VwGH vom 14.07.2023, Ra 2023/08/0066
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der Österreichischen Gesundheitskasse in St. Pölten, vertreten durch die Nusterer & Mayer Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W156 2265272-1/2E, betreffend Beitragszuschlag nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei: I S in A),
I. zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit der beim Bundesverwaltungsgericht bekämpfte Bescheid auch hinsichtlich der Vorschreibung eines Beitragszuschlags in Höhe von € 400,-- für die gesonderte Bearbeitung behoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Begründung
1Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) verpflichtete die mitbeteiligte Partei mit Bescheid vom zur Leistung eines Beitragszuschlags gemäß § 113 Abs. 1 und 2 ASVG in Höhe von € 1.000,--, zusammengesetzt aus einem Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung von € 400,-- und einem Teilbetrag für den Prüfeinsatz von € 600,--, und begründete diese Beitragszuschlagsvorschreibung damit, dass im Rahmen einer am erfolgten Betretung des Mitbeteiligten durch Organe der Autobahnpolizeiinspektion K festgestellt worden sei, dass er für einen näher bezeichneten Versicherten die Anmeldung zur Pflichtversicherung als Dienstnehmer gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG nicht vor Arbeitsantritt erstattet habe.
2Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Nach Ergehen einer (die Beschwerde abweisenden) Beschwerdevorentscheidung und Einbringung eines Vorlageantrags durch den Mitbeteiligten hob das Bundesverwaltungsgericht „den angefochtenen Bescheid“ mit dem angefochtenen Erkenntnis auf.
3Zur Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht nach (auszugsweiser) Wiedergabe der §§ 111a und 113 ASVG aus, dass „[i]m vorliegenden Fall ... Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Autobahnpolizeiinspektion) die Kontrolle durchgeführt“ hätten und somit „keine unmittelbare Betretung durch Prüforgane einer Abgabenbehörde“ vorliege. Folglich sei eine Vorschreibung von Beitragszuschlägen gemäß „§ 113 Absatz 1 in Verbindung mit § 113 Absatz 2 ASVG“ nicht zulässig und der angefochtene Bescheid zu beheben. Es stehe der ÖGK allerdings frei, bei Bejahung der Dienstnehmereigenschaft des Betretenen einen neuen Bescheid auf „§ 113 Absatz 1 ASVG“ zu stützen und einen Beitragszuschlag zu verhängen. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG mit der Begründung für nicht zulässig, dass „[d]ie Bestimmungen des § 113 Absatz 2 sowie des § 111a ASVG ... eine klare Regelung“ träfen, weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliege.
4Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der ÖGK, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
5Die Revision ist teilweise zulässig und insoweit auch berechtigt.
6Die ÖGK führt zur Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aus, dass - entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts - keine Regelung vorliege, die „so klar und unstrittig“ sei, dass es keiner Beurteilung und Auslegung der strittigen Rechtsfrage bedürfe (die ÖGK verweist zur Illustration auf divergierende Entscheidungen unterschiedlicher Gerichtsabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage, ob die Betretung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Betretung im Sinne des § 113 Abs. 1 iVm. Abs. 2 ASVG darstelle). Der Wortlaut sei daher „keineswegs so derart unzweifelhaft“, dass eine andere als die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Auslegung geradezu unmöglich erscheine. Darüber hinaus gebe es zur Frage der Auslegung der §§ 113 und 111a ASVG bereits Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (in der Revision wird auf das hg. Erkenntnis vom , Ra 2019/08/0017, verwiesen), von welcher das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis abgewichen sei.
7Bei der Vorschreibung des auf den Prüfeinsatz entfallenden Teilbetrags eines Beitragszuschlags nach § 113 Abs. 2 ASVG einerseits und jener des Teilbetrags für die gesonderte Bearbeitung handelt es sich um trennbare Absprüche (vgl. [= VwSlg. 18197 A/2011]). Im Fall einer solchen Trennbarkeit (des angefochtenen Bescheides bzw.) der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung können die einzelnen Absprüche auch jeweils unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen, so dass auch die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision getrennt zu prüfen ist und eine teilweise Zurückweisung der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof in Betracht kommt (vgl. ; , Ro 2017/04/0020; , Ro 2016/01/0011).
8Die Frage, ob die Voraussetzung des Art. 133 Abs. 4 B-VG, also eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu beurteilen. Wurde die zu lösende Rechtsfrage daher in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - auch nach Einbringung der Revision - bereits geklärt, liegt keine Rechtsfrage (mehr) vor, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme (vgl. , mwN).
9Der Verwaltungsgerichtshof hat die in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden Revision aufgeworfene Rechtsfrage mit dem Erkenntnis vom , Ro 2022/08/0009, geklärt, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG zur näheren Begründung verwiesen werden kann.
10Im Umfang der Anfechtung des Abspruchs über den Teilbetrag des Beitragszuschlages für den Prüfeinsatz ist die vorliegende Revision wegen des Abweichens von dieser mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig.
11Der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis ausgeführt, dass die Frage, ob eine Betretung im Sinn des § 111a ASVG stattgefunden hat, nur dafür relevant ist, ob neben dem Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung auch der Teilbetrag für den Prüfeinsatz vorgeschrieben werden kann; in Ermangelung einer unmittelbaren Betretung muss der Teilbetrag für den Prüfeinsatz entfallen, der Teilbetrag für die gesonderte Bearbeitung ist hingegen (bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen und sofern kein Nachsichtsgrund im Sinn des § 113 Abs. 3 ASVG vorliegt), entgegen der im vorliegend angefochtenen Erkenntnis vertretenen Auffassung, vorzuschreiben.
12Im Umfang der Behebung (auch) der Vorschreibung des auf die gesonderte Bearbeitung entfallenden Teilbetrags (in Höhe von € 400,--) des Beitragszuschlags war das angefochtene Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13Im übrigen Umfang, dh. hinsichtlich der Behebung der Vorschreibung eines Teilbetrags für den Prüfeinsatz, ist das Bundesverwaltungsgericht von dem genannten Erkenntnis vom hingegen nicht abgewichen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis dazu ausgeführt, dass den im Rahmen der Verkehrspolizei tätigen Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes keine Prüfbefugnisse im Rahmen des ASVG oder des PLABG (oder sonst unter der Verantwortung der ÖGK) zukommen und es sich bei einer Betretung durch diese Organe um keine Betretung im Sinn des § 111a ASVG, die zur Vorschreibung eines Beitragszuschlags im Umfang auch des Beitragsteils für den Prüfeinsatz nach § 113 Abs. 2 ASVG ermächtigt, handelt.
14Im Umfang des Abspruchs über den Teilbetrag für den Prüfeinsatz (in Höhe von € 600,--) besteht somit nunmehr eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der das Bundesverwaltungsgericht nicht abgewichen ist, weshalb die Revision insoweit keine Rechtsfrage (mehr) aufwirft, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in diesem Umfang gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023080066.L00 |
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