VwGH vom 10.11.2022, Ra 2021/08/0095
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des N W MSc in W, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W260 2225058-1/9E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Schönbrunner Straße), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Die zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) sprach mit Bescheid vom aus, dass der Revisionswerber für den Zeitraum 18. Juni bis gemäß § 38 iVm § 10 AlVG seinen Anspruch auf Notstandshilfe verloren habe, weil er das Zustandekommen einer ihm zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung als „Mitarbeiter für Verkehrsregelung/Sicherheitsmitarbeiter“ bei der Firma N. Bewachungs-Detektei GmbH mit möglichem Arbeitsantritt am vereitelt habe. Nachsichtsgründe lägen nicht vor.
2Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde und brachte vor, dass das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses allein von der Firma N. zu vertreten sei. Die Firma habe in ihrem Inserat den Einsatz eines eigenen PKW als unbedingt erforderlich vorgegeben. Der Wunsch nach der Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei für Frau H., die das Vorstellungsgespräch geführt habe, bereits Grund genug gewesen, um weder das gegenständliche noch ein anderes Beschäftigungsverhältnis anzubieten. In der Folge habe Frau H. die Herausgabe des Dienstvertrages bzw. eines Vorvertrages verweigert, wodurch die Anforderungen des Beschäftigungsverhältnisses nicht erkennbar gewesen seien. Somit sei das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses gar nicht ermöglicht worden. Ergänzend sei festzuhalten, dass Frau H. unangekündigt zu Beginn des Vorstellungsgesprächs eine schriftliche Verpflichtungserklärung mit Haftungsübernahmen bis zu 20 Mio. € abverlangt habe, ohne die Bestimmungen zum Arbeitsverhältnis ebenso zur Verfügung zu stellen. Nach Auskunft der Arbeiterkammer sei die Leistung einer Unterschrift unter diesen Rahmenbedingungen fahrlässig.
3Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das AMS die Beschwerde als unbegründet ab. Dabei stützte es sich tragend darauf, dass der Revisionswerber im Vorstellungsgespräch angegeben hätte, über keinen PKW zu verfügen, obwohl dieser nur einen kaputten Reifen gehabt habe, was rasch und mit geringen finanziellen Mitteln zu beheben gewesen wäre. Auch durch seine Aussage, lieber als Einkäufer arbeiten zu wollen, habe er suggeriert, dass er an dem Dienstverhältnis kein Interesse habe.
4Der Revisionswerber stellte einen Vorlageantrag. Er bestritt, gesagt zu haben, dass er über keinen PKW verfüge. Vielmehr habe er nur nachgefragt, ob er auch öffentliche Verkehrsmittel zur Erreichung des Arbeitsplatzes nützen könne. Daraufhin sei ihm mitgeteilt worden, dass es zu keinem Dienstverhältnis komme. Erst nach dem Ende des Bewerbungsgesprächs habe er nach der Möglichkeit einer Beschäftigung im Einkauf gefragt.
5Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Revisionswerber, seinem Rechtsvertreter und einem Vertreter des AMS als unbegründet ab.
6Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass es der Revisionswerber ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, dass er mit seinem Gesamtverhalten beim Vorstellungsgespräch eine Beschäftigung beim Unternehmen N. zunichtegemacht habe. Disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung traf das Bundesverwaltungsgericht zum Verhalten des Revisionswerbers noch nähere Feststellungen, wobei es sich auf die „schlüssigen“ Ausführungen von Frau H. in ihrer schriftlichen Rückmeldung an das AMS berief. Diese Stellungnahme lautete wie folgt (Fehler im Original):
„Den von uns vorgelegten Personalfragebogen füllte [der Revisionswerber] nicht aus, sondern las stattdessen genau die von uns vorgelegte Verpflichtungserklärung durch. Danach wollte er mich auf diesbezügliche Fehler aufmerksam machen, bis ich ihm informierte, dass diese von einem Anwalt aufgesetzt wurde. Weiters wollte er sofort einen Dienstvertrag haben, was ich ablehnte, mit der Begründung, dass er den erst bei Arbeitsbeginn bekommen würde und nicht bereits am Anfang des Vorstellungstermines. Als nächstes fragte er, ob wir nicht einen Job im Einkauf hätten, da das sein Beruf sei. Als ich ihm erklärte, dass wir so einen Posten nicht hätten, begann er mir zu erklären, wie wichtig diese Stelle wäre und dass die Firma sich doch überlegen sollte, so einen Posten auszuschreiben. Außerdem meinte er, dass der angebotene Job für ihn nicht in Frage käme, da er kein eigenes KFZ besäße und dies ja eine der Grundvoraussetzungen wäre. Beim Verabschieden, steckte er sich noch unsere Verpflichtungserklärung ein.“
7Das Bundesverwaltungsgericht schloss daraus, dass der Revisionswerber einen Personalfragebogen nicht ausgefüllt und eine Verpflichtungserklärung betreffend Datenschutz erst nach einer grundsätzlichen Kritik daran und (wie sich aus der vorgelegten Erklärung ergebe) mit einem Zusatz unterschrieben habe. Er habe überdies die Vorlage eines Dienstvertrages gefordert, was abgelehnt worden sei. Weiters habe er sich nach einer Stelle im Einkauf erkundigt, womit er sein Desinteresse an der ausgeschriebenen Tätigkeit zum Ausdruck gebracht habe. Das habe er dadurch verstärkt, dass er Frau H. die Wichtigkeit von Stellen im Bereich Einkauf erklärt und sie hinsichtlich unternehmerischer Personalentscheidungen belehrt habe.
8Weiters erklärte das Bundesverwaltungsgericht in der Beweiswürdigung, aus der Auskunft aus der Zulassungsevidenz sei ersichtlich, dass ein PKW auf den Revisionswerber zugelassen sei, was dieser auch bestätigt habe. Dieser PKW wäre nach Vornahme kleiner Reparaturen betriebsbereit gewesen. In der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht dann allerdings aus, es sei irrelevant, ob der Revisionswerber im Vorstellungsgespräch behauptet habe, über keinen PKW zu verfügen. Er habe nämlich bereits mit seinem sonstigen Verhalten - dem Nichtausfüllen des Personalfragebogens, der „nachdrücklichen“ Kritik hinsichtlich angeblicher Fehler in der Verpflichtungserklärung, dem „beharrlichen“ Verlangen nach Einsicht in den Dienstvertrag, der Nachfrage nach einem alternativen Job und der „Belehrung“ über die Notwendigkeit bestimmter Stellen - sein Desinteresse an der ausgeschriebenen Stelle und seine mangelnde Arbeitswilligkeit zum Ausdruck gebracht.
9Gemäß § 25a Abs.1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
10Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem das AMS eine Revisionsbeantwortung erstattet hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG insbesondere vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es sich maßgeblich auf die Angaben von Frau H. gestützt habe, obwohl diese - trotz abweichenden Vorbringens des Revisionswerbers zum Verlauf des Vorstellungsgesprächs - weder vom AMS niederschriftlich einvernommen noch vom Bundesverwaltungsgericht zur Verhandlung geladen und dort einvernommen worden sei.
12Dieses Vorbringen führt zur Zulässigkeit der Revision.
13Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass dann, wenn zum Verlauf eines Vorstellungsgesprächs - wie hier - widersprechende Beweisergebnisse vorliegen und der Beweiswürdigung daher besondere Bedeutung zukommt, eine formlose Befragung oder die Einholung einer schriftlichen Stellungnahme nicht ausreichend ist, um den Grundsätzen der Amtswegigkeit des Verfahrens und der Erforschung der materiellen Wahrheit zu genügen; diesfalls hat die Behörde jene Person, von der nur eine schriftliche Stellungnahme vorliegt, als Zeugin niederschriftlich zu vernehmen (vgl. ; , jeweils mwN). Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ist darüber hinaus vor allem § 25 Abs. 6 VwGVG zu beachten, wonach in der Verhandlung die zur Entscheidung der Rechtssache erforderlichen Beweise aufzunehmen sind. Das Verwaltungsgericht darf sich demnach nicht mit einem mittelbaren Beweis zufriedengeben, wenn der Aufnahme eines unmittelbaren Beweises kein tatsächliches Hindernis entgegensteht. Die Unmittelbarkeit in Hinblick auf die Aussage eines Zeugen (bzw. einer Partei) verlangt damit dessen Einvernahme vor dem erkennenden Verwaltungsgericht (vgl. etwa , mwN). Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher im vorliegenden Fall, in dem sich die widersprüchlichen Angaben zum Vorstellungsgespräch nicht allein auf Grund der Aktenlage auflösen ließen - was das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der (für das AMS in erster Linie maßgeblichen) Angaben zum Auto auch einräumte - die das Vorstellungsgespräch führende Mitarbeiterin des potentiellen Dienstgebers in der Verhandlung einvernehmen müssen. Erst auf dieser Basis wäre es möglich gewesen, zum Verlauf des Vorstellungsgesprächs eine schlüssige und dem Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens gerecht werdende Beweiswürdigung zu treffen. Das gilt umso mehr in Bezug auf die in der rechtlichen Beurteilung vorgenommenen, für die Annahme einer Vereitelung wesentlichen Qualifikationen des Verhaltens des Revisionswerbers, die durch die schriftliche Stellungnahme von Frau H. nicht gedeckt waren, wie jene betreffend das Vorbringen einer „nachdrücklichen“ Kritik und das „beharrliche“ Verlangen nach Einsicht in den Dienstvertrag.
14Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
15Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080095.L00 |
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