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VwGH vom 17.05.2023, Ra 2023/01/0014

VwGH vom 17.05.2023, Ra 2023/01/0014

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des A H B, in W, vertreten durch Mag. Veronika Seronova, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schottenring 12, als bestellte Verfahrenshelferin, diese vertreten durch Dr. Astrid Wagner, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W184 2253527-1/5E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerber, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.

2Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt (Spruchpunkt III.).

3Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides erhob der Revisionswerber Beschwerde, welche das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - ohne Durchführung einer vom Revisionswerber in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung - als unbegründet abwies (Spruchpunkt A.). Eine Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig (Spruchpunkt B.).

4Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-VG abgewichen, indem es von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe.

5Das BFA erstattete nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6Die Revision ist in Bezug auf die vorgebrachte Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 21 Abs. 7 BFA-VG zulässig und auch begründet.

7In seinem Erkenntnis vom , Ra 2014/20/0017, 0018, legte der Verwaltungsgerichtshof mit ausführlicher Begründung - auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird - dar, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ folgende Kriterien beachtlich sind:

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.

8Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde - unter anderem durch Ergänzung des Vorbringens samt der Vorlage von Lichtbildern zur Teilnahme an Demonstrationen zum Beweis einer oppositionellen Gesinnung - den durch die Verwaltungsbehörde erhobenen Sachverhalt nicht bloß unsubstantiiert bestritten.

9Das BVwG durfte somit nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen, sondern es hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.

10Die Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und - wie hier gegeben - des Art. 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl. , mwN).

11Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

12Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023010014.L00

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