VwGH vom 02.05.2023, Ra 2022/03/0234

VwGH vom 02.05.2023, Ra 2022/03/0234

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des Dr. H G in W, vertreten durch den Erwachsenenvertreter Dr. H K in W, dieser vertreten durch die Verfahrenshelferin Mag. Andrea Blum, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-031/V/101/10008/2022-1, betreffend Verfahrenshilfe in einer Angelegenheit nach dem WLSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Aufwandersatzantrag wird abgewiesen.

Begründung

1Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom , VStV/922300585209/2022, war dem Revisionswerber u.a. (neben Übertretungen des SPG) angelastet worden, am im Zeitraum von 14:22 Uhr bis 15:54 Uhr in W, Bezirksgericht, durch lautstarkes Herumschreien in ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt und durch Bespucken einer Scheibe den öffentlichen Anstand verletzt zu haben. Er habe dadurch § 1 Abs. 1 Z 2 bzw. Z 1 WLSG verletzt, weshalb über ihn jeweils gemäß § 1 Abs. 1 WLSG eine Geldstrafe von EUR 700.-- bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt wurde.

2Begründend legte die belangte Behörde u.a. dar, in Abwägung der bestreitenden Verantwortung des Revisionswerbers und der schlüssigen und nachvollziehbaren Angaben des unter Diensteid stehenden Meldungslegers sei diesem mehr Glauben zu schenken.

Was die Zurechnungsfähigkeit anlange, liege zwar ein psychiatrisches Gutachten aus dem Jahr 2016 vor, das im Langzeitverlauf eine psychiatrische Symptomatik im Rahmen einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (histronisch narzistisch), aber keine Zurechnungsunfähigkeit beschreibe. Dementsprechend benötige der Revisionswerber einen Erwachsenenvertreter für finanzielle Angelegenheiten und die Vertretung vor Behörden und Gerichten, sei aber bezüglich medizinischer Behandlungen und Wahl des Wohnorts ausreichend entscheidungsfähig. Zudem belege die Diagnose, dass der Revisionswerber Gerichtsverhandlungen folgen könne, ebenso seine Zurechnungsfähigkeit wie der Umstand, dass er rechtskräftige verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen aufweise. Zwar erfordere die Bestellung des Erwachsenenvertreters eine Prüfung der Zurechnungsfähigkeit und es sei von fehlender Schuldfähigkeit auszugehen, wenn sich Zweifel daran nicht beseitigen ließen, doch lägen im vorliegenden Fall keine derartigen Anzeichen vor.

3Mit Eingabe vom beantragte der Revisionswerber, vertreten durch seinen Erwachsenenvertreter, daraufhin die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer verwaltungsgerichtlichen Beschwerde und zur weiteren Führung des Verfahrens.

Er brachte darin u.a. vor, die belangte Behörde, von der die Beweiskraft des im Jahr 2016 erstatteten psychiatrischen Gutachtens als nicht relevant beurteilt worden sei, habe die Anträge des Revisionswerbers auf Einholung aktueller Gutachten zu Unrecht nicht aufgegriffen, was zur medizinischen Beurteilung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Revisionswerbers aber geboten gewesen wäre. Der Revisionswerber sei aufgrund seiner gesundheitlichen Situation nicht in der Lage, selbst zu handeln. Der gerichtliche Erwachsenenvertreter sei nicht verpflichtet, Prozesshandlungen selbst zu erbringen; dies sei ihm wegen der geradezu aggressiven Ablehnung durch den Revisionswerber und der Vielzahl der anhängigen Verfahren (vor Gericht, Verwaltung und Polizei) auch nicht zumutbar. Im weiteren Verfahren seien daher - aktenkundig belegt - erhebliche Schwierigkeiten zu erwarten. Der Revisionswerber sei insolvent und aufs Existenzminimum verwiesen, sodass besondere Aufwendungen nicht gedeckt werden könnten.

4Mit Beschluss vom wies das Verwaltungsgericht diesen Antrag gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 40 Abs. 1 VwGVG ab und erklärte die ordentliche Revision für unzulässig.

5Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus: Die Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 40 Abs. 1 VwGVG erfordere (neben den finanziellen Voraussetzungen), dass die Beigebung eines Verteidigers im Interesse der Rechtspflege erforderlich sei. Dies könne etwa bei besonderen Schwierigkeiten der Sach- und Rechtslage, besonderen persönlichen Umständen des Beschuldigten oder besonderer Tragweite des Rechtsfalls für die Partei gegeben sein. Das Gericht habe ausgehend von den zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Umständen eine Prognoseentscheidung hinsichtlich der Schwierigkeit des zu erwartenden Verfahrens zu treffen. Der Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten komme - mit Blick insbesondere auf das Amtswegigkeitsprinzip und die Manuduktionspflicht - Ausnahmecharakter zu (jeweils Hinweis auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs).

6Fallbezogen seien besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten nicht ersichtlich. Dem Revisionswerber seien Übertretungen nach dem WLSG und dem SPG zur Last gelegt worden, die an derselben Örtlichkeit innerhalb eines kurzen Zeitraums stattgefunden hätten. Verfahrensgegenständlich sei daher, ob der Revisionswerber die ihm angelasteten Verhaltensweisen gesetzt habe. Zum einen bestreite schon der Erwachsenenvertreter des Revisionswerbers diesen Sachverhalt nicht, zum anderen sei nicht zu erkennen, dass der Revisionswerber nicht in der Lage wäre, seinen Standpunkt vor Gericht auch ohne anwaltlichen Beistand vorzutragen; festzuhalten sei zudem, dass der Erwachsenenvertreter des Revisionswerbers selbst Rechtsanwalt sei. Es würde demnach nicht schwerfallen, aufzuzeigen, dass der Revisionswerber die ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen nicht (schuldhaft) begangen habe, sollte seiner Ansicht nach der Tatvorwurf nicht zutreffen. Auch das Vorliegen einer komplexen Rechtslage sei nicht ersichtlich.

Die Beigebung eines Verfahrenshelfers sei also nicht im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich, weshalb der Antrag unabhängig von der Einkommenssituation des Revisionswerbers abzuweisen gewesen sei.

7Über Antrag des vom Erwachsenenvertreter vertretenen Revisionswerbers bewilligte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom die Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Revision gegen diesen Beschluss, woraufhin der Revisionswerber, vertreten durch die bestellte Verfahrenshelferin, die vorliegende außerordentliche Revision einbrachte.

8Nach Einleitung des Vorverfahrens wurde von der belangten Behörde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

9Die Revision macht zur Zulässigkeit und zur Begründung der Sache nach u.a. geltend, der angefochtene Beschluss verstoße insofern gegen (näher dargelegte) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, als das Verwaltungsgericht seiner Begründungspflicht in unvertretbarer Weise nicht nachgekommen sei und damit tragende Grundsätze des Verfahrensrechts verletzt habe. Das Verwaltungsgericht habe den Krankheitszustand des Revisionswerbers und die Vielzahl der damit zusammenhängenden Verfahren ebensowenig berücksichtigt wie die Unzumutbarkeit der Verfahrensführung durch den Erwachsenenvertreter (der zudem vom Revisionswerber abgelehnt werde) und die Notwendigkeit der Beweisführung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10Die Revision ist aus dem von ihr geltend gemachten Grund zulässig und auch begründet.

11Gemäß § 40 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag des Beschuldigten, wenn er außer Stande ist, die Kosten der Verteidigung ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten der Beschuldigte nicht zu tragen hat, soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich und auf Grund des Art. 6 Abs. 1 und 3 lit. c EMRK oder des Art. 47 GRC geboten ist.

12Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind als Gründe für die Beigebung eines Verteidigers besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage, besondere persönliche Umstände des Beschuldigten und die (allfällige) besondere Tragweite des Rechtsfalles für die Partei, wie etwa die Höhe der dem Beschuldigten drohende Strafe, zu berücksichtigen. Die Beigabe eines Verfahrenshilfeverteidigers ist nur dann vorgesehen, wenn beide in § 40 Abs. 1 VwGVG genannten Voraussetzungen (Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts, Interesse der Rechtspflege) kumulativ vorliegen (vgl. etwa ; ).

13Das Verwaltungsgericht hat die Grundsätze der demnach vorzunehmenden Beurteilung zwar im Wesentlichen zutreffend dargestellt, ist aber den sich daraus ergebenden Anforderungen in unvertretbarer Weise nicht nachgekommen:

14Obwohl der Erwachsenenvertreter des Revisionswerbers im Verfahrenshilfeantrag - unter Hinweis auf aktenkundige Beweisergebnisse - vorgebracht hatte, der Revisionswerber sei wegen seiner gesundheitlichen Situation nicht in der Lage, selbst im Verfahren zu handeln, hat sich das Verwaltungsgericht darauf beschränkt, mit Blick auf die dem Revisionswerber konkret angelasteten Verwaltungsübertretungen eine Komplexität sowohl der Sach- als auch der Rechtslage zu verneinen. Es hat sich aber nicht einmal ansatzweise mit der geltend gemachten besonderen gesundheitlichen Situation des Revisionswerbers und deren Einflüssen auf seine Fähigkeit, sich im Verfahren zweckentsprechend zu verteidigen, auseinandergesetzt. Die Relevanz dieses Verfahrensmangels kann vor dem Hintergrund der Aktenlage, insbesondere den im Verwaltungsakt erliegenden psychiatrischen bzw. psychologischen Befunden hinsichtlich des Revisionswerbers, nicht ausgeschlossen werden.

15Der bloße Hinweis darauf („festzuhalten“ sei), dass der Erwachsenenvertreter des Revisionswerbers selbst Rechtsanwalt ist, kann eine Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 VwGVG schon deshalb nicht ersetzen, weil der gerichtliche Erwachsenenvertreter nach § 276 ABGB grundsätzlich Anspruch auf Entschädigung (Abs. 1) bzw. angemessenes Entgelt (Abs. 3) hat, letzterer Anspruch für die Kosten einer rechtsfreundlichen Vertretung jedoch nicht besteht, soweit beim Vertretenen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe gegeben sind. Der Umstand, dass als gerichtlicher Erwachsenenvertreter ein Rechtsanwalt bestellt ist, hindert also die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach § 40 Abs. 1 VwGVG nicht (in diesem Sinn schon OLG Wien, , 16 R 263/13h, auch unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien).

16Das Verwaltungsgericht hat daher den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet; er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

17Der Antrag, die Kostenersatzpflicht dem Bund (Bundesminister für Inneres) aufzuerlegen, war abzuweisen, weil gemäß § 47 Abs. 5 VwGG der dem Revisionswerber zu leistende Aufwandersatz von jenem Rechtsträger zu leisten ist, in dessen Namen die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verwaltungsverfahren gehandelt hat, im vorliegenden Fall (Vollziehung des WLSG) also vom Land Wien.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022030234.L00

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