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VwGH 03.10.2023, Ra 2023/06/0105

VwGH 03.10.2023, Ra 2023/06/0105

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der S O in H, vertreten durch Mag. Klaus P. Pichler, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, Schillerstraße 17, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , LVwG-318-16/2023-R6, betreffend vorübergehende Benützung fremder Grundstücke nach dem Vorarlberger Baugesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Hohenems; mitbeteiligte Partei: T KG, vertreten durch die Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft in 6850 Dornbirn, Lustenauerstraße 64; weitere Partei: Vorarlberger Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der Revisionswerberin auf Kostenersatz wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom wurde der mitbeteiligten Partei bzw. den von dieser beauftragten Personen gemäß § 14 Abs. 2 Vorarlberger Baugesetz (BauG) unter anderem gestattet, näher bezeichnete Liegenschaften, die im Miteigentum der Revisionswerberin stehen, zwecks Errichtung eines näher genannten Bauvorhabens, durch die Überschwenkung mit einem Turmdrehkran für die Dauer von sieben Monaten, die Nutzung und Positionierung eines Fassadengerüstes in einer Fläche von 24 m² an der östlichen Grundstücksgrenze der GST-NR X für die Dauer von zehn Wochen sowie die Erstellung einer Grabenböschung und Entfernung einer Trägerbohlenwand an der östlichen Grundstücksgrenze der GST-NR X in einer Fläche von 10,8 m² für die Dauer von drei Wochen, in Anspruch zu nehmen.

2 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (im Folgenden: Verwaltungsgericht) brachte die Revisionswerberin vor, entlang ihrer gesamten Grundstücksgrenze zur Baubewerberin befinde sich eine zirka ein Meter hohe, massive und fundamentierte Betonmauer, die den Geländeunterschied zwischen den Grundstücken ausgleiche sowie ein eisernes, zirka zwei Meter hohes, verschließbares Gartentor. Auf der Grenzmauer seien geflochtene Holzpalisaden als Zaun montiert. Zur Durchführung des gegenständlichen Eigentumseingriffs müsse die massive Betonmauer und das Gartentor samt Zaun vollständig abgerissen werden.

3 Zudem müssten ein Gewächshaus in der Größe von zirka 3,5 mal 2,4 Meter und eine Gartenholzhütte mit einer kleinen Veranda im Ausmaß von fünf mal vier Meter für die Errichtung der vorgesehenen Baugrube und des Gerüstes abgebrochen werden.

4 Die Liegenschaft der Revisionswerberin diene als Hausgarten. Es müssten im Grenzbereich der Grundstücke eine zirka zwei Meter hohe Hecke mit portugiesischem Lorbeer und ein fünf Meter hoher Holunderbaum sowie ein 15 Jahre alter Quittenbaum gerodet werden.

5 Durch die Errichtung einer Baugrube sei der Revisionswerberin für die Dauer von sieben Monaten der Zugang zu ihrer Liegenschaft und auch die Zufahrt mit Fahrzeugen verwehrt. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten wäre ein Zugehen der Revisionswerberin zu ihrer Wohnung und ihrem Geschäft nur durch einen mehrere 100 Meter langen Umweg möglich.

6 Durch die eingeräumte Befugnis, das Grundstück der Revisionswerberin mit einem Kran zu überschwenken, sei die Nutzung des gesamten Grundstücks für die Dauer von sieben Monaten ausgeschlossen. Der Bescheid enthalte keinerlei Auflagen an den Bauführer, die Überschwenkung nur ohne angehängte Lasten vorzunehmen. Der Aufenthalt unter Kranlasten sei jedoch verboten, unzulässig und gefährlich.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschwerde keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

8 Begründend führte das Verwaltungsgericht - auf Basis der im verwaltungsbehördlichen Verfahren eingeholten und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzten Sachverständigengutachten - aus, das durchgeführte Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass die vorübergehende Benützung des Grundstücks der Revisionswerberin zur Durchführung eines rechtskräftig bewilligten Bauvorhabens der mitbeteiligten Partei notwendig sei. Die beantragte Ausführungsvariante sei zur Umsetzung des Bauvorhabens am geeignetsten. Bezogen auf das Grundstück der Revisionswerberin sei die vorliegende Ausführungsvariante jene mit den geringsten Beeinträchtigungen für die Eigentümerin.

9 Die Aufstellung eines Arbeitsgerüstes sei im westlichen Bereich nur unter der Benützung des Grundstücks der Revisionswerberin möglich. Die für die Umsetzung des bewilligten Bauvorhabens notwendigen Arbeiten könnten auf andere Weise nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Mehrkosten durchgeführt werden. Der Einsatz des Turmdrehkranes sei zeitlich effizient. Der Einsatz eines Mobilkranes hingegen erfordere einen zeitlich und logistisch erhöhten Organisationaufwand und den Einsatz anderer Hebeeinrichtungen, was mit mehr Verkehr, einem höheren Lärmaufkommen, einer längeren Bauzeit und höheren Kosten verbunden sei. Bei der beantragten Variante (Turmdrehkran, Baugrubensicherung und Gerüst) für die Durchführung der Bauarbeiten entstünden Gesamtkosten in der Höhe von zirka € 39.500,--. Bei einer alternativen Variante (Hebeeinrichtungen, alternative Baugrubensicherung und alternatives Gerüst) wäre mit Kosten in der Höhe von zirka € 169.920,-- zu rechnen. Dies entspreche einer Erhöhung von zirka 330 %.

10 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, § 14 Abs. 1 und 2 BauG sehe nicht vor, dass die Baubehörde zu prüfen habe, ob bzw. in welcher Höhe der Eigentümer des in Anspruch genommenen Grundstücks für vermögensrechtliche Nachteile zu entschädigen sei. Bei dem gemäß § 14 Abs. 3 BauG vorgesehenen Entschädigungsverfahren handle es sich um ein Verfahren, das nach Beendigung der Bauarbeiten durchzuführen sei, unabhängig vom Verfahren gemäß § 14 Abs. 1 und 2 BauG. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde (Abbruch Betonmauer samt Gartenzaun und Gartentor, Abbruch eines Gewächshauses und einer Gartenholzhütte mit Veranda, Entfernung von Bepflanzungen etc.) sei daher nicht weiter einzugehen. Es werde lediglich darauf hingewiesen, dass im Baubescheid vom festgehalten worden sei, dass die bestehende Mauer zur westlichen Grundstücksgrenze - die im Übrigen im Eigentum der mitbeteiligten Partei stehe - abgetragen, das bestehende Gelände ausgeglichen und an das Umgebungsniveau angepasst werde.

11 Weiters könne den Ausführungen der Revisionswerberin nicht gefolgt werden, wonach durch die eingeräumte Befugnis, das Grundstück mit einem Baukran zu überschwenken, die Nutzung des Grundstücks (Nutz- und Ziergarten) ausgeschlossen sein solle, weil projektgemäß vorgesehen sei, dass der Baukran lediglich über die Liegenschaft der Revisionswerberin schwenke und keine Lasten über dieses befördern werde. Zudem entspreche es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Baukräne zwar über einen gewissen Zeitraum aufgestellt, jedoch keineswegs durchgehend betrieben werden würden.

12 Ebenso sei in einem Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 BauG nicht zu berücksichtigen, ob bzw. in welchem Ausmaß die Eigentümer fremder Grundstücke durch eine vorübergehende Benützung ihrer Grundstücke sonstigen Beschränkungen ausgesetzt werden würden, wie zB. einem erschwerten Zugang zur eigenen Wohnung.

13 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.

14 Die mitbeteiligte Partei und die belangte Behörde erstatteten Revisionsbeantwortungen, in welchen sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

15 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vor, es liege keine einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 14 BauG im Hinblick auf die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit, des verhältnismäßigen Eingriffs in das Eigentumsrecht und die zumutbaren Duldungsmaßnahmen eines Eigentümers bzw. Miteigentümers einer Liegenschaft vor, insbesondere anhand welcher Kriterien die Prüfung der Interessen des Eigentümers zu berücksichtigen seien und welche Gewichtung der wirtschaftlichen Komponente im Gegensatz zu der Eingriffskomponente zukomme.

16 Die Revision erweist sich angesichts dieses Vorbringens als zulässig.

17 § 14 Vorarlberger Baugesetz, LGBl. Nr. 52/2001 in der Fassung LGBl. Nr. 44/2013, (BauG) lautet:

Vorübergehende Benützung fremder Grundstücke

(1) Das Betreten und die vorübergehende Benützung fremder Grundstücke und Bauwerke ist durch den Eigentümer und den sonst hierüber Verfügungsberechtigten zu dulden, wenn es zur Herstellung der nach diesem Gesetz erforderlichen Pläne sowie zur Durchführung von Bauvorhaben einschließlich der Beförderung von Baumaterialien notwendig ist und wenn diese Arbeiten auf andere Weise nicht oder nur unter unverhältnismäßig hohen Mehrkosten durchgeführt werden könnten.

(2) Der Eigentümer ist von der beabsichtigten Vornahme von Arbeiten gemäß Abs. 1 mindestens zwei Wochen vorher schriftlich zu verständigen. Wird die Inanspruchnahme des Grundstückes oder Bauwerkes verweigert, hat die Behörde auf Antrag über die Notwendigkeit und den Umfang solcher Arbeiten zu entscheiden.

...“

18 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , 91/06/0123, zu § 42 Abs. 1 Tiroler Bauordnung 1989 ausgesprochen, dass Mehrkosten jedenfalls dann als unverhältnismäßig anzusehen seien, wenn (wie damals) mit dem Einschwenken in den Luftraum durch einen Turmkran zwar in den eigentumsrechtlichen Herrschaftsbereich der Nachbarn vorübergehend eingegriffen werde, damit jedoch objektiv kein in die Abwägung der Verhältnismäßigkeit einzubeziehendes, zumindest andeutungsweise erkennbares Interesse der Nachbarn berührt werde.

19 Im Erkenntnis vom , 94/05/0188, hielt der Verwaltungsgerichtshof zu § 16 Abs. 1 Oö. Bauordnung 1976 fest, dass näher bezeichnete Mehrkosten unzumutbar seien, wenn der betroffenen Grundeigentümerin nur „relativ geringfügige Nachteile“ erwachsen.

20 Im Erkenntnis vom , Ra 2017/06/0201, zu § 36 Abs. 2 Tiroler Bauordnung 2011, hob der Verwaltungsgerichtshof unter anderem hervor, dass der dortige Revisionswerber dem Gutachten des Amtssachverständigen, wonach die Bauarbeiten ohne Nutzung des Grundstücks mit erheblichen Mehrkosten verbunden wären und kein erkennbares Interesse der Nachbarn berührt würde, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten sei.

21 Die dargestellte Rechtsprechung lässt erkennen, dass der Verwaltungsgerichthof im Verfahren zur baurechtlichen Bewilligung der vorübergehenden Benützung fremder Grundstücke (nach den dargestellten landesrechtlichen Bestimmungen) eine Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt hat, in welche die Interessen der von der Duldungsverpflichtung betroffenen Grundeigentümer einzubeziehen sind.

22 Diese Rechtsprechung kann auf die inhaltlich insoweit vergleichbare Rechtslage nach dem § 14 Abs. 1 BauG übertragen werden, zumal das Gesetz eine Duldungsverpflichtung des Verfügungsberechtigten auch hier daran knüpft, dass die Benutzung des fremden Grundstücks zur Herstellung der nach diesem Gesetz erforderlichen Pläne sowie zur Durchführung von Bauvorhaben einschließlich der Beförderung von Baumaterialien notwendig ist und diese Arbeiten auf andere Weise nicht oder nur unter unverhältnismäßig hohen Mehrkosten durchgeführt werden könnten. Somit ist auch dem BauG das Erfordernis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu entnehmen.

23 Im Rahmen der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung sind im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung der laut § 14 Abs. 1 BauG geforderten Notwendigkeit der Maßnahme und der Verhältnismäßigkeit der Mehrkosten das Interesse des Eigentümers des betroffenen Grundstücks einerseits und das Interesse an der Benutzung des fremden Grundstücks andererseits - allenfalls unter Einholung eines Sachverständigengutachtens - gegenüberzustellen.

24 Im vorliegenden Fall führte das Verwaltungsgericht aus, auf die im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Nachteile der Revisionswerberin (Abbruch Betonmauer samt Gartenzaun und Gartentor, Abbruch eines Gewächshauses und einer Gartenholzhütte mit Veranda, Entfernung von Bepflanzungen, erschwerten Zugang zur eigenen Wohnung, ect.) sei in einem Verfahren gemäß § 14 Abs. 1 BauG nicht weiter einzugehen und hielt lediglich fest, dass durch die eingeräumte Befugnis, das Grundstück der Revisionswerberin mit einem Baukran zu überschwenken, die Nutzung des Grundstücks (Nutz- und Ziergarten) nicht ausgeschlossen sei, zumal projektgemäß vorgesehen sei, dass der Baukran keine Lasten über die Liegenschaft befördern werde.

25 Das Verwaltungsgericht hat damit in Verkennung der Rechtslage die von der Revisionswerberin vorgebrachten Nachteile nicht berücksichtigt und eine Abwägung der gegenläufigen Interessen unterlassen.

26 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

27 Die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG entfallen.

28 Gemäß § 47 Abs. 5 VwGG ist der einem Revisionswerber zu leistende Aufwandersatz von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verwaltungsverfahren gehandelt hat. Fallbezogen handelt es sich um eine im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu vollziehende Bauangelegenheit. Kostenersatzpflichtiger Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG wäre daher im vorliegenden Fall die Stadt Hohenems. Da daneben keine Kostenersatzpflicht eines anderen Rechtsträgers vorgesehen ist, war der auf die Inanspruchnahme „des Landes“ als Rechtsträger der belangten Behörde gerichtete Antrag des Revisionswerbers abzuweisen (vgl. bis 0134, mwN).

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023060105.L01

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