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VwGH vom 19.06.2023, Ra 2022/07/0031

VwGH vom 19.06.2023, Ra 2022/07/0031

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bamer, über die Revision der E H in U, vertreten durch Dr. Reinfried Eberl, Dr. Robert Hubner LL.M., Dr. Robert Krivanec, Dr. Günther Ramsauer, Mag. Walter Unzeitig LL.M. und Mag. Birgit Schnöll, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 44, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom , 405-1/666/1/13-2022, betreffend eine Bewilligung nach dem WRG 1959 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau; mitbeteiligte Partei: A L in U, vertreten durch die Niederhuber & Partner Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Wilhelm-Spazier-Straße 2a), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Bescheid vom erteilte die Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau dem Mitbeteiligten die Bewilligung nach dem Wasserrechtsgesetz 1959 (WRG 1959) für die Errichtung und den Betrieb eines Kraftwerkes am L-Graben nach Maßgabe näher bezeichneter Projektunterlagen sowie unter Bestimmung des Maßes und der Art der Wasserbenutzung und Vorschreibung einer Reihe von Nebenbestimmungen. Unter anderem wurde hinsichtlich des Maßes der Wasserbenutzung festgelegt, dass höchstens 10 l/s zur Energieerzeugung aus dem L-Graben entnommen werden dürften und zumindest 20 % des natürlichen Zuflusses aus dem L-Graben wieder abzugeben seien, wobei die abgegebene Wassermenge von 1. Dezember eines Jahres bis zum 30. September des folgenden Jahres 10 l/s und im Zeitraum von 1. Oktober bis  l/s jedenfalls nicht unterschreiten dürfe.

2Gegen diesen Bescheid erhob die Revisionswerberin Beschwerde. Sie brachte vor, beim L-Graben handle es sich um ein Privatgewässer im Sinn des § 3 Abs. 1 lit. e WRG 1959, das im Abschnitt, in dem es über ihr Grundstück fließe, ihr gehöre. Sie nutze den L-Graben zur Viehtränke. Diese Nutzung ihres Privatgewässers stelle sich nicht als bloßer Gemeingebrach dar. Durch das gegenständliche Kraftwerk sei eine Verminderung des Wasserdargebotes in einem Ausmaß zu erwarten, das eine Nutzung des L-Grabens als Viehtränke in Zukunft verunmögliche. Es werde dazu darauf verwiesen, dass der wasserbautechnische Sachverständige im verwaltungsbehördlichen Verfahren zur Abklärung insoweit eine Differenzmengenmessung bei Niederwasser angeregt habe, die jedoch nicht durchgeführt worden sei.

3Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

4Das Verwaltungsgericht stellte fest, das gegenständliche Projekt sehe die Wasserfassung des L-Grabens auf einer Seehöhe von etwa 1.082 m vor (Einlaufbauwerk). Von dort erfolge eine Weiterleitung mit einer Druckrohrleitung zu einem Krafthaus, von wo eine Rückgabe in die T - somit ein anderes Gewässer - erfolge. Das vorgesehene Restwasser werde vom Einlaufbauwerk über ein Rohr in den L-Graben abgegeben. Eine „projektmäßige Inanspruchnahme“ des Grundstückes der Revisionswerberin erfolge nicht.

5Der L-Graben stelle ein natürliches Gerinne dar, das auf dem Grundstück der Revisionswerberin kaskadenartig zu Tal fließe, wobei sich das Wasser zwischendurch in kleineren Vertiefungen (Tümpeln) sammle. Es bestünden keine bewilligten Wasserbenutzungen an dem Gewässer. Es sei „damit zu rechnen“, dass bei der vorgesehenen Restwassermenge der Anlage von zumindest 10 l/s eine Viehtränke am Grundstück der Revisionswerberin weiter möglich bleibe. Selbst bei einer Halbierung der Restwassermenge ändere sich daran nichts. Eine endgültige Abklärung dieser Frage durch weitere Untersuchungen - nämlich die vom Sachverständigen für Wasserbau erwogene ergänzende Begutachtung der Differenzmengen - habe aus rechtlichen Gründen unterbleiben können.

6Eine Verletzung bestehender Rechte der Revisionswerberin sei nämlich jedenfalls nicht zu befürchten. Die bewilligte Anlage greife nicht in das Grundeigentum der Revisionswerberin ein. Die Nutzung des L-Grabens auf eigenem Grund zur Viehtränke werde bewilligungsfrei ausgeübt und sei Ausfluss des Gemeingebrauchs im Sinn des § 8 WRG 1959. Gegen eine Störung des Gemeingebrauchs könne nur allenfalls im Zivilrechtsweg vorgegangen werden. Eine im wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren beachtliche Beeinträchtigung eines „fremden Rechtes im Sinn des § 12 Abs. 2 WRG 1959“ liege dagegen nicht vor. Die Revisionswerberin habe daher keine Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte, sondern lediglich die Einhaltung öffentlicher Interessen geltend gemacht, weshalb die eschwerde abzuweisen gewesen sei.

7Gegen diese Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstatteten der Mitbeteiligte und der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft Revisionsbeantwortungen. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

8Zur Zulässigkeit der Revision wird zusammengefasst geltend gemacht, der L-Graben sei, wie im Beschwerdeverfahren vorgebracht, ein Privatgewässer, das im Bereich, in dem es über das Grundstück der Revisionswerberin fließe, ihr zuzuordnen sei. Die Nutzung dieses Privatgewässers zur Viehtränke durch die Revisionswerberin als Eigentümerin ergebe sich aus ihren Rechten im Sinn von § 5 Abs. 2 WRG 1959 und stelle ein bestehendes Recht nach § 12 Abs. 2 WRG 1959 dar. Ausgehend davon wäre aber die Beeinträchtigung ihres Rechtes zur prüfen gewesen. Dazu wäre - wie vom Amtssachverständigen vorgeschlagen - eine Differenz-Durchflussmessung auch bei Niederwasser erforderlich gewesen.

9Die Revision erweist sich im Ergebnis als zulässig und berechtigt.

10Nach § 5 Abs. 2 WRG 1959 steht die Benutzung der Privatgewässer mit den durch Gesetz oder durch besondere Rechtstitel begründeten Beschränkungen denjenigen zu, denen sie gehören.

11Gemäß 9 Abs. 2 WRG 1959 bedarf die Benutzung der privaten Tagwässer sowie die Errichtung oder Änderung der hiezu dienenden Anlagen dann einer Bewilligung der Wasserrechtsbehörde, wenn hiedurch auf fremde Rechte oder infolge eines Zusammenhanges mit öffentlichen Gewässern oder fremden Privatgewässern auf das Gefälle, auf den Lauf oder die Beschaffenheit des Wassers, namentlich in gesundheitsschädlicher Weise, oder auf die Höhe des Wasserstandes in diesen Gewässern Einfluss geübt oder eine Gefährdung der Ufer, eine Überschwemmung oder Versumpfung fremder Grundstücke herbeigeführt werden kann.

12§ 12 Abs. 1 WRG 1959 ordnet an, dass das Maß und die Art der zu bewilligenden Wasserbenutzung derart zu bestimmen ist, dass das öffentliche Interesse (§ 105 WRG 1959) nicht beeinträchtigt und bestehende Rechte nicht verletzt werden. Nach § 12 Abs. 2 WRG 1959 sind als bestehende Rechte im Sinne des Abs. 1 rechtmäßig geübte Wassernutzungen mit Ausnahme des Gemeingebrauches (§ 8 WRG 1959), Nutzungsbefugnisse nach § 5 Abs. 2 WRG 1959 und das Grundeigentum anzusehen.

13Das Verwaltungsgericht hat nach den Ausführungen in seiner rechtlichen Beurteilung die Möglichkeit einer Verletzung bestehender Rechte (nach § 8 WRG 1959 bzw. des Grundeigentums) der Revisionswerberin im Sinn des § 12 Abs. 2 WRG 1959 verneint. Mit einer möglichen Verletzung einer Nutzungsbefugnis nach § 5 Abs. 2 WRG 1959 hat sich das Verwaltungsgericht nicht befasst.

14Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen, dass in § 12 Abs. 2 WRG 1959 in Bezug auf Wassernutzungen zwei unterschiedliche Ausdrücke gebraucht werden. Zum einen ist dort die Rede von „rechtmäßig geübte Wassernutzungen“, zum anderen von „Nutzungsbefugnissen nach § 5 Abs. 2“. Im ersten Fall wird auf eine tatsächlich geübte Wassernutzung abgestellt, im zweiten Fall nur auf Nutzungsbefugnisse. Unter einer Nutzungsbefugnis ist die in § 5 WRG 1959 eingeräumte (bloße) Möglichkeit der Benutzung von Privatgewässern zu verstehen, unabhängig davon, ob von dieser Nutzungsbefugnis Gebrauch gemacht wird oder nicht. Schon der Wortlaut des § 12 Abs. 2 WRG 1959 allein zeigt also, dass nicht nur tatsächlich bestehende Privatgewässerbenutzungen zu den bestehenden Rechten gehören, sondern auch die bloße Nutzungsmöglichkeit. Hätte der Gesetzgeber nur eine tatsächlich geübte Nutzung nach § 5 Abs. 2 WRG 1959 erfassen wollen, dann hätte es der gesonderten Anführung der Nutzungsbefugnisse nach § 5 Abs. 2 WRG 1959 nicht bedurft, fielen diese doch unter den Begriff der „rechtmäßig geübten Wassernutzungen“. Für die Geltendmachung des Rechts der Nutzungsbefugnis nach § 5 Abs. 2 WRG 1959 ist es daher nicht erforderlich, dass der Berechtigte von der ihm zustehenden Nutzungsbefugnis tatsächlich Gebrauch macht. Es genügt vielmehr, dass durch das begehrte Wasserbenutzungsrecht die künftige Ausübung dieser Befugnis beeinträchtigt wird (vgl. , mwN). Dem folgend kommt einem Nutzungsbefugten an einem Privatgewässer somit in einem Wasserrechtsverfahren Parteistellung unabhängig davon zu, ob das Privatgewässer von ihm tatsächlich genutzt wird (vgl. , mwN).

15Die Revisionswerberin hat sich darauf berufen, dass der L-Bach, an dem die wasserrechtliche Bewilligung erteilt wurde, ein Privatgewässer sei, das - gemeint im Sinn des § 3 Abs. 3 WRG 1959 - Zugehör ihres Grundstückes sei, sodass ihr eine Nutzungsbefugnis nach § 5 Abs. 2 WRG 1959 zukomme. Sollte dieses Vorbringen zutreffen, käme der Revisionswerberin im Sinn der dargestellten Rechtsprechung Parteistellung zu, ohne dass es noch darauf ankäme, in welcher Weise das Gewässer - etwa zur Viehtränke - von ihr tatsächlich genutzt wird, und es wäre im Sinn des § 12 Abs. 1 WRG 1959 bei Erteilung der Bewilligung eine Verletzung dieses bestehenden Rechtes zu prüfen gewesen.

16Wie die Revision im Ergebnis zutreffend aufzeigt, hätte das Verwaltungsgericht sich daher mit dem Vorbringen der Revisionswerberin auseinandersetzen und Feststellungen treffen müssen, die eine Beurteilung ermöglichen, ob es sich beim L-Graben um ein öffentliches oder privates Gewässer (§ 2 Abs. 2 und § 3 WRG 1959; vgl. zum Bundesland Salzburg auch § 140 Abs. 1 WRG 1959) handelt bzw. ob der L-Graben gegebenenfalls im Sinn des § 3 Abs. 3 WRG 1959 als Zugehör des Grundstücks der Revisionswerberin zu betrachten ist.

17Da das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

18Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

19Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022070031.L00

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