VwGH vom 04.07.2023, Ra 2022/21/0187
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des S Z, vertreten durch Mag. Hela Ayni-Rahmanzai, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Invalidenstraße 11 Top 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W269 1433183-3/6E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen Afghanistans, wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
2Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Linz vom wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG sowie des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt, wobei die Strafe im Ausmaß von zwölf Monaten bedingt nachgesehen wurde.
3Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Revisionswerber zwischen Juni 2016 und Februar 2017 insgesamt circa 2.215 Gramm Cannabiskraut durch wiederholte Teilverkäufe an einen bestimmten, gesondert verurteilten Abnehmer sowie weitere unbekannte Abnehmer überlassen hatte. Weiters hatte er im Zeitraum 2013 bis Februar 2017 Cannabiskraut erworben und zum Eigenkonsum besessen. Bei der Strafbemessung wurde als strafmildernd gewertet, dass der Revisionswerber teilweise geständig und unbescholten gewesen war, erschwerend wurde das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen berücksichtigt.
4Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom wurde dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten zunächst aberkannt. Einer dagegen erhobenen Beschwerde gab das BVwG jedoch mit Erkenntnis vom statt und behob den angefochtenen Bescheid (ersatzlos) unter anderem mit der Begründung, dass die begangenen Straftaten nicht als besonders schweres Verbrechen im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 einzustufen seien. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.
5Am hatte der Revisionswerber die Ausstellung eines Konventionsreisepasses beantragt. Diesen Antrag wies das BFA mit Bescheid vom gemäß § 94 Abs. 1 FPG ab. Dabei stützte es sich auf die dargestellte strafgerichtliche Verurteilung des Revisionswerbers sowie auf zwei weitere, aktuellere Einträge im kriminalpolizeilichen Aktenindex.
6Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass der Spruch zu lauten habe: „Ihr Antrag auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses wird gemäß §§ 94 Abs. 5 iVm 92 Abs. 1 Z 3 Fremdenpolizeigesetz (FPG) abgewiesen“. Gleichzeitig sprach es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7Zur Begründung verwies das BVwG zunächst darauf, dass die - über die strafgerichtliche Verurteilung hinausgehenden, vom BFA herangezogenen - zwei weiteren Eintragungen im kriminalpolizeilichen Aktenindex zwar ebenfalls Delikte nach dem Suchtmittelgesetz betroffen hätten, es sei aber im ersten Fall zu einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gekommen und im zweiten Fall hätten sich aus dem polizeilichen Abschlussbericht keine Hinweise auf strafbare Handlungen des Revisionswerbers ergeben. Allerdings rechtfertige bereits das dargestellte, der strafgerichtlichen Verurteilung des Revisionswerbers zugrunde liegende Fehlverhalten wegen der erfahrungsgemäß überaus hohen Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelikten die Annahme iSd § 92 Abs. 1 Z 3 FPG, der Revisionswerber wolle den Konventionsreisepass dazu benutzen, um gegen Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes zu verstoßen. Das seit seiner Verurteilung gezeigte Wohlverhalten von „mehr als drei Jahren“ dauere - trotz der nunmehr seit längerem durchgehenden Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers - vor dem Hintergrund des langen Tatzeitraums und des Handels mit einer großen Menge an Suchtgift nicht lange genug an, um die von ihm ausgehende Gefahr der Begehung weiterer Suchtgiftdelikte als weggefallen oder entscheidend gemindert anzusehen. Es sei notorisch, dass der inländische Drogenmarkt und -handel in den meisten Fällen mit Suchtgiftimporten aus dem Ausland „verknüpft“ sei, sodass ein Reisedokument einen Handel mit Suchtgift jedenfalls erleichtere und es nicht darauf ankomme, dass der Revisionswerber bei der Begehung der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten kein Reisedokument verwendet habe.
8Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil in der Beschwerde kein Vorbringen erstattet worden sei, das eine Verhandlung erfordert hätte, sondern lediglich die Prognoseentscheidung bekämpft worden sei. Diese Prognose könne jedoch „im Lichte der noch zu kurzen Zeitdauer seit der der Verurteilung zugrunde liegenden Tat sowie des weiteren Vorbringens“ des Revisionswerbers auch ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung einer rechtlichen Prüfung unterzogen werden.
9Über die dagegen erhobene außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
10Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt, weil das BVwG - wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
11Dem Revisionswerber kommt infolge der Erkenntnisse des BVwG vom sowie vom der Status eines Asylberechtigten zu, sodass ihm gemäß § 94 Abs. 1 FPG grundsätzlich auf Antrag ein Konventionsreisepass auszustellen ist. Allerdings gelten gemäß § 94 Abs. 5 FPG der § 88 Abs. 4 FPG sowie die §§ 89 bis 93 FPG (insbesondere die Versagungsgründe nach § 92 FPG), die sich auf Fremdenpässe beziehen, auch für Konventionsreisepässe. Die genannten innerstaatlichen Bestimmungen sind vor dem Hintergrund der entsprechenden unionsrechtlichen Regelung, nämlich Art. 25 Abs. 1 der Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU), auszulegen (siehe dazu etwa , Rn. 11, mwN). Danach ist einem anerkannten Flüchtling ein Reisepapier auszustellen, es sei denn, es stünden zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegen (vgl. idS auch Art. 28 Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention).
12Das BVwG hat die Versagung des Konventionsreisepasses auf § 94 Abs. 5 iVm § 92 Abs. 1 Z 3 FPG gestützt. Nach diesen Bestimmungen ist ein Konventionsreisepass zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Fremde das Dokument benützen will, um gegen Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes zu verstoßen, womit auch im Sinn der Statusrichtlinie zwingende Gründe der öffentlichen Ordnung für die Versagung des Passes vorlägen (so ausdrücklich schon ). Im Rahmen der dafür erforderlichen Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände diese Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist, wobei nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist (vgl. erneut , nunmehr Rn. 14, mwN).
13Demzufolge hätte es bei der Erstellung der Gefährdungsprognose in Bezug auf den Revisionswerber zunächst einer eingehenderen Auseinandersetzung mit den seit der Begehung der angeführten strafbaren Handlungen geänderten Lebensumständen, insbesondere der - nach den Annahmen des BVwG - seit September 2018 vorliegenden Erwerbstätigkeit, bedurft. Darüber hinaus hätte das BVwG für eine tragfähige Prognose zum Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung im Hinblick auf das seit Begehung der Straftaten - für die nur eine mittlerweile endgültig nachgesehene (teil-)bedingte Strafe verhängt wurde und die vom BVwG im Erkenntnis vom auch nicht als „besonders schweres Verbrechen“ iSd § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 erachtet wurden - bis zur Entscheidung des BVwG schon etwa fünfeinhalbjährige strafrechtliche Wohlverhalten eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, um die geänderten Lebensumstände des Revisionswerbers durch seine beantragte Einvernahme abzuklären und um sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber zu verschaffen.
14Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022210187.L00 |
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