VwGH vom 22.03.2023, Ra 2021/18/0100
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L521 2147758-2/15E, betreffend eine Asylangelegenheit (mitbeteiligte Partei: B A), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Anfechtung (ersatzlose Aufhebung des Einreiseverbots) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1Der Mitbeteiligte ist irakischer Staatsangehöriger und sunnitischer Araber aus Bagdad. Im Jahr 2015 stellte er seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab, gewährte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
2Die gegen diesen Bescheid vom Mitbeteiligten erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der dagegen gerichteten Beschwerde des Mitbeteiligten mit Beschluss vom ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Dieser wies die daraufhin vom Mitbeteiligten erhobene außerordentliche Revision zurück ().
3Bereits am hatte der Mitbeteiligte einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit Bescheid vom wies das BFA den Antrag des Mitbeteiligten „vom “ sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.), sprach aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.), und erließ gegen den Mitbeteiligten gemäß § 53 Abs. 1 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
4Zu Spruchpunkt VII. führte das BFA aus, das Fehlverhalten des Mitbeteiligten, nämlich die Nichteinhaltung der ihm gewährten Frist zur freiwilligen Ausreise, könne „unter keine der [...] Ziffern des § 53 FPG subsumiert werden“, sei jedoch geeignet, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden. Bei einem Fremden, dem bloß ein unrechtmäßiger Aufenthalt zur Last gelegt werde, könne die Erlassung eines Einreiseverbotes zwar im Einzelfall unterbleiben. Im vorliegenden Fall liege aber nicht bloß ein illegaler Aufenthalt vor, sondern es sei der Ausreisebefehl nach Abschluss des (ersten) Asylverfahrens missachtet worden. Dies könne „in Zeiten eines Migrationsstromes nach Mitteleuropa unter Missbrauch des Asylrechts als Einwanderungsrecht niemals als nur geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen gewertet“ werden.
5Die dagegen vom Mitbeteiligten erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis VI. des Bescheides des BFA (mit der Maßgabe der Korrektur des Datums des zweiten Antrages des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz) als unbegründet ab (Spruchpunkt A I. bis A III.). Mit Spruchpunkt A IV. gab das BVwG der Beschwerde des Mitbeteiligten insoweit Folge, als es den Spruchpunkt VII. des Bescheides des BFA „ersatzlos behob“. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
6Begründend führte das BVwG zur Zurückweisung des (Folge-)Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache aus, die neuerliche Asylantragstellung habe der Vereitelung der zwangsweisen Rückführung des Mitbeteiligten in den Herkunftsstaat und damit der Umgehung der Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes gedient. Der Mitbeteiligte habe nach seinen Angaben bereits im April 2020 von seinen neuen Verfolgungsgründen erfahren, jedoch nicht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang seinen Folgeantrag gestellt, sondern erst angesichts seiner drohenden Verlegung in eine Unterkunft nach Tirol. Aus seinen Ausführungen in den Einvernahmen ergebe sich zudem, dass sich der Mitbeteiligte aufgrund der neuerlichen Antragstellung eine Perpetuierung seines Aufenthaltes erhofft habe.
7Zur Aufhebung des Einreiseverbotes erwog das BVwG, die Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) stehe insgesamt unter dem Vorbehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Ein unrechtmäßiger Aufenthalt rechtfertige per se noch nicht die Verhängung eines Einreiseverbotes, sondern erst aus einer qualifizierten Verletzung der Ausreiseverpflichtung sei eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit abzuleiten, die die Verhängung eines Einreiseverbotes erforderlich machen könne. Besondere Anhaltspunkte, dass der Mitbeteiligte durch die Missachtung der Ausreiseverpflichtung eine nicht bloß geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens verschuldet habe, habe das BFA nicht festgestellt und seien auch nicht ersichtlich. Es liege keine qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung vor. Die für die Verhängung eines Einreiseverbotes erforderliche Gefährdung iSd § 53 Abs. 2 FPG sei aufgrund der „besonderen Umstände des Einzelfalles“ zu verneinen.
8Nur gegen die ersatzlose Aufhebung des Einreiseverbotes richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.
9Zu ihrer Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung und in der Sache macht die Revision geltend, das BVwG sei von näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es unzureichend begründet habe, warum - trotz missbräuchlicher Stellung eines Folgeantrages und Missachtung einer Wohnsitzauflage durch den Mitbeteiligten - keine die Erlassung eines Einreiseverbotes erfordernde qualifizierte Verletzung der Ausreisepflicht anzunehmen sei.
10Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Durchführung des Vorverfahrens - der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes rechtfertigt ein unrechtmäßiger Aufenthalt per se noch nicht die Verhängung eines Einreiseverbotes zusätzlich zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung. Liegt aber nicht bloß ein unrechtmäßiger Aufenthalt, sondern eine qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung vor, so kann daraus eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit abzuleiten sein, die die Verhängung eines Einreiseverbotes erforderlich macht. Dies entspricht auch Art. 11 Abs. 1 lit. b der Rückführungsrichtlinie, wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Ob Art. 11 Abs. 1 lit. b der Rückführungsrichtlinie - anders als die innerstaatliche Rechtslage - auch ohne eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 53 Abs. 2 FPG in jedem Fall einer Verletzung der Ausreiseverpflichtung zwingend die Erlassung eines Einreiseverbotes verlangt, kann dahingestellt bleiben, weil eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie zu Lasten eines Einzelnen von vornherein nicht in Betracht kommt (vgl. , mwN).
12Das BFA führte im Bescheid vom aus, dass der Mitbeteiligte seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei und den Folgeantrag offensichtlich unbegründet und missbräuchlich gestellt habe; der Folgeantrag habe ausschließlich dazu gedient, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu erwirken. Überdies sei der Mitbeteiligte gemäß § 121 iVm § 57 FPG angezeigt worden, da er der behördlichen Anordnung, ein Quartier in der Rückkehrberatungseinrichtung zu beziehen, nicht Folge geleistet, sondern diese gröblich missachtet habe. Der Mitbeteiligte stelle eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.
13Das BVwG stellte im angefochtenen Erkenntnis fest, dass der Mitbeteiligte zwischen und über kein Aufenthaltsrecht verfügt habe und zur Ausreise verpflichtet gewesen sei. Der Mitbeteiligte sei der Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und sei nicht rückkehrwillig. In der Beweiswürdigung führte es aus, die neuerliche Asylantragstellung durch den Mitbeteiligten habe der Vereitelung der zwangsweisen Rückführung in den Herkunftsstaat gedient, zumal sie erst angesichts seiner drohenden Verlegung in eine andere Unterkunft erfolgt sei und der Mitbeteiligte während der Einvernahme vor dem BFA und während der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG explizit den Wunsch geäußert habe, weiter in Österreich zu verbleiben, um „hier zu arbeiten“ und „hier einfach leben“ zu können. In der rechtlichen Würdigung zur Aufhebung des Einreiseverbots führte das BVwG aus, das BFA habe dieses in erster Linie darauf gestützt, dass der Revisionswerber trotz rechtskräftiger Rückkehrentscheidung im Bundesgebiet verblieben sei und einen unbegründeten Folgeantrag gestellt habe. Es dränge sich der Eindruck auf, die Erlassung des Einreiseverbots sei gleichsam als Automatismus erfolgt, ohne auf die fallbezogenen Besonderheiten Bedacht zu nehmen (Hinweis auf ). Besondere Anhaltspunkte, dass der Revisionswerber hiedurch eine nicht bloß geringfügige Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens verschuldet habe, habe das BFA jedoch nicht festgestellt und seien für das erkennende Gericht nicht ersichtlich geworden. Von einer qualifizierten Verletzung der Ausreiseverpflichtung könne im vorliegenden Fall noch nicht gesprochen werden. Eine Gefährdung iSd § 53 Abs. 2 FPG sei aufgrund der „besonderen Umstände des Einzelfalls“ zu verneinen.
14Dieser Beurteilung tritt die Amtsrevision zu Recht entgegen. Das BVwG bezieht sich in seiner rechtlichen Argumentation auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, mit der eine Amtsrevision gegen die ersatzlose Aufhebung eines Einreiseverbots gemäß § 53 Abs. 2 FPG durch das BVwG zurückgewiesen worden ist. In diesem Fall vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, es sei jedenfalls vertretbar gewesen, wenn das BVwG aus der Nichtausreise des Asylwerbers während eines anhängigen Wiedereinsetzungsverfahrens (betreffend die für ihn negative Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz und die erlassene Rückkehrentscheidung) noch keine Gefährdung im Sinne des § 53 Abs. 2 FPG abgeleitet habe. Insgesamt sei - so der Verwaltungsgerichtshof weiter - der Eindruck entstanden, die Erlassung des Einreiseverbots durch das BFA sei im dortigen Verfahren „gleichsam als Automatismus erfolgt, ohne auf die fallbezogenen Besonderheiten Bedacht zu nehmen“ (vgl. ). Dieser Fall ist mit dem vorliegenden schon deshalb nicht vergleichbar, weil hier die Erlassung eines Einreiseverbots im Zusammenhang mit der Zurückweisung eines Folgeantrags zu beurteilen ist, der auch nach den Ausführungen des BVwG nur der Vereitelung der zwangsweisen Rückführung in den Herkunftsstaat gedient habe, weil der Revisionswerber nicht rückkehrwillig sei und trotz Ausreiseverpflichtung im Bundesgebiet verbleiben wolle.
15Dem BVwG ist - als wesentlicher Begründungsmangel - vorzuwerfen, dass es vor dem Hintergrund seiner eigenen Feststellungen zu den Umständen und Motiven der neuerlichen Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz durch den Mitbeteiligten nicht näher begründete, aufgrund welcher „besonderen Umstände des Einzelfalls“ die Gefährdung iSd § 53 Abs. 2 FPG nicht gegeben sei. Das BVwG hätte sich konkret mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit iSd § 53 Abs. 2 FPG, die die Verhängung eines Einreiseverbotes erforderlich macht, dadurch bewirkt wird, dass der Mitbeteiligte nach den Feststellungen des BFA und des BVwG seiner Ausreiseverpflichtung sowie der ihm gegenüber mit rechtskräftigem Mandatsbescheid ausgesprochenen Wohnsitzauflage nicht nachgekommen und nicht rückkehrwillig sei sowie den Folgeantrag missbräuchlich bzw. zur Vereitelung seiner zwangsweisen Rückführung gestellt habe (vgl. , Rn. 18, mwN).
16Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das BVwG bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensmangels zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis in Bezug auf die ersatzlose Aufhebung des mit dem beim BVwG bekämpften Bescheid gegenüber dem Mitbeteiligten erlassenen Einreiseverbotes gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021180100.L00 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.