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VwGH vom 13.03.2023, Ra 2022/06/0227

VwGH vom 13.03.2023, Ra 2022/06/0227

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz in 8020 Graz, Europaplatz 20, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , LVwG 50.17-1638/2022-3, betreffend eine baurechtliche Angelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. Dr. R M und 2. M W, beide in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Mit Bescheid vom beauftragte der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz (Revisionswerber) die Mitbeteiligten gemäß § 8 Abs. 3 Grazer Altstadterhaltungsgesetz 2008 (GAEG 2008), vier in einem näher bezeichneten Gebäude in G. eingebaute Kunststofffenster binnen zwölf Wochen ab Rechtskraft des Bescheides zu beseitigen.

2Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) der Beschwerde der Mitbeteiligten statt, behob den Bescheid und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurück. Eine ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt.

Begründend führte das LVwG zusammengefasst aus, die Behörde habe das Ermittlungsverfahren nur rudimentär geführt und keine Ermittlungen hinsichtlich des Zeitpunktes des Fenstertausches geführt. Selbst aus dem Amtsvermerk vom gehe hervor, dass die Kunststofffenster aufgrund der Verwitterung bereits vor einigen Jahren eingebaut worden seien. Es fehlten Feststellungen, ob das Objekt zum Zeitpunkt des Fenstertausches bereits dem GAEG 2008 unterlegen sei, was für die rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit eines Beseitigungsauftrages jedoch wesentlich sei. Dafür wären umfangreiche, komplexe und aufwändige Ermittlungen erforderlich; die Behörde verfüge sowohl über die zur Feststellung des Sachverhaltes erforderlichen Unterlagen (umfangreiches Foto/Dokumentationsarchiv sowie Rechtsarchiv hinsichtlich der historisch verordneten Altstadtzonen) als auch über die fachlichen Erhebungsorgane, sodass insbesondere aus der Sicht der Verfahrenskonzentration und -ökonomie die Zurückverweisung an die Behörde zu einem rascheren Verfahrensergebnis führen werde.

Da der maßgebliche Sachverhalt nicht feststehe und eine meritorische Entscheidung durch das LVwG auch nicht im Interesse der Raschheit oder Kostenersparnis gelegen sei, lägen die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an die Behörde gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG vor.

Im fortzusetzenden Verfahren habe die Behörde Erhebungen zum Zeitpunkt des Fenstertausches durchzuführen, wobei angeregt werde, die von den Mitbeteiligten angebotenen Beweismittel im Zuge des Parteiengehörs beweiswürdigend zu berücksichtigen.

3Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision, deren Zulässigkeit mit einem Abweichen des angefochtenen Beschlusses von der hg. Rechtsprechung zur Frage der Rechtmäßigkeit einer Zurückverweisung begründet wird.

4Die Erstmitbeteiligte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben. Die Zweitmitbeteiligte äußerte sich nicht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen.

5Die Revision ist aufgrund des vom Revisionswerber aufgezeigten Abweichens des angefochtenen Beschlusses von der hg. Rechtsprechung zulässig, sie ist auch begründet.

6§ 28 VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF. BGBl. I Nr. 138/2017, lautet auszugsweise:

„Erkenntnisse und Beschlüsse

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) ...“

7Zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis , verwiesen werden. Demnach ist ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht an die Verwaltungsbehörde kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa , Rn. 10 f, mwN).

Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist (vgl. , Rn. 17, mwN).

Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind (vgl. zum Ganzen etwa , Rn. 26, mwN).

8Den einzigen Ermittlungsmangel, den das LVwG der Behörde im gegenständlichen Verfahren vorwirft, ist die Feststellung des Datums, zu dem die Kunststofffenster eingebaut wurden.

Die Mitbeteiligten brachten in ihrer Beschwerde vor, die Kunststofffenster seien von der Mieterin Frau F. auf eigene Kosten und mit Duldung des damaligen Eigentümers des Gebäudes (des Vaters der Mitbeteiligten) eingebaut worden; das Jahr oder das genaue Datum des Einbaus könne nicht genannt werden.

Der Beschwerde lag der Mietvertrag zwischen Frau F. und G und K M. bei, der am dem Finanzamt für Gebühren und Verkehrssteuern in Graz angezeigt wurde, sowie eine Anfrage an das Zentrale Melderegister, woraus sich ergibt, dass Frau F. zwischen und an der verfahrensgegenständlichen Adresse mit Hauptwohnsitz gemeldet war.

Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, dass die Feststellung, zu welchem Zeitpunkt die Fenster eingebaut wurden, über eine bloße Ergänzung des Ermittlungsverfahrens hinausgehen und die Zurückverweisung an die Behörde rechtfertigen würde.

9Inwiefern fallbezogen das Argument der Verfahrenskonzentration relevant sein sollte, wurde im angefochtenen Beschluss nicht dargelegt und ist auch nicht erkennbar.

10Der angefochtene Beschluss war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022060227.L00

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