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VwGH vom 06.07.2023, Ra 2022/07/0081

VwGH vom 06.07.2023, Ra 2022/07/0081

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler, Mag. Haunold, Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision 1. der B R, 2. der K S in M 3. der B G, 4. des G S, 5. des J F und 6. des M L, alle in L, sowie 7. der B B in P, alle vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W225 2238815-1/28E, betreffend eine Genehmigung nach § 17 UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Niederösterreichische Landesregierung; mitbeteiligte Parteien: 1. J AG in W, 2. Gemeinde Z und 3. N GmbH in M, alle vertreten durch die SHMP Schwartz Huber-Medek Pallitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 7, und Dr. Peter Krömer, Rechtsanwalt in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Die mitbeteiligten Parteien beantragten im März 2019 eine Genehmigung nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) für das Projekt „Zitronensäureproduktion am Standort B[...]“. Vorgesehen ist dabei im Wesentlichen die Errichtung einer Anlage, die 50.000 t/a Zitronensäure in einem biologischen Prozess produzieren soll. Das Projekt umfasst dazu auch die Errichtung einer 3,8 km langen Gashochdruckleitung, die Verlegung einer bestehenden 110 kV-Freileitung, die Errichtung einer 20 kV-Erdleitung, die Erweiterung eines Umspannwerkes zur Sicherung der Stromversorgung der Anlage sowie die Verlängerung einer Landesstraße. Aus der Donau soll Wasser (Kühlwasser und Prozesswasser) entnommen werden. Eine betriebliche Schmutzwasserkanalisation und eine Abwasserbeseitigungsanlage soll errichtet und gereinigtes betriebliches Abwasser bzw. Kühlwasser in die Donau eingeleitet werden.

2Mit Bescheid vom erteilte die Niederösterreichische Landesregierung, die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht (in der Folge: belangte Behörde), für dieses Vorhaben nach dem UVP-G 2000 im Sinn des § 17 Abs. 1 UVP-G 2000 unter Mitanwendung der maßgeblichen Verwaltungsvorschriften - wie unter anderem der §§ 74, 75 und 75 GewO 1994, der §§ 9, 11 und 12 WRG 1959, des Immissionsschutzgesetzes-Luft (IG-L), der NÖ BauO 2012 und des NÖ Naturschutzgesetzes 2000 - nach Maßgabe der Projektunterlagen und unter Vorschreibung zahlreicher Auflagen die beantragte Genehmigung.

3Gegen diesen Bescheid erhoben unter anderem die Erstrevisionswerberin als Bürgerinitiative nach § 19 Abs. 1 Z 6 und Abs. 4 UVP-G 2000 und die zweit- bis siebentrevisionswerbenden Parteien als Nachbarn nach § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 Beschwerden. In den Beschwerden beantragten sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und wandten sich inhaltlich gegen die Richtigkeit der Sachverständigengutachten, die dem Bescheid der belangten Behörde zugrunde gelegt worden waren. Dazu brachten sie unter anderem vor, die Berechnung von der Anlage ausgehender Emissionen - verschiedene Luftschadstoffe, Stickoxide, Staub, Gerüche und Bioaerosole (Pilzsporen) sowie Lärm - sei durch den von der belangten Behörde bestellten nichtamtlichen Sachverständigen für Luftreinhaltetechnik (aus näher dargestellten Gründen) mangelhaft erfolgt. Das ergebe sich aus dem von ihnen im behördlichen Verfahren vorgelegten (Privat-)Gutachten des allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Ing. AS, das von der belangten Behörde nicht berücksichtigt worden sei. Es sei zu befürchten, dass es hinsichtlich der Immissionen in der Wohnnachbarschaft zu einer Überschreitung der maßgeblichen Grenzwerte kommen werde. Hinsichtlich der Beeinträchtigung des Landschaftsbilds sei das von den revisionswerbenden Parteien vorgelegte (Privat-)Gutachten des Sachverständigen Dr. Z nicht beachtet worden. Auch die Auswirkungen des Vorhabens auf Tiere - insbesondere im angrenzenden Europaschutzgebiet - seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Fledermäuse würden durch Lichtimmissionen gestört. Hinsichtlich Brutflächen für Kiebitze sei nicht ausreichend vorgesorgt worden. Die Abwässer der Anlage enthielten Sulfate, die fischschädigend seien. Es sei auch damit zu rechnen, dass durch den laufenden Betrieb eine erhebliche Lärmbelästigung verursacht werde. Insoweit sei das Gutachten des lärmtechnischen Sachverständigen nicht schlüssig. Ihr Parteiengehör sei von der belangten Behörde nicht ausreichend gewahrt und die verwaltungsbehördliche Verhandlung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden.

4Mit dem - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen - in Revision gezogenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, die Beschwerde der Erstrevisionswerberin werde „in den Beschwerdepunkten II.3..b. und II.3..c“ und die Beschwerden der weiteren revisionswerbenden Parteien „in den Beschwerdepunkten II.3.2.3.7., II.3.2.3.9.a., II.3.2.3.9.b., II.3.2.3.9.h., II.3..e., II.3..f., II.3..g., II.3..h, II.3..i., II.3..j., II.3..k., II.3..l., II.3..m., II.3..n., II.3..b., II.3..a., II.3..b., II.3..b., II.3..c., II.3..d., II.3..e., II.3..f., II.3..g., II.3..h. und II.3..i.“ (Anmerkung des Verwaltungsgerichtshofs: Die Nummerierung bezieht sich erkennbar auf die Gliederung der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Erkenntnisses) gemäß § 28 Abs. 1 iVm. § 31 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt A) I.). Einer - unter einem behandelten - Beschwerde des Arbeitsinspektorates gab das Bundesverwaltungsgericht teilweise Folge, indem es im Bescheid erteilte Auflagen - in hier nicht relevanter Weise - abänderte (Spruchpunkt A) II.). Im Übrigen wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden der revisionswerben Parteien gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet ab (Spruchpunkt A) III.). Eine Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

5In seiner Begründung stellte das Bundesverwaltungsgericht zunächst kurz den Verfahrensgang dar. Seine anschließenden „Feststellungen“ gliederte es - nach einer knappen allgemeinen Beschreibung der geplanten Anlage - in der Folge unter der Überschrift „Feststellungen zu den einzelnen Beschwerdepunkten“ in Unterpunkte, in denen es die einzelnen aus dem Vorbringen in den Beschwerden ableitbaren Einwendungen gegen den Bescheid der belangten Behörde gesondert behandelte. Insoweit führte es insbesondere aus, von der belangten Behörde sei das Parteigehör gewahrt sowie die Verhandlung (aus näher genannten Gründen) ordnungsgemäß durchgeführt und die von den revisionswerbenden Parteien vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen des Dr. Z und des Ing. AS berücksichtigt worden, wobei auch begründet worden sei, warum den behördlichen Gutachten ein höherer Beweiswert zukomme. Die „Festlegung eines Grenzwertes für den Gesamtgeruchsstrom“ entspreche dem Stand der Technik. Durch die erteilten Auflagen (insbesondere Festsetzung von Emissionsgrenzwerten und Vorschreibung periodischer Messungen) sei die belangte Behörde insoweit „der Forderung des nichtamtlichen Sachverständigen für den Fachbereich der Luftreinhaltetechnik“ nachgekommen. Der Sachverständige habe die zur Bestimmung der Geruchsemissionen angewendeten Verfahren erklärt. Die Messberichte seien nachvollziehbar. Die ÖNORM EN 13725 sei berücksichtigt worden. Die Geruchsemissionen der Dampfkessel seien nicht relevant. Messungen im Werk P[...] hätten ergeben, dass es zu keiner signifikanten Erhöhung von Bioaerosolen in der Umgebung durch die Abwasserreinigungsanlage komme. Entgegen dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien sei die Freisetzung von Sporen bei Wartungsarbeiten sowie eine Pilzinfektion ausgeschlossen. Auch insoweit sei die belangte Behörde „der Forderung des nichtamtlichen Sachverständigen für den Fachbereich Luftreinhaltetechnik“ durch die Vorschreibung von Auflagen nachgekommen. Sämtliche diffusen Staubemittenten seien „erfasst und bei der Auswirkungsanalyse berücksichtigt“ worden. Fermenterabluft werde - entgegen dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien - nicht als Verbrennungsluft dem Gaskessel zugeführt, sodass insoweit die geäußerten Befürchtungen der revisionswerbenden Parteien betreffend Stickoxidemissionen nicht berechtigt seien. Hinsichtlich emissionsmindernder Maßnahmen und NOX-Emissionsgrenzwerten habe die Behörde entsprechend den Forderungen des Sachverständigen Auflagen erteilt. Auch die durchgeführten Berechnungen zu Staubemissionen in der Bauphase seien „insgesamt plausibel und nachvollziehbar“ und entsprächen dem Stand der Technik. „Im Untersuchungszeitraum“ seien die Grenzwerte nach dem IG-L eingehalten worden. Im Hinblick auf die von den revisionswerbenden Parteien befürchteten Emissionen von Methan, Ammoniak und Lachgas, sei festzuhalten, dass Ammoniak nicht klimawirksam sei und Lachgas und Methan für das Vorhaben „vernachlässigbar“ seien. Soweit von den revisionswerbenden Parteien eine Belästigung durch einen „24 Stunden-Betrieb“ der Anlage behauptet werde, sei zu entgegnen, dass die projektkausalen Auswirkungen des Vorhabens in der Betriebsphase insoweit „irrelevant“ seien. Hinsichtlich der die Auswirkungen auf das Wasser (der Donau) betreffenden Einwendungen in den Beschwerden - insbesondere hinsichtlich der Einhaltung der Grenzwerte für Sulfat und Calciumcarbonat - sei auf die von der belangten Behörde erteilten Auflagen zur Durchführung diverser regelmäßiger Messungen und zur Überwachung der Kläranlage zu verweisen. Entgegen dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien komme es zu keiner relevanten Verschlechterung der Sulfatkonzentration der Donau und seien hinsichtlich der Emissionen „die ÖBB-Kühlwässer berücksichtigt“. Die Auswirkungen der (in ihrem Erscheinungsbild näher beschriebenen) Anlage auf das Orts- und Landschaftsbild seien nicht erheblich. Die Lichtimmissionen des Vorhabens hätten im Sinn des Gutachtens des Sachverständigen für den Fachbereich Naturschutz auch nur geringe Wirkungen auf Fledermäuse und andere Tiere, sodass nachteilige Folgen insoweit nicht zu erwarten seien. Für Kiebitze seien durch im Bescheid erteilte Auflagen Ausgleichsflächen vorgeschrieben worden.

6In seiner Beweiswürdigung verwies das Bundesverwaltungsgericht (neuerlich) darauf, dass das von den revisionswerbenden Parteien vorgelegte Gutachten des Ing. AS von der belangten Behörde berücksichtigt worden sei. Zur Begründung, warum dadurch das Gutachten des im behördlichen Verfahren bestellten Sachverständigen für den Fachbereich der Luftreinhalttechnik nicht entkräftet habe werden können, sei auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid zu verweisen. Das Gutachten des Ing. AS sei somit fachlich nicht als gleichwertig anzusehen. Unabhängig davon seien vom behördlich bestellten Sachverständigen die Ausführungen des Ing. AS auch in einer Stellungnahme widerlegt worden. Auch im Übrigen seien die (näher genannten) Gutachten der von der belangten Behörde bestellten Sachverständigen schlüssig, nachvollziehbar und methodisch einwandfrei. Da die Erhebungen der Verwaltungsbehörde vollständig und aktuell seien, seien weitere Ermittlungsschritte nicht erforderlich gewesen.

7In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Erstrevisionswerberin komme als Bürgerinitiative gemäß § 19 Abs. 4 UVP-G 2000 das Recht zu, im Verfahren die Einhaltung von Umweltvorschriften als subjektive Rechte geltend zu machen. Die Zweit- bis Siebentrevisionswerber seien als Nachbarn nach § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 im Sinn von § 17 Abs. 2 Z 2 UVP-G 2000 berechtigt, die Verletzung der Schutzgüter Leben, Gesundheit sowie Eigentum oder sonstiger dinglicher Rechte zu relevieren. Dagegen seien sie nicht berechtigt, darüber hinaus gehende Fragen des Natur- und Landschaftsschutzes aufzugreifen. Seine weitere rechtliche Beurteilung gliederte das Bundesverwaltungsgericht - wie seine Feststellungen - thematisch hinsichtlich der in den Beschwerden angesprochen Themen in Unterpunkte von II.3.2.3.1 bis II.3..i. Diese Unterpunkte wurden vom Bundesverwaltungsgericht - unter anderem in seinem Spruch - als „Beschwerdepunkte“ bezeichnet. Zu II.3..b. und II.3..c (allgemeine Zunahme des Bahnverkehrs und wirtschaftlicher Verlust eines Restaurantbetriebes) verwies das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass insoweit von allen revisionswerbenden Parteien keine subjektiven Rechte geltend gemacht werden könnten. Hinsichtlich der Themen in den Unterpunkten II.3.2.3.7., II.3.2.3.9.a., II.3.2.3.9.b., II.3.2.3.9.h., II.3..e., II.3..f., II.3..g., II.3..h, II.3..i., II.3..j., II.3..k., II.3..l., II.3..m., II.3..n., II.3..b., II.3..a., II.3..b., II.3..b., II.3..c., II.3..d., II.3..e., II.3..f., II.3..g., II.3..h. und II.3..i (Einwendungen hinsichtlich Auswirkung auf das Landschaftsbild, Festlegung des Grenzwertes für den Gesamtgeruchsstoffstrom, Geruchsemissionen aus den Kesselanlagen, ungenügende Feststellung und Erklärung der Geruchsimmissionen, Ausbreitung von Bioaerosolen und Klimagasen, emissionsmindernde Maßnahmen, ungenügende Messung bzw. Berechnung von Luftimissionen [insbesondere von diffusen Staubemissionen und Stickoxidemissionen], ungenügende Festlegung emissionsmindernder Maßnahmen und Grenzwerte für die Luftimmissionen, Lärmbelästigung durch zunehmenden Schiff- und Bahnverkehr, Natur- und Tierschutz sowie die Sulfatkonzentration im angrenzenden Natura 2000 Gebiet) würden zwar von der Erstrevisionswerberin, nicht aber von den anderen revisionswerbenden Parteien mögliche Verletzungen in subjektiven Rechten behauptet. Hinsichtlich dieser „Beschwerdepunkte“, in denen keine subjektiven Rechte releviert worden seien, seien die Beschwerden der zweit- bis siebentrevisionswerbenden Parteien daher mit Spruchpunkt A) I. zurückzuweisen gewesen. Im Übrigen seien die in den Beschwerden erhobenen Einwendungen der revisionswerbenden Partei nicht berechtigt. Die behaupteten Eingriffe in Schutzgüter im Sinn des UVP-G 2000 seien bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren durch Sachverständige untersucht worden. Einem tauglichen, mit den Erfahrungen des Lebens und den Denkgesetzen nicht im Widerspruch stehenden Gutachten könne nur auf gleicher fachlicher Ebene durch ein gleichwertiges Gutachten oder durch fachlich fundierte Argumente entgegengetreten werden. Die revisionswerbenden Parteien seien insbesondere dem Gutachten des Sachverständigen aus dem Fachbereich der Luftreinhaltetechnik nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.

8Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerden als geklärt anzusehen sei. Das Beschwerdeverfahren habe überwiegend Rechtsfragen allgemeiner Natur betroffen. In den Beschwerden sei auch nur das schon im verwaltungsbehördlichen Verfahren erstattete Vorbringen wiederholt worden.

9Gegen dieses Erkenntnis erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom , E 4392/2021-16, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

10In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision erhoben. Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof haben die mitbeteiligten Parteien und die belangte Behörde Revisionsbeantwortungen eingebracht, in denen sie jeweils die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragten.

11Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

12Zur Zulässigkeit der Revision wird zunächst geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht sei von (näher genannter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen des Absehens von einer Verhandlung nach § 24 Abs. 4 VwGVG abgewichen. Im Beschwerdeverfahren sei insbesondere vorgebracht worden, dass von der Anlage ausgehende Luftemissionen, Geruchsbelästigungen und Lärmbelästigungen im verwaltungsbehördlichen Verfahren nicht mängelfrei überprüft worden seien und das eingeholte Gutachten mangelhaft gewesen sei. Die revisionswerbenden Parteien seien den auf Sachverständigengutachten gegründeten Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde insoweit durch Vorlage eines eigenen Gutachtens des allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Ing. AS entgegengetreten. Wie sich aus dem von den revisionswerbenden Parteien vorgelegten Gutachten ergebe, sei tatsächlich durch den Betrieb der Anlage insbesondere mit unzumutbaren Geruchsbelästigungen und dem Stand der Technik nicht entsprechender Freisetzung von Luftschadstoffen zu rechnen, wodurch auch eine Schädigung der Gesundheit der als revisionswerbende Parteien auftretenden Nachbarn zu befürchten sei. Der maßgebliche Sachverhalt sei daher konkret bestritten worden.

13Nach § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

14Die Akten lassen dann im Sinn des § 24 Abs. 4 VwGVG erkennen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann, wenn also die Voraussetzungen hinsichtlich der Klärung des Sachverhaltes gegeben sind und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, für die eine Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre. Bei konkretem sachverhaltsbezogenen Vorbringen des Revisionswerbers vor dem Verwaltungsgericht ist eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa , mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat insoweit auch schon wiederholt darauf hingewiesen, dass dann, wenn der Sachverhalt vor dem Verwaltungsgericht konkret - und nicht nur allgemein inhaltsleer - bestritten wird, nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Verwaltungsgericht ausschließlich rechtliche Fragen zu behandeln hat (vgl. , mit näheren Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).

15Die Revision legt zutreffend dar, dass die revisionswerbenden Parteien im Beschwerdeverfahren den entscheidungsmaßgeblichen Sachverhaltsannahmen, die die belangte Behörde ihrem Bescheid zu Grunde gelegt hat, insbesondere hinsichtlich der von der Anlage ausgehenden Emissionen konkret - auch unter Berufung auf die von ihnen vorgelegte gutachterliche Stellungnahme des Ing. AS - entgegengetreten sind. Damit lagen aber im Sinn der genannten Grundsätze die Voraussetzungen für den Entfall der mündlichen Verhandlung nicht vor. Dabei ist auch nicht entscheidend, ob das Bestreiten des Sachverhaltes erfolgreich bzw. erfolgversprechend gewesen ist, sondern nur, dass ein konkretes - und nicht nur allgemeines inhaltsleeres - Vorbringen bezogen auf den Sachverhalt erstattet wurde (vgl. nochmals Ra 2016/06/0088).

16In der Revision wird unter dem Gesichtspunkt ihrer Zulässigkeit und ihrer Berechtigung insbesondere weiters geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe es auch unterlassen, sich mit dem Vorbringen der revisionswerbenden Parteien inhaltlich auseinanderzusetzen und dazu ein Ermittlungsverfahren durchzuführen. Auch sei dem Erkenntnis nicht zu entnehmen, welcher Sachverhalt konkret der Entscheidung zugrunde gelegt werde. Mit diesem Vorbringen zeigt die Revision im Ergebnis zutreffend einen Begründungsmangel des angefochtenen Erkenntnisses auf.

17Insoweit ist zunächst festzuhalten, dass das Bundesverwaltungsgericht seinem Erkenntnis eine unrichtige Beurteilung der subjektiven Rechte zu Grunde gelegt hat, die den zweit- bis siebentrevisionswerbenden Parteien als Nachbarn zustehen und sich im Verfahren zur Genehmigung einer Betriebsanlage in erster Linie aus § 74 Abs. 2 GewO 1994 ergeben (vgl. , mwN und näherer Erörterung der rechtlichen Grundlagen nach dem UVP-G 2000 und der GewO 1994). Im vorliegenden Verfahren war nämlich auch zu klären, ob es durch Immissionen zu unzumutbaren Belästigungen der Nachbarn im Sinne von § 17 Abs. 2 Z 2 lit. c UVP-G 2000 und § 77 Abs. 2 GewO 1994 kommt. § 77 Abs. 2 GewO 1994 verweist in diesem Zusammenhang auf § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994, wo Geruch, Lärm, Rauch, Staub und Erschütterungen ausdrücklich genannt sind. Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, ist die Aufzählung der Immissionen in § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 demonstrativ und können etwa auch Gase, Dämpfe, Nebel, Lichteinwirkungen und sichtbare oder unsichtbare Strahlen, Wärme oder Schwingungen geeignet sein, die Nachbarn unzumutbar zu belästigen (vgl. , mwN). Soweit das Bundesverwaltungsgericht in Abweichung von dieser Rechtsprechung davon ausgegangen ist, dass Immissionen durch Gerüche und Staub bzw. Luftimmissionen und Lärm nicht geeignet wären, subjektive Rechte der zweit- bis siebentrevisionswerbenden Parteien zu berühren, hat es daher die Rechtslage verkannt.

18Ausgehend vom dargestellten Entscheidungsgegenstand ist im Weiteren die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts mangelhaft geblieben. Dazu ist daran zu erinnern, dass die Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG zu begründen sind. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung erkennt, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Judikatur zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens wiederstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa , mwN). Als zulässig anzusehen ist aber auch ein (eindeutiger) Verweis auf die Entscheidungsgründe (bzw. Teile der Entscheidungsgründe) des Bescheides der belangten Behörde (vgl. , Rn. 213, mwN).

19Jede Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, welche - allenfalls unter Rückgriff auf den Inhalt bzw. Abspruch eines (in Beschwerde gezogenen) verwaltungsbehördlichen Bescheides - die Angelegenheit erledigt, die zunächst von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war, tritt an die Stelle des beim Verwaltungsgericht bekämpften Bescheides. Dies ist bei der Gestaltung sowohl des Spruches als auch der Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu berücksichtigen. Daraus folgt, dass ein Verwaltungsgericht, wenn es eine in der Beschwerde in Frage gestellte Beurteilung der Behörde teilt, entweder mit näheren Hinweisen auf die entsprechenden Teile der Begründung des Bescheides verweist oder sie aus Eigenem wiederholt (vgl.  bis 0036, Rn. 197, 198, mwN; sowie nochmals Ro 2019/04/0021, Rn. 214).

20Im angefochtenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht unter der Überschrift „Feststellungen“ zu den einzelnen im Beschwerdevorbringen der revisionswerbenden Parteien erhobenen Einwänden (in der Diktion des Bundesverwaltungsgerichtes „Beschwerdepunkte“) gegen die erteilte Bewilligung Stellung genommen. Im Zuge dessen hat es hinsichtlich der von der Anlage ausgehenden Emmissionen ausgeführt, dass die Gutachten der von der belangten Behörde bestellten Sachverständigen bzw. die von diesen durchgeführten Messungen nachvollziehbar und schlüssig seien. Diese Würdigung der Sachverständigengutachten ist der Beweiswürdigung zuzuordnen (vgl. nochmals VwGH Ro 2019/04/0021, Rn. 218). Die Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes ist dagegen nicht vollständig, sondern in wesentlichen Punkten nur bruchstückhaft erfolgt. Insbesondere wurde im angefochtenen Erkenntnis eine abschließende Feststellung der Immissionen, hinsichtlich der die zweit- bis siebentrevisionswerbenden Parteien eine Verletzung ihrer subjektiven Rechte als Nachbarn behaupten, nicht - und zwar auch nicht durch einen konkreten Verweis im Sinn der genannten Judikatur - getroffen. Damit entzieht sich die Entscheidung hinsichtlich der Vorrausetzungen der Erteilung der Genehmigung einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof.

21In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die Gestaltung des Spruches - insbesondere dessen Spruchpunkt A) I. - den Eindruck erweckt, als würden lediglich die einzelnen im Zuge des Beschwerdevorbringens erhobenen Einwände der revisionswerbenden Parteien abvotiert. Dabei scheint die Aufgabe des Verwaltungsgerichts aus dem Blick geraten zu sein, bei einer - hier im Hinblick auf die unstrittige Parteistellung der revisionswerbenden Parteien getroffenen - Entscheidung in der Sache, die Angelegenheit, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde, zu erledigen; somit entweder die erteilte Bewilligung durch Abweisung der Beschwerde zu bestätigen bzw. diese abzuändern oder zu versagen (vgl. zum Abspruch des Verwaltungsgerichts näher etwa ; sowie grundlegend zur Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte ).

22Im Ergebnis war das angefochtene Erkenntnis aus den genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

23Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022070081.L00

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