VwGH 23.01.2023, Ro 2019/04/0015
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Zwecks Aufrechterhaltung der Parteistellung (§ 42 AVG), bedarf es grundsätzlich der Kundmachung auf jede Weise der in § 356 Abs. 1 Z 2 bis 4 GewO 1994 vorgesehenen besonderen Form (vgl. Jahnel, Internetkundmachung: die neuen Bestimmungen in AVG und GewO, bbl 2013, 190; Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kurzkommentar GewO, § 356 Rz. 4; Gruber/Paliege-Barfuß7 § 356 Anm 2; Wendl in Stolzlechner/Wendl/Bergthaler, Die gewerbliche Betriebsanlage4, Rz 266, 10.1; Pöschl, System der Gewerbeordnung [2016], Rn. 519). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/04/0198 E RS 3 |
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RS 2 | Weder der "Anschlag auf dem Betriebsgrundstück" noch der "Anschlag in den der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Häusern" dient der Verständigung der Nachbarn von weiter entfernten Häusern, zumal gemäß § 356 Abs. 1 letzter Satz GewO 1994 statt durch Anschlag im Sinne der Z 3 und 4 die Bekanntgabe aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit auch durch persönliche Verständigung des engeren Nachbarkreises erfolgen kann (vgl. die Erläuterungen zu § 356 Abs. 1 GewO 1994 in RV 1800 BlgNR 24. GP 20, unter anderem wonach sich die Kundmachung im Wege von Hausanschlägen in den unmittelbar benachbarten Häusern sowie eines Anschlags auf dem Betriebsgrundstück auf den "engeren Nachbarkreis" bezieht; sowie Pöschl, System der Gewerbeordnung [2016], Rn. 518; und Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur GewO³, § 356 Rz 21). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2018/04/0198 E RS 5 |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn in 6850 Dornbirn, Klaudiastraße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , Zl. LVwG-414-14/2018-R1, betreffend Parteistellung im gewerbebehördlichen Genehmigungsverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. J GmbH in H; 2. S GmbH und S G GmbH, beide in D und beide vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schulgasse 22), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1 1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn (Revisionswerberin) vom wurde festgestellt, dass die erstmitbeteiligte Partei in einem (bei der revisionswerbenden Behörde) anhängigen gewerbebehördlichen Genehmigungsverfahren betreffend die Errichtung und den Betrieb einer näher bezeichneten Betriebsanlage der zweitmitbeteiligten Parteien ihre Parteistellung durch Präklusion verloren habe. Die weiteren Anträge wie die Zulassung der erstmitbeteiligten Partei als Partei, die Zustellung der verfahrensrelevanten Schriftstücke, die Möglichkeit der Einräumung von Einwendungen, die Anberaumung einer neuen gewerberechtlichen Verhandlung sowie die Ergänzung des schalltechnischen Gutachtens wies die Revisionswerberin - in Folge der eingetretenen Präklusion - als unzulässig zurück.
2 2.1. Der dagegen erhobenen Beschwerde der erstmitbeteiligten Partei gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (Verwaltungsgericht) insofern Folge, als es feststellte, dass der erstmitbeteiligten Partei in dem bei der Revisionswerberin anhängigen gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren Parteistellung zukomme (Spruchpunkt 1.). Die weiteren Anträge auf Zulassung der erstmitbeteiligten Partei als Partei zum Verfahren, auf Zustellung der verfahrensrelevanten Schriftstücke, auf Einräumung der Möglichkeit von Einwendungen, auf Anberaumung einer neuen gewerberechtlichen Verhandlung sowie auf Ergänzung des schalltechnischen Gutachtens wurden vom Verwaltungsgericht als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt 2.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.
3 2.2. In der Begründung hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass die erstmitbeteiligte Partei Eigentümerin von drei Grundstücken sei, wobei zwei davon an die Grundstücke der (konsenswerbenden) zweitmitbeteiligten Parteien angrenzen würden bzw. von diesen nur durch eine Straße getrennt seien. Die Grundstücke der erstmitbeteiligten Partei lägen somit im Nahebereich der Betriebsanlage. Der erstmitbeteiligten Partei komme daher grundsätzlich in einem gewerblichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren Parteistellung als Nachbarin im Sinn des § 75 Abs. 2 GewO 1994 zu.
4 Nachdem unbestritten sei, dass auf dem Betriebsgrundstück kein Anschlag stattgefunden habe, seien die Voraussetzungen des § 356 Abs. 1 GewO 1994 nicht zur Gänze erfüllt. Von diesem Kundmachungsmangel sei auch die Revisionswerberin betroffen, weshalb eine Präklusion ihr gegenüber nicht eingetreten sei.
Darüber hinaus wäre auch am Rohbau der erstmitbeteiligten Partei ein Häuseranschlag vorzunehmen gewesen. Da zum Zeitpunkt der Kundmachung die Wände der Gebäude sowie die Dächer bereits errichtet gewesen seien, könne nicht mehr von einem unbebauten Nachbargrundstück gesprochen werden. Alternativ zum Häuseranschlag hätte eine persönliche Verständigung der Nachbarn und somit auch der erstmitbeteiligten Partei erfolgen müssen. Sie sei daher auch von diesem Kundmachungsmangel betroffen, weshalb eine Präklusion ihr gegenüber auch aus diesem Grund nicht eingetreten sei.
5 Zu den übrigen Anträgen verwies das Verwaltungsgericht zunächst darauf, dass eine gesonderte Zulassung als Partei des Verfahrens im Gesetz nicht vorgesehen sei. Ein Recht auf Zustellung aller verfahrensrelevanter Schriftstücke komme der Partei von Gesetzes wegen ebenso wenig zu. Ein das Verfahren erledigender Bescheid sei noch nicht erlassen worden. Eine übergangene Partei habe auch kein Recht auf neuerliche Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Schließlich bestehe auch kein Rechtsanspruch auf Ergänzung des schalltechnischen Gutachtens.
6 Die Zulassung der ordentlichen Revision wurde damit begründet, dass sich der Verwaltungsgerichtshof bislang nicht zum Verhältnis der Kundmachung durch Anschlag im Sinn des § 356 Abs. 1 Z 3 und 4 GewO 1994 zur Bekanntgabe durch persönliche Verständigung gemäß § 356 Abs. 1 letzter Satz GewO 1994 geäußert habe. Ebenso fehle Rechtsprechung zur Frage, ob an einem Rohbau ein Häuseranschlag im Sinn des § 356 Abs. 1 Z 4 GewO 1994 vorzunehmen sei.
7 3. Gegen Spruchpunkt 1 dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende ordentliche Amtsrevision.
8 Die (nicht anwaltlich vertretene) erstmitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie (ohne Kostenbegehren) die Abweisung der Revision beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 1.1. Die Revision verweist zur Begründung ihrer Zulässigkeit auf die vom Verwaltungsgericht aufgeworfenen Fragen.
10 Das Verwaltungsgericht habe - so die Revision - zu Unrecht festgestellt, dass der erstmitbeteiligten Partei in dem bei der Revisionswerberin anhängigen gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren Parteistellung zukomme. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könne nach dem eindeutigen Wortlaut des § 356 Abs. 1 GewO 1994 die Bekanntgabe sowohl anstatt eines Anschlages auf dem Betriebsgrundstück als auch anstatt eines Anschlages in den der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Häuser durch persönliche Verständigung erfolgen, wenn dies der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit diene. Weder der Wortlaut noch die Gesetzesmaterialien sprächen für die vom Verwaltungsgericht gewählte enge Auslegung dieser Bestimmung. Das Verwaltungsgericht entferne sich mit der Ansicht, dass der vorgeschriebene Anschlag auf dem Betriebsgrundstück nicht nur der Verständigung des Grundeigentümers diene, sondern auch eine Kundmachungswirkung gegenüber Dritten entfalte und daher im vorliegenden Fall die vorgenommene persönliche Verständigung der Grundeigentümer der Betriebsgrundstücke einen Kundmachungsfehler bewirke, vom Gesetz. Der Gesetzgeber lasse als Alternative zum Anschlag ausdrücklich eine persönliche Verständigung des Grundeigentümers zu. Zudem würden auch persönliche Verständigungen keine Kundmachungswirkung gegenüber Dritten entfalten. Vor diesem Hintergrund könne die Kundmachungswirkung von Anschlägen auf Betriebsgrundstücken gegenüber Dritten für den Eintritt von Präklusionsfolgen nicht relevant sein.
11 Die Kombination von Kundmachung an der Amtstafel der Stadt D mit der Internetbekanntgabe, den erfolgten Anschlägen in den der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Häusern und der persönlichen Verständigung der Eigentümer der Betriebsgrundstücke sei geeignet gewesen, die Beteiligten über das gegenständliche Betriebsanlagengenehmigungsverfahren ausreichend zu informieren. Da von der erstmitbeteiligten Partei weder bis zum Tag vor Beginn der Verhandlung noch während der Verhandlung Einwendungen erhoben worden seien, habe sie ihre auf das Grundeigentum benachbarter Grundstücke zu stützende Parteistellung verloren.
12 1.2. Die Revision erweist sich als zulässig, aus nachstehenden Erwägungen jedoch als nicht berechtigt.
13 2. Gemäß § 41 Abs. 1 AVG hat die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung durch persönliche Verständigung der bekannten Beteiligten zu erfolgen. Wenn noch andere Personen als Beteiligte in Betracht kommen, ist die Verhandlung überdies an der Amtstafel der Gemeinde, durch Verlautbarung in der für amtliche Kundmachungen der Behörde bestimmten Zeitung oder durch Verlautbarung im elektronischen Amtsblatt der Behörde kundzumachen.
14 Nach § 42 Abs. 1 AVG hat die Kundmachung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in einer in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen besonderen Form zur Folge, dass eine Person ihre Stellung als Partei verliert, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung während der Amtsstunden bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erhebt. Wenn die Verwaltungsvorschriften über die Form der Kundmachung nichts bestimmen, so tritt die im ersten Satz bezeichnete Rechtsfolge ein, wenn die mündliche Verhandlung gemäß § 41 Abs. 1 zweiter Satz und in geeigneter Form kundgemacht wurde.
Wurde eine mündliche Verhandlung nicht gemäß § 42 Abs. 1 kundgemacht, so erstreckt sich die darin bezeichnete Rechtsfolge nur auf jene Beteiligten, die rechtzeitig die Verständigung von der Anberaumung der Verhandlung erhalten haben (§ 42 Abs. 2 AVG).
15 § 356 Abs. 1 Gewerbeordnung 1994, BGBl. Nr. 194 in der Fassung BGBl. I Nr. 85/2013, lautet wie folgt:
„§ 356. (1) Wird eine mündliche Verhandlung anberaumt, so hat die Behörde Gegenstand, Zeit und Ort der Verhandlung sowie die Voraussetzungen zur Aufrechterhaltung der Parteistellung (§ 42 AVG) in folgender Weise bekannt zu geben:
1. Kundmachung an der Amtstafel der Gemeinde (§ 41 AVG),
2. Verlautbarung auf der Internetseite der Behörde,
3. Anschlag auf dem Betriebsgrundstück und
4. Anschlag in den der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Häusern.
Die Eigentümer der betroffenen Häuser haben derartige Anschläge in ihren Häusern zu dulden. Statt durch Anschlag im Sinne der Z 3 und 4 kann die Bekanntgabe aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit durch persönliche Verständigung erfolgen.“
16 3. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und herrschender Lehre bedarf es zwecks Aufrechterhaltung der Parteistellung (§ 42 AVG) grundsätzlich der Kundmachung auf jede Weise der in § 356 Abs. 1 Z 2 bis 4 GewO 1994 vorgesehenen besonderen Form (vgl. , mit den entsprechenden Nachweisen aus dem Schrifttum).
17 Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass weder der „Anschlag auf dem Betriebsgrundstück“ noch der „Anschlag in den der Betriebsanlage unmittelbar benachbarten Häusern“ der Verständigung der Nachbarn von weiter entfernten Häusern dient, zumal gemäß § 356 Abs. 1 letzter Satz GewO 1994 statt durch Anschlag im Sinn der Z 3 und 4 die Bekanntgabe aus Gründen der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit auch durch persönliche Verständigung des engeren Nachbarkreises erfolgen kann (vgl. nochmals VwGH Ra 2018/04/0198).
18 Aus den vom Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch herangezogenen Erläuterungen zu § 356 Abs. 1 GewO 1994 ergibt sich weiters, dass sich die Kundmachung im Wege von Hausanschlägen in den unmittelbar benachbarten Häusern sowie eines Anschlags auf dem Betriebsgrundstück auf den engeren Nachbarkreis bezieht (vgl. RV 1800 BlgNR 24. GP 20).
19 Durch diese in den Gesetzesmaterialien erfolgte Klarstellung zur Reichweite der in § 356 Abs. 1 Z 3 und 4 GewO 1994 genannten Anschläge ergibt sich, dass nach der Zielsetzung der genannten Rechtsvorschriften jedenfalls ein Kundmachungsmangel betreffend ein Betriebsgrundstück für den Bereich der unmittelbar benachbarten Häuser im Sinn der genannten Z 4 zum Tragen kommt.
20 Ausgehend davon, ist aber dem Vorbringen der Revision, wonach der vorgeschriebene Anschlag auf dem Betriebsgrundstück keine Kundmachungswirkung gegenüber Dritten entfalte und daher im vorliegenden Fall für den Eintritt von Präklusionsfolgen nicht relevant sei, der Boden entzogen.
21 Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die erstmitbeteiligte Partei als Eigentümerin von - unmittelbar an das Betriebsgrundstück angrenzenden bzw. nur durch eine Straße von diesem getrennten - Grundstücken vom nicht erfolgten Anschlag auf dem Betriebsgrundstück betroffen ist und dass auf Grund dieses Kundmachungsmangels somit keine Präklusion der erstmitbeteiligten Partei eingetreten ist.
22 Nachdem sich diese Begründung bereits als tragend für die hier angefochtene Feststellungsentscheidung des Verwaltungsgerichts erweist, kommt es auf die weitere Frage, ob an einem Rohbau ein Häuseranschlag im Sinn des § 356 Abs. 1 Z 4 GewO 1994 vorzunehmen ist, nicht mehr an.
23 4. Aus den dargelegten Gründen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Schlagworte | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2023:RO2019040015.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAA-78769