VwGH 12.10.2022, Ra 2022/06/0085
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Die Erlassung eines Feststellungsbescheides (eines Feststellungserkenntnisses) über die Parteistellung ist nur unter den allgemeinen Voraussetzungen für die Erlassung eines Feststellungsbescheides (eines Feststellungserkenntnisses) zulässig. Ein Feststellungsbescheid (ein Feststellungserkenntnis) ist demnach ein bloß subsidiärer Rechtsbehelf, der jedenfalls dann unzulässig ist, wenn die strittige Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahrens entschieden werden kann; das ist hier im konkreten Verwaltungsverfahren (Wiedereinsetzungsverfahren) der Fall (vgl. zum Ganzen , mwN); auf den Umstand, dass über die Parteistellung noch nicht im Spruch eines Bescheides bzw. Erkenntnisses abgesprochen wurde, kommt es dabei ebensowenig an wie darauf, dass die vom Revisionswerber erhobene Berufung zum Zeitpunkt der Entscheidung des VwG noch unerledigt war. |
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RS 2 | Die Entscheidungspflicht im Sinne des § 73 Abs. 1 AVG, deren Verletzung gegebenenfalls zur Erhebung eines Devolutionsantrages bzw. einer Säumnisbeschwerde berechtigt, setzt einen Antrag einer Partei im Verwaltungsverfahren voraus. Ein "Antrag" ist (grundsätzlich) ein Anbringen, das auf die Erlassung eines Bescheides gerichtet ist; auch über Anträge, die unzulässig sind, etwa mangels Legitimation, hat die Behörde durch - zurückweisenden - Bescheid zu entscheiden. Ein Erledigungsanspruch besteht also grundsätzlich unabhängig vom Inhalt der zu treffenden Entscheidung, ist demgemäß unabhängig davon, ob die Erledigung eine meritorische, also eine (stattgebende oder ablehnende) Sachentscheidung zu sein hat, oder bloß in einer verfahrensrechtlichen Entscheidung, etwa einer Zurückweisung, besteht (vgl. etwa , , je mwN). |
Hinweis auf Stammrechtssatz | GRS wie Ra 2021/03/0053 B RS 2 (hier: ohne den ersten Satz) |
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RS 3 | Das VwG hat, wenn infolge einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde nach Vorlage derselben oder Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG 2014 die Zuständigkeit, über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, auf das VwG übergegangen ist, allein in der Verwaltungssache zu entscheiden, ohne dass ein ausdrücklicher Abspruch über die Stattgebung der Säumnisbeschwerde vorzunehmen ist. Es ist hinreichend, aber mit Blick auf die Pflicht zur Begründung von nicht bloß verfahrensleitenden Entscheidungen gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG 2014 auch geboten, jene Gründe, die dazu geführt haben, dass das VwG seine Zuständigkeit bejaht, in der Begründung jener Entscheidung, mit der über die Verwaltungsangelegenheit abgesprochen wird, offenzulegen (vgl. ). Auch wenn durch den gesonderten Abspruch in Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses, wonach die Säumnisbeschwerde "zulässig und begründet" sei, keine Verletzung in subjektiven Rechten bewirkt wird, ist dieser Spruchpunkt im Zuge der Entscheidung des VwGH in der Sache gemäß § 42 Abs. 4 VwGG aufzuheben. |
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RS 4 | Eine zurückweisende Entscheidung, in der nur über die Zulässigkeit eines Antrags (hier: Antrag auf Feststellung der Parteistellung) abgesprochen wird, nicht aber über die Sache selbst, ist keine (inhaltliche) Entscheidung über "eine strafrechtliche Anklage" oder "über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen", sodass die Verfahrensgarantie des "fair hearing" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 MRK nicht zur Anwendung kommt (vgl. , mwN), weswegen von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden konnte. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des F N in D, vertreten durch Mag. Gerd Egner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 11/IV, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , 1. LVwG 80.14-505/2021-2 und 2. LVwG 50.14-1237/2021-2, betreffend Säumnisbeschwerde und Feststellung der Parteienstellung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Stadtgemeinde Deutschlandsberg; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis dahingehend abgeändert, dass Spruchpunkt I. entfällt und in Spruchpunkt II. der Antrag des Revisionswerbers vom auf Feststellung der Parteistellung zurückgewiesen wird.
Die Stadtgemeinde Deutschlandsberg hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit der Eingabe vom beantragte der Revisionswerber bei der Stadtgemeinde D. die „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 71 AVG“ betreffend den „Baubewilligungsbescheid 42/2011 vom “. Gleichzeitig erhob er „Berufung, § 63 AVG“ gegen die Baubewilligung.
2 Am stellte der Revisionswerber bei der Stadtgemeinde D. einen „Antrag auf Feststellung der Parteistellung“, in dem er bezugnehmend auf seinen Antrag vom um Zuerkennung der Parteistellung ersuchte.
3 Mit Bescheid vom sprach der Bürgermeister der Stadtgemeinde D. aus, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom unzulässig sei. Begründend führte er aus, dass dem Revisionswerber im gegenständlichen Verfahren keine Parteistellung zukomme und er daher keinen Wiedereinsetzungsantrag stellen könne.
4 Dagegen erhob der Revisionswerber am Berufung an die belangte Behörde, in der er beantragte, ihm die Parteistellung im Verfahren auf Wiedereinsetzung zuzuerkennen und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen sowie der Berufung stattzugeben und den Bescheid vom ersatzlos zu beheben und den Sachverhalt einer bescheidmäßigen Erledigung zuzuführen.
5 Mit Eingabe vom stellte der Revisionswerber einen „Devolutionsantrag“ an die belangte Behörde, der sich auf den unerledigten Antrag vom bezog. Die belangte Behörde möge über seinen von der Erstbehörde nicht erledigten Feststellungsantrag vom in der Sache entscheiden und ihm die beantragte Parteistellung zuerkennen.
6 Am erhob der Revisionswerber „Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG“ an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (im Folgenden: Verwaltungsgericht), weil die belangte Behörde nicht innerhalb von sechs Monaten über den Devolutionsantrag vom entschieden habe.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom sprach dieses im Spruchpunkt I. aus, dass die Säumnisbeschwerde „zulässig und begründet“ sei, im Spruchpunkt II. wies es den Antrag des Revisionswerbers vom auf „Feststellung der Parteistellung“ ab und stellte fest, dass dem Revisionswerber im näher bezeichneten Bauverfahren zu keinem Zeitpunkt Parteistellung zugekommen sei. Unter einem sprach es aus, dass die Erhebung einer ordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
8 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, die Baubehörde habe über den Antrag des Revisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom nicht entschieden. Ebensowenig habe sie über den Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung vom entschieden. Darüber hinaus habe die belangte Behörde nicht über den am gestellten Devolutionsantrag entschieden. Dieser Devolutionsantrag sei berechtigt. Über das Feststellungsbegehren des Revisionswerbers sei noch in keinem Vorverfahren im Spruch eines Bescheides bzw. Erkenntnisses rechtsverbindlich entschieden worden.
9 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom , E 2204/2021-7, deren Behandlung abgelehnt und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
10 In Folge erhob der Revisionswerber außerordentliche Revision.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12 Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen in ihrer Zulässigkeitsbegründung, dass das Verwaltungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, weil es verkannt habe, dass der beantragte Feststellungsbescheid ein subsidiärer Rechtsbehelf sei und der Bürgermeister der Stadtgemeinde D. bereits im Bescheid vom die Parteistellung des Revisionswerbers verneint habe, zulässig und auch begründet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Erlassung eines Feststellungsbescheides (eines Feststellungserkenntnisses) über die Parteistellung nur unter den allgemeinen Voraussetzungen für die Erlassung eines Feststellungsbescheides (eines Feststellungserkenntnisses) zulässig. Ein Feststellungsbescheid (ein Feststellungserkenntnis) ist demnach ein bloß subsidiärer Rechtsbehelf, der jedenfalls dann unzulässig ist, wenn die strittige Rechtsfrage im Rahmen eines anderen gesetzlich vorgesehenen Verwaltungsverfahrens entschieden werden kann; das ist hier im konkreten Verwaltungsverfahren (Wiedereinsetzungsverfahren) der Fall (vgl. zum Ganzen , mwN); auf diesem vom Verwaltungsgericht hervorgehobenen Umstand, dass über die Parteistellung noch nicht im Spruch eines Bescheides bzw. Erkenntnisses abgesprochen wurde, kommt es dabei ebensowenig an wie darauf, dass die vom Revisionswerber erhobene Berufung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch unerledigt war. Die in der Zulässigkeitsbegründung in diesem Zusammenhang behauptete Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt damit vor.
13 Ein gesondertes Erkenntnis zur Feststellung der Parteistellung hat demnach im vorliegenden Fall nicht zu ergehen, zumal der Wiedereinsetzungsantrag des Revisionswerbers mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde D. vom mangels Parteistellung zurückgewiesen wurde. Mit der Zurückweisung des Antrags mangels Parteistellung wurde das Fehlen der Parteistellung des Revisionswerbers bereits - wenn auch nicht rechtskräftig - festgestellt.
14 Das Verwaltungsgericht hat daher, indem es den Antrag des Revisionswerbers auf Feststellung seiner Parteistellung abgewiesen hat und festgestellt hat, dass diesem keine Parteistellung zukomme, Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, sodass der Revision insoweit Folge zu geben war.
15 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dieser Fall liegt hier vor:
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde auch über Anträge, die - wie im vorliegenden Fall - unzulässig sind, durch – zurückweisenden - Bescheid zu entscheiden. Ein Erledigungsanspruch besteht also grundsätzlich unabhängig vom Inhalt der zu treffenden Entscheidung und ist demgemäß unabhängig davon, ob die Erledigung eine meritorische, also eine (stattgebende oder ablehnende) Sachentscheidung zu sein hat, oder bloß in einer verfahrensrechtlichen Entscheidung, etwa einer Zurückweisung, besteht (vgl. etwa mwN).
17 Das Verwaltungsgericht führte insofern zutreffend aus, dass die belangte Behörde ihre Entscheidungspflicht verletzte, weil über den Antrag des Revisionswerbers vom auf Feststellung der Parteistellung zunächst durch den Bürgermeister der Stadtgemeinde D. und in Folge durch die über den Devolutionsantrag des Revisionswerbers vom zuständig gewordene belangte Behörde nicht entschieden wurde.
18 Wie die Revision zutreffend aufzeigt, ist aber im vorliegenden Fall eine meritorische Sachentscheidung über die Parteistellung des Revisionswerbers nicht zulässig, weil über diese Frage im Rahmen der Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrags bereits - wenn auch nicht rechtskräftig - abgesprochen wurde. Der unzulässige Antrag des Revisionswerbers vom auf Feststellung der Parteistellung ist daher zurückzuweisen.
19 Im Hinblick auf Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht, wenn infolge einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde nach Vorlage derselben oder Ablauf der Nachfrist des § 16 Abs. 1 VwGVG die Zuständigkeit, über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, auf das Verwaltungsgericht übergegangen ist, allein in der Verwaltungssache zu entscheiden hat, ohne dass ein ausdrücklicher Abspruch über die Stattgebung der Säumnisbeschwerde vorzunehmen ist. Es ist hinreichend, aber mit Blick auf die Pflicht zur Begründung von nicht bloß verfahrensleitenden Entscheidungen gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG auch geboten, jene Gründe, die dazu geführt haben, dass das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit bejaht, in der Begründung jener Entscheidung, mit der über die Verwaltungsangelegenheit abgesprochen wird, offenzulegen (vgl. ). Auch wenn durch den gesonderten Abspruch in Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses, wonach die Säumnisbeschwerde „zulässig und begründet“ sei, keine Verletzung in subjektiven Rechten bewirkt wird, ist dieser Spruchpunkt im Zuge der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache gemäß § 42 Abs. 4 VwGG aufzuheben.
20 Eine zurückweisende Entscheidung, in der nur über die Zulässigkeit eines Antrags (hier: Antrag auf Feststellung der Parteistellung) abgesprochen wird, nicht aber über die Sache selbst, ist jedenfalls im hier gegebenen Zusammenhang keine (inhaltliche) Entscheidung über „eine strafrechtliche Anklage“ oder „über zivilrechtliche Ansprüche oder Verpflichtungen“, sodass die Verfahrensgarantie des „fair hearing“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 MRK nicht zur Anwendung kommt (vgl. , mwN), weswegen von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG Abstand genommen werden konnte.
21 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am
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Normen | AVG §56 AVG §73 Abs1 AVG §73 Abs2 AVG §8 B-VG Art130 Abs1 Z3 MRK Art6 VwGG §39 Abs2 Z6 VwGG §42 Abs4 VwGVG 2014 §16 Abs1 VwGVG 2014 §17 VwGVG 2014 §28 VwGVG 2014 §29 Abs1 VwGVG 2014 §8 VwRallg |
Schlagworte | Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022060085.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAA-78686