VwGH 30.11.2022, Ra 2021/08/0023
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungstext
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
Ra 2021/08/0022 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der M GmbH in T, vertreten durch Hon.Prof. Dr. Clemens Thiele, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Imbergstraße 19/ Top 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L511 2162347-2/9E, betreffend Pflichtversicherung nach dem ASVG und dem AlVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Salzburger Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse Landesstelle Salzburg; mitbeteiligte Parteien: 1. G A in S, 2. D B in W, 3. K K in S, und 4. F K in R), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Österreichische Gesundheitskasse hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid vom stellte die Salzburger Gebietskrankenkasse fest, dass vier in einer Anlage zu diesem Bescheid angeführte Personen (die nunmehrigen Mitbeteiligten) zu den jeweils in der Anlage angegebenen Beschäftigungszeiten (es handelte sich um Zeiten innerhalb der Zeiträume von 18. bis bezüglich des ersten, von bis bezüglich des zweiten, von bis bezüglich des dritten und von bis bezüglich des vierten Mitbeteiligten) aufgrund der für die revisionswerbende Partei in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit entgeltlich ausgeübten Tätigkeit der Pflichtversicherung in der Vollversicherung (Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung) gemäß § 4 Abs. 1 und 2 ASVG und der Arbeitslosenversicherung gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlagen.
2 Zur Begründung dieses Bescheides führte die Salzburger Gebietskrankenkasse aus, dass das Unternehmen der revisionswerbenden Partei mit der Vermietung und dem damit verbundenen Auf- und Abbau sowie dem Transport von Messeständen beschäftigt sei, wobei die Messestände großteils selbst hergestellt und gelegentlich auch verkauft würden. Die revisionswerbende Partei verfüge einerseits über eigene Dienstnehmer (Stammpersonal), bediene sich bei Bedarf aber auch diverser Subunternehmen und Leasingarbeiter und kaufe gewisse spezielle Fremdleistungen generell zu. Die Mitbeteiligten verfügten über keine eigene betriebliche Struktur, keine eigenen Dienstnehmer und seien ausschließlich bzw. fast ausschließlich für die revisionswerbende Partei tätig. Sämtliche Vereinbarungen zwischen den Mitbeteiligten und der revisionswerbenden Partei seien mündlich getroffen worden. Die Mitbeteiligten verfügten jeweils über keine Gewerbeberechtigung (in Österreich), keine eigene Firma bzw. keine betriebliche Infrastruktur und hätten die von der revisionswerbenden Partei erhaltenen Beträge auch nicht betrieblich veranlagt. Die Tätigkeit der Mitbeteiligten habe im Auf- und Abbau von Messeständen der revisionswerbenden Partei an diversen von dieser vorgegebenen Einsatzorten, deren Transport sowie in Lager- und Hilfstätigkeiten bestanden. Der Transport der Messestände sei mit Firmenfahrzeugen der revisionswerbenden Partei und auf deren Kosten erfolgt. Die revisionswerbende Partei habe - neben den Messeständen - auch die weiteren notwendigen Arbeitsmaterialien zur Verfügung gestellt. Die einzelnen Mitbeteiligten hätten lediglich über diverses Kleinwerkzeug (Messer, Zangen, Schraubenschlüssel, Akkuschrauber, etc von geringem Wert) verfügt. Wenn der Drittmitbeteiligte mehrere Tage für die revisionswerbende Partei tätig gewesen sei, sei ihm eine firmeneigene Wohnung unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden. Die Art der Tätigkeit habe grundsätzlich die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft und der damit verbundenen Arbeitszeit, welche durch die revisionswerbende Partei vorgegeben worden sei und sich nach ihren Anforderungen bzw. den Anforderungen ihrer Auftraggeber gerichtet habe, erfordert. Die Mitbeteiligten seien praktisch ausschließlich für die revisionswerbende Partei tätig gewesen. Die Arbeit sei im Verbund mit dem Stammpersonal der revisionswerbenden Partei erfolgt. Bei größeren Messeständen sei der Auf- und Abbau durch mehrere Personen, bei kleineren durch eine Person erfolgt. Teilweise hätten die Mitbeteiligten nur den Auf- und Abbau übernommen, während der Transport durch das Stammpersonal erfolgt sei. Teilweise habe das Stammpersonal den Stand aufgebaut und die Mitbeteiligten nur mehr zB den Teppich verlegt. Wenn an einem Einsatzort mehrere Stände auf- bzw. abzubauen gewesen seien, habe man sich gegenseitig geholfen. Die Mitbeteiligten seien in die betriebliche Organisation der revisionswerbenden Partei eingebunden gewesen. Sie hätten - genauso wie das Stammpersonal - Stundenaufzeichnungen zu führen gehabt, welche auch kontrolliert worden seien. Die Abrechnung sei auf Basis des vereinbarten Stundensatzes erfolgsunabhängig und ausschließlich nach geleisteten Stunden nach Rechnungslegung durch die Mitbeteiligten erfolgt. Die Auszahlung sei meist durch Überweisung, teilweise in bar erfolgt. Der Aufbau von Messeständen sei eine einfache manuelle Tätigkeit, welche keine besondere Ausbildung, Anlernzeit oder Qualifikation erfordere. Im Wesentlichen handle es sich um vorgefertigte Teile (Wände, Boden, Aufbau, Elektrik, Dekoration, etc), welche vor Ort nur mehr zusammengeschraubt bzw. zusammengefügt werden müssten. Bei größeren Ständen habe es auch einen Aufbauplan gegeben. Die revisionswerbende Partei habe die geleisteten Arbeiten kontrolliert. Das Erfolgsrisiko gegenüber den Auftraggebern sei bei der revisionswerbenden Partei gelegen. Gegenüber den Mitbeteiligten seien bei Nichteinhaltung von vorgegebenen Aufbauterminen keine Strafzuschläge vereinbart oder gefordert worden. Eine freie Vertretungsmöglichkeit sei weder vereinbart noch jemals in Anspruch genommen worden. Die Mitbeteiligten hätten die ihnen übertragenen Arbeiten stets selbst erledigt.
3 Dagegen erhob die revisionswerbende Partei Beschwerde, in der sie ein die Feststellungen des angefochtenen Bescheides bestreitendes Sachverhaltsvorbringen erstattete und dazu die Aufnahme einzelner näher genannter Beweise sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Das Bundesverwaltungsgericht traf mit dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen übereinstimmende Feststellungen zur Art und zu den Umständen der Beschäftigung der Mitbeteiligten durch die revisionswerbende Partei. Daran anschließend hielt es - ebenfalls in dem mit „Feststellungen“ überschriebenen Abschnitt seines Erkenntnisses - fest, dass in einem Verwaltungsstrafverfahren gegen die nach außen zur Vertretung berufenen Personen der revisionswerbenden Partei „die Versicherungspflicht“ bezüglich zweier der Mitbeteiligten (für einen Zeitraum von bis beim einen sowie von bis beim anderen) als Vorfrage zu beurteilen gewesen sei. Mit Erkenntnis vom habe das Landesverwaltungsgericht Salzburg in diesem Verfahren die Verwaltungsstrafen gemäß § 111 Abs. 1 iVm Abs. 2 ASVG bestätigt. Der Verwaltungsgerichtshof habe die gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision - mit näher dargestellter Begründung - zurückgewiesen (Hinweis auf ).
6 In seiner Beweiswürdigung verwarf das Bundesverwaltungsgericht das Sachverhaltsvorbringen der Beschwerde unter anderem mit Hinweis auf das erwähnte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg. Dem Vorbringen der revisionswerbenden Partei, wonach es sich bei den Tätigkeiten der Mitbeteiligten - entgegen den Feststellungen des Landesverwaltungsgerichts - nicht um einfache manuelle Tätigkeiten, sondern um den Aufbau von komplexen Standbauten, welche Fachwissen erforderten, gehandelt habe, sei entgegenzuhalten, dass „der Verwaltungsgerichtshof die Feststellungen des LVwG nicht beanstandet“ habe.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Darlegung ihrer Zulässigkeit und Begründung insbesondere geltend gemacht wird, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es entgegen dieser Rechtsprechung von der Durchführung der - beantragten - mündlichen Verhandlung abgesehen habe.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Drittmitbeteiligte eine Stellungnahme erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 Die Revision ist (mit Blick auf die geltend gemachte Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht der Verwaltungsgerichte) zulässig und berechtigt.
10 Das Bundesverwaltungsgericht hätte nach § 24 Abs. 4 VwGVG von der - beantragten - mündlichen Verhandlung nur dann absehen dürfen, wenn die Akten hätten erkennen lassen, dass durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegengestanden wären.
11 Im vorliegenden Fall hat die revisionswerbende Partei die entscheidungswesentlichen Feststellungen des angefochtenen Bescheides bereits in der Beschwerde substantiiert bestritten und für ihr Vorbringen Beweise angeboten. Schon angesichts dessen lagen im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht vor. Es gehört gerade im Fall zu klärender bzw. widersprechender prozessrelevanter Behauptungen - wie hier vorliegend - zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichtes, dem auch im § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen, um sich als Gericht u.a. einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. zB , mwN). Zudem hat die revisionswerbende Partei auch nach Ergehen des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Salzburg und des die dagegen erhobene Revision zurückweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes (auf welche das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung des angefochtenen Erkenntnisses gestützt hat) ihr Sachverhaltsvorbringen ergänzt und die Einvernahme weiterer Zeugen beantragt. Im Übrigen konnte das Bundesverwaltungsgericht auch nicht ohne weiteres auf das im Verwaltungsstrafverfahren gegen den Geschäftsführer der revisionswerbenden Partei ergangene Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg zurückgreifen. Dieses entfaltet (abgesehen u.a. von mangelnder Sachverhaltsidentität) bereits deshalb keine Bindungswirkung für die vom Bundesverwaltungsgericht zu beurteilenden Fragen, weil die Versicherungspflicht im Verwaltungsstrafverfahren bloß als Vorfrage zu beurteilen war (vgl. zB ); unabhängig davon stand es der revisionswerbenden Partei frei, im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine andere Beweislage oder auch nur eine unterschiedliche Würdigung der Beweise geltend zu machen und zu erwirken.
12 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das die Eingabengebühr betreffende Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG abzuweisen.
Wien, am
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Normen | |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080023.L00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAA-78620