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VwGH vom 28.06.2023, Ra 2022/10/0169

VwGH vom 28.06.2023, Ra 2022/10/0169

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Prendinger, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , Zl. LVwG-AV-817/001-2022, betreffend Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in einer naturschutzrechtlichen Angelegenheit (mitbeteiligte Partei: O GmbH in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg - der nunmehrigen Amtsrevisionswerberin - vom wurde das Ansuchen der mitbeteiligten Partei vom auf naturschutzbehördliche Genehmigung der Errichtung einer Sende- und Richtfunkanlage (bestehend aus einem 36 Meter hohen Gittermast samt Antennen) auf einem näher genannten Grundstück gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 NÖ Naturschutzgesetz 2000 (NÖ NSchG 2000) abgewiesen.

2Begründend ging die Amtsrevisionswerberin nach Wiedergabe einer Stellungnahme des mit dem Ansuchen befassten Amtssachverständigen für Naturschutz vom und der Bestimmung des § 7 Abs. 2 NÖ NSchG 2000 davon aus, dass auf Basis dieses Gutachtens das Ansuchen um naturschutzrechtliche Bewilligung spruchgemäß abzuweisen gewesen sei.

3Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom wurde über Beschwerde der mitbeteiligten Partei der Bescheid vom gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Amtsrevisionswerberin zurückverwiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es sei evident, dass das von der belangten Behörde eingeholte Gutachten den Anforderungen, die der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung (Verweis auf ) an derartige Gutachten gestellt habe, nicht einmal ansatzweise genüge, da sich „die wesentliche Feststellung des Sachverständigen auf die Betonung der guten Sichtbarkeit der geplanten Mobilfunkanlage“ beschränke. Damit werde jedoch nicht dargelegt, dass das Landschaftsbild bzw. der Erholungswert der Landschaft erheblich beeinträchtigt werde. Auch auf die Frage der möglichen Vorkehrungen iSd § 7 Abs. 2 iVm Abs. 4 NÖ NSchG 2000 werde nicht eingegangen.

5Der maßgebliche Sachverhalt iSd § 37 AVG sei daher „nicht einmal ansatzweise ermittelt“ worden. Dazu komme, dass die Begutachtung durch „einen Förster, also einen forsttechnischen Sachverständigen, einen ungeeigneten Ermittlungsschritt“ darstelle, um die spezielle Fachkunde erfordernde Beurteilung von Fragen des Landschaftsschutzes in landschaftsbildlicher Hinsicht zu bewerkstelligen, insbesondere die maßgeblichen Erscheinungen der Landschaft und der Beeinträchtigung durch das Vorhaben umfassend zu beschreiben sowie die Grundlagen für deren allfällige Erheblichkeit herauszuarbeiten. Dies vermöge das vorliegende Gutachten mit einer knappen, so auch einem Laien möglichen Schilderung der unmittelbaren Umgebung, der (bloßen) Betonung der Sichtbarkeit und der (nicht nachvollziehbar begründeten) Einschätzung einer „nachhaltigen“ (statt der seit der Naturschutzgesetz-Novelle 2015 maßgeblichen „erheblichen“) Beeinträchtigung von Landschaftsbild und Erholungswert der Landschaft in keiner Weise zu leisten.

6Aufgrund der unzulänglichen Sachverhaltsfeststellungen der Amtsrevisionswerberin habe das Verwaltungsgericht zu prüfen, ob es die erforderlichen Ermittlungen selbst durchzuführen habe oder ob eine Aufhebung und Zurückverweisung zur Verfahrensergänzung zu erfolgen habe. Es gebe „schon im Hinblick auf die Nähe der Behörde zur Sache und ihre Vorkenntnisse aus dem vorangegangen Verfahren“ keinen Grund zur Annahme, dass die notwendige Ermittlung des Sachverhaltes durch die Verwaltungsbehörde mit höheren Kosten oder mit einer längeren Verfahrensdauer verbunden wäre, als wenn das Gericht diese selbst durchführte. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG für eine obligatorische Sachentscheidung durch das Gericht seien daher nicht erfüllt.

7Der Verwaltungsgerichtshof habe zwar in seiner Rechtsprechung (Verweis auf , VwSlg. 18.886 A) zum Ausdruck gebracht, dass im System des § 28 VwGVG die meritorische Entscheidung durch das Verwaltungsgericht Vorrang haben müsse und die Kassation iSd § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nur die Ausnahme darstellen solle. Ein derartiger Ausnahmefall liege (mit Blick auf eine bestenfalls ansatzweise Sachverhaltsermittlung) hier aber vor, da der entscheidungswesentliche Sachverhalt (vor allem die großräumige und umfassende Beschreibung der verschiedenartigen Erscheinungen der Landschaft, die nachvollziehbare Begründung der Störung und deren Erheblichkeit sowie allenfalls mögliche Vorkehrungen zur Erreichung der Bewilligungsfähigkeit) praktisch zur Gänze noch zu ermitteln sei.

8Das Verwaltungsgericht übersehe nicht, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht schon jede Ergänzungsbedürftigkeit oder das Fehlen eines weiteren Gutachtens zu einem Vorgehen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG berechtige (Verweis auf ). Es komme vielmehr auf eine Gesamtbetrachtung an, wonach zu beurteilen sei, ob die festgestellte Ermittlungslücke so gravierend sei, dass mit der Aufhebung und Zurückverweisung vorgegangen werden könne. Dies sei hier der Fall, da andernfalls das Verwaltungsgericht praktisch das gesamte erforderliche Ermittlungsverfahren nachholen müsse. Es ergebe sich sohin, dass der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an die Amtsrevisionswerberin zurückzuverweisen gewesen sei.

9Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht.

10Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.

11Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

12Die Amtsrevisionswerberin macht in der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden außerordentlichen Revision mit umfangreichen Darlegungen ein Abweichen des Verwaltungsgerichtes von der hg. Rechtsprechung zur Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltend (Verweis auf , VwSlg. 18.886 A; , Ra 2017/05/0043; , Ra 2018/06/0166; , Ra 2021/03/0142).

13Die Revision erweist sich als zulässig und begründet:

14Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheids streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl.  bis 0007; , Ra 2017/10/0116; , Ra 2016/10/0146).

15Zudem liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, wenn (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen sind, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl.  bis 0219; , Ra 2022/06/0227; , Ra 2021/10/0145). Auch eine erforderliche Ergänzung eines Gutachtens bzw. Befragung von Sachverständigen oder überhaupt die Notwendigkeit der Einholung eines (weiteren) Gutachtens rechtfertigen im Allgemeinen nicht die Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (vgl.  bis 0219; , Ra 2022/04/0031; , Ra 2021/03/0286).

16Im vorliegenden Fall ist dem Verwaltungsgericht dahin zu folgen, dass das von der Behörde eingeholte naturschutzfachliche Gutachten sich als ergänzungsbedürftig dargestellt hat. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt nämlich - wie vom Verwaltungsgericht ausgeführt - in ständiger Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Verletzung von Interessen des Landschaftsschutzes in landschaftsbildlicher Hinsicht die Auffassung, dass erst eine auf hinreichenden Ermittlungsergebnissen - insbesondere auf sachverständiger Basis - beruhende, großräumige und umfassende Beschreibung der verschiedenartigen Erscheinungen der Landschaft es erlaubt, aus der Vielzahl jene Elemente herauszufinden, die der Landschaft ihr Gepräge geben und daher vor einer Beeinträchtigung bewahrt werden müssen. Für die Lösung der Frage, ob das solcherart ermittelte Bild der Landschaft durch das beantragte Vorhaben nachteilig beeinflusst wird, ist dann entscheidend, wie sich dieses Vorhaben in das vorgefundene Bild einfügt. Die Feststellung, ein Vorhaben beeinträchtige das Landschaftsbild, bedarf einer so ausführlichen Beschreibung des Bildes der Landschaft, dass die Schlussfolgerung der Störung dieses Bildes durch das Vorhaben nachvollziehbar gezogen werden kann. Handelt es sich um einen zusätzlichen Eingriff, dann ist entscheidend, ob sich diese weitere Anlage oder Einrichtung in das vor ihrer Errichtung gegebene und durch bereits vorhandene menschliche Eingriffe mitbestimmte Wirkungsgefüge der bestehenden Geofaktoren einfügt oder eine Verstärkung der Eingriffswirkung hervorruft (vgl. , mit Verweis auf ; , 99/10/0222).

17Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes lag diese Ergänzung des eingeholten Sachverständigengutachtens bzw. die Befragung des Sachverständigen durch das Verwaltungsgericht aber im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht lediglich auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Ausgehend davon kommt es daher nicht darauf an, ob die Ergänzung des von der Verwaltungsbehörde geführten Verfahrens für sich genommen jeweils vor dem Verwaltungsgericht bzw. vor der Verwaltungsbehörde mit höheren Kosten oder einer längeren Verfahrensdauer verbunden wäre. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. ; , Ra 2021/06/0209 bis 0216; , Ra 2018/03/0005). Der Verweis auf die „Vorkenntnisse der Behörde aus dem vorangegangenen Verfahren“ und die „Nähe der Behörde zur Sache“ vermögen daran nichts zu ändern (vgl. etwa ).

18Soweit das Verwaltungsgericht im Weiteren die Ansicht vertritt, dass die „Begutachtung durch einen Förster, also einen forsttechnischen Sachverständigen, einen ungeeigneten Ermittlungsschritt“ darstelle, wird nicht aufgezeigt, dass dem von der Behörde beigezogenen Amtssachverständigen - der nach dem bescheinigten Vorbringen der Revisionswerberin mit Beschluss der NÖ Landesregierung vom zum Amtssachverständigen in Angelegenheiten des Naturschutzes bestellt wurde - für die Erstellung eines naturschutzfachlichen Gutachtens die erforderliche Sachkenntnis gefehlt habe; mit dem bloßen Verweis auf dessen berufliche Tätigkeit bzw. dessen Berufsausbildung wird Derartiges jedenfalls nicht dargelegt. Im Übrigen besteht für das Verwaltungsgericht die Möglichkeit, auch andere geeignete Beweismittel - wie etwa ein Gutachten eines anderen geeigneten Sachverständigen - einzuholen und der Feststellung des Sachverhalts zugrunde zu legen (vgl. , mit Verweis auf ; , Ra 2021/03/0005).

19Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022100169.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete

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Fundstelle(n):
JAAAA-78705