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VwGH vom 28.11.2022, Ra 2022/09/0076

VwGH vom 28.11.2022, Ra 2022/09/0076

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel sowie die Hofrätinnen Dr. Koprivnikar und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision der Disziplinaranwältin für die Richterinnen und Richter des Bundesverwaltungsgerichtes Mag. Daniela Huber-Henseler in 1030 Wien, Erdbergstraße 192-196, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. DS/001/2021, betreffend Disziplinarverfahren nach dem RStDG (mitbeteiligte Partei: Mag. A B in C), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Der im Jahr 1966 geborene Mitbeteiligte ist Richter des Bundesverwaltungsgerichtes (in der Folge: BVwG).

2Mit Beschluss des Bundesfinanzgerichts (BFG - im Weiteren: Disziplinargericht) vom wurde auf Grund der Disziplinaranzeige des Präsidenten des BVwG vom - im zweiten Rechtsgang - gemäß § 123 Abs. 1 RStDG die Disziplinaruntersuchung gegen den Mitbeteiligten wegen des Verdachts des Verstoßes gegen die richterlichen Pflichten nach § 57 RStDG eingeleitet, weil dieser in einem näher bezeichneten, ihm im Jänner 2015 zugewiesenen Verfahren, für welches eine gesetzlich verkürzte Entscheidungsfrist von drei Monaten bestehe, in einem Zeitraum von über vier Jahren keine Verfahrensschritte gesetzt und auch die Berichtspflicht im Zusammenhang mit den 2014 bzw. 2015 anhängigen Verfahren nicht zu einer umgehenden Bearbeitung des Verfahrens geführt habe. Zur weiteren Vorgeschichte wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2020/09/0056, verwiesen.

3Mit Beschluss vom verwies das Disziplinargericht die Disziplinarsache zur mündlichen Verhandlung.

4In weiterer Folge wurde der Mitbeteiligte mit dem angefochtenen Erkenntnis des Disziplinargerichts nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 137 Abs. 1 RStDG vom Vorwurf, er habe dadurch, dass er die seiner Gerichtsabteilung am zugeteilte inkriminierte Rechtssache, für die gemäß § 135c BDG 1979 eine verkürzte, nämlich dreimonatige Entscheidungsfrist gegolten habe, erst am erledigt habe, eine als Disziplinarvergehen zu ahndende Pflichtverletzung begangen, freigesprochen. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Disziplinargericht für nicht zulässig.

5In der Begründung seiner Entscheidung führte das Disziplinargericht unter „Sachverhalt/Beweiswürdigung“ im Wesentlichen zunächst zur „strukturellen Überlastung: Situation des BVwG bis 2019“ aus, dass dieses vom Beginn der Aufnahme seiner Tätigkeit 2014 an angesichts der Herausforderungen resultierend aus einzelnen Belastungsspitzen durch die Übernahme von Altverfahren bzw. in Einzelbereichen aufgrund der systemimmanenten Vielzahl der judizierten Rechtsmaterien, „die unter Berücksichtigung der Personalkapazitäten nur über einen längeren Zeitraum verteilt abbaubar erschienen“, stark belastet gewesen sei und aufgrund einer massiven Überlastung durch die Flüchtlingswelle 2015 und 2016 „ab 2014, jedenfalls aber für den Zugang der Jahre 2016 bis 2019 letztlich durchgängig über keine ausreichende Personalausstattung“ verfügt habe. Die ersten Jahre der Arbeit des BVwG seien durch eine Konsolidierung in den Beschwerdeaufkommen und einen vom Präsidium forcierten strukturellen Abbau der Asylüberleitungsfälle (des ehemaligen Asylgerichtshofes) gekennzeichnet gewesen, die Auswirkungen der großen Migrationsbewegungen der Jahre 2015 und 2016 hätten zu einem ständigen und letztlich exponentiellen Anstieg der Beschwerdeverfahren geführt, wobei bis in das Jahr 2019 die Zugänge trotz Personalaufstockung stets die Ausgänge überstiegen hätten und die Anzahl der Rechtssachen, die innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden konnten, in den Geschäftsjahren 2017 und 2018 auf 47% der Verfahren gesunken sei. Die Leitung des BVwG habe versucht, eine Verringerung des Aktenalters durch Einführung eines Altakten-Monitorings ab 2017 zu verbessern, um die Vorgaben des Europarates, wonach Gerichtsverfahren nicht länger als zwei Jahre dauern sollten, schrittweise zu erreichen. Dies zunächst als Steuerungsinstrument im Geschäftsverteilungsausschuss, ab 2018 mit Erörterung mit den Kammervorsitzenden und Bereitstellung von Altaktendaten, ab 2019 mit Altaktenberichten sowie der schrittweisen Erweiterung des Altaktenbegriffes von älter als vier Jahre über älter als drei Jahre bis zu älter als zwei Jahre. Dies habe in Verbindung mit einem ab 2020 sinkenden Zugang durch den weiterhin hohen Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch Wirkung gezeigt.

6Zur Arbeitsbelastung der Richterinnen und Richter des BVwG im Gesamten setzte das Disziplinargericht fort, dass damit die Personalressourcen bis 2019 eine Erledigung der anhängig gemachten Beschwerden innerhalb der gesetzlichen Fristen „weitestgehend“ nicht zugelassen hätten. Im permanenten Spannungsfeld zwischen möglichst effizienter Verfahrensführung, der Einhaltung gesetzlicher Fristen bei gleichzeitiger größtmöglicher Reduzierung des Standes an offenen Verfahren bzw. dem Ziel eines geringstmöglichen Anwachsens dieser Verfahren - nur erreichbar mit einem dauerhaften Zeiteinsatz von deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche und auch an Wochenenden - sei eine Reduktion des Rückstandes nicht möglich gewesen. Der Geschäftsverteilungsausschuss habe als Organ der kollegialen Justizverwaltung Umverteilungsmaßnahmen im Rahmen der vorhandenen Personalressourcen insbesondere im Bereich des Asylwesens zur Beschleunigung des Abbaus von Altakten gesetzt; die Kammervorsitzenden seien bestrebt gewesen, die Unterstützung durch juristische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichmäßig und effizient auf alle Richterinnen und Richter ihrer jeweiligen Kammer zu verteilen.

7Der Mitbeteiligte sei - so das Disziplinargericht weiter - zunächst seit am Asylgerichtshof und anschließend seit am BVwG als Richter tätig und habe bis zum die Funktion des Kammervorsitzenden der Kammer für persönliche Rechte und Bildung am BVwG ausgeübt; seine Dienstbeschreibung laute seit dem Jahr 2010 auf ausgezeichnet. Seine Aufgaben als Kammervorsitzender (wozu Verweisungen u.a. auf die aktuelle Geschäftsverteilung und die Aussagen des Mitbeteiligen erfolgten) seien bereits im normalen Verlauf (wozu das Disziplinargericht an einer Stelle eine durchschnittliche Auslastung von 75 bis 90%, an anderer Stelle von 80 bis 90% anführt) ohne (dazu dargelegte) Zusatzaufgaben in der Justizverwaltung sehr aufwendig gewesen und hätten daneben sehr wenig Zeit für die Wahrnehmung von Aufgaben in der Rechtsprechung zugelassen; letztere Tätigkeit habe noch dazu nicht durchgängig und konzentriert durchgeführt werden können und sei selbst im normalen Arbeitsalltag immer wieder durch notwendige, kurzfristig zu erledigende Justizverwaltungsagenden unterbrochen worden (nach seiner Aussage habe er im Jahr 2016 „praktisch 100% seiner Arbeitszeit“ für den Kammervorsitz verwendet). Eine Unterstützung in Justizverwaltungsangelegenheiten des Mitbeteiligten aber auch der anderen Kammervorsitzenden angesichts der dazu als erwiesen angenommenen Überlastung durch juristische Mitarbeiter sei für den Zeitraum bis 2019 nicht möglich gewesen. Im Bereich der Rechtsprechung sei eine Entlastung von Kammervorsitzenden in der Form erfolgt, dass diese nicht an der allgemeinen Zuteilung „im Rad“ teilgenommen hätten, sondern die Geschäftsverteilung Vorwegzuweisungen für diese vorgesehen habe. So habe der Mitbeteiligte in den Geschäftsjahren 2015 29 Akten, 2016 27 Akten, 2017 61 Akten, 2018 71 Akten und im Zeitraum Februar bis September 2019 13 Akten erhalten, womit seine Belastung in den Geschäftsjahren 2017 und 2018 - als er besonders viel Zeit für Justizverwaltungstätigkeit aufwenden habe müssen - bei einem angestellten Vergleich mit der Gesamtanfallsentwicklung des BVwG überdurchschnittlich gestiegen sei; seine sich daraus „spätestens ab 2018 ergebende Aktenbelastung mit 80 Akten“ habe erst im Jahr 2019 wieder zu sinken begonnen.

8Zum „Quervergleich“ der Gerichtsabteilung und der Arbeitsweise des Mitbeteiligten führte das Disziplinargericht aus, dass vom BVwG Vergleichsdaten zur Belastung der Gerichtsabteilung des Mitbeteiligten mit Rechtsprechungsangelegenheiten mit anderen Gerichtsabteilungen dieser Kammer wie auch mit Gerichtsabteilungen anderer Kammervorsitzender übermittelt worden seien. Demnach habe es im BVwG bis 2018 keine Daten über unterschiedliche Bearbeitungszeiten der ca. 200 Rechtsmaterien gegeben, eine Unterscheidung über „durchschnittliche Mindesterledigungen“ sei erst im Jahr 2019 bei diesem Gericht begonnen worden. Lediglich die über mehrere Auswertungen verteilten Gesamtmengen, „die aber nur Asylverfahren, Dienstrecht und Disziplinarrecht und damit nicht alle Akten der ausgewerteten Gerichtsabteilungen umfassen“, seien „richtig“ im Sinne von vollständig. Gerade für den wesentlichen Bereich der Disziplinarverfahren, die einer verkürzten Erledigungsdauer unterliegen, seien die Daten für jeden betroffenen Richter unrichtig und für die konkret zu klärende Frage, in welcher Zeit derartige Verfahren typischerweise erledigt wurden, nicht verwertbar. Tendenziell sei jedoch daraus zu ersehen, dass sowohl bei anderen Kammervorsitzenden als auch bei einzelnen Richterinnen und Richtern eine ähnliche Verteilung der Erledigungsdauer wie beim Mitbeteiligten zu erkennen sei. Aufgrund der nicht validen Datenlage könne kein Quervergleich hinsichtlich Erledigungsmenge und Erledigungsdauer zwischen Richterinnen und Richtern ohne Justizverwaltungsaufgaben und Kammervorsitzenden vorgenommen werden; bei all dieser Unschärfe sei aber davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte mit Ausnahme des gegenständlichen Verfahrens seine richterlichen Aufgaben nach Maßgabe seiner Kapazitäten für die Rechtsprechung ordnungsgemäß durchgeführt habe.

9Vergleichbar seien Überlegungen, wie die Bearbeitung „bei einer grundsätzlich vorliegenden Überlastung“ in Angriff genommen worden sei; die nach den dazu dargelegten Aussagen anderer Richterinnen und Richter wesentlichen grundlegenden Aspekte der Bearbeitungsreihenfolge (verkürzte Erledigungsfristen und Aktenalter, Effizienz beim „Management“ der Höhe des Rückstandes, Überlegungen zu Vorreihungen in Einzelfällen), um einerseits Altakten abzubauen und gleichzeitig durch Vorziehen neuer, schnell zu erledigender Fälle trotz permanent steigenden Einlaufes die Rückstandshöhe nur im unbedingt erforderlichen Ausmaß ansteigen zu lassen, seien auch vom Mitbeteiligten nach seinen Angaben eingehalten worden. So habe der Mitbeteiligte sich ab 2014 nach Maßgabe der zur Verfügung stehenden Zeit primär dem Abbau der ihm zugeteilten Asylüberleitungsfälle gewidmet und in den Folgejahren Asylsachen, die „vom Tisch aus zu erledigen waren“, seinem juristischen Mitarbeiter zur weitgehenden Vorbereitung überlassen; die übrige Zeit zur Aktenbearbeitung habe er auch dazu genützt, Verfahren in Disziplinarangelegenheiten, die keine mündliche Verhandlung erforderten, blockweise zu erledigen. Nach Einschätzung des Mitbeteiligten, dem im Ergebnis in Summe zwischen zwei und vier Arbeitstage pro Monat zur Rechtsmittelbearbeitung zur Verfügung gestanden wären, hätte er ohne Einschränkung seiner Justizverwaltungstätigkeit keine Möglichkeit gehabt, ein im Vergleich zu diesen „schnellen“ Verfahren aufwändiges Verfahren vorzuziehen. Dadurch sei es zum Vorziehen von 127 Fällen insgesamt bzw. 98 Fällen mit längerer Entscheidungsfrist gegenüber dem inkriminierten Verfahren gekommen. Generell habe er Verfahren, sobald ein Fristsetzungsantrag gestellt wurde, binnen kürzester Zeit in Angriff genommen und erledigt. Von den im Zeitraum von bis zugewiesenen 242 Rechtssachen (davon 91 aus dem Bereich Disziplinarrecht Zivil und Heer) habe er 195 (hievon 72 aus den genannten Disziplinarrechtsbereichen) erledigt, offen seien Ende September 2019 47 Verfahren verblieben; zwischen der Zuweisung des inkriminierten Verfahrens am und dessen Erledigung am habe er diesem 18 Verfahren aus diesen Disziplinarrechtsbereichen mit einer gleich langen oder längeren Entscheidungsfrist vorgezogen, wobei in sieben Fällen Fristsetzungsanträge gestellt worden seien.

10Zum Verfahren, welches den Anlass für die Disziplinaranzeige gegeben habe, führte das Disziplinargericht zusammengefasst aus, dass die Beschwerde eines Beamten des BMI gegen die über ihn von der Disziplinarkommission des BMI verhängte Entlassung im Jänner 2015 beim BVwG eingelangt und dem Mitbeteiligten in der Folge zugewiesen worden sei. Der Mitbeteiligte habe dieses Verfahren nach grober Durchsicht der Unterlagen nicht als vordringlich eingestuft, da er davon ausging, dass eine Entlassung nicht haltbar sein würde und es weder für die Republik noch für den Beschwerdeführer jenes Verfahrens finanziell einen großen Unterschied machen würde, ob dieser weiterhin suspendiert und im Krankenstand (mit deutlich gekürzten Bezügen) bleiben würde oder das bereits laufende und mit einer positiven Prognose versehene Pensionierungsverfahren des Beamten umgehend umgesetzt werden sollte. Konsequenzen einer langen Verfahrensdauer in Asylsachen sah er in diesem Zusammenhang als teilweise dramatischer an, da es dabei um Grundversorgung oder Arbeitsmöglichkeit in Österreich gegangen sei. Im Zuge einer Besprechung des Mitbeteiligten mit dem Präsidenten des BVwG am seien die bei den verschiedenen Gerichtsabteilungen seiner Kammer länger anhängigen Verfahren thematisiert und vom Präsidenten vehement auf die Notwendigkeit einer vorrangigen Behandlung hingewiesen worden. Der Mitbeteiligte habe dabei in Aussicht gestellt, seine Rückstandsakten, nämlich 14 Geschäftsfälle mit einer mehrjährigen Verfahrensdauer, in den nächsten Monaten abzuarbeiten, und sich auch dazu vorübergehend von seinen Tätigkeiten als Kammervorsitzender zurückgezogen. Diese Verfahren seien auch bis zum erledigt worden. Es habe sich damals um die erstmalige Thematisierung der Altaktensituation in der Gerichtsabteilung des Mitbeteiligten gehandelt und bis zu diesem Zeitpunkt keine Berichtspflicht bestanden. Im anlassbezogenen Verfahren habe der Mitbeteiligte am zu einer mündlichen Verhandlung am geladen, welche im Zusammenhang mit einer unter anderem gegen den Mitbeteiligten vom Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebrachten Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachtes des Amtsmissbrauches und einer in der Verhandlung deshalb erhobenen Befangenheitsanzeige vertagt und schließlich am durchgeführt worden sei; die Entscheidung sei dann am ergangen. Ein Fristsetzungsantrag sei in diesem Verfahren vom beschwerdeführenden Disziplinarbeschuldigten nie gestellt worden.

11Im Übrigen hielt das Disziplinargericht fest, dass der Mitbeteiligte im Zeitraum 2015 bis 2019 Seminare und Vorträge an der Verwaltungsakademie des Bundes als Nebenbeschäftigung im Ausmaß von jeweils drei bis fünf Tagen pro Jahr ausgeübt habe, wobei der Vorbereitungsaufwand vergleichsweise gering gewesen sei. Als belastende Lebensumstände führte es an, dass sich die Mutter des Mitbeteiligten seit einem Vorfall Mitte 2016 in dessen Haus befinde und pflegebedürftig sei.

12Unter „Rechtsgrundlagen“ bzw. „Erwägungen“ kam das Disziplinargericht zum Ergebnis, dass im BVwG angesichts der Herausforderungen einer mit Beginn der Tätigkeit 2014 zunächst erforderlichen Zusammenführung einer Vielzahl von (ca. 200) Rechtsmaterien und in weiterer Folge eines Ansteigens der Verfahren in den unterschiedlichsten Bereichen bei gleichzeitig nicht ausreichender Personalausstattung punktuelle oder auch strukturelle Überlastungen nicht zu vermeiden gewesen wären. Es sei klar, dass ein derart überlastetes Gericht den Rückstandsabbau nur in Schritten durchführen könne; die vom Präsidium schrittweise vorgenommene Nachschärfung des Altaktenberichtswesens sei unter diesen Voraussetzungen der einzig gangbare Weg gewesen, um durch erfüllbare Ziele die Motivation von Richterinnen und Richtern, die ohnedies schon über Jahre hindurch an oder über ihrer Kapazitätsgrenze arbeiteten, aufrechtzuerhalten. Die Berücksichtigung der Belastung durch Justizverwaltungsaufgaben bei Kammervorsitzenden - wie auch beim Mitbeteiligten - sei in der Geschäftsverteilung nicht gelungen; deren Gesamtbelastung sei „nochmals höher“ einzustufen als die der in den Jahren 2014 bis 2019 ebenfalls überlasteten Richter ohne Justizverwaltungsaufgaben.

13Auch ohne die Rechtsprechungsagenden habe der Zeitaufwand des Mitbeteiligten für Justizverwaltungsaufgaben im Alltag und die notwendigen Zusatzaufgaben phasenweise deutlich die Normalarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche überschritten, weiters dauerhaft Arbeitszeiten von bis zu 12/13 Stunden am Tag und an Wochenenden verlangt und dazu geführt, dass Aufgaben in der Rechtsprechung phasenweise gar nicht, jedenfalls aber nicht kontinuierlich nachgekommen werden konnte; Unterstützung in der Justizverwaltung habe der Mitbeteiligte aufgrund der Personalsituation des BVwG in den Jahren bis 2019 nicht erhalten können, eine Überlastungsanzeige habe er aufgrund seiner Einschätzung der Überlastung anderer Richterinnen und Richter in der Kammer nicht gestellt, obwohl durch seine Zusatzbelastung eine solche jedenfalls in Erwägung zu ziehen gewesen wäre. Er habe vielmehr - wie die einvernommenen Richterinnen und Richter des BVwG in vergleichbarer Situation - getrachtet, seinen hohen Arbeitseinsatz aufrechtzuerhalten, um seinen Aufgaben bestmöglich nachzukommen, wobei die Notwendigkeit der Pflege seiner Mutter gerade in der Zeit höchster beruflicher Belastung im Jahr 2016 jedenfalls belastende Lebensumstände darstellten, die bis jetzt andauern würden. Diese Ausgangssituation des Mitbeteiligten vermöge den Verfahrensstillstand in einem Verfahren über mehr als vier Jahre im Allgemeinen zu rechtfertigen, wobei durch die strukturelle Überlastung des BVwG und der Gerichtsabteilung des Mitbeteiligten ein Verfahrensbeginn erst nach vier Jahren, jedenfalls bis Anfang 2019 „keineswegs ungewöhnlich“ sei.

14Überdies habe sich die zur Bearbeitungsreihung vorgenommene Erstbeurteilung des Mitbeteiligten im inkriminierten (Entlassungs-)Verfahren eines Polizeibeamten, wonach dieses für den Betroffenen nicht von besonderer Bedeutung sei, zumal sich nach einer Entscheidung des BVwG nicht die Frage der Wiederaufnahme des aktiven Dienstes stellen würde, sondern durch die bevorstehende (und dann tatsächlich erfolgte) Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand der Entscheidungszeitpunkt lediglich Auswirkungen auf die Bezugshöhe des Beamten gehabt hätte (Aktivbezüge bei Kürzung infolge Suspendierung und Dauerkrankenstand einerseits oder Ruhegenuss bei Ruhestandsversetzung andererseits), als „zutreffend“ erwiesen und sei auch „vom Verwaltungsgerichtshof im anschließenden Revisionsverfahren nicht beanstandet“ worden. Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage könne auch nicht gesagt werden, dass beispielsweise ein Asylverfahren für einen Menschen, der in Österreich internationalen Schutz suche, eine geringere Bedeutung als ein Disziplinarverfahren für einen suspendierten Beamten habe, in dem es darum gehe, ob dieser suspendiert bleibe oder infolge Dienstunfähigkeit in den Ruhestand zu versetzen sei.

15Wenngleich die Prioritätensetzung des Mitbeteiligten bei der Aktenbearbeitung im Hinblick auf seine umfassende Belastung mit Justizverwaltungsangelegenheiten „durchaus schlüssig“ und „im Allgemeinen“ nicht zu beanstanden sei, hätte er das inkriminierte Verfahren, dessen gesetzlich festgelegte Entscheidungsfrist die Hälfte der allgemeinen Entscheidungsfrist betrage, nicht vier Jahr unbearbeitet lassen dürfen. Der Mitbeteiligte habe zum Hinweis des Disziplinaranwalts, mindestens 31 Disziplinarverfahren dem gegenständlichen vorgezogen zu haben, auch eingeräumt, dass es ihm grundsätzlich möglich gewesen wäre, dieses auch früher zu erledigen. Die vom Mitbeteiligten getroffene Einstufung, Entscheidungsfristen als weniger bedeutsames Kriterium als konkrete Auswirkungen im Einzelfall anzusehen, sei eine Fehleinschätzung gewesen.

16Der Mitbeteiligte habe damit zwar hinsichtlich des inkriminierten Verfahrens objektiv seine Pflicht nach § 57 Abs. 1 RStDG, die ihm übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen, verletzt, weil er „bei seinen mit hohem Einsatz unternommenen Anstrengungen, seinen Dienstpflichten insgesamt bestmöglich nachzukommen, der vom Gesetzgeber durch das Setzen einer kürzeren Erledigungsfrist getroffenen Entscheidung Akten wie den inkriminierten rascher als andere zu erledigen, nicht das genügende Augenmerk geschenkt habe“. Dieses „einmalige, bis zur Disziplinaranzeige vom Mitbeteiligten selbst als solches nicht erkannte“ Fehlverhalten bis zum Frühjahr 2019 stelle aber keine bewusste oder wiederholt grob fahrlässige Missachtung des Gesetzes dar; der Mitbeteiligte habe nach Aussage des Präsidenten des BVwG maßgeblich zum Aufbau des BVwG beigetragen, die gegenständliche Fehlentscheidung in einem Einzelfall könne auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufen. Nach den konkreten speziellen Gegebenheiten des Einzelfalls sei das Vorliegen grober Fahrlässigkeit zu verneinen und stelle somit die einmalige Dienstpflichtverletzung, die weder auffallend sorglos noch vorsätzlich erfolgt sei, kein Disziplinarvergehen dar.

17Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Disziplinaranwältin. Das Disziplinargericht hat die Verfahrensakten vorgelegt; der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

18Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlich Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

19Die Disziplinaranwältin macht in ihrer Begründung zur Zulässigkeit der Revision (auch unter Bezugnahme auf das genannte Vorerkenntnis des , sowie das darin zitierte Erkenntnis ) im Ergebnis fehlende Ermittlungen bzw. Feststellungen (Verfahrensfehler) und daraus resultierende Begründungsmängel, die einer abschließenden rechtlichen Beurteilung entgegenstehen, sowie auch eine verfehlte Rechtsansicht geltend. Damit erweist sich die vorliegende Revision entgegen dem, den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden (§ 34 Abs. 1 a VwGG) Ausspruch des Disziplinargerichtes als zulässig; sie ist auch berechtigt:

20Gemäß § 101 Abs. 1 des Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetzes (RStDG) ist über den Richter, der seine Standes- oder Amtspflichten verletzt, eine Disziplinarstrafe zu verhängen, wenn die Pflichtverletzung mit Rücksicht auf die Art oder Schwere der Verfehlung, auf die Wiederholung oder auf andere erschwerende Umstände ein Dienstvergehen darstellt. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung ist bei Bestimmung der Disziplinarstrafe im einzelnen Fall auf die Schwere des Dienstvergehens und die daraus entstandenen Nachteile sowie auf den Grad des Verschuldens und das gesamte bisherige Verhalten des Richters Bedacht zu nehmen. Das Disziplinargericht darf die Abstattung einer Geldstrafe in höchstens 36 Monatsraten bewilligen. § 101 Abs. 3 leg.cit. sieht vor, dass vom Ausspruch über die Verhängung einer Disziplinarstrafe abgesehen werden kann, wenn dies ohne Verletzung dienstlicher Interessen möglich ist und nach den Umständen des Falles und nach der Persönlichkeit des Richters angenommen werden kann, dass ein Schuldspruch allein genügen wird, den Richter von weiteren Verfehlungen abzuhalten. Wird der Richter eines vor Ablauf von drei Jahren ab Rechtskraft dieses Erkenntnisses begangenen weiteren Dienstvergehens für schuldig erkannt, so ist bei der Bemessung der Strafe der früher gefällte Schuldspruch zu berücksichtigen, sofern das Dienstvergehen auf der gleichen schädigenden Neigung beruht.

21Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Ro 2020/09/0014, (zu einem Disziplinarverfahren eines Richters eines Landesverwaltungsgerichtes) grundlegend ausgeführt, dass in Verfahren betreffend allfällige disziplinarrechtliche Verfehlungen von Richter/innen ein strenger Maßstab angelegt werden muss, um nicht gegen den in Art. 87 und 88 B-VG festgelegten Grundsatz der Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit der Richter zu verstoßen, und dazu (in den Rzen 19 bis 35 u.a.) als beachtenswert gesehen:

„19 Die (insbesondere in Art. 87 Abs. 1 B-VG zum Ausdruck kommende) verfassungsrechtliche Garantie der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter in Ausübung ihres richterlichen Amtes dient der Absicherung vor möglicher Einflussnahme in die Rechtsprechung.

20 Sie findet ihre Grenzen in der ordnungsgemäßen Erfüllung der richterlichen Dienstpflichten und setzt damit - im Zusammenhang mit den richterlichen Dienstpflichten (vgl. dazu § 18 DO 1994 oder ähnliche Bestimmungen wie § 57 RStDG) - auch voraus, dass Richter und Richterinnen im Rahmen der ihnen gewährten Unabhängigkeit beim Einsatz ihrer persönlichen Ressourcen eine Erledigung der ihnen durch die Geschäftsverteilung zugewiesenen Rechtssachen in angemessener Frist erreichen sollten. Es ist der richterlichen Professionalität und Eigenverantwortung immanent, den fallbezogen notwendigen Einsatz zur Erledigung der jeweiligen Rechtssachen eigenständig möglichst effizient und strukturiert dafür aufzuwenden.

21 Eine weitere Sicherstellung der richterlichen Unabhängigkeit und Unterstützung für eine zügige Behandlung und Erledigung der zugewiesenen Rechtssachen durch den/die Richter/in liegt darin, dass die Festlegung der Geschäftsverteilung innerhalb des Gerichts (die im Wesentlichen die Verteilung der zu besorgenden Geschäfte im Voraus betrifft) im Rahmen der Kompetenz der kollegialen (und damit der justitiellen Tätigkeit zuzurechnenden) Justizverwaltung erfolgt und die Abnahme von bereits anhängigen Rechtssachen nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen möglich ist (vgl. Art. 87 und 135 Abs. 1 und 3 B-VG), wobei als vorausgesetzt anzunehmen ist, dass durch die Geschäftsverteilung eine möglichst gleichmäßige Auslastung aller Richter und Richterinnen erfolgt (wie z.B. in § 18 Abs. 4 VGWG angeführt) bzw. angestrebt und bei wesentlichen Auslastungsverschiebungen zeitgerecht anzupassen versucht wird.

22 Daneben obliegt es dem/der Präsidenten/Präsidentin als gerichtsintern höchstes Leitungsorgan der monokratischen Justizverwaltung im Rahmen der Organisationsverantwortung und Fürsorgepflicht des Dienstgebers die sonstigen Unterstützungen der Richter und Richterinnen für die Ausübung ihrer Tätigkeiten (wie zur Verfügungstellung von ausreichenden Sach- und anderen Personalressourcen) sicherzustellen und im Bedarfsfall punktuell zu konzentrieren. Diese zur Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Gerichtsbetriebs flankierenden Reaktionsmöglichkeiten und -notwendigkeiten der kollegialen und monokratischen Justizverwaltung auf unterschiedliche Rahmenbedingungen setzen naturgemäß das Vorhandensein ausreichender Ressourcen voraus.

23 Daraus resultiert ein komplexes Gefüge von (Mit-)Verantwortlichkeiten für die rückstandsfreie Führung einer Gerichtsabteilung bzw. des ganzen Gerichtsbetriebs, die auch den (jeweiligen) Gesetzgeber im Sinne einer Zurverfügungstellung ausreichender Ressourcen für die Erfüllung der justitiellen Staatsaufgaben innerhalb angemessener Zeit einschließt.

24 In diesem Zusammenhang sind auch die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Judikatur zu Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) entwickelten Kriterien zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer in Erinnerung zu rufen, wonach es neben dem Umfang und der Schwierigkeit des Falles, der Behandlung des Falles durch die mit dem Verfahren befassten Behörden und Gerichte sowie dem Verhalten des Beschwerdeführers auch auf die Bedeutung des Ausganges des Verfahrens für den Betroffenen ankommt (vgl. EGMR , Frydlender/France, 30979/96, Z 43; vgl. dazu auch Frowein-Peukert, EMRK-Kommentar [2009], Rz 248 ff).

25 Hervorzuheben ist zum zuletzt genannten Gebot der Berücksichtigung der Dringlichkeit des Falles, dass der EGMR (auch) bei unvorhergesehenem Ansteigen der Arbeitslast eine Bearbeitung der anhängigen Fälle nach der Eilbedürftigkeit und der Bedeutung dessen, was für die Beteiligten auf dem Spiel steht, als zu den zur Bewältigung in Frage kommenden Maßnahmen zählt (Frowein-Peukert, EMRK-Kommentar [2009], Rz 256).

26 Vom Obersten Gerichtshof wurde bereits in Anwendung vergleichbarer Bestimmungen zu richterlichen Dienstpflichten (nach dem früheren RDG und nunmehrigen RStDG) zu Fällen von dem/der Richter/in angelasteten Verfahrensverzögerungen ausgesprochen, dass bei Beurteilung von disziplinären Verfahrens- und Erledigungsverzögerungen grundsätzlich ein strenger, objektiver Maßstab anzulegen ist, der sich einerseits an sachverhaltsmäßigen und rechtlichen Schwierigkeiten der Akten zu orientieren hat. Andererseits sind auch Umfang und Komplexität der einzelnen Rechtsfälle, ferner der Aktenanfall im Verhältnis zu vergleichbaren Gerichtsabteilungen (Referenten) sowie allenfalls auch unverschuldet eingetretene belastende Lebensumstände mitzuberücksichtigen (vgl. RIS-Justiz RS0115557).

27 Wenn dem Disziplinarbeschuldigten eine einzige, aber extrem lange Ausfertigungsverzögerung nur als Ordnungswidrigkeit angelastet wird, bedarf es der Prüfung, ob seine Belastung so groß war, dass er zufolge einer Vielzahl gleich wichtiger offener Urteilsausfertigungen nicht in der Lage war, auch in der verfahrensgegenständlichen Sache seiner Verpflichtung zu entsprechen, die bei ihm anhängigen Rechtssachen so rasch wie möglich zu erledigen (vgl. RIS-Justiz RS0072515).

28 ...

29 Wenn auch im Allgemeinen eine Fehlbeurteilung des Richters in der Frage der Vordringlichkeit der Bearbeitung seiner ihm angefallenen Akten nicht disziplinär zu ahnden ist, ist das bewusste Ausweichen vor der Bearbeitung eines schon überlang anhängigen und dadurch vordringlich gewordenen Aktes disziplinär und unter Umständen als Dienstvergehen zu qualifizieren (vgl. RIS-Justiz RS0072503).

30 Um Verfahrensverzögerungen das Gewicht eines Dienstvergehens zu verleihen, ist Vorsatz oder auffallende Sorglosigkeit erforderlich. Akte der Rechtsprechung begründen nur dann eine Amtspflichtverletzung iSd § 101 Abs. 1 Satz 1 RDG, wenn sie eine bewusste oder wiederholt grob fahrlässige Missachtung des Gesetzes erkennen lassen. Wenn im Rahmen der Disziplinaruntersuchung objektiv massive Verfahrensverstöße hervorgekommen sind, kann die allenfalls nicht ausreichende Beweisbarkeit in subjektiver Richtung nicht zur sofortigen Einstellung führen. Eine volle, alle Zweifelsfragen lösende Beweiswürdigung steht dem Disziplinargericht nämlich nur nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu. Schon gar nicht geht es an, den Verdacht einer nach Art und Schwere als Dienstvergehen zu beurteilenden Amtspflichtverletzung durch eine vorgreifende Würdigung von Strafzumessungsgründen ausräumen zu wollen, die die subjektive Vorwerfbarkeit der inkriminierten Pflichtverletzung betreffen. Die Einstellung eines Disziplinarverfahrens wegen zu geringen Verschuldens ist demnach nur möglich, wenn sich überhaupt keine plausiblen Anhaltspunkte für das in der Sache erforderliche Verschulden ergeben haben (vgl. RIS-Justiz RS0117052).

31 Dem Grunde nach kann auch für die Beurteilung der Vorwerfbarkeit von Verfahrens- und Erledigungsverzögerungen bei Verwaltungsrichtern und Verwaltungsrichterinnen nichts anderes gelten:

32 Bei inkriminierten Rückständen und Verzögerungen sind die Ursachen zu ermitteln und es ist auf Grundlage von Feststellungen zu Umfang und Komplexität der einzelnen Rechtsfälle, weiters zum Aktenanfall, zu den Erledigungszahlen und zur Erledigungsdauer innerhalb eines angemessenen (mehrjährigen) Beobachtungszeitraum ein „Quervergleich“ der betroffenen Gerichtsabteilung zu vergleichbaren Gerichtsabteilungen (allenfalls auch zu anderen Gerichten) vorzunehmen sowie unter Berücksichtigung allenfalls auch unverschuldet eingetretener belastender Lebensumstände zu prüfen, ob dem/der einzelnen Richter/in die Unterlassung eines rascheren und zielorientierteren Verhaltens vorwerfbar ist. Besonders beim Vorwurf punktueller Verzögerungen ist im Hinblick auf die strukturelle Unabhängigkeit des/der Richters/Richterin beim Ablauf und Ansetzen der Amtsgeschäfte zu prüfen, ob seine/ihre Gesamtauslastung derart hoch war, dass der Verpflichtung einer Erledigung des bzw. der inkriminierten Verfahren in angemessener Zeit nicht entsprochen werden konnte. Dasselbe gilt umso mehr für die vordringliche Vorlage von Fristsetzungsanträgen, die in der Regel keinen großen Arbeitsaufwand darstellt, bzw. der fristgerechten Entsprechung von diesbezüglichen Erledigungsaufträgen des Verwaltungsgerichtshofes. Dabei ist auch zu beachten, dass selbst die generelle Überlastung eines Gerichts den/die betroffene/n Richter/in nicht von der Verpflichtung entbindet (auch im Sinne der dargelegten Judikatur des EGMR zu Art. 6 EMRK) seine/ihre vorhandenen Ressourcen prioritätenbezogen einzusetzen. Dies gilt im letzten Fall aber auch besonders für die monokratische und kollegiale Justizverwaltung in Bezug auf deren Unterstützungsmöglichkeiten. Da im Gegensatz zur ordentlichen Gerichtsbarkeit kein überregionaler Ressourcenausgleich überlasteter Gerichte zum Tragen kommen kann, kommt bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit hier dem Bundes- bzw. Landesgesetzgeber eine gesteigerte Verantwortung der Zurverfügungstellung ausreichender Ressourcen zu.

33 Der Verwaltungsgerichtshof verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass es neben der differenzierten dienstrechtlichen Regelungen für verschiedene Zweige der Gerichtsbarkeit bei den Verwaltungsgerichten einerseits im Vergleich zur ordentlichen Gerichtsbarkeit und auch andererseits im Vergleich der Verwaltungsgerichte untereinander teilweise unterschiedliche Rahmenbedingungen für den/die einzelne/n Richter/in insbesondere bezüglich des Ausmaßes und der Art der durch die monokratische Justizverwaltung bereitgestellten Unterstützungskapazitäten gibt.

34 ...

35 In Fällen wie dem vorliegenden kommt dem (erstmals in der Sache entscheidenden) Verwaltungsgericht als Disziplinargericht die Aufgabe zu, von Amts wegen den nach den zuvor dargelegten Kriterien maßgebenden Sachverhalt zu ermitteln und resultierend aus einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung klare und vollständige Feststellungen aller relevanten Merkmale des für eine rechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachverhaltes zu treffen. Zur Vermeidung von allfälligen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Sachverhalts zur Beurteilung der Vorwerfbarkeit von Verzögerungen in einem anderen Verwaltungsgericht kommt angesichts der erwähnten teilweisen strukturellen Unterschiede der Verwaltungsgerichte der Mitwirkung der betroffenen monokratischen Justizverwaltung eine besonders wichtige Rolle zu.“

22Im gegenständlichen Fall wurde dem Mitbeteiligten vorgeworfen, in einer ihm am zugeteilten Rechtssache (Entlassungsverfahren eines Polizeibeamten), für das eine gesetzlich verkürzte Entscheidungsfrist von drei Monaten bestanden habe, über vier Jahre keine Verfahrensschritte gesetzt und dieses erst am , sohin nach etwas mehr als 4,5 Jahren, erledigt zu haben.

23Bei diesem Vorwurf einer punktuellen Verzögerung ging es nach der zitierten Vorjudikatur somit im Wesentlichen um die Prüfung und Beurteilung, ob die Gesamtauslastung des Richters unter Berücksichtigung seiner strukturellen Unabhängigkeit beim Ablauf und Ansetzen seiner (richterlichen) Amtsgeschäfte und der angesichts einer Vielzahl anderer Verfahren notwendigen Prioritätenreihung derart hoch war, dass der Verpflichtung einer Erledigung des inkriminierten Verfahrens in angemessener Zeit nicht entsprochen werden konnte; dabei ist ein strenger, objektiver Maßstab anzulegen, der sich einerseits an sachverhaltsmäßigen und rechtlichen Schwierigkeiten der Akten zu orientieren hat.

24Ausschlaggebend für die Abwägung der Dringlichkeit einer Erledigung muss neben der Einschätzung des Richters an Hand des Einzelfalles aber grundsätzlich immer auch die Wertung sein, die sich aus dem Gesetz selbst ergibt. Wird für bestimmte Angelegenheiten (abweichend von der generellen Entscheidungsfrist von sechs Monaten gemäß § 34 Abs. 1 VwGVG) eine kürzere - etwa drei Monate oder sechs Wochen nach § 135c Z 1 und Z 2 BDG 1979 - im Gesetz vorgesehen, gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass diese Rechtssachen im Regelfall eine höhere Dringlichkeit aufweisen als andere.

25Das heißt mit anderen Worten, es ging darum, ob in der Situation des Mitbeteiligten die Erledigung des inkriminierten Aktes bei objektiver Betrachtungsweise hinsichtlich der notwendigen Prioritätenreihung zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen wäre (oder ob dem triftige Gründe entgegenstanden) und ihm eine allenfalls zutage gekommene Fehleinschätzung bei dieser Reihung vorgeworfen werden kann. Das Maß seiner sonstigen Diensterfüllung könnte dabei zunächst nur insoweit zum Tragen kommen, ob er durch unterdurchschnittliche Leistungen eine Überlastung seiner Gerichtsabteilung selbst zu verantworten hätte, welche auch auf die Erledigungsdauer des inkriminierten Verfahrens durchschlägt. Andernfalls kann die Frage des Vorliegens einer Überlastung als möglicher Entschuldigungsgrund (nur) von Relevanz sein, wenn der betroffene Richter zum einen so überlastet war, dass er diese Fehleinschätzung nicht erkennen konnte oder er zum anderen in Kenntnis der Situation und nach Ausschöpfung sämtlicher Möglichkeiten im Rahmen seines eigenverantwortlichen Ressourceneinsatzes (wozuu.a. - neben einem eigenständigen Fristenmanagements - auch die Einschränkung bis letztlich Zurücklegung seiner Nebenbeschäftigung als Vortragender bzw. seiner Justizverwaltungsfunktion zählt) sowie nach Anzeige dieser Situation gegenüber der kollegialen und monokratischen Justizverwaltung von dieser nicht oder nicht ausreichend durch Setzung adäquater Maßnahmen unterstützt wurde. Ansonsten hat er die im Raum stehende Säumnis jedenfalls zu verantworten und setzt er sich durch sein Verhalten der Gefahr einer disziplinarrechtlich relevanten Vorwerfbarkeit aus. Nach Bejahung der Schuldfrage kann die Frage (s)einer allfälligen Überlastung mit anderen Angelegenheiten in der Rechtsprechung oder Justizverwaltung und ob allenfalls flankierende Unterstützungsmaßnahmen auch losgelöst vom Verhalten des Richters seitens der kollegialen und monokratischen Justizverwaltung (im Sinne der zuvor dargelegten komplexen Mitverantwortlichkeiten für die rückstandsfreie Führung einer Gerichtsabteilung bzw. des ganzen Gerichtsbetriebs, vgl. dazu nochmals , Rz 23) notwendig gewesen wären, nur mehr im Rahmen der Strafbemessung als Milderungsgrund Berücksichtigung finden.

26Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Begründung einer Entscheidung eines Verwaltungsgerichts auf dem Boden des § 29 VwGVG mit Blick auf § 17 VwGVG den Anforderungen zu entsprechen, die in der Rechtsprechung des VwGH zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach erfordert die Begründung der Entscheidung in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (vgl. dazu u.a. , , Ra 2014/03/0038, und , Ro 2014/03/0076).

27Wie die Revision zutreffend aufzeigt, weist die angefochtene Entscheidung in ihrem Begründungsteil - abgesehen vom Verfahrensgang - zunächst bereits formal lediglich eine Trennung in „Sachverhalt/Beweiswürdigung“ und „Rechtsgrundlagen“ bzw. „Erwägungen“ mit teilweise jeweils weiteren Unterüberschriften (zu Themenbereichen) aus. Im Element „Sachverhalt/Beweiswürdigung“ werden größtenteils nebeneinander Aussagen des Mitbeteiligten und der einvernommenen Zeugen bzw. Vorbringen der Disziplinaranwältin (teilweise wiederholend) wiedergegeben, die zu gleichen Themen nicht immer deckungsgleich sind und teilweise nicht unerhebliche Divergenzen aufweisen. Beweiswürdigende Überlegungen in Form einer Würdigung der Beweiskraft, insbesondere der Glaubhaftigkeit der Angaben der einvernommenen Personen bzw. eine Auseinandersetzung mit den dabei auch zu Tage getretenen Unterschieden bzw. auch Widersprüchen oder auch eine Klärung derselben werden unterlassen (wie beispielsweise zur Frage, inwieweit ein Einsatz eines juristischen Mitarbeiters zur Unterstützung in Justizverwaltungsangelegenheiten nicht bereits vor 2019 möglich gewesen sei oder zu den unterschiedlichen „Feststellungen/Sachverhaltsannahmen“, in welchem Ausmaß Kammervorsitzende bzw. der Mitbeteiligte - im Durchschnitt - belastet waren).

28Darüber hinaus hat sich das Disziplinargericht auch nicht bzw. nicht ausreichend mit den übermittelten Datenauswertungen zum BVwG, insbesondere den Vergleichsdaten in der Stellungnahme der Disziplinaranwaltschaft vom betreffend einen Quervergleich zu anderen Gerichtsabteilungen auseinandergesetzt. Daraus ist - worauf die Revision auch hinweist - u.a. ersichtlich, dass der Mitbeteiligte im Zeitraum zwischen und 199 Rechtssachen zugewiesen erhalten habe, im Vergleich dazu zwei näher genannte Abteilungen (ohne zusätzliche Justizverwaltungsaufgaben für deren Leiter/in), in der nach der Legende der Auswertung „ähnliche, qualitativ und quantitativ vergleichbare Materien behandelt wurden“, 710 bzw. 897 Rechtssachen, was einen um 72% bzw. 78% geringeren Anfall des Mitbeteiligten bedeuten würde. Eine andere Kammervorsitzende, die - wie der Mitbeteiligte - auch asyl- und fremdenrechtliche Verfahren zu bearbeiten gehabt habe und insoweit auch vergleichbar gewesen sei, habe in diesem Zeitraum 151 Rechtssachen zugewiesen erhalten; im Zeitraum vom bis haben die Letztgenannte 189 und der Mitbeteiligte 195 Verfahren abgeschlossen.

29Vor diesem Hintergrund kann dem Disziplinargericht nicht gefolgt werden, dass keine vergleichbaren Daten vorgelegen wären. Bei Unklarheiten hinsichtlich dieser vorgelegten Auswertungen wäre es Aufgabe des Disziplinargerichts gewesen, insbesondere diejenigen einvernommenen Zeugen, die aufgrund ihrer Funktionen in der Justizverwaltung als informierte Vertreter des BVwG zur Klärung beitragen könnten, detaillierter dazu zu befragen und klärende Fragen zu stellen bzw. allenfalls weitere Ermittlungen vorzunehmen. Sich darauf zurückzuziehen, dass keine vollständigen und - ohne nähere Begründung - „unrichtige“ Daten vorliegen würden und nur „Schätzungen“ aufgrund von subjektiven Angaben einvernommener Richter/innen, die teilweise erheblich voneinander abwichen, vorgenommen hätten werden können, kann nicht als ausreichende Ermittlung bzw. ausreichende beweiswürdigende Begründung zur Frage der Auslastung des Mitbeteiligten angesehen werden.

30In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass sich aus dem Akt bzw. der Entscheidungsbegründung auch nicht erhellt, inwieweit Einwänden der Disziplinaranwältin zu den Protokollentwürfen zu Verhandlungsniederschriften Rechnung getragen wurde und damit auch den Anforderungen des § 14 Abs. 5 AVG entsprochen wurde.

31Des Weiteren würde aus diesen genannten Vergleichsdaten auch eine gegenüber anderen vergleichbaren Gerichtsabteilungen ohne Justizverwaltungsaufgaben geringere Anfallsbelastung des Mitbeteiligten (von 72% bzw. 78%) resultieren, die sich dem Wert annähert, welches das Disziplinargericht als Justizverwaltungsquote annimmt (hiezu führt es in seiner Begründung einerseits ausgehend von den insofern übereinstimmenden Aussagen des Mitbeteiligten, Präsidenten des BVwG und Vizepräsidenten und eines genannten Kammervorsitzenden Werte in einer Bandbreite von 75% bis 90% an bzw. geht andererseits davon aus, dass dem Mitbeteiligten nach seiner Einschätzung für Rechtsprechungsangelegenheiten in Summe zwischen zwei und vier Arbeitstage pro Monat zur Verfügung gestanden seien, was wiederum - bei der Annahme von durchschnittlich zwanzig Arbeitstagen pro Monat - einer korrespondierenden Justizverwaltungsquote zwischen 80% und 90% entsprechen würde). Jedenfalls kann ohne jeglicher inhaltlichen Auseinandersetzung damit wie auch ohne einer detaillierten Auflistung der Aufgaben eines Kammervorsitzenden bzw. des Mitbeteiligten in Justizverwaltungsangelegenheiten samt dem hiefür aufzuwendenden - durchschnittlichen - zeitlichen Ausmaß der vom Disziplinargericht im Wesentlichen allein aus den Aussagen einiger betroffener Richter/innen zur subjektiv empfundenen Auslastung abgeleiteten Annahme, dass der Mitbeteiligte bzw. alle Kammervorsitzenden nicht ausreichend entlastet worden wären und im Vergleich zu den übrigen Richter/innen des BVwG ihre Gesamtbelastung „nochmals höher“ einzustufen gewesen wäre, nicht als ausreichend begründet gesehen werden.

32Der Verwaltungsgerichtshof übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass das BVwG in den Jahren 2014 bis 2019 vor großen Herausforderungen stand und dabei auch allein erkennbar aus der Gesamtanfallsentwicklung die Belastungsgrenzen ausgereizt bzw. zumindest phasenweise überschritten wurden, wodurch die Erledigung aller Akten innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen in erheblichem Ausmaß nicht möglich war. Dem Disziplinargericht ist auch grundsätzlich insoweit beizupflichten, dass in solchen Situationen - wenn nicht ausreichend zusätzliche Personalressourcen zugeführt werden können - ein schrittweiser Rückstandsabbau als geeigneter Weg erscheint, wobei aber auch die zeitliche Tiefe der Rückstände ein wesentliches Kriterium bei der Erledigungsreihung sein muss. Auch die vom Präsidium des BVwG dazu schrittweise vorgenommene Nachschärfung des Altaktenberichtswesens macht unter diesem Gesichtspunkt Sinn. Die Argumentation des Disziplinargerichts, dass in den Jahren 2017 und 2018 die Anzahl der Rechtssachen, die innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden konnten, auf 47%der Verfahren gesunken sei, und die Richter/innen des BVwG dabei einen dauerhaften Zeiteinsatz von deutlich mehr als 40 Stunden pro Woche und auch an Wochenenden erbracht hätten, kann als Indiz für eine generelle Überlastung des gesamten Gerichts dienen, lässt jedoch mit dem bloßen Hinweis auf die Personalressourcen ohne nähere Begründung nicht den Größenschluss zu, dass eine Erledigung der anhängig gemachten Beschwerden innerhalb der gesetzlichen Fristen „weitestgehend“ nicht möglich gewesen sei und kann umso weniger als Rechtfertigung dafür herangezogen werden, dass das inkriminierte Verfahren erst im zweiten Quartal 2019 und somit mehr als vier Jahre nach Ablauf der gesetzlichen Erledigungsfrist in Angriff genommen wurde. Ebenso fehlen detaillierte Vergleiche mit anderen Gerichtabteilungen oder eine nachvollziehbare Begründung für die Annahme, dass „ein Verfahrensbeginn erst nach vier Jahren, jedenfalls bis Anfang 2019 keineswegs ungewöhnlich sei“.

33Ungeachtet der aus diesen Verfahrens- und Begründungsmängeln resultierenden Unschärfe zur tatsächlichen Auslastung oder dem Grad der Überlastung des Mitbeteiligten (auch im Vergleich zu anderen Richtern/innen) sind nach den bisherigen Verfahrensergebnissen jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass der Mitbeteiligte, der auch eine langjährige Erfahrung als Richter aufweist, so überlastet gewesen wäre, dass er im Sinne des zuvor Gesagten (vgl. Rzen 23 und 24) nicht erkennen hätte können, dass er eine unrichtige Prioritätenreihung in Bezug auf das inkriminierte Verfahren gesetzt und dieses jedenfalls zu einem früheren Zeitpunkt einer Erledigung hätte zuführen müssen.

34Davon ausgehend erweist sich aber allein schon auf Grundlage folgender Sachverhaltsannahmen des Disziplinargerichtes dessen Argumentation für eine mangelnde subjektive Vorwerfbarkeit und das daraus abgeleitete rechtliche Ergebnis eines Freispruches als verfehlt:

35So seien dem Mitbeteiligten im inkriminierten Zeitraum „im Ergebnis zwischen zwei und vier Arbeitstage pro Monat zur Rechtsmittelbearbeitung, dies aber nicht durchgängig“, zur Verfügung gestanden; dabei sei es zum Vorziehen von 127 Fällen insgesamt bzw. 98 Fällen mit längerer Entscheidungsfrist gegenüber dem inkriminierten Verfahren gekommen. Bezüglich des Anfalls divergieren die Annahmen des Disziplinargerichtes zwar, wonach an einer Stelle von zwischen Jänner 2015 und September 2019 ihm zugewiesenen 242 Rechtssachen 195 erledigt und somit Ende September 2019 47 offene Verfahren verblieben seien, und an anderer Stelle, wonach aus den Geschäftsjahren 2015 und folgende bis Ende September 2019 zusammengerechnet 201 Rechtssachen zugewiesen worden seien), jedoch ergibt sich daraus - auch unter Berücksichtigung, dass ein Geschäftsjahr beim BVwG vom 1. Februar eines Jahres bis 31. Jänner des Folgejahres angesetzt wird - eine durchschnittliche zugewiesene Aktenzahl pro Geschäftsjahr von (gerundet) zwischen 51 und 43. Im Weiteren ging das Disziplinargericht (offenkundig als Höchststand) von einer „Aktenbelastung von 80 Akten spätestens ab März 2018 aus, die erst im Geschäftsjahr 2019 wieder zu sinken begann.“

36Im Rahmen der ab 2017 begonnenen Fokussierung auf den verstärkten Abbau von Altverfahren (zunächst auf älter als vier Jahre) seitens der monokratischen Justizverwaltung sei ein Altakten-Monitoring zunächst im Geschäftsverteilungsausschuss begonnen worden, ab 2018 sie dieses mit den Kammervorsitzenden erörtert und es seien Altaktendaten bereitgestellt worden sowie ab 2019 Altaktenberichte erfolgt. Der Mitbeteiligte habe „die eindringlichen Hinweise des Präsidiums, das ab 2018 nachdrücklich auf den Abbau von Altakten gedrängt hat, auch nachvollzogen“; Erledigungsschritte zum inkriminierten Verfahren habe er erstmalig nach einer ihm gegenüber persönlich erfolgten Aufforderung durch den Präsidenten im April 2019 gesetzt.

37Der Mitbeteiligte habe es trotz der „bei ihm angefallenen Zusatzbelastungen“ unterlassen, seine Überlastung förmlich anzuzeigen. Ende 2016 habe er sich schriftlich gegen Geschäftsverteilungsmaßnahmen zur Verteilung von Verfahren im Zuständigkeitsbereich seiner Kammer auf mehrere Richter ausgesprochen (was evidentermaßen in weiterer Folge eine Entlastung auch seinerseits bedeutet hätte). Seine Nebenbeschäftigung als Vortragender habe er in diesem Zeitraum im Wesentlichen unverändert ausgeübt. Die Lebensumstände aufgrund der Notwendigkeit der Pflege seiner Mutter wurden als belastend gesehen, ihm aber attestiert dennoch „die Gerichtsabteilung so zu führen, dass diese leistungsmäßig nicht abfällt.“

38Zusammenfassend ergibt sich für die rechtliche Beurteilung daraus, dass zum derzeitigen Verfahrensstand keine Umstände vorlagen, wonach der Mitbeteiligte auf Grund einer Überlastung in quantitativer Hinsicht oder aus anderen Gründen nicht in der Lage gewesen wäre, bei richtiger Prioritätenreihung zu erkennen, dass der bezughabende Akt zu einem früheren Zeitpunkt erledigt werden hätte müssen und er entsprechend vorgehen hätte müssen. Weder allein aus der Menge der in Rechtsprechungsangelegenheiten zu behandelnden Akten noch aus dem zuvor genannten durchschnittlich dafür zur Verfügung stehenden Zeitausmaß kann abgeleitet werden, dass er den Überblick bei der Bearbeitungsreihenfolge verloren haben könnte. Weiters hat er auf die sich abzeichnende Situation auch nicht dahingehend reagiert, dass er im Rahmen seines eigenverantwortlichen Ressourceneinsatzes rechtzeitig seine Vortragstätigkeit bzw. Justizverwaltungsfunktion entsprechend reduziert bzw. eingestellt hätte. Dass er bei entsprechender Überlastungsanzeige seitens der monokratischen bzw. kollegialen Justizverwaltung nicht unterstützt worden wäre, ist ebenso nicht hervorgekommen; vielmehr habe er sich im Gegensatz dazu gegen die oben angeführte, Ende 2016 geplante Geschäftsverteilungsmaßnahme gewendet.

39Das Disziplinargericht unterlässt bei der Beurteilung der Prioritätenreihung des Mitbeteiligten zwar einen detaillierten Vergleich mit allen anderen vorgezogenen 127 Verfahren, sondern betont dabei als „deutlichen“ Unterschied - soweit es asylrechtliche Verfahren betrifft - generell die Bedeutung für Asylwerber und neben (wenigen) Fällen, in denen Fristsetzungsanträge gestellt wurden, bezüglich der übrigen Verfahren, dass für das inkriminierte Verfahren eine durchgängige Bearbeitungszeit von rund drei Wochen zu veranschlagen sei, kommt aber vor dem Hintergrund einer Gesamtdauer von mehr als viereinhalb Jahren (und damit einer eklatanten Überschreitung der gesetzlich gebotenen Entscheidungsfrist von drei Monaten) bei der gegenwärtigen Sachlage zum richtigen Ergebnis, dass durch die „Zurückreihung über die Maßen“ durch den Mitbeteiligten eine objektive Dienstpflichtverletzung vorliegen würde.

40Wenn es dazu im Weiteren diese (auch vom Mitbeteiligten selbst eingeräumte) Fehleinschätzung, „dass er Entscheidungsfristen als weniger bedeutsames Kriterium als konkrete Auswirkungen im Einzelfall ansah“, als „deutlichen Hinweis auf eine subjektiv bestehende massive Überlastung“ sieht, ist dem Disziplinargericht entgegenzuhalten, dass diese Umstände - sofern damit nicht die Schuldfähigkeit beeinträchtigt ist, wozu es allenfalls eindeutiger Feststellungen auch unter Beiziehung eines ärztlichen Sachverständigen bedürfte - wie oben dargelegt erst im Rahmen der Strafbemessung von Bedeutung sein können.

41Im Weiteren übersieht das Disziplinargericht, dass das Vorziehen von 127 Akten in einem mehr als vierjährigen Zeitraum bedeutet, dass der Mitbeteiligte - wenn ihm gleichzeitig eine „ansonsten“ nicht zu beanstandende Führung der Gerichtsabteilung attestiert wird - mehrmals einen solchen (unrichtigen) Prioritätenvergleich (nämlich beim Vorziehen jeweils jüngerer Akten) vorgenommen bzw. aufrechterhalten haben muss und damit seine Fehleinschätzung „wiederholt“ bzw. aufrecht erhalten hat; daraus ist ausgehend von der Disziplinaranzeige zwar ein „einmaliges Fehlverhalten“ zu sehen, diese über einen auffällig langen Zeitraum prolongierte und auch bei Abwägung mit Verfahren aus unterschiedlichen Materien aufrecht erhaltene Fehleinschätzung spricht aber für eine entsprechende Schwere der Dienstpflichtverletzung.

42Darüber hinaus fällt ins Gewicht, dass der Mitbeteiligte auch spätestens seit der Information des Präsidiums 2018 auf die Fokussierung auf die Altaktenpriorisierung hingewiesen wurde und auch daraufhin sein Verhalten nicht geändert hat. Dem entlastend herangezogenen Argument des Disziplinargerichtes, der Mitbeteiligte habe davon erst explizit auf seine Abteilung bezogen im Einzelgespräch mit dem Präsidenten des BVwG im Frühjahr 2019 erfahren und er habe sich zwischendurch um andere davon betroffene Richter/innen in seiner Funktion als Kammervorsitzender kümmern müssen, weshalb er nicht früher mit der Abarbeitung des inkriminierten und 13 ähnlicher Verfahren beginnen hätte können, ist entschieden entgegenzutreten: spätestens ab der Information des Präsidiums 2018 hätte er die entsprechenden notwendigen Schritte zur Verfahrensbeendigung setzen müssen. Im Übrigen kann auch der Umstand, dass er als Vortragender im einschlägigen Rechtsbereich (Disziplinarrecht) über mehrere Jahre tätig ist, eine höhere subjektive Vorwerfbarkeit begründen, weil er um die Voraussetzungen einer disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit genau wissen musste. Vor diesem Hintergrund kann angesichts des gesamten Verhaltens des Mitbeteiligten (verstärkt ab dem Hinweis des Präsidiums 2018) dem Disziplinargericht nicht gefolgt werden, dass das Vorliegen grober Fahrlässigkeit zu verneinen sei und die Dienstpflichtverletzung weder auffallend sorglos noch vorsätzlich erfolgt sei und in subjektiver Hinsicht kein Disziplinarvergehen darstellen würde.

43Das vom Disziplinargericht im Übrigen ins Treffen geführte Engagement des Mitbeteiligten bei der Ausübung seiner Funktion als Kammervorsitzender (samt damit verbundenen Zusatzaufgaben), seine Leistungen bei der Führung seiner Gerichtsabteilung, seine diesbezügliche Auslastungssituation bzw. allenfalls daraus resultierende Überlastung (phasenweise oder während des gesamten Zeitraumes bzw. allenfalls auch in einem im Vergleich zu anderen überdurchschnittlichem Ausmaß) können ebenso wie seine persönlichen Lebensumstände somit erst im Rahmen der Strafbemessung geprüft werden. Dazu bedarf es aber im fortzusetzenden Verfahren noch (wie dargelegt bislang fehlender) konkreter Feststellungen des Disziplinargerichtes insbesondere zum Grad der Auslastung des Mitbeteiligten im relevanten Zeitraum. Gegenüber diesbezüglichen mildernden Umständen wird aber auch die Vorbildwirkung des Mitbeteiligten als (im relevanten Zeitraum) in der Justizverwaltung tätige Führungskraft als Kammervorsitzender, zu dessen Aufgabenbereich auch Dienst- und Fachaufsicht des Personals der Kammer gehört, und weiters zu berücksichtigen bzw. zu prüfen sein, ob aus der Vortragstätigkeit im einschlägigen Rechtsbereich auch eine Vorbildwirkung abzuleiten ist, der ebenso wie die Unterlassung der Einstellung seiner Nebenbeschäftigung erschwerende Bedeutung zukommt.

44Da das Disziplinargericht all dies übersehen hat und aufgrund seiner verfehlten Rechtsansicht die angefochtene Entscheidung mit Verfahrensfehlern belastet hat, war das bekämpfte Erkenntnis infolge prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022090076.L00

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