VwGH vom 07.11.2022, Ra 2022/05/0104
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner und die Hofrätinnen Mag. Liebhart-Mutzl und Dr.in Sembacher als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts Wien jeweils vom , 1. VGW-011/030/6588/2021-18 (protokolliert zu Ra 2022/05/0104), 2. VGW-011/030/6592/2021 (protokolliert zu Ra 2022/05/0105), 3. VGW-011/030/6597/2021 (protokolliert zu Ra 2022/05/0106), 4. VGW-011/030/6598/2021 (protokolliert zu Ra 2022/05/0107), 5. VGW-011/030/6601/2021 (protokolliert zu Ra 2022/05/0108), 6. VGW-011/030/6602/2021 (protokolliert zu Ra 2022/05/0109), 7. VGW-011/030/6605/2021 (protokolliert zu Ra 2022/05/0110) und 8. VGW-011/030/6607/2021 (protokolliert zu Ra 2022/05/0111), alle betreffend Übertretungen der Bauordnung für Wien (mitbeteiligte Parteien: 1. DI R A, 2. S D, 3. J H, 4. J H, 5. L H, 6. S H, 7. M S und 8. Mag. V S, alle in W, alle vertreten durch die Kunz Wallentin Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Porzellangasse 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden jeweils wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1Die mitbeteiligten Parteien sind Mit- und Wohnungseigentümer einer näher bezeichneten Liegenschaft in Wien.
2Mit Straferkenntnissen des Amtsrevisionswerbers je vom bzw. vom wurde über die mitbeteiligten Parteien gemäß § 135 Abs. 1 iVm § 54 Abs. 1, 2 und 4 der Bauordnung für Wien jeweils eine Strafe in der Höhe von EUR 1.300,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: je neun Stunden) verhängt und die mitbeteiligten Parteien jeweils zu einem Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens in der Höhe von EUR 130,00 verpflichtet. Als Miteigentümer eines näher bezeichneten Wohngebäudes hätten es die mitbeteiligten Parteien entgegen einer näher bezeichneten Auflage in einem Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom im Zeitraum vom bis zum unterlassen, vor ihrer Liegenschaft einen bauordnungsgemäßen Gehsteig herzustellen bzw. herstellen zu lassen.
3Dagegen erhoben die mitbeteiligten Parteien jeweils - gleichlautende - Beschwerden an das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) und brachten darin zusammengefasst vor, nach Erhalt der Mitteilung der Baupolizei über den Missstand des Gehsteigs sowohl die Hausverwaltung als auch die Verkäuferin der Liegenschaft, eine näher bezeichnete Gesellschaft, die auch als Bauwerberin fungiert habe, informiert zu haben. Einige der Miteigentümer hätten auch den Geschäftsführer dieser Gesellschaft persönlich aufgefordert, den ordnungsgemäßen Zustand herzustellen. Dies sei zugesagt worden. In einer Chatgruppe eines Social-Media-Anbieters habe der Geschäftsführer bestätigt, ebenso eine Mitteilung der Baupolizei bekommen zu haben und dies zu erledigen. Im September 2020 sei telefonisch urgiert worden, im Oktober 2020 habe man Asphaltierungsarbeiten am Gehsteig wahrgenommen und sei davon ausgegangen, dass die Gesellschaft damit ihren vertraglichen Verpflichtungen nachgekommen sei. Als Anfang Dezember 2020 die Aufforderung zur Rechtfertigung zugestellt worden sei, hätten die Miteigentümer erst erfahren, dass der Gehsteig doch nicht ordnungsgemäß hergestellt worden wäre. Bereits in der Rechtfertigung hätten die Miteigentümer Nachweise über ihre steten Bemühungen um die Herstellung des ordnungsgemäßen Zustands erbracht, wiederholt sei die Bauwerberin bzw. deren Geschäftsführer kontaktiert worden. Diese hätten den Miteigentümern mitgeteilt, dass eine Beauftragung einer Baufirma in den Wintermonaten nicht möglich sei, zum Zeitpunkt der Beschwerde seien die Auftragsvergabegespräche jedoch kurz vor dem Abschluss. Die Beauftragung werde Ende April, spätestens Anfang Mai 2021 erfolgen. Die Miteigentümer wiesen zusammengefasst jede Schuld von sich.
4Mit den angefochtenen, in einer gemeinsamen Ausfertigung ergangenen, Erkenntnissen gab das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung gleichlautend allen Beschwerden Folge, behob das jeweilige Straferkenntnis und stellte das jeweilige Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 Verwaltungsstrafgesetz ein. Ein Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens wurde nicht auferlegt. Eine ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG jeweils für unzulässig.
5Das Verwaltungsgericht stellte dabei den Verfahrensgang allein durch wörtliche Wiedergabe des gleichlautenden Spruchs der bekämpften Straferkenntnisse und Wiedergabe der gleichlautenden Beschwerde dar. Einen Sachverhalt stellte es nicht fest. Ebenso legte es keine Beweiswürdigung dar. Unter der Überschrift „In rechtlicher Hinsicht ist dazu auszuführen:“ hält es fest:
„Wie das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ergeben hat, wurde die inkriminierte Abweichung bereits vor dem inkriminierten Tatzeitende von Seiten der Behörde (MA28) saniert, weshalb spruchgemäß die Straferkenntnisse aufzuheben und die Verwaltungsstrafverfahren einzustellen waren. Da sich trotz intensiver Bemühungen der genaue Zeitpunkt dieser Sanierung nicht feststellen hat lassen, konnte kein exakter Tatzeitraum festgestellt werden und war in Hinblick auf die Wahrung der Rechte der Beschwerdeführer das Straferkenntnis spruchgemäß im vollen Umfang aufzuheben.“
6Dagegen richten sich die vorliegenden Amtsrevisionen, in denen zur Zulässigkeit unter anderem jeweils vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht habe gegen die näher bezeichnete ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht verstoßen, was im konkreten Fall auch von Relevanz sei. Es fehle der festgestellte Sachverhalt sowie jegliche Überlegungen in Form einer Beweiswürdigung. Eine Überprüfung des rechtlichen Inhalts der angefochtenen Erkenntnisse sei sowohl für den Amtsrevisionswerber als auch für die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts ausgeschlossen. Trotz umfangreichen Vorbringens des Amtsrevisionswerbers bzw. der in der Verhandlung einvernommenen Zeugen zum Zustand des Gehsteigs während des Tatzeitraumes und danach fehle jegliche Auseinandersetzung mit diesen Ermittlungsergebnissen. Weiters sei das Verwaltungsgericht von näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Strafbemessung abgewichen und habe die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten.
7Die mitbeteiligten Parteien erstatteten gleichlautende Revisionsbeantwortungen, in denen sie jeweils die Zurück-, in eventu die Abweisung der Amtsrevisionen sowie Kostenersatz beantragen.
8Der Verwaltungsgerichtshof hat die Amtsrevisionen wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und darüber erwogen:
9Die Amtsrevisionen erweisen sich schon aus dem genannten Zulässigkeitsgrund des Begründungsmangels als zulässig. Sie sind auch begründet.
10Gemäß § 29 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtes zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Auch in Verwaltungsstrafsachen ist gemäß § 38 VwGVG in Verbindung mit § 24 VStG die Begründungspflicht im Sinn des § 58 AVG von Bedeutung (vgl. , u.a. mwN).
11Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens wiederstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa , 0002, mwN).
12Ein Begründungsmangel führt nach der hg. Rechtsprechung dann zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. nochmals , u.a. mwN).
13Die angefochtenen Erkenntnisse genügen diesen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nicht. Sie erschöpfen sich jeweils - wie bereits oben ausgeführt - in der Darstellung des Verfahrensganges allein durch die wörtliche Wiedergabe des jeweils gleichlautenden Spruchs der bekämpften Straferkenntnisse und Wiedergabe der jeweils gleichlautenden Beschwerden gefolgt von der - aufgrund des Fehlens jeglicher Feststellungen und jeglicher Beweiswürdigung nicht überprüfbaren (siehe dazu unten) - rechtlichen Beurteilung. Dies ist nach der soeben dargestellten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für eine ordnungsgemäße Begründung eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses nicht ausreichend.
14Gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG hat die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn der Beschuldigte die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht begangen hat oder Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit aufheben oder ausschließen (vgl. zum grundlegenden Erfordernis der ordentlichen Ermittlung des Sachverhalts iVm § 45 Abs. 1 Z 2 VStG bereits ; , 92/09/0006; , 95/09/0351)
15Die mitbeteiligten Parteien haben in ihren gleichlautenden Beschwerden den Ablauf der Geschehnisse ab August 2020 detailliert geschildert, so unter anderem auch, dass eine Beauftragung zur Sanierung des Gehsteiges erst im Frühjahr 2021 - somit weit nach Ende des vorgeworfenen Tatzeitraums - erfolgen werde. Das Verwaltungsgericht führte auch eine Verhandlung durch, in der Zeugen gehört wurden. Es ging jedoch inhaltlich mit keinem Wort auf das - im Text der Entscheidung wörtlich wiedergegebene - Beschwerdevorbringen ein, würdigte keines der Vorbringen zur Verwaltungsübertretung und zum Verschulden und traf keine Feststellungen dazu. Dadurch entziehen sich die Erkenntnisse insgesamt der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof und vermögen mit ihrer wie dargestellt mangelhaften Begründung die Beurteilung, die inkriminierte Abweichung sei bereits vor Tatzeitende beseitigt worden und die Straferkenntnisse aus diesem Grund aufzuheben und die Verwaltungsstrafverfahren einzustellen, nicht zu tragen (vgl. erneut , u.a. mwN).
16Die angefochtenen Erkenntnisse erweisen sich daher schon aus diesem Grund als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und waren gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022050104.L00 |
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Fundstelle(n):
LAAAA-78684