VwGH vom 18.07.2023, Ro 2021/10/0005

VwGH vom 18.07.2023, Ro 2021/10/0005

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des F S in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das am  mündlich verkündete und am schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien, Zl. VGW-242/070/14027/2020/VOR-4, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom wurde dem Revisionswerber zur Deckung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfs - aufgrund seines Antrages vom  - ein Geldbetrag in näher genannter Höhe für den Zeitraum vom bis zuerkannt (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf Zuerkennung einer Mietbeihilfe wurde abgewiesen (Spruchpunkt II.).

2Mit im Wege einer Entscheidung des Rechtspflegers ergangenem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom wurde die dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen.

3Aufgrund einer dagegen vom Revisionswerber erhobenen Vorstellung wurde die Beschwerde mit dem mündlich verkündeten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ausgesprochen, dass gemäß § 25a Abs. 1 VwGG die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

4Mit Schriftsatz vom stellte der Revisionswerber einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung der Entscheidung. Mit Erkenntnis vom wurde das mündlich verkündete Erkenntnis schriftlich ausgefertigt.

5Das Verwaltungsgericht stellte in der Begründung fest, dass der Revisionswerber am einen Antrag auf Zuerkennung von Leistungen der Wiener Mindestsicherung und einen Antrag auf Mietbeihilfe gestellt habe. Er sei „zuvor geringfügig im Tourismus beschäftigt“ gewesen und habe seinen Arbeitsplatz coronabedingt verloren. Der Revisionswerber habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der „damalige Arbeitgeber“ des Revisionswerbers habe den Lohn für den Monat März am auf das Konto des Revisionswerbers überwiesen. Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Mindeststandard für volljährige Personen ab dem vollendeten 25. Lebensjahr, die in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 1 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) lebten, betrage € 917,35. Der Revisionswerber habe grundsätzlich Anspruch auf eine Leistung der Wiener Mindestsicherung in der Höhe von € 917,35. „Auch wenn von Gesetzes wegen nicht explizit geregelt und auch nicht aus den entsprechenden Gesetzes-Erläuterungen ersichtlich“, sei von diesem Betrag der Lohn des Monats März 2020 abzuziehen. Das Gehalt für März 2020 sei am am Konto des Revisionswerbers verbucht worden. Dem Revisionswerber sei der Lohn somit im Nachhinein ausbezahlt worden und sei diesem tatsächlich erst im Monat April als Einkommen im Sinne des § 10 Abs. 1 WMG zur Verfügung gestanden. Er habe das Geld erst im April 2020 tatsächlich für seinen Lebensunterhalt und Wohnbedarf verwenden können. Aus diesem Grund müsse der Lohn dem Folgemonat, also dem April, als Einkommen zugerechnet werden. In weiterer Folge legte das Verwaltungsgericht rechnerisch dar, wie der an sich zustehende Betrag von € 917,35 für den Monat April 2020 um den am ausgezahlten Lohn zu kürzen sei und legte dies auf den Zeitraum der Antragstellung ab um.

6Die Revision gegen dieses Erkenntnis ließ das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob im Sinne des § 10 WMG das Einkommen des Vormonats, welches noch in diesem Zeitraum für sehr kurze Zeit verfügbar sei, auf den Mindeststandard im Folgemonat angerechnet werden könne.

7Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

8Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.

9Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

10Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

11Die Revision bringt zusammengefasst ein Abweichen von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Abgrenzung der Begriffe Einkommen und Vermögen im Sinne des WMG vor und macht dazu geltend, dass gemäß der sich aus dieser Judikatur ergebenden Zuflussbetrachtung der Mittelzufluss des „Märzlohns“ am nicht als Einkommen im April hätte berücksichtigt werden dürfen. Die Revision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.

12Die §§ 10, 12 und 21 WMG lauten auszugsweise:

„Anrechnung von Einkommen und sonstigen Ansprüchen

§ 10. (1) Auf den Mindeststandard ist das Einkommen der Person, für die der jeweilige Mindeststandard gilt, anzurechnen. Bei der Berechnung der Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs von mehreren Personen, die eine Bedarfsgemeinschaft bilden, erfolgt die Bemessung für die Bedarfsgemeinschaft. Dabei ist auf die Summe der heranzuziehenden Mindeststandards die Summe der Einkommen aller anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen, sofern nicht § 7 Abs. 3 anzuwenden ist. Das Einkommen eines Elternteils, einer Ehegattin, eines Ehegatten, einer eingetragenen Partnerin, eines eingetragenen Partners, einer Lebensgefährtin oder eines Lebensgefährten, die nicht anspruchsberechtigt sind, ist jeweils in dem Maß anzurechnen, das 75 vH des Ausgleichszulagenrichtsatzes nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG abzüglich des Beitrages für die Krankenversicherung übersteigt.

...

Anrechnung von Vermögen

§ 12. (1) Auf die Summe der Mindeststandards ist das verwertbare Vermögen von anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen.

(2) Soweit keine Ausnahmeregelung nach Abs. 3 anzuwenden ist, gelten als verwertbar:

1.unbewegliches Vermögen;

2.Ersparnisse und sonstige Vermögenswerte.

(3) Als nicht verwertbar gelten:

1.Gegenstände, die zu einer Erwerbsausübung oder der Befriedigung angemessener kultureller Bedürfnisse der Hilfe suchenden Person dienen;

2.Gegenstände, die als angemessener Hausrat anzusehen sind;

3.Kraftfahrzeuge, die berufsbedingt oder auf Grund besonderer Umstände (insbesondere Behinderung, unzureichende Infrastruktur) erforderlich sind;

4.unbewegliches Vermögen, wenn dieses zur Deckung des angemessenen Wohnbedarfs der Bedarfsgemeinschaft dient;

5.verwertbares Vermögen nach Abs. 2 bis zu einem Freibetrag in Höhe des Fünffachen des Mindeststandards nach § 8 Abs. 2 Z 1 (Vermögensfreibetrag);

6.sonstige Vermögenswerte, solange Leistungen der Wiener Mindestsicherung nicht länger als für eine Dauer von sechs Monaten bezogen wurden. Dabei sind alle ununterbrochenen Bezugszeiträume im Ausmaß von mindestens zwei Monaten innerhalb von zwei Jahren vor der letzten Antragstellung zu berücksichtigen.

Rückforderung und Ersatz

Anzeigepflicht und Rückforderungsanspruch

§ 21.

(1) Hilfe empfangende Personen haben jede Änderung der für die Bemessung der Leistung maßgeblichen Umstände unverzüglich dem Magistrat der Stadt Wien anzuzeigen. Anzuzeigen sind insbesondere folgende Ereignisse oder Änderungen:

1.Familienverhältnisse;

2.Einkommens- und Vermögensverhältnisse, Lohn- und Einkommensteuerrückzahlungen;

3.Staatsangehörigkeit, Aufenthaltsstatus nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (Aufenthaltstitel, unionsrechtliches Aufenthaltsrecht), Asylstatus, subsidiärer Schutz;

4.Schul- und Erwerbsausbildung, Beschäftigungsverhältnis, Schulungsmaßnahme im Auftrag des AMS, Integrationsmaßnahmen im Auftrag des Österreichischen Integrationsfonds;

5.Wohnverhältnisse;

6.Aufenthalte in Kranken- oder Kuranstalten, länger als zwei Wochen dauernde Abwesenheiten vom Wohn- oder Aufenthaltsort sowie die Aufgabe des Wohnortes in Wien oder die Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts in Wien.

(2) Leistungen, die auf Grund einer Verletzung der Anzeigepflicht gemäß Abs. 1 zu Unrecht empfangen wurden, sind mit Bescheid zurückzufordern. Die Behörde ist berechtigt, die Aufrechnung gegen Ansprüche auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung zu verfügen.

(3) Die Rückforderung kann in Teilbeträgen erfolgen oder unterbleiben, wenn die anzeigepflichtige Person glaubhaft macht, dass die Verletzung der Anzeigepflicht auf einem geringfügigen Verschulden beruht, die Rückforderung eine Notlage herbeiführen würde, der Anspruch voraussichtlich uneinbringlich wäre oder der Betrag unbedeutend ist.“

13§ 3 Abs. 6 des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes (SHG) definiert den Bedarfszeitraum als den tatsächlichen und rechtmäßigen Aufenthalt im Inland, „frühestens jedoch ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung.“ Gemäß § 5 Abs. 1 SHG („Monatliche Leistungen der Sozialhilfe“) hat die Landesgesetzgebung Leistungen der Sozialhilfe in Form von Sachleistungen oder monatlicher, zwölf Mal im Jahr gebührender pauschaler Geldleistungen zur Unterstützung des Lebensunterhalts sowie zur Befriedigung eines ausreichenden und zweckmäßigen, das Maß des Notwendigen aber nicht überschreitenden Wohnbedarfs vorzusehen.

14Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Gewährung von Sozialhilfe darauf hingewiesen, dass der Einsatz eigener Mittel (nämlich des Einkommens und des verwertbaren Vermögens) unabhängig davon vorzunehmen ist, von wem und aus welchem Rechtsgrund bzw. Titel der Hilfesuchende dieses Einkommen und/oder Vermögen erhält bzw. erhalten hat. Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Arten eigener Mittel ist, dass es sich beim Einkommen um laufende, aber nicht unbedingt regelmäßige Einnahmen in Geld handelt, beim Vermögen hingegen um (im jeweiligen Zeitraum) bereits vorhandene Werte, mögen sie auch aus dem Überschuss nicht verbrauchten Einkommens entstanden sein (vgl. ; , Ra 2016/10/0055; , Ra 2018/10/0199, mwN). Die Abgrenzung der Begriffe „Einkommen“ und „Vermögen“ ist in Zweifelsfällen anhand einer „Zuflussbetrachtung“ durchzuführen. Danach ist für die Frage, ob Geld und Geldeswert dem Einkommen oder dem Vermögen zuzurechnen sind, der Zeitpunkt des Zuflusses an den Empfänger entscheidend. Erfolgt der Zufluss im Bedarfszeitraum, so handelt es sich um Einkommen. Der nach Ablauf eines Bedarfsabschnitts nicht verbrauchte Teil der Einkünfte wächst dem Vermögen zu (vgl. ; zum WMG vgl. ). So hat der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise im Zusammenhang mit der Auszahlung einer Abfertigung ausgeführt, dass der zugeflossene Abfertigungsbetrag im Bedarfsmonat als Einkommen bei der Gewährung der Mindestsicherung zu berücksichtigen ist (vgl. neuerlich ).

15Vor dem Hintergrund der vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen (vgl. Rn 5) ist nicht erkennbar, weshalb im vorliegenden Zusammenhang keine „Zuflussbetrachtung“ im Sinne der zuvor dargestellten Judikatur stattzufinden hätte. Insbesondere vermag der vom Verwaltungsgericht herangezogene Umstand, dass dem Antragsteller nur ein sehr kurzer Zeitraum zur Konsumation des Märzlohns (im März) zur Verfügung stand, nicht zu einer anderen Betrachtung führen. Somit ist aber auch nicht erkennbar, weshalb der am tatsächlich zugeflossene Lohn für den Monat März 2020 im Bedarfszeitraum (der gemäß § 3 Abs. 6 SHG frühestens mit dem Zeitpunkt der Antragstellung, die am erfolgte, beginnt) zugeflossen bzw. diesem zuzurechnen wäre und somit - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - als im Bedarfszeitraum zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne des WMG zu behandeln gewesen wäre. Da das Verwaltungsgericht mit der rechtlichen Beurteilung, es handle sich beim Lohn für den Monat März um Einkommen im Sinne des WMG, das auf die für April zustehende Mindestsicherung anzurechnen sei, somit die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

16Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RO2021100005.J00

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