VwGH vom 28.11.2022, Ra 2022/09/0089

VwGH vom 28.11.2022, Ra 2022/09/0089

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Mag. Dr. A B in C, vertreten durch Mag. Dr. Hanno Zanier, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 27/DG, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts als Disziplinargericht für die Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichts vom , DS/001/2020, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , DS/001/2020, betreffend Ausdehnung der Disziplinaruntersuchung gemäß § 128 Abs. 1 Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz,

I. zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird im Umfang seines Spruchpunktes I.G (G.1 bis G.7) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1Mit Beschluss vom leitete das Bundesfinanzgericht als Disziplinargericht für die Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichts gegen den Revisionswerber, einen Richter des Bundesverwaltungsgerichts, wegen des Verdachts der Verletzung der allgemeinen richterlichen Pflichten nach § 57 Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG) aufgrund näher konkretisierter Verhaltensweisen die Disziplinaruntersuchung ein.

2Im Einzelnen wurden ihm (soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Bedeutung) zusammengefasst unter anderem - jeweils näher dargelegt - Verfahrensverzögerungen vorgeworfen, und zwar (A.1.) in sieben Fällen Fristsetzungsanträge verspätet oder nicht vorgelegt zu haben; (A.2.) acht Verfahren, in welchen ein Fristsetzungsantrag gestellt worden war, nicht vordringlich erledigt zu haben; (A.3.) fünf nach Aufhebung der Entscheidung durch einen Gerichtshof des öffentlichen Rechts fortzusetzende Verfahren nicht unverzüglich bearbeitet zu haben; (A.4.) in acht Verfahren Zeiträume von mehr als einem Jahr zwischen Tagsatzungen mündlicher Verhandlungen verursacht zu haben; (A.5.) in zwölf Verfahren lange Zeiträume zwischen der Zuteilung des Aktes und dem Bearbeitungsbeginn oder seit dem letzten Bearbeitungsschritt verursacht zu haben; (A.7.) auf Anfragen und Anträge in fünf Verfahren nicht reagiert zu haben. Ferner wurde ihm auch eine mangelnde Dienstaufsicht über einen mittlerweile disziplinär verfolgten Referenten vorgeworfen (E.).

3Eine dagegen erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ro 2021/09/0008, auf den für Näheres zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, zurück.

4Mit Schreiben vom beantragte die Disziplinaranwältin die Ausdehnung der Disziplinaruntersuchung gemäß § 128 Abs. 1 RStDG in Hinblick auf näher konkretisierte Verhaltensweisen des Revisionswerbers.

5Mit Spruchpunkt I. des nunmehr angefochtenen Beschlusses vom dehnte das Disziplinargericht die Disziplinaruntersuchung gegen den Revisionswerber auf weitere näher dargestellte Vorwürfe aus, nämlich eine weitere verspätete Vorlage oder Nichtvorlage eines Fristsetzungsantrags (A.1); in weiteren drei Fällen die nicht vordringliche Erledigung von Verfahren, in denen ein Fristsetzungsantrag gestellt worden sei (A.2); die nicht unverzügliche Bearbeitung von Verfahren nach Aufhebung der Entscheidung durch einen Gerichtshof öffentlichen Rechts in weiteren fünf Fällen (A.3); in drei weiteren Fällen lange Zeiträume zwischen Tagsatzungen der mündlichen Verhandlung bei bereits lange anhängigen Verfahren verursacht zu haben (A.4); einen langen Zeitraum zwischen der Zuteilung des Aktes und dem Bearbeitungsbeginn oder seit dem letzten Bearbeitungsschritt in acht weiteren Fällen verursacht zu haben (A.5); in drei weiteren Fällen auf Anfragen und Anträge nicht reagiert zu haben (A.7) sowie (E.) die mangelnde Fachaufsicht über einen mittlerweile disziplinär verfolgten Referenten in einem konkreten Fall und (H.) den Abschluss von unterdurchschnittlich wenigen Verfahren im Zeitraum vom bis (Geschäftsverteilungsjahr 2021).

6Unter „G. Ungebührliches Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen“ dehnte das Disziplinargericht die Voruntersuchung ferner um folgende Vorwürfe aus (Schreibweise im Original, ohne die darin enthaltenen Hervorhebungen; Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„G.1 Im Anschluss an das unter Punkt F bzw. Lfd. Nr. 64 des Einleitungsbeschlusses vom erfasste Gespräch des Disziplinarbeschuldigten am  mit dem Leiter der Außenstelle D soll der Disziplinarbeschuldigte, ohne dass er nach seinem Klopfen hereingebeten worden sei, in das Büro des telefonierenden Außenstellenleiters gegangen sein und diesem mitgeteilt haben „Die Standesvertretung wird sich bei Dir melden“ (Seite 72 Ausdehnungsantrag). Lfd. Nr. 90.

G.2 Der Disziplinarbeschuldigte soll in der durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter erhobenen Revision vom gegen die Entscheidung des Personalsenats des BVwG vom zur Tätigkeit der Berichterstatterin des Personalsenats unter anderem ausgeführt haben (...):

‚... [...] Dass diese auffällige Differenz zwischen den Gerichtsabteilungen E und F möglicherweise nicht der ‚stringenteren‘ Anwendung des Verfahrensrechtes durch Frau Dr. G geschuldet ist, zeigt die Tatsache, dass der Verwaltungsgerichtshof aufgrund einer Amtsrevision diese aufhebenden Beschlüsse von Frau Dr. G bereits viermal wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufhob ...

(Seite 74 Ausdehnungsantrag). Lfd. Nr. 91.

G.3 Der Disziplinarbeschuldigte soll in der durch seinen rechtfreundlichen Vertreter erhobenen Revision vom gegen die Entscheidung des Personalsenats des BVwG vom zur Tätigkeit der Berichterstatterin des Personalsenats unter anderem ausgeführt haben (...):

[...] ... Bezeichnend ist daher der Vorwurf der Berichterin Dr. G, den sie gegen den Revisionswerber erhob, ‚in der überwiegenden Zahl‘ der - 17 - ‚Altverfahren‘ seien ‚keine Verfahrensschritte getätigt‘ worden, finden sich doch unter diesen 158 aufhebenden Beschlüssen etliche, die Frau Dr. G erst noch bis zu über drei Jahren nach Beschwerdeerhebung fasste. ...

(Seite 75 Ausdehnungsantrag). Lfd. Nr. 92.

G.4 Der Disziplinarbeschuldigte soll in der durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter erhobenen Revision vom gegen die Entscheidung des Personalsenats des BVwG vom zur Tätigkeit der Berichterstatterin des Personalsenats sowie zur Tätigkeit des Präsidenten des BVwG und weiterer zur Ausübung der Dienstaufsicht berufener Vorgesetzter unter anderem ausgeführt haben (...):

[...] ... Von einigen sehr aufschlussreichen Entscheidungen ist aber das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 42a VWGG vom , H, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht, besonders von Interesse, weil darin zutage tritt, dass Frau Dr. G auch die vom Verwaltungsgerichtshof gesetzten Fristen ‚nicht eingehalten‘ hat, was sie selbst dem Revisionswerber in ihrem Bericht unter dem Titel ‚schleppende Erledigung von Fristsetzungsanträgen‘ vorhält. Bemerkenswert ist auch ihre Rechtsansicht, die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis wiedergegeben wurde, nämlich dass es sich ‚vorliegend nicht um ein Asylverfahren‘ handle, sodass § 24 Asylgesetz 2005 - ihrer explizit geäußerten Meinung nach - ‚analog zur Anwendung‘ gelange. Dr. G vertrat zudem die Rechtsansicht, dass eine (bloß vorläufige) Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 24 Asylgesetz die durch verfahrensleitenden Beschluss erfolgt, das Verfahren endgültig beenden und damit die Entscheidungspflicht des Bundesverwaltungsgerichtes beseitigen würde. Der Verwaltungsgerichtshof hielt dem entgegen, dass es sich nicht um ein Asylverfahren handle und dass der Antragstellen kein Asylwerber wäre, sodass eine analoge Anwendung des § 24 Asylgesetz 2005, die von Dr. G übrigens auch nicht weiter begründet wurde, in Ermangelung einer planwidrigen Lücke nicht erfolgen könne. Die Auffassung von Frau Dr. G, dass ein verfahrensleitender Beschluss das Verfahren endgültig beenden und damit die Entscheidungspflicht des Bundesverwaltungsgerichtes beseitigen würde, teilte der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls nicht.

Abgesehen von der inhaltlichen und vor allem methodischen Kritik, die man in diesem Zusammenhang äußern kann, ist vor allem von Interesse, dass mit diesem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes hervorgekommen ist, dass die Berichterin Dr. G auch Verfahren, die keine Asylverfahren sind, gemäß § 24 Asylgesetz 2005 einstellt. Dies ist insoweit bedeutsam, als eine, wenn auch nur vorläufige Einstellung intern in der Leistungserfassung als eine Erledigung gezählt wird, so als wäre das Verfahren mit einer Enderledigung endgültig abgeschlossen worden.

Dazu ist zu bemerken, dass der Revisionswerber bislang erst einmal ein Asylverfahren gemäß § 24 Asylgesetz 2005 eingestellt hat und dass dieses Judikaturbeispiel auch zeigt, dass es im Bundesverwaltungsgericht keine permanente Dienstaufsicht im herkömmlichen Sinne gibt.

Andernfalls hätte doch die offenkundig unrichtige, auf § 24 Asylgesetz 2005 gestützte Einstellung von Verfahren, die keine Asylverfahren sind, intern bemerkt werden müssen, was auch berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der internen, statistischen Leistungserfassung aufkommen lässt.

(Seite 75 Ausdehnungsantrag). Lfd. Nr. 93.

G.5 Der Disziplinarbeschuldigte soll in der durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter erhobenen Revision vom gegen die Entscheidung des Personalsenats des BVwG vom zur Tätigkeit der Leiterin einer anderen Gerichtsabteilung unter anderem ausgeführt haben (...):

Während der Revisionswerber selbst bislang ein einziges Mal mit dem Erkenntnis vom , I, einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 Asylgesetz 2005 (wegen des Bestehens eines schätzenswerten Privat- und Familienlebens) erteilt hat, weist das Rechtsinformationssystem bei der Gerichtsabteilung von Frau Mag. J 97 Aufenthaltstitel gemäß § 55 Asylgesetz 2005 aus.

Während für die Gerichtsabteilung des Revisionswerbers E sechs aufhebende Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes existieren, wies das Rechtsinformationssystem bezogen auf die Gerichtsabteilung K elf aufhebende Erkenntnisse aus.

(Seite 77 Ausdehnungsantrag). Lfd. Nr. 94.

G.6 Der Disziplinarbeschuldigte soll in der durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter erhobenen Beschwerde vom gegen den Feststellungsbescheid des Präsidenten des BVwG vom betreffend die Untersagung einer Nebenbeschäftigung zu den Tätigkeiten der Leiterin der Gerichtabteilung F und der Leiterin der Gerichtsabteilung K unter andrem ausgeführt haben (...):

Eine der beiden Gerichtabteilungen wies nämlich 15.700 % Prozent (!) mehr Aufhebungen und Zurückweisungen als die Gerichtsabteilung des Beschwerdeführers auf. Die andere Gerichtsabteilung zeigte hinsichtlich der Gewährung von Aufenthaltstiteln nach § 55 Asylgesetz 2005 im direkten Vergleich eine andere Besonderheit, wie die Leiterin dieser Gerichtsabteilung um 9.500 % (!) mehr solcher Aufenthaltstitel erteilte, als dies der Beschwerdeführer tat. Dieser ‚Quervergleich‘ legt nahe, dass es nicht an seinem mangenden ‚Eifer‘, sondern an ganz anderen Umständen liegen könnte, warum der Beschwerdeführer diese ‚Altverfahren‘ Ende 2020 noch nicht abgeschlossen hatte (vgl. Revision gegen die Entscheidung des Personalsenates betreffend die Festsetzung der Gesamtbeurteilung vom , Seiten 40 ff, Anlage 4).

(Seite 79 Ausdehnungsantrag). Lfd. Nr. 95.

G.7 Der Disziplinarbeschuldigte soll den Präsidenten des BVwG mit E-Mail vom Sonntag, , 20:10 Uhr, um Entbindung von der Amtsverschwiegenheit gemäß § 58 Abs. 2 RStDG für eine Einvernahme als Zeuge vor dem Bundesamt für Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung am Dienstag, , ohne die entsprechende Ladung beizuschließen, ersucht haben, sodass dem Präsidenten nur ein Arbeitstag für diese Entscheidung geblieben und dieser von sich aus weitere Ermittlungen über den Gegenstand der Aussage zu pflegen gehabt hätte, was dem Gebot des § 57a RStDG, zu einem achtungsvollen Umgang mit Vorgesetzten und zum Beitrag zum guten Funktionieren der dienstlichen Zusammenarbeit, wiederspreche (Seite 80 Ausdehnungsantrag). Lfd. Nr. 96.“

7Hinsichtlich neun weiterer, näher konkretisierter Vorwürfe lehnte das Disziplinargericht mit Spruchpunkt II. die Ausdehnung der Disziplinaruntersuchung ab.

8Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG für nicht zulässig.

9Rechtlich führte das Disziplinargericht zu Spruchpunkt I. seines Beschlusses begründend im Wesentlichen aus, dass die sich aus dem Ausdehnungsantrag ergebenden, im Spruch dargestellten Sachverhalte objektiv geeignet seien, den Verdacht einer Verletzung der allgemeinen richterlichen Pflichten nach § 57 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 RStDG, § 57a RStDG und § 60 RStDG zu begründen. Allein nach der Aktenlage lasse sich ohne weitere Ermittlungen nicht beurteilen, ob das Vorbringen im Antrag auf Ausdehnung der Disziplinaruntersuchung oder das Vorbringen in der Stellungnahme des Disziplinarbeschuldigten zutreffend sei.

10Unter Hinweis auf das zu Ausfertigungsrückständen und Verfahrensverzögerungen ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2020/09/0014, führte das Disziplinargericht aus, dass im Disziplinarverfahren zu klären sein werde, ob durch die beschriebenen Vorgänge tatsächlich eine Verletzung der Dienstpflichten vorgelegen sei. Bei den dem Ausdehnungsantrag entnommenen, unter Punkt I. genannten Vorwürfen der Verletzung richterlicher Pflichten nach den Bestimmungen der §§ 57, 57a und 60 RStDG sei der diesen Vorwürfen zugrundeliegende Sachverhalt noch nicht ausreichend geklärt. Daher könne im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht gesagt werden, dass das Vorliegen eines Dienstvergehens jedenfalls ausgeschlossen werden könne.

11Es sei daher die Disziplinaruntersuchung gemäß § 128 Abs. 1 RStDG mittels Beschlusses auf die unter Punkt I. angeführten Vorwürfe auszudehnen gewesen. In der ausgedehnten Disziplinaruntersuchung seien sodann die vorgeworfenen Pflichtverletzungen zu prüfen und der Sachverhalt so weit klarzustellen, als es notwendig sei, um das Disziplinarverfahren hinsichtlich dieser weiteren Vorwürfe entweder einstellen oder die Sache zur mündlichen Verhandlung verweisen zu können (§ 123 Abs. 3 RStDG).

12Die Zulässigkeit der Revision verneinte das Disziplinargericht mit der zur Frage, ob im Zeitpunkt der Einleitung eines Disziplinarverfahrens schon völlige Klarheit darüber bestehen müsse, ob ein Richter eine Dienstpflichtverletzung begangen habe oder dies in dem der Ausdehnung des Verfahrens folgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären sei, sowie zur Frage, ob das dem Beschuldigten zur Last gelegte Verhalten bereits in diesem Stadium abschließend rechtlich gewürdigt werden müsse, bereits bestehenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf ).

13Gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Ausdehnungsbeschlusses richtet sich die außerordentliche Revision des Disziplinarbeschuldigten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts ist die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

15Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist der Verwaltungsgerichtshof an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts nach § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

16Weist die angefochtene Entscheidung eines Verwaltungsgerichts mehrere trennbare Spruchpunkte auf, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision getrennt zu prüfen. Eine Trennbarkeit von Absprüchen ist dann gegeben, wenn jeder Teil für sich allein ohne einen inneren Zusammenhang mit anderen Teilen einem gesonderten Abspruch zugänglich ist (vgl. , mwN, zu einem Disziplinarerkenntnis nach dem Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979).

17Da zwischen den einzelnen Spruchpunkten des Ausdehnungsbeschlusses kein innerer Zusammenhang besteht und jeder für sich ohne die anderen bestehen könnte, handelt es sich um voneinander trennbare Absprüche im Sinn der dargelegten Rechtsprechung, sodass die Zulässigkeit der Revision hinsichtlich der einzelnen ausgedehnten Fakten gesondert zu prüfen war.

18Die maßgeblichen Bestimmungen des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes (RStDG), BGBl. Nr. 305/1961, in der Fassung BGBl. I Nr. 224/2021, lauten (auszugsweise):

„Allgemeine Pflichten

§ 57. (1) Richter und Staatsanwälte sind der Republik Österreich zur Treue verpflichtet und haben die in der Republik Österreich geltende Rechtsordnung unverbrüchlich zu beachten. Sie haben sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, sich fortzubilden, die Pflichten ihres Amtes gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen und die ihnen übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen.

(2) Befinden sich Richter nicht in Ausübung ihres richterlichen Amtes oder sind Richter und Staatsanwälte nicht sonst in Besorgung der übertragenen Amtsgeschäfte weisungsfrei gestellt, haben sie den dienstlichen Anordnungen ihrer Vorgesetzten Folge zu leisten und dabei die ihnen anvertrauten Interessen des Dienstes nach bestem Wissen und Können wahrzunehmen.

(3) Richter und Staatsanwälte haben sich im und außer Dienst so zu verhalten, dass das Vertrauen in die Rechtspflege sowie das Ansehen ihrer Berufsstände nicht gefährdet wird.

...

Achtungsvoller Umgang (Mobbingverbot)

§ 57a. Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte haben als Vorgesetzte ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und als Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter ihren Vorgesetzten sowie einander mit Achtung zu begegnen und zu einem guten Funktionieren der dienstlichen Zusammenarbeit beizutragen. Sie haben im Umgang mit ihren Kolleginnen und Kollegen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Verhaltensweisen oder das Schaffen von Arbeitsbedingungen zu unterlassen, die deren menschliche Würde verletzen oder dies bezwecken oder sonst diskriminierend sind.

...

Anwesenheit im Amte

§ 60. Der Richter hat seine Anwesenheit im Amte derart einzurichten, daß er seinen Amtspflichten ordnungsgemäß nachkommen kann.

...

Bestrafung von Pflichtverletzungen

Verhängung von Disziplinarstrafen

§ 101. (1) Über den Richter, der seine Standes- oder Amtspflichten verletzt, ist eine Disziplinarstrafe zu verhängen, wenn die Pflichtverletzung mit Rücksicht auf die Art oder Schwere der Verfehlung, auf die Wiederholung oder auf andere erschwerende Umstände ein Dienstvergehen darstellt.

...

Disziplinaruntersuchung

§ 123. (1) Die Disziplinaruntersuchung kann nur durch Beschluß des Disziplinarsenates eingeleitet werden (Einleitungsbeschluß). Vor der Beschlußfassung ist der Beschuldigte durch den Vorsitzenden oder ein von diesem beauftragtes Mitglied des Disziplinarsenates zu hören.

(2) Im Einleitungsbeschluß sind die Beschuldigungspunkte bestimmt zu bezeichnen.

(3) In der Disziplinaruntersuchung ist die erhobene Beschuldigung einer Pflichtverletzung zu prüfen und der Sachverhalt so weit klarzustellen, als es notwendig ist, um das Disziplinarverfahren einstellen oder die Sache zur mündlichen Verhandlung verweisen zu können.

(4) Ist der Sachverhalt hinreichend geklärt, so kann der Disziplinarsenat die Einleitung der Disziplinaruntersuchung ablehnen oder nach Einvernahme des Beschuldigten mit Zustimmung des Disziplinaranwaltes an Stelle der Einleitung der Disziplinaruntersuchung sofort die Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung beschließen (Verweisungsbeschluß).

(5) Die Beschlüsse nach Abs. 4 sind dem Disziplinaranwalt und dem Beschuldigten zuzustellen und der Dienstbehörde, sowie der obersten Dienstbehörde zu übermitteln.

(6) Mit dem Beschluß auf Einleitung der Disziplinaruntersuchung oder sofortige Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung ist das Disziplinarverfahren eingeleitet.

...

Ausdehnung der Disziplinaruntersuchung

§ 128. (1) Beantragt der Disziplinaranwalt im Laufe der Disziplinaruntersuchung ihre Ausdehnung auf neue Beschuldigungspunkte, so hat der Untersuchungskommissär darüber einen Beschluß des Disziplinarsenates einzuholen.

...

Anwesenheit an und Aufgabenbesorgung außerhalb der Dienststelle

§ 211. (1) Die Richterin oder der Richter des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzgerichts hat ihre oder seine Anwesenheit an der Dienststelle derart einzurichten, dass sie oder er ihren oder seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen kann.

...“

Zu II.:

19Soweit sich das Zulässigkeitsvorbringen der Revision gegen die Ausdehnung der Disziplinaruntersuchung auf weitere Fakten bereits im Einleitungsbeschluss enthaltener Vorwürfe (Verfahrensverzögerungen und mangelnde Fachaufsicht) sowie den Abschluss einer unterdurchschnittlichen Anzahl von Verfahren in einem gewissen Zeitraum richtet, wird eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht aufgezeigt:

20Wenn der Revisionswerber unter diesem Gesichtspunkt zunächst vorbringt, dass es an Rechtsprechung zur Frage fehle, ob Ausdehnungsbeschlüsse nach § 128 Abs. 1 RStDG gegen Richter des Bundesverwaltungsgerichts als verfahrensrechtliche Beschlüsse gesondert anfechtbar seien oder diese in den Anwendungsbereich des § 209 RStDG fielen, ist vorweg darauf hinzuweisen, dass das Disziplinargericht im vorliegenden Fall ohnedies nicht von einer absoluten Unzulässigkeit einer Revision gemäß § 25a Abs. 3 VwGG ausgegangen ist. Zudem wird mit diesem Vorbringen schon aus den bereits im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2021/09/0008, dargelegten Gründen keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt, weshalb insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 9 VwGG auf dessen Begründung (siehe insbesondere Rn. 26; vgl. aber auch Rn. 14 ff) verwiesen wird.

21Soweit die Zulässigkeit der Revision im Weiteren damit begründet wird, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Ausdehnungsbeschlüssen nach § 128 Abs. 1 RStDG im Allgemeinen und zur Frage der Übertragbarkeit der Judikatur zu Einleitungsbeschlüssen nach § 123 Abs. 1 RStDG oder zu Einleitungsbescheiden im Bereich des Beamtendisziplinarrechts auf Ausdehnungsbeschlüsse nach § 128 Abs. 1 RStDG fehle, wird mit diesem allgemein gehaltenen Vorbringen nicht konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufgezeigt, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte. Zur Lösung abstrakter Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsverfahren jedoch nicht berufen (vgl. etwa , mwN).

22Sofern die Zulässigkeit der Revision aber damit argumentiert wird, dass dem Ausdehnungsbeschluss (bei Übertragung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Einleitungsbeschlüssen) eine Klarstellungsfunktion zukomme, die der angefochtene Beschluss jedoch - wegen seiner „evidenten Unklarheit, welche ‚konkreten Dienstpflichtverletzungen‘ der Revisionswerber erfüllt haben“ solle - nicht erfülle, genügt der Spruch des Ausdehnungsbeschlusses den in der Rechtsprechung dazu aufgestellten Voraussetzungen (siehe auch dazu ). So wurde mit dem angefochtenen Beschluss die Disziplinaruntersuchung gegen den Revisionswerber vor allem auf weitere, grundsätzlich bereits im Einleitungsbeschluss benannte Verfahrensverzögerungen in mit Geschäftszahl konkretisierten Verfahren ausgedehnt. Weder wird mit dem pauschalen Revisionsvorbringen aufgezeigt, inwiefern die nunmehr ausgedehnten Tatvorwürfe unklar wären, noch ist dies ersichtlich. Den vom Revisionswerber dazu vermissten „Vergleichsdaten“ kommt in diesem Zusammenhang (noch) keine Bedeutung zu. Dass die vom Disziplinargericht vorgenommene Beurteilung im Einzelfall, wonach genügende Verdachtsgründe vorlägen, welche die Annahme von Dienstpflichtverletzungen rechtfertigten, unvertretbar erfolgt wäre und ein relevanter Begründungsmangel vorläge (vgl. auch dazu bereits , mwN), wird betreffend die oben genannten Fakten ebenfalls nicht aufgezeigt. Eine Klärung der genauen Umstände ist in diesem Verfahrensstadium nicht erforderlich.

23Ein Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes durch den Vorwurf von Säumnis bei der Behandlung von Fristsetzungsanträgen wird im Zulässigkeitsvorbringen ebenfalls nicht aufgezeigt, kann aus der vom Revisionswerber zitierten Rechtsprechung (; , Ro 2020/09/0014) nämlich nicht abgeleitet werden, dass nur die Missachtung der vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 42a VwGG gesetzten Frist amtshaftungs-, disziplinar- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könne. Im Gegenteil wurde in der zuletzt genannten Entscheidung betont, dass Anträge auf Fristsetzung wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch ein Verwaltungsgericht (Fristsetzungsanträge) nach Art. 133 Abs. 1 Z 2 B-VG Rechtsbehelfe einer Partei zur Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof über die Verfahrensdauer bei einem Verwaltungsgericht sind, bei denen eine vordringliche Behandlung durch unverzügliche Vorlage an das übergeordnete Gericht - hier der Verwaltungsgerichtshof - wie auch bei anderen Rechtsbehelfen oder Rechtmitteln grundsätzlich geboten ist (, Rn. 40).

24Eine Behandlung des Revisionswerbers entgegen der Bestimmung des § 58b RStDG wird nicht ausreichend konkret aufgezeigt. Allein aus dem Umstand, dass eine andere Richterin - nach Meinung des Revisionswerbers - wegen vergleichbarer Pflichtwidrigkeiten, wie sie dem Revisionswerber zur Last gelegt werden, nicht disziplinär verfolgt werde, kann eine solche nicht abgeleitet werden. So besteht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein Anspruch auf eine „Gleichheit im Unrecht“ (siehe etwa ; , 2003/12/0117).

25In diesem Umfang war die Revision daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.

Zu I.:

26Das Zulässigkeitsvorbringen des Revisionswerbers richtet sich jedoch auch gegen die Spruchpunkte G.1 bis G.7 und bringt in diesem Zusammenhang im Wesentlichen vor, dass bereits an Hand der Vorwürfe allein aufgrund der Aktenlage und ohne weitere Ermittlungen zu erkennen gewesen wäre, dass mit diesen keine konkreten Dienstpflichtverletzungen vorgeworfen und vorliegen würden.

27In diesem Umfang ist die Revision zulässig und auch begründet:

28Mit den hier in Rede stehenden Unterpunkten G.1 bis G.7 zu Spruchpunkt I. dehnte das Disziplinargericht die Disziplinaruntersuchung gegen den Revisionswerber auf Vorwürfe unter der Überschrift „Ungebührliches Verhalten gegenüber Vorgesetzten und Kollegen“ aus, in denen es offenbar den Verdacht von Verstößen gegen § 57a RStDG erblickte.

29Die Materialien zur 2. Dienstrechts-Novelle 2009, BGBl. I Nr. 153/2009, mit der § 57a RStDG eingeführt und zur Erläuterung insoweit auf die Ausführungen zu dem mit derselben Novelle geschaffenen § 43a BDG 1979 verwiesen wurde, führen dazu aus (vgl. ErläutRV 488 BlgNR 24. GP 9, 16):

„Unter Mobbing versteht man eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kolleginnen und Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bei der die angegriffene Person unterlegen ist und von einer oder einigen Personen systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder Effekt des Ausstoßes aus dem Arbeitsverhältnis direkt oder indirekt angegriffen wird (siehe dazu auch das Rundschreiben des Bundeskanzleramts, GZ BKA-931.015/0002-III/7/2005)

...

Um Mobbing hinkünftig zielsicher und schnell unterbinden und ahnden zu können, um die Informiertheit und Bewusstseinsbildung unter den Bediensteten zum Thema ‚Mobbing‘ zu fördern, aber auch um gegenüber den Bediensteten klarzustellen, dass es sich bei einem derartigen Verhalten um eine Dienstpflichtverletzung handelt, sieht der neue § 43a BDG 1979 deshalb eine eindeutig formulierte Verpflichtung der Bediensteten zum achtungs- und respektvollen Umgang miteinander vor. Mit der Textierung dieser Bestimmung wird - um eine überschießende Ahndung von zwischenmenschlichem Fehlverhalten hintanzuhalten - an die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs angeknüpft, der zufolge nicht jede spontane Gemütsäußerung etwa einer oder einem Vorgesetzten gegenüber ‚auf die Goldwaage gelegt‘ wird (; , 89/09/0076) und disziplinarrechtliche Folgen nach sich zieht. Nur dann, wenn ‚die menschliche Würde eines Kollegen oder Vorgesetzten verletzt‘ oder die dienstliche Zusammenarbeit und damit der Betriebsfriede ‚ernstlich gestört‘ wird (; , 2001/09/0096), ist das Verhalten disziplinarrechtlich zu ahnden.

...“

30Zunächst ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass der angefochtene Beschluss keine nähere Begründung dafür enthält, worin konkret ein allfälliges disziplinäres Verhalten des Revisionswerbers erblickt wird. Schon deshalb kann dem Revisionswerber nicht entgegengetreten werden, wenn er zu diesen Punkten vermeint, dass ausreichende Gründe für das Vorliegen eines Verdachts eines disziplinären Verhaltens nicht zu erkennen seien.

31Aber auch ausgehend von der spruchmäßigen Umschreibung der Vorwürfe erweist sich die vorgenommene Ausdehnung der Disziplinaruntersuchung auf diese Spruchpunkte als rechtswidrig:

32Der Verwaltungsgerichtshof hat mit seinem Erkenntnis vom , Ra 2020/09/0056, unter Heranziehung der in der Rechtsprechung zur (vergleichbaren) Bestimmung des § 123 BDG 1979 zur Einleitung von Disziplinarverfahren gegen Beamte entwickelten Grundsätze auf das Verfahren zur Einleitung einer Disziplinaruntersuchung nach § 123 RStDG gegen Verwaltungsrichter vor den Verwaltungsgerichten ausgeführt:

„Für die Einleitung des Verfahrens reicht es aus, wenn im Umfang der Disziplinaranzeige und auf deren Grundlage genügende Verdachtsgründe gegen den Beamten vorliegen, welche die Annahme einer konkreten Dienstpflichtverletzung rechtfertigen. Es muss die Disziplinarbehörde bei Fällung eines Einleitungsbeschlusses noch nicht völlige Klarheit darüber haben, ob der Beamte eine Dienstpflichtverletzung begangen hat; dies ist erst in dem der Einleitung des Verfahrens nachfolgenden Ermittlungsverfahren aufzuklären. In dieser Phase des Verfahrens ist zu klären, ob die Voraussetzungen für die Einleitung gegeben sind oder ob keine genügenden Verdachtsgründe vorliegen und hingegen allenfalls offenkundige Gründe für die Einstellung des Disziplinarverfahrens gegeben sind. Ebenso wenig muss im Einleitungsbeschluss das dem Beamten zur Last gelegte Verhalten bereits abschließend rechtlich gewürdigt werden. Es besteht keine Bindung an die rechtliche Würdigung der Taten im Einleitungsbeschluss (vgl. zu alledem insbesondere zum BDG 1979: , und ; auch etwa zum HDG 2014: , und zum LDG 1984: , Ra 2017/09/0008).“

33Dies bedeutet aber auch: Kann das Vorliegen einer Dienstpflichtverletzung ausgeschlossen werden, ist die Einleitung (oder hier: Ausdehnung) einer Disziplinaruntersuchung bereits in dieser Phase abzulehnen.

34Zu G.1 wurde die Disziplinaruntersuchung darauf ausgedehnt, dass der Revisionswerber, ohne dass er nach seinem Klopfen hereingebeten worden sei, in das Büro des telefonierenden Außenstellenleiters gegangen sei und diesem mitgeteilt habe: „Die Standesvertretung wird sich bei Dir melden.“

35Zu G.7 lautet der Vorwurf dahingehend, dass der Revisionswerber den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts mit E-Mail vom Sonntag, den , 20:10 Uhr, um Entbindung von der Amtsverschwiegenheit gemäß § 58 Abs. 2 RStDG für seine Einvernahme als Zeuge vor dem Bundesamt für Korruptionsprävention und -bekämpfung am Dienstag, den , ersucht habe, ohne die entsprechende Ladung beizuschließen, sodass diesem nur ein Arbeitstag für die Entscheidung geblieben wäre und er von sich aus weitere Ermittlungen über den Gegenstand der Aussage zu pflegen gehabt hätte.

36Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten hat ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut des § 101 Abs. 1 RStDG, dass nicht wegen jeder Standes- oder Amtspflichtverletzung über einen Richter eine Disziplinarstrafe zu verhängen ist, sondern nur, wenn die Pflichtverletzung mit Rücksicht auf die Art oder Schwere der Verfehlung, auf die Wiederholung oder auf andere erschwerende Umstände ein Dienstvergehen darstellt (vgl. , betreffend die Ablehnung der Einleitung einer Disziplinaruntersuchung).

37Nun mag zwar das Eintreten in ein fremdes Dienstzimmer ohne Aufforderung als unhöflich zu beurteilen sein. Inwiefern dieses Verhalten selbst im Zusammenhang mit der - trotz des vom Aufgesuchten gerade geführten Telefonats - (kurzen) Mitteilung, dass sich die Standesvertretung melden werde, einen relevanten disziplinären Gehalt aufweisen sollte, ist bereits abstrakt nicht zu erkennen. Nicht alle als unfreundlich oder respektlos empfundenen zwischenmenschlichen Verhaltensweisen sind dazu geeignet, den Verdacht einer unter § 57a RStDG zu subsumierenden Dienstpflichtverletzung zu begründen. So wurde unter diesem Gesichtspunkt etwa auch schon judiziert, dass nicht jede unpassende Äußerung gegenüber einem Vorgesetzten schon eine Dienstpflichtverletzung darstellt (vgl. dazu , mwN).

38Nichts Anderes gilt auch für den unter G.7 im Verdachtsbereich erhobenen Vorwurf:

39Das zeitlich knappe Stellen eines dienstrechtlichen Antrags, mag die Verspätung des Ersuchens auch zu einem Mehraufwand in der Verwaltung führen oder einer zeitgerechten Erledigung entgegenstehen, ist bereits für sich nicht geeignet, den relevanten Verdacht eines Verstoßes gegen das Gebot eines achtungsvollen Umgangs mit Vorgesetzten und dem Beitrag zum guten Funktionieren der dienstlichen Zusammenarbeit im Sinn des § 57a RStDG zu erzeugen. Weder kann durch das hier angesprochene Verhalten „die menschliche Würde eines Kollegen oder Vorgesetzten verletzt“ noch die dienstliche Zusammenarbeit und damit der Betriebsfriede „ernstlich gestört“ werden (vgl. hiezu ausführlich , zum Burgenländischen Landesbeamten-Dienstrechtsgesetz 1997, mwN).

40Den in den Punkten G.2 bis G.6 des Ausdehnungsbeschlusses angezogenen Vorwürfen ist vorweg das Folge entgegenzuhalten:

41Der Verwaltungsgerichtshof vertritt ebenfalls in ständiger Rechtsprechung, dass jeder Beamte das Recht hat, sich auch gegen interne Angriffe zur Wehr zu setzen. Grundsätzlich ist aber zu fordern, dass sich eine vorgetragene Kritik auf die Sache beschränkt, in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form vorgebracht wird, was etwa dann nicht der Fall wäre, wenn sie auf unangemessene, beleidigende oder verletzende Weise getätigt wird, und Behauptungen enthält, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind. Mit Blick auf die grundrechtlich geschützte Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 10 EMRK sind auch störende Äußerungen geschützt. Die Verhältnismäßigkeit einer Sanktion bezüglich eines Werturteils hängt auch immer davon ab, vor welchem faktischen Hintergrund die betreffenden Äußerungen getätigt werden (vgl. auch dazu ; sowie , ebenfalls Sachverhalte im Verdachtsbereich betreffend).

42Mit den hier nun in Rede stehenden Spruchpunkten wurde die Disziplinaruntersuchung gegen den Revisionswerber auf mehrere Formulierungen in Schriftsätzen in dienstrechtlichen Verfahren des Revisionswerbers, nämlich einer Revision gegen eine Entscheidung des Personalsenats des Bundesverwaltungsgerichts und einer Beschwerde gegen einen dienstrechtlichen Bescheid des Gerichtspräsidenten, ausgedehnt. In diesen Textpassagen wurde im Wesentlichen ein Vergleich mit den Erledigungszahlen einer Kollegin und deren Spruchpraxis hergestellt.

43Es kann im vorliegenden Fall nun dahingestellt bleiben, ob die Form der gegen die bekämpften Entscheidungen vorgetragene Kritik und die Ausführungen zu den Erledigungen der Richterkollegin den Verdacht einer Überschreitung des dargelegten Rahmens zulässigen Vorbringens zu begründen geeignet ist (vgl. jedoch zum Erfordernis eines Quervergleichs bei Verhängung einer Disziplinarstrafe gegen einen Verwaltungsrichter bei inkriminierten Rückständen und Verzögerungen nach der [Wiener] Dienstordnung 1994 , mwN; siehe ferner abermals , mwN).

44Wesentlich ist unter diesem Gesichtspunkt nämlich, dass - wie im Spruch des angefochtenen Beschlusses festgehalten wird - diese Schriftsätze durch den „rechtsfreundlichen Vertreter“, also durch einen Rechtsanwalt, für den Revisionswerber eingebracht wurden. Der Inhalt der von einem berufsmäßigen Parteienvertreter verfassten Schriftsätze kann nun aber schon für sich nicht den Verdacht einer Dienstpflichtverletzung des durch diesen Rechtsanwalt vertretenen Revisionswerbers begründen. Eine unangemessene, beleidigende Schreibweise in diesen wäre in den jeweiligen Verfahren durch die Behörden oder Verwaltungsgerichte der Disziplinarbehörde des Bevollmächtigten anzuzeigen (§ 34 Abs. 4 AVG iVm § 1 Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter).

45Im Umfang des Spruchpunktes I.G (G.1 bis G.7) erweist sich die Entscheidung des Disziplinargerichts nach dem Ausgeführten als inhaltlich rechtswidrig. Der angefochtene Beschluss war daher insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

46Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und Z 5 VwGG abgesehen werden. Eine Revisionsbeantwortung wurde schon mangels weiterer Parteien in diesem Verfahren (vgl. auch dazu , mwN) nicht erstattet.

47Der Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union war schon deshalb nicht nachzukommen, weil die vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang angesprochene Einleitung bzw. Ausdehnung einer Disziplinaruntersuchung gegen einen Richter aufgrund der Regelungen der §§ 123 und 128 RStDG ohnedies nur durch den Beschluss eines unabhängigen Disziplinarsenates erfolgen kann.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022090089.L02

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