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VwGH vom 12.05.2023, Ra 2023/09/0039

VwGH vom 12.05.2023, Ra 2023/09/0039

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, Hofrat Mag. Feiel sowie Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom , KLVwG-989/10/2022, betreffend Übertretung der 4. COVID-19-Maßnahmenverordnung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau; mitbeteiligte Partei: A B in C, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelder Straße 120/2/28), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

11. Mit Straferkenntnis der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vom wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe am um 13:40 Uhr an einem näher genannten Ort an einer Versammlung nach dem Versammlungsgesetz 1953 und somit an einer Zusammenkunft gemäß § 13 Abs. 6 Z 2 der 4. COVID-19-Maßnahmenverordnung (4. COVID-19-MV) teilgenommen und dabei keine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) ohne Ausatemventil oder eine Maske mit mindestens gleichwertig genormten Standard getragen, obwohl in der Zeit vom bis bei Zusammenkünften gemäß § 13 Abs. 6 Z 2 der 4. COVID-19-MV auch im Freien eine Maske zu tragen gewesen sei, sofern daran mehr als zehn Personen aus unterschiedlichen Haushalten teilnehmen. Der Mitbeteiligte habe dadurch § 8 Abs. 8 Z 3 und § 5 Abs. 4 COVID-19-Maßnahmengesetz iVm § 13 Abs. 6 der 4. COVID-19-MV, BGBl. II Nr. 34/2022, zuletzt geändert durch BGBl. II Nr. 71/2022, verletzt, weshalb über ihn gemäß § 8 Abs. 8 Z 3 COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 6/2022, eine Geldstrafe in der Höhe von € 120,-- (für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt und ihm ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben wurde.

22.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Kärnten (Verwaltungsgericht) der vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG ein. Weiters erklärte es die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig.

32.2. In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass am in C eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz hinsichtlich der Corona-Maßnahmen abgehalten worden sei, die am Gendarmerieparkplatz beim Schloss D gestartet habe. Es sei mehrmals durchgesagt worden, dass Maskenpflicht bestehe. Die Versammlungsteilnehmer seien dann zum Tatort gegangen; der Mitbeteiligte habe dort keine FFP2-Maske getragen. Eine Ermahnung, eine Maske zu tragen, sei dort nicht erfolgt. Der Mitbeteiligte sei, weil er dem Meldungsleger bekannt gewesen sei, ohne Kontaktaufnahme angezeigt worden. Ziemlich zeitgleich habe in einer anderen Gemeinde im selben Bezirk eine „Sportlerehrung“ stattgefunden und ergebe sich aus den vorgelegten Bildern, dass von den dort anwesenden, teilweise prominenten, Personen keine Maske getragen worden sei.

42.3. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit (wie auch in die damit untrennbar zusammenhängende Meinungsäußerungsfreiheit) seien nur zulässig, wenn dies zum Schutz eines der in Art. 11 Abs. 2 bzw. Art. 10 Abs. 2 EMRK aufgezählten Rechtsgüter notwendig sei, wobei jedenfalls eine Abwägung der für und wider den Eingriff sprechenden Gründe vorzunehmen sei. Ein an sich verwaltungsbehördlich strafbares Handeln sei im Sinne des § 6 VStG gerechtfertigt, wenn es im Zusammenhang mit einer Versammlung gesetzt werde und zu deren Durchführung erforderlich sei. Es bestehe kein Zweifel daran, dass der Umzug, welcher im Anschluss an die Versammlung am Gendarmerieparkplatz stattgefunden habe, Teil dieser Versammlung gewesen sei, weil der Umzug vom Gendarmerieparkplatz gestartet sei, das gleiche Thema gehabt habe und an keiner Stelle behauptet worden sei, dass die Versammlung am Gendarmerieparkplatz beendet worden sei. Der Versammlungs- und der Meinungsäußerungsfreiheit komme ein sehr hoher Stellenwert zu und könne durch das Verhalten des Mitbeteiligten der Gesundheitsschutz beeinträchtigt worden sein. Der Eingriff erscheine jedoch unter Bedachtnahme darauf, dass bei allen anderen Zusammenkünften im Sinne des § 13 Abs. 6 der 4. COVID-19-MV im Freien keine Maske zu tragen gewesen sei, als geringfügig; dies insbesondere auch unter Bedachtnahme auf die kurze Tatzeit. Es erscheine jedoch nicht erforderlich, dass der Mitbeteiligte „seine Kritik gegen die gegenständliche Bestimmung in der gegenständlichen Weise ausgedrückt“ habe; dies sei einerseits durch die Teilnahme an der Versammlung erfolgt, anderseits hätte es andere Möglichkeiten, wie etwa die Verwendung einer Aufschriftentafel, gegeben. Das allfällige Vorhandensein eines 2G-Status sei nur insofern von Bedeutung, als dies im Sinne des § 2 Abs. 2 leg.cit. als Nachweis über eine geringe epidemiologische Gefahr gelte. Der Mitbeteiligte habe fahrlässig um die Maskenpflicht nicht Bescheid gewusst, zumal von ihm konkret kein Beamter habe genannt werden können, der diese Pflicht verneint habe. Seinem Vorbringen, dass er angenommen habe, dass die Maskenpflicht nicht gelte, sei zu folgen gewesen, weil keine Ermahnung erfolgt sei. Selbst wenn bei anderen Veranstaltungen eine Abstrafung erst nach mehrmaliger Aufforderung, Maske zu tragen, erfolgt sein solle, führe dies nicht dazu, dass eine Abstrafung nicht erfolgen könne, weil niemand einen Anspruch habe, dass sich eine Behörde, die sich in anderen Fällen rechtswidrig verhalten habe, auch ihm gegenüber rechtswidrig verhalte.

5Zur Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens führte das Verwaltungsgericht schließlich aus, dass die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG gegeben seien. Die Bedeutung des Gesundheitsschutzes sei nur gering, weil bei anderen Zusammenkünften im Sinne des § 13 Abs. 6 der 4. COVID-19-MV im Freien keine Maske zu tragen gewesen sei und auch bei anderen Veranstaltungen ähnlichen oder größeren Umfangs dies nicht der Fall gewesen sei. Unter Bedachtnahme auf die kurze Tatzeit sei das strafrechtlich geschützte Rechtsgut nur in geringer Intensität beeinträchtigt worden und sei die Schuld des Mitbeteiligten gering, weil von Fahrlässigkeit auszugehen sei, zumal eine Ermahnung nicht erfolgt sei.

63.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die auf Art. 133 Abs. 8 B-VG iVm § 7a COVID-19-Maßnahmengesetz gestützte außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes begehrt wird.

73.2. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte unter Zuspruch von Kostenersatz die Nichtstattgebung der Revision.

83.3. Die belangte Behörde erstattete ebenfalls eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Ausführungen des Revisionswerbers teilte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

94.1. Die Revision erweist sich mit ihrem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe das Vorliegen der Voraussetzungen für die Einstellung nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG grob fehlerhaft beurteilt, weil es das Gewicht des öffentlichen Interesses des Gesundheitsschutzes verkannt habe, als zulässig und begründet.

104.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Anwendung des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG voraus, dass die dort genannten Umstände kumulativ vorliegen. Um daher eine Einstellung des Verfahrens nach dieser Vorschrift vornehmen zu können, müssen erstens die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts, zweitens die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und drittens das Verschulden des Beschuldigten gering sein (vgl. , mwN).

11Die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes im Sinne des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG ist dabei allgemein für sich zu beurteilen, wobei die Wertigkeit des durch die verletzte Norm geschützten Rechtsgutes ihren Ausdruck auch in der Höhe des gesetzlichen Strafrahmens findet (vgl. ; , Ra 2020/05/0232; jeweils mwN).

124.3. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass die übertretene Norm dem Gesundheitsschutz diene. Die Wertigkeit dieses Rechtsgutes beurteilte es als „nur gering“ und verwies zur Begründung lediglich pauschal darauf, dass nach § 13 Abs. 6 der 4. COVID-19-MV für andere vergleichbare Zusammenkünfte keine Maskenpflicht im Freien bestanden habe.

13Abgesehen davon, dass es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, sich im Rahmen der Beurteilung der Wertigkeit des durch die verletzte Norm geschützten Rechtsgutes auch mit der Höhe des gesetzlichen Strafrahmens, der für entsprechende Zuwiderhandlungen normiert ist, auseinanderzusetzen, hat der Verfassungsgerichtshof bereits wiederholt - zuletzt auch im Zusammenhang mit Bestimmungen der 4. COVID-19-MV - festgehalten, dass der mit einem Verbot bzw. Gebot verfolgte Zweck, die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern bzw. zu bekämpfen und damit die Gesundheit der Menschen zu schützen sowie die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsinfrastruktur aufrechtzuerhalten, ein gewichtiges und legitimes öffentliches Interesse darstellt (vgl. etwa zur 4. COVID-19-MV ; sowie zur 6. COVID-19-SchuMaV ; sowie weiters zum Gebot zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes , V 463/2020 ua). Der Verordnungsgeber verfolgt ein gesundheitspolitisches Ziel von erheblichem Gewicht, wenn er die Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 und damit die Gewährleistung der medizinischen Versorgung zum Anlass für die Erlassung einer Maßnahme nimmt (vgl. zur 4. COVID-19-SchuMaV ua; sowie zur 6. COVID-19-SchuMaV erneut ).

14Vor diesem Hintergrund kann die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes nicht als gering angesehen werden, sodass es bereits deshalb an einer der in § 45 Abs. 1 Z 4 VStG genannten Voraussetzungen für die Einstellung des Strafverfahrens fehlt.

154.4. Schließlich ist ein geringes Verschulden nur dort anzunehmen, wo das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechtsgehalt und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt (vgl. , mwN).

16Das Verwaltungsgericht verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass den Mitbeteiligten infolge der - mangels einer durch ein Polizeiorgan ausgesprochenen Ermahnung - fahrlässigen Begehung des Deliktes nur ein geringes Verschulden treffe. Die Annahme der fahrlässigen Tatbegehung steht jedoch im Widerspruch zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes, wonach die Zusammenkunft am Ausgangspunkt samt dem daran anschließenden Umzug einheitlich als Versammlung zu qualifizieren sei und zu Beginn der Versammlung mehrmals auf die Maskenpflicht hingewiesen worden sei. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes sind daher nicht geeignet, die Annahme des Vorliegens eines geringen Verschuldens im Sinne des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG zu tragen.

174.5. Da das Verwaltungsgericht somit zu Unrecht davon ausging, dass die Voraussetzungen für die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens nach § 45 Abs. 1 Z 4 VStG kumulativ vorgelegen sind, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023090039.L00

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