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VwGH vom 06.02.2023, Ra 2021/06/0209

VwGH vom 06.02.2023, Ra 2021/06/0209

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revisionen 1. des Landes Niederösterreich, vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12 (protokolliert zu Ra 2021/06/0209), 2. des Ing. L H, 3. der M H, beide in M, 4. der Bürgerinitiative, alle vertreten durch die List Rechtsanwalts GmbH in 1180 Wien, Weimarer Straße 55/1 (protokolliert zu Ra 2021/06/0210 bis 0212), 5. der ASFINAG Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG in W, vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5 (protokolliert zu Ra 2021/06/0213), 6. der Umweltorganisation VIRUS - Verein Projektwerkstatt für Umwelt und Soziales in W, 7. der Bürgerinitiative „R“ und 8. der Bürgerinitiative M in M, alle vertreten durch Mag.a Dr.in Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Bischofplatz 3/1. Stock (protokolliert zu Ra 2021/06/0214 bis 0216), gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W109 2220586-1/414E, betreffend Zurückverweisung eines Verfahrens nach dem UVP-G 2000 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Land Niederösterreich, dem Zweitrevisionswerber, der Fünftrevisionswerberin sowie der Sechstrevisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die Anträge der fünft- bis achtrevisionswerbenden Parteien auf Zuerkennung von Aufwandersatz für die Einbringung von Revisionsbeantwortungen werden abgewiesen.

Begründung

1Mit Schriftsatz vom stellte die Fünftrevisionswerberin bei der (nunmehr) Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (Behörde) den Antrag auf Erteilung einer Genehmigung für das Bundesstraßenvorhaben „S“ gemäß § 24 Abs. 1 und 24f Umweltverträglichkeitsprüfung 2000 (UVP-G 2000) im teilkonzentrierten Verfahren.

2Nach einem umfangreichen Ermittlungsverfahren erteilte die Behörde mit Bescheid vom die oben angeführte Genehmigung mit zahlreichen Nebenbestimmungen.

3Dagegen wurden von mehreren Parteien - darunter auch den nunmehr zweit- bis viert- sowie den sechst- bis achtrevisionswerbenden Parteien - Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eingebracht.

4Den Ausführungen im angefochtenen Beschluss zufolge ergänzte das BVwG das Ermittlungsverfahren insbesondere durch folgende Verfahrensschritte:

Beschluss vom : Bestellung von Univ.-Prof. DI Dr. K. zum nichtamtlichen Sachverständigen für den Bereich Schall.

Beschluss vom : Bestellung der Sachverständigen R. für den Fachbereich Raumordnung.

Beschluss vom : Bestellung von Frau R. zur UVP-Koordinatorin.

Beschluss vom bzw. : Bestellung von Dr. B. zum Sachverständigen für den Fachbereich Ornithologie und Naturschutz.

Beschluss vom : Bestellung des Univ.-Prof. Dr. S. zum Sachverständigen für den Fachbereich Verkehr.

Anordnung vom : Anforderung ergänzender Unterlagen zur Abgrenzung des Europaschutzgebietes „Sandboden und Praterterrasse“.

15. November und : jeweils Lokalaugenscheine des ornithologischen Sachverständigen im Beisein des BVwG.

19. und : mündliche Verhandlung zu den Fachbereichen Schall und Naturschutz.

Mit der Novelle zur Verordnung über die Europaschutzgebiete LGBl. 5500/6, vom , LGBl. Nr. 33/2020, wurden die Gebietsgrenzen des Europaschutzgebietes „Sandboden und Praterterrasse“ ausgeweitet, sodass nunmehr zusätzliche Flächen im Trassenbereich der S 8 davon umfasst sind. Basierend auf diesen Änderungen ergänzte das BVwG das Ermittlungsverfahren im Fachbereich Naturschutz folgendermaßen:

Beschluss vom : Anforderung ergänzender Unterlagen betreffend die Alternativenprüfung gemäß Art. 6 Abs. 4 der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL).

Juni und Juli 2020: Vorlage weiterer Unterlagen der Fünftrevisionswerberin unter anderem zur Korridoruntersuchung inklusive Natura 2000 Alternativenprüfung sowie zur Raumwiderstandsanalyse und Erörterung derselben durch den Sachverständigen für Verkehr.

: Vorlage unter anderem einer Habitatmodellierung und einer aktualisierten Eingriffsbewertung (Auswirkungsanalyse und Alternativenprüfung) durch die Fünftrevisionswerberin.

: mündliche Verhandlung zum Fachbereich Naturschutz betreffend die Alternativenprüfung.

5Mit dem angefochtenen Beschluss vom hob das BVwG den Bescheid vom auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurück. Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

In dem insgesamt 227-seitigen Beschluss setzte sich das BVwG auf über 90 Seiten beweiswürdigend mit naturschutzfachlichen Fragen und auf weiteren 75 Seiten mit der rechtlichen Würdigung derselben auseinander.

Zur tragenden Begründung der Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG führte das BVwG aus, das Vorhaben liege in einem Bereich, der zunächst (bis April 2020) als faktisches Vogelschutzgebiet zu werten gewesen sei und in diesem nicht hätte genehmigt werden dürfen. Nach Erweiterung des umstrittenen Bereiches als Schutzgebiet (mit LGBl. Nr. 33/2020 vom ) habe die Prüfung ergeben, dass artenschutzrechtliche Beeinträchtigungen des Triels und des Ziesels durch das Vorhaben zu erwarten seien. Es wäre auch zu erheblichen Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des Europaschutzgebietes „Sandboden und Praterterrasse“ innerhalb der Grenzen des Schutzgebietes bis zum April 2020 gekommen, die bereits während des behördlichen Verfahrens ersichtlich gewesen seien.

Der maßgebliche Sachverhalt sei mit Abschluss des Verfahrens der Behörde nicht festgestanden; die Behörde hätte „in das Ausnahmeverfahren gehen“ und eine fachlich fundierte großräumige Alternativenprüfung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bzw. § 10 NÖ Naturschutzgesetz 2000 (NÖ NSchG 2000) durchführen müssen. Darüber hinaus hätten die ergänzenden Ermittlungen ergeben, dass es in dem im April 2020 erweiterten Schutzgebiet zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Schutzziele kommen werde, sodass eine Alternativenprüfung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bzw. § 10 NÖ NSchG 2000 erforderlich sei. Dass die SP-V [Strategische Prüfung Verkehr] diesen Kriterien entspreche, sei nicht ersichtlich.

Zum Artenschutz habe die Behörde lediglich Art. 5 Vogelschutzrichtlinie (Vogelschutz-RL) betreffend eine mögliche Verletzung des Störverbotes geprüft, nicht jedoch die speziellere (strengere) Regelung des § 18 Abs. 4 Z 4 NÖ NSchG 2000 betreffend das Verbot der Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten; diesbezüglich sei der Sachverhalt durch das BVwG zu ergänzen gewesen. Die Errichtung der Schnellstraße durch eine Lebensstätte des Triels sei (auch) eine absichtliche Störung („Beunruhigung“) und eine Störung der Lebensstätten einer vom Aussterben bedrohten Tierart, sodass die Voraussetzungen für Ausnahmetatbestände zu prüfen gewesen wären.

Das behördliche Verfahren sei daher bereits bei der Vorlage der Beschwerden aufgrund der fehlenden Alternativenprüfung und der unzureichenden Auseinandersetzung mit den Ausnahmetatbeständen mit einem Mangel behaftet gewesen, der maßgebliche Sachverhalt sei nicht festgestanden.

Das BVwG übersehe nicht den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG judizierten prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte einschließlich der vollen Tatsachenkognition derselben. Aufgrund der unrichtigen Lösung wesentlicher Rechtsfragen habe es die Behörde jedoch notwendige Sachverhaltsdarstellungen wesentlichen Umfangs unterlassen. Bei gesamthafter Betrachtung sei der Sachverhalt nur im Ansatz ermittelt worden. Es sei auch nicht ersichtlich, inwiefern die Ermittlung des fehlenden Tatsachensubstrats durch das BVwG im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal das BVwG über keinen eigenen Pool an Sachverständigen verfüge, während bei der Behörde mehrere Fachabteilungen für eine ergänzende fachgerechte Alternativenprüfung vorhanden seien. Das System der nachprüfenden verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nach Art. 130 Abs. 1 und 4 B-VG iVm § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG sei nicht dafür konzipiert, aufwändige und kostenintensive Ermittlungsschritte - wie etwa eine Alternativenprüfung zu möglichen weiträumigen Trassenvarianten - zu tätigen.

Die Voraussetzungen für eine meritorische Entscheidung durch das BVwG lägen daher nicht vor. Die Behörde habe evidentermaßen notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, die nur durch ein zeit- und kostenaufwändiges Verfahren durch das BVwG nachgeholt werden könnten. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung des Verfahrens zu ergänzenden Ermittlungen an die Behörde gemäß § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG lägen daher vor; der Zurückverweisung sei unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben.

Im fortzusetzenden Verfahren werde die Behörde die Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu ergänzen haben. Dabei habe sie insbesondere auf eine fachgerechte Abgrenzung des geeigneten Habitats des Triels und eine Eingriffsbeurteilung sowie auf eine korrekte Berücksichtigung kumulativer Effekte zu achten. Darauf aufbauend sei allenfalls eine großräumige Alternativenprüfung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bzw. § 10 NÖ NSchG 2000 nachzuholen. Auch die positiven Wirkungen und die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Alternativen seien zu ermitteln. Eine artenschutzgerechte Prüfung zu Störungen des Ziesels und des Triels sei zu ergänzen. Schließlich sei noch kein Befund zu möglichen anderweitigen zufriedenstellenden Lösungen erhoben worden.

6Gegen diesen Beschluss wurden die vorliegenden außerordentlichen Revisionen eingebracht.

Der Erstrevisionswerber, die Fünftrevisionswerberin sowie die Sechst- bis Achtrevisionswerberinnen beantragten jeweils die Aufhebung des Beschlusses wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften; der Erstrevisionswerber beantragte in eventu auch die Aufhebung wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts.

Die zweit- bis viertrevisionswerbenden Parteien beantragten, der Verwaltungsgerichtshof möge den Beschluss - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - gemäß § 42 Abs. 4 VwGG dahingehend ändern, dass festgestellt werde, das verfahrensgegenständliche Vorhaben sei „nicht genehmigungsfähig im Sinne des § 24f UVP-G 2000“ und sämtliche Anträge der Fünftrevisionswerberin seien daher abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7In den Zulässigkeitsbegründungen aller Revisionen wurde vorgebracht, der angefochtene Beschluss widerspreche der hg. Rechtsprechung betreffend den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte.

8Die Revision ist angesichts dessen zulässig und auch begründet.

9§ 28 VwGVG,BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 138/2017, lautet auszugsweise:

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

...“

10Sowohl das BVwG als auch die revisionswerbenden Parteien verwiesen zu den für kassatorische Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG geltenden Voraussetzungen auf das hg. Erkenntnis , sowie etliche Folgeentscheidungen. Nach der ständigen hg. Rechtsprechung ist demnach ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt. Die nach § 28 VwGVG verbleibenden Ausnahmen von der meritorischen Entscheidungspflicht sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung durch das Verwaltungsgericht an die Verwaltungsbehörde kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Auch die Notwendigkeit der Einholung weiterer Gutachten oder zulässige Projektänderungen und die mit zulässigen Projektänderungen verbundenen Verfahrensschritte und ebenso die Notwendigkeit einer (weiteren) mündlichen Verhandlung rechtfertigen grundsätzlich eine Aufhebung und Zurückverweisung nicht (vgl. dazu etwa , Rn. 33f, mwN).

11Im vorliegenden Fall sah das BVwG die Mangelhaftigkeit des behördlichen Verfahrens im Wesentlichen darin, dass eine Verträglichkeitsprüfung gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und allenfalls eine großräumige Alternativenprüfung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL bzw. § 10 NÖ NSchG 2000 durchzuführen sei, die positiven Wirkungen und die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Alternativen zu ermitteln seien, eine artenschutzgerechte Prüfung betreffend Störungen des Ziesels und des Triels zu ergänzen und schließlich ein Befund zu möglichen anderweitigen zufriedenstellenden Lösungen zu erheben sei.

12Die vom BVwG gerügten Ermittlungsmängel betreffen ausschließlich den Fachbereich Naturschutz. Hinsichtlich der übrigen, im Rahmen eines teilkonzentrierten Verfahrens gemäß § 24 Abs. 1 UVP-G 2000 zu prüfenden Fachbereiche und anzuwendenden Genehmigungsbestimmungen wurden vom BVwG keine Ermittlungsmängel angeführt. In einem Verfahren wie dem vorliegenden sind jedoch allfällige Ermittlungslücken in nur einem Fachbereich im Kontext des gesamten Verfahrens zu beurteilen. Eine Einordnung, wie sich die vom BVwG angenommenen Ermittlungslücken im Verhältnis zum gesamten Verfahrenskomplex darstellen, wird im angefochtenen Beschluss jedoch nicht vorgenommen. Schon aus diesem Grund ist nicht zu erkennen, dass fallbezogen krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken im Sinn der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorlägen.

13Der angefochtene Beschluss legt auch nicht dar, ob bzw. welche ergänzenden Ermittlungen erst durch die Ausweitung der Gebietsgrenzen des Europaschutzgebietes „Sandboden und Praterterrasse“ mit der Novelle vom , LGBl. Nr. 33/2020, - also während das Verfahren bereits beim BVwG anhängig war - erforderlich wurden.

14Darüber hinaus führte das BVwG - wie in Rn. 4 dargestellt - über 16 Monate hindurch ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durch. Im Rahmen dessen wurden zahlreiche Sachverständige mit der Ausarbeitung ergänzender Gutachten beauftragt (unter anderem wurde Mag. Dr. B. zum Sachverständigen für den Fachbereich Ornithologie und Naturschutz bestellt), es wurden zwei Lokalaugenscheine zu naturschutzfachlichen Fragen durchgeführt, am 19. und fand eine mündliche Verhandlung zu den Fachbereichen Schall und Naturschutz und am eine weitere mündliche Verhandlung ausschließlich zur Frage der naturschutzfachlichen Alternativenprüfung statt, zwischen Juni und September 2020 wurden von der Fünftrevisionswerberin jeweils ergänzende Unterlagen zu den Auswirkungen des geänderten Europaschutzgebietes und eine ergänzende Raumwiderstandsanalyse vorgelegt, die wiederum vom Sachverständigen fachlich beurteilt wurden. Zu den ergänzten Ermittlungsergebnissen wurde jeweils Parteiengehör gewährt.

In den Punkten 3.1. und 3.2. des angefochtenen Beschlusses (Seiten 52 ff) setzte sich das BVwG - basierend auf mehreren Gutachten - mit der Frage der Beeinträchtigung des faktischen Vogelschutzgebietes vor und nach der Ausweitung des Schutzgebietes im April 2020 auseinander. Die Punkte 3.4.1. und 3.4.2. (Seiten 115 ff) beinhalten die Ausführungen des behördlichen und des gerichtlichen Sachverständigen zur Frage der Beschädigung oder Zerstörung von Niststätten des Triels sowie des Ziesels. In Punkt 3.5. des Beschlusses (Seiten 125 ff) gibt das BVwG unter anderem die Ausführungen des Sachverständigen Mag. Dr. B. zur naturschutzfachlichen Alternativenprüfung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie bzw. § 10 NÖ NSchG 2000 wieder.

15Angesichts dieser ergänzenden Ermittlungen durch das BVwG kann dahinstehen, ob die im angefochtenen Beschluss angeführte Mangelhaftigkeit des behördlichen Verfahrens jemals eine Zurückverweisung gerechtfertigt hätte. Bei Erlassung des Beschlusses im September 2021 hatte das BVwG nämlich von jenem Sachverhalt auszugehen, der zu diesem Zeitpunkt vorlag, also dem ergänzten Sachverhalt.

16Der angefochtene Beschluss geht mit keinem Wort darauf ein, ob durch die durchgeführten ergänzenden Ermittlungen die in Rn. 11 dargestellten Mängel des von der Behörde festgestellten Sachverhalts nicht (zumindest teilweise) beseitigt werden konnten und warum allenfalls noch offene Fragen nicht durch eine ergänzende Beauftragung - etwa des Sachverständigen Mag. Dr. B. - geklärt werden könnten. Sind nämlich - wie im Revisionsfall - (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszuges gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. nochmals , Rn. 37, mwN).

17Soweit das BVwG schließlich ausführt, ihm stehe - im Gegensatz zur Behörde - ein entsprechender Sachverständigenpool nicht zur Verfügung, lässt es unberücksichtigt, dass der hg. Rechtsprechung zufolge dem Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 52 AVG der für die Führung eines Ermittlungsverfahrens notwendige Zugang zu (Amts-)Sachverständigen grundsätzlich nicht fehlt (vgl. dazu , Rn. 18, mit Hinweis auf das erwähnte Erkenntnis Ro 2014/03/0063). Darüber hinaus ermöglicht § 3b UVP-G 2000 die Beiziehung von nicht amtlichen Sachverständigen auch ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 und 3 AVG, wobei die Kosten vom Projektwerber/von der Projektwerberin zu tragen sind. Auch mit diesem Argument vermag das BVwG für den vorliegenden Fall nicht darzulegen, dass die Abstandnahme von einer meritorischen Entscheidung unter dem Aspekt der Raschheit oder Kostenersparnis in Betracht kommt.

18Der angefochtene Beschluss ist sohin schon deshalb mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war, ohne dass auf das übrige Vorbringen in den Revisionen einzugehen war.

19Von der Durchführung der von der zweit- bis fünftrevisionswerbenden Parteien beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

20Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG, insbesondere auf § 53 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Der Kostenersatzantrag der fünft- bis achtrevisionswerbenden Parteien für die Revisionsbeantwortungen war abzuweisen, weil nicht Mitbeteiligter im Verfahren über die Revision einer anderen Partei sein und Kostenersatz beanspruchen kann, wer selbst mit Revision gegen dieselbe Entscheidung vorgegangen ist (vgl. etwa , Rn. 19, mwN).

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021060209.L00

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