwei Gebäuden, nicht von Bedeutung sind. Zudem ergibt sich eindeutig aus der Aktenlage, dass die beiden Gebäude nicht auf- bzw aneinander grenzend angebaut bzw ineinander integriert sind, sondern mit einem gewissen - wenn auch nur einige Meter umfassenden - räumlichen Abstand voneinander errichtet wurden (vgl Jakom/Kanduth-Kristen, EStG7, § 8 Rz 11 mwN). Schließlich werden die beiden Gebäude nach den unwidersprochenen Feststellungen der belangten Behörde von der Beschwerdeführerin selbst als zwei gesonderte Wirtschaftsgüter in ihrem Anlageverzeichnis samt zwei gesonderten Nutzungsdauern behandelt.

Soweit die Beschwerdeführerin im Verfahren eine "gemeinsame Verwaltung" bzw "technische Verbindung" der beiden Bauteile ins Treffen führt, ist sie auf die untenstehenden rechtlichen Erwägungen zu verweisen.

Dass der Beginn der tatsächlichen Bauausführung im Sinne von tatsächlichen handwerklichen Baumaßnahmen erst nach dem , konkret im März 2013, erfolgte, ergibt sich für den erkennenden Senat aus den umfangreich in den Akten befindlichen Presseberichten und der sonstigen Dokumentation der belangten Behörde. Daran vermag auch die von der Beschwerdeführerin erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptete (nicht belegte) Erteilung eines Bauauftrages für den Bauteil II vor dem  nichts zu ändern. Die seitens der Beschwerdeführerin im Verfahren angeführten Grabungsarbeiten kamen hingegen schon aufgrund der maßgeblichen gesetzlichen Voraussetzungen nicht als Beginn der Errichtung des Gebäudes in Betracht und ergibt sich deren Zweck - die Beurteilung der Bodenbeschaffenheit - auch aus dem aktenkundigen geotechnischen Gutachten.

Dass die Miet- und Pachtverhältnisse betreffend den "Bauteil II" vor dem begonnen hätten, widerspräche der Aktenlage (vgl das am unterfertigte Mietanbot, in welchem als Mietbeginn "bei Bezugsfähigkeit" angeführt wird) und behauptet auch die Beschwerdeführerin nicht.

Der Flächenanteil der einen Vorsteuerabzug ausschließenden Umsatzerzielung iHv 20,30 % ergibt sich aus der nachvollziehbaren Beilage zum Prüfungsbericht der belangten Behörde und wurde auch seitens der Beschwerdeführerin im Verfahren nicht bestritten.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsstellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen annehmen

Nach Feststellung des obigen Sachverhalts hat das Bundesfinanzgericht über die vorliegende Beschwerde rechtlich erwogen:

Gemäß § 6 Abs 1 Z 16 UStG ist die Vermietung und Verpachtung von Grundstücken, von Berechtigungen, auf welche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke Anwendung finden, und von staatlichen Hoheitsrechten, die sich auf die Nutzungen von Grund und Boden beziehen von der Umsatzsteuer befreit; die Überlassung der Nutzung an Geschäftsräumen und anderen Räumlichkeiten auf Grund von Nutzungsverträgen ist als Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken anzusehen.

Gemäß § 12 Abs 3 Z 2 UStG ist vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen, die Steuer für sonstige Leistungen, soweit der Unternehmer diese sonstigen Leistungen zur Ausführung steuerfreier Umsätze in Anspruch nimmt.

§ 6 Abs 2 erster Satz UStG lautet:

"Der Unternehmer kann eine gemäß § 6 Abs. 1 Z 8 lit. a steuerfreie Kreditgewährung, bei der er dem Leistungsempfänger den Preis für eine Lieferung oder sonstige Leistung kreditiert, sowie einen Umsatz, der nach § 6 Abs. 1 Z 9 lit. a, Z 16 oder Z 17 steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln."

§ 6 Abs 2 letzter Unterabsatz UStG idF 1. StabG 2012 (BGBl I 2012/22) lautet:

"Der Verzicht auf die Steuerbefreiung gemäß § 6 Abs. 1 Z 16 und Z 17 ist nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück oder einen baulich abgeschlossenen, selbständigen Teil des Grundstücks nahezu ausschließlich für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Der Unternehmer hat diese Voraussetzung nachzuweisen."

§ 28 Abs 38 Z 1 UStG lautet:

"§ 6 Abs. 2 letzter Unterabsatz in der Fassung des 1. Stabilitätsgesetzes 2012, BGBl. I Nr. 22/2012, ist hinsichtlich § 6 Abs. 1 Z 16 auf Miet- und Pachtverhältnisse anzuwenden, die nach dem beginnen, sofern mit der Errichtung des Gebäudes durch den Unternehmer nicht bereits vor dem begonnen wurde, sowie hinsichtlich § 6 Abs. 1 Z 17 auf Wohnungseigentum, das nach dem erworben wird. Als Beginn der Errichtung ist der Zeitpunkt zu verstehen, in dem bei vorliegender Baubewilligung mit der Bauausführung tatsächlich begonnen wird, also tatsächliche handwerkliche Baumaßnahmen erfolgen. § 6 Abs. 2 letzter Unterabsatz in der Fassung des 1. Stabilitätsgesetzes 2012 ist nicht anzuwenden, wenn der Leistungsempfänger das Grundstück für Umsätze verwendet, die ihn zum Bezug einer Beihilfe nach § 1, § 2 oder § 3 Abs. 2 des Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetzes, BGBl. Nr. 746/1996, berechtigen."

Soweit sich die Beschwerdeführerin in ihren Ausführungen auf konkrete Randzahlen der Umsatzsteuerrichtlinien beruft, geht dies aufgrund des Legalitätsprinzips schon deshalb ins Leere, da Erlässe oder Richtlinien des Bundesministeriums für Finanzen keine maßgebende Rechtsquelle darstellen (vgl für viele ; und ).

Der ausdrückliche Gesetzeswortlaut von § 28 Abs 38 Z 1 UStG stellt lediglich auf den Zeitpunkt der "Errichtung des Gebäudes" ab und definiert dessen Beginn sodann ebenso unmissverständlich als den Zeitpunkt, "in dem bei vorliegender Baubewilligung mit der Bauausführung tatsächlich begonnen wird, also tatsächliche handwerkliche Baumaßnahmen erfolgen". Grabungsarbeiten zur geotechnischen Beurteilung der Bodenbeschaffenheit stellen solcherart noch keinen Beginn der tatsächlichen Bauausführung im Sinne dieser Bestimmung dar (vgl Mayr/Ungericht, UStG4 , § 6 Anm 80d).

Soweit die Beschwerdeführerin im Verfahren eine "gemeinsame Verwaltung" bzw "technische Verbindung" der beiden räumlich getrennten Bauteile I und II ins Treffen führt, bleibt festzustellen, dass der vorstehend zitierte Gesetzeswortlaut keine diesbezüglichen Tatbestandsmerkmale enthält.

Vor dem Hintergrund der obigen Sachverhaltsfeststellungen kann das Gericht somit keine Rechtswidrigkeit in den vorgenommenen Umsatzsteuerfestsetzungsbescheiden der belangten Behörde erkennen.

Es war daher spruchgemäß zu verkünden.

Zur Zulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da einerseits die Frage des Beginns der tatsächlichen Bauausführung in den Bereichen der Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung zu beantworten war und sich andererseits die rechtlichen Anwendungsvoraussetzungen der gegenständlichen Übergangsbestimmung klar aus dem Gesetz (§ 28 Abs 38 Z 1 UStG) ergeben, lag im vorliegenden Fall keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Verweise
Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2015:RV.7101966.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at