VwGH vom 12.05.2023, Ra 2021/06/0055

VwGH vom 12.05.2023, Ra 2021/06/0055

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Bayer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der E P in S, vertreten durch die Hudelist/Primig Rechtsanwälte OG in 9560 Feldkirchen, Dr. Arthur-Lemisch-Straße 5/5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom , KLVwG-1254/7/2020, betreffend Versagung der Baubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Gemeinde Pörtschach am Wörthersee; mitbeteiligte Partei: C S in P, vertreten durch die Wiedenbauer Mutz Winkler & Partner Rechtsanwälte GmbH in 9020 Klagenfurt, Gabelsbergerstraße 5; weitere Partei: Kärntner Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Gemeinde Pörtschach am Wörthersee hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Eingabe vom ersuchte die Revisionswerberin um Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines Unterstellplatzes für zwei Pkw-Stellplätze auf einer näher bezeichneten Parzelle der KG S.

2Mit Eingabe vom erhob die Mitbeteiligte Einwendungen gegen das beabsichtigte Bauvorhaben und führte dazu im Wesentlichen aus, dass die Bestimmungen des Bebauungsplanes der Gemeinde P. in Bezug auf die Bebauungsweise und die Baulinien nicht erfüllt seien. Diese Einwendungen hielt sie in der Bauverhandlung vom aufrecht.

3Mit Bescheid vom erteilte die Bürgermeisterin der Gemeinde P. der Revisionswerberin die Baubewilligung für die Errichtung eines Carports für zwei Pkw-Stellplätze nach Maßgabe der Projektunterlagen und unter Vorschreibung von Auflagen.

4Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der dagegen von der Mitbeteiligten erhobenen Berufung Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid aufgehoben. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf die Ausführungen der Amtssachverständigen für Hochbau, wonach die brandabschnittsbildende Wand zwar eine Länge von 9,85 m aufweise, die darüber hinausgehende Projektion, welche durch die rautenförmige Grundrissgestaltung entstehe, im rechten Winkel aber eine Länge von ca. 4,20 m aufweise, sodass für den östlich angrenzenden Nachbarn eine Baulichkeit mit einer Länge von ca. 14 m wahrnehmbar sei. Das Bauvorhaben entspreche somit nicht dem § 7 Abs. 4 des Allgemeinen Textlichen Bebauungsplanes der Gemeinde P., welcher eine Maximallänge von 10 m zulasse.

5Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wurde die dagegen erhobene Beschwerde der Revisionswerberin mit einer Maßgabe im Spruch des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

6Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges im Wesentlichen fest, das Bauvorhaben werde unmittelbar an der östlichen Grundstücksgrenze ausgeführt und solle mit einem Flachdach versehen werden sowie einen rautenförmigen Grundriss mit einer Maximallänge von 14,07 m und einer Höhe von 3 m aufweisen. Beweiswürdigend legte das Verwaltungsgericht dazu dar, der dem Verfahren beigezogene bautechnische Amtssachverständige habe unmissverständlich ausgeführt, dass das rautenförmig geplante Vorhaben laut Grundriss eine Maximallänge von 14,07 m aufweise; dieses Maß sei auch im Plan so kotiert. Es bestünden daher keinerlei Zweifel daran, dass das beabsichtigte Vorhaben eine Maximallänge von 14,07 m aufweise. Nach der Wiedergabe von Rechtsvorschriften führte das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen aus, § 7 Abs. 4 des Allgemeinen Bebauungsplanes des Gemeinderates der Gemeinde P. vom erlaube für maximal ein Garagengebäude, Lagergebäude, überdachten Stellplatz, seitlich offene oder an einer Längsseite geschlossene Zugänge sowie sonstige Nebenobjekte und einer Maximallänge von 10,0 Meter ohne Feuerstätten und Aufenthaltsräume mit Flachdach (weniger als 5°) je Parzellenseite das Heranbauen an die Nachbargrundgrenze, wenn die maximale Gesamthöhe von 3,0 Meter über dem angrenzenden Urgelände an der Grundstücksgrenze nicht überschritten werde. Im Revisionsfall solle unmittelbar an der Grundstücksgrenze eine brandabschnittsbildende Wand mit einer Länge von 9,85 m ausgeführt werden, wobei das Vorhaben in nördliche Richtung in einem 45°Winkel von der Grundgrenze in Richtung Baugrundstück geführt werden soll. Die der Mitbeteiligten zugewandte Carportseite weise damit ein (auch kotiertes) Maß von 14,07 m auf. Im Hinblick auf die höchstgerichtliche Judikatur, wonach es für die Geltendmachung der Nachbarrechte darauf ankomme, wie die Baulichkeit zum Anrainer bzw. zu dessen Grundstück in Erscheinung trete (Hinweis auf , und ), erweise sich die Beurteilung, wonach für die Auslegung des Begriffes „Maximallänge“ jene Bauwerkslänge heranzuziehen sei, wie sie an der Grundstücksgrenze in Erscheinung trete, als zutreffend. Dass sich die Maximallänge unmittelbar an der Grundstücksgrenze befinden müsse, ergebe sich aus der gegenständlichen Verordnungsbestimmung nicht.

7Dagegen richtet sich die vorliegende Revision mit dem Begehren, in der Sache selbst zu entscheiden, in eventu das angefochtene Erkenntnis kostenpflichtig aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8Die Revision erweist sich angesichts des aufgezeigten Fehlens von hg. Rechtsprechung zur Frage der Auslegung des Begriffes Maximallänge im gegenständlichen Bebauungsplan als zulässig.

9§ 23 Kärntner Bauordnung 1996 (K-BO 1996), LGBl. Nr. 62 in der Fassung LGBl. Nr. 31/2015, lautet auszugsweise:

§ 23

Parteien, Einwendungen

...

(3) Anrainer gemäß Abs. 2 lit. a und b sind berechtigt, gegen die Erteilung der Baubewilligung nur begründete Einwendungen dahingehend zu erheben, dass sie durch das Vorhaben in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt werden, die ihnen durch die Bestimmungen dieses Gesetzes, der Kärntner Bauvorschriften, des Flächenwidmungsplanes oder des Bebauungsplanes eingeräumt werden, welche nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Schutz der Anrainer dienen. Einwendungen der Anrainer im Sinn des ersten Satzes können - vorbehaltlich des Abs. 3a - insbesondere gestützt werden auf Bestimmungen über

...

e)die Abstände von den Grundstücksgrenzen und von Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen auf Nachbargrundstücken;

...“

10§ 4 Kärntner Bauvorschriften (K-BV) lautet in seiner im Revisionsfall anzuwendenden Stammfassung LGBl. Nr. 56/1985 auszugsweise:

§ 4

Abstände

(1) Oberirdische Gebäude und sonstige bauliche Anlagen sind entweder unmittelbar aneinander zu bauen oder so anzuordnen, daß sie voneinander und von der Grundstücksgrenze einen ausreichenden Abstand haben. Der Abstand ist in Abstandsflächen (§ 5) auszudrücken.

(2) Wenn und soweit in einem Bebauungsplan Abstände festgelegt sind, sind die Bestimmungen des Abs. 1 letzter Satz und der §§ 5 bis 10 nicht anzuwenden.

...“

§ 7 der im Revisionsfall maßgeblichen Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde P. vom (Allgemeiner textlicher Bebauungsplan) lautet auszugsweise:

§ 7 Baulinien

(§ 25 Abs. 2 lit. c - KGPlG 95)

...

4) Für maximal ein Garagengebäude, Lagergebäude, überdachte Stellplätze, seitlich offene oder an einer Längsseite geschlossene Zugänge sowie sonstige Nebenobjekte und einer Maximallänge von 10,0 Meter ohne Feuerstätten und Aufenthaltsräume mit Flachdach (weniger als 5°), je Parzellenseite, können an die Nachbargrundgrenze herangebaut werden, wenn die maximale Gesamthöhe von 3,0 Meter über dem angrenzenden Urgelände an der Grundstücksgrenze nicht überschritten wird. ...“

11Die Revisionswerberin bringt zunächst vor, dass sich die Maximallänge im Sinn des § 7 Abs. 4 des Bebauungsplanes an Hand der mit 9,85 m planlich kotierten brandabschnittsbildenden Wand bemesse. Nur dieser Teil des Vorhabens grenze nämlich direkt an das Nachbargrundstück der Mitbeteiligten an. Jener Teil des Flachdaches, der durch den rhomboiden Grundriss vermeintlich längs abstehe, sei nicht in die Maximallänge einzuberechnen, was bereits aus dem Wortlaut und dem Gesamtzusammenhang des § 7 Abs. 4 des Bebauungsplanes ersichtlich sei. Nur jene Wand, die unmittelbar an das Nachbargrundstück angrenze, habe Einfluss auf die Belichtung und Belüftung des Nachbargrundstückes, das Carport-Flachdach selbst behindere weder Belichtung noch Belüftung. Es sei nur gering geneigt, überschreite die maximal zulässige Gesamthöhe von 3 m nicht und werde abgesehen von der brandabschnittsbildenden Wand nur auf fünf Pfeilern aufgestellt. Jede andere Auslegung des Bebauungsplanes würde dazu führen, dass flächenmäßig gleich große Projekte, je nachdem in welchem Winkel sie ausgeführt werden, anders bewertet würden. Würde das gegenständliche Projekt nämlich nicht versetzt geplant werden - diese Planung sei gewählt worden, damit Kraftfahrzeuge auf dem kleinen Grundstücksteil gut in den Carport einfahren könnten - sondern rechtwinkelig, würde das Vorhaben exakt die gleiche Grundfläche in Anspruch nehmen, jedoch „zu keinem Ausscheren des Flachdaches führen“. Im Ergebnis sei daher die Ansicht des Verwaltungsgerichtes, wonach zur Beurteilung der Einhaltung von Abstandsvorschriften nicht die tatsächliche Länge eines Bauwerkes an der Grundgrenze, sondern jene Länge, die für den Nachbarn „in Erscheinung trete“ heranzuziehen sei, unrichtig, zumal das „in Erscheinung treten“ immer davon abhänge, von wo genau man auf das Bauvorhaben blicke.

Bereits mit diesem Vorbringen zeigt die Revisionswerberin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses auf.

12Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Verordnung von Baulinien in einem Bebauungsplan eine abstandsrelevante Festlegung im Sinn des § 4 Abs. 2 K-BV dar, was wiederum zur Folge hat, dass Abs. 1 letzter Satz dieser Bestimmung und die §§ 5 bis 10 K-BV nicht anzuwenden sind. Regelungen des Bebauungsplanes, die den Anbau an die Grundstücksgrenze oder die Zulässigkeit des Zusammenbauens normieren, stellen Abstandsregelungen im Sinn des § 4 Abs. 2 K-BV dar. § 4 Abs. 2 K-BV enthält kein „Verschlechterungsverbot“; der Verordnungsgeber ist ermächtigt, gegenüber den gesetzlichen Bestimmungen sowohl für den Bauwerber als auch für den Nachbarn günstigere, aber auch ungünstigere Bedingungen festzulegen (vgl. , und , jeweils mwN).

13§ 7 Abs. 4 des im Revisionsfall maßgeblichen Bebauungsplanes erlaubt, dass mit bestimmten, in dieser Bestimmung näher beschriebenen baulichen Anlagen an die Nachbargrundgrenze herangebaut wird. Es handelt sich somit um eine Abstandsregelung im Sinn des § 4 Abs. 2 K-BV, auf deren Einhaltung dem Nachbarn gemäß § 23 Abs. 3 lit. e K-BO 1996 ein subjektiv-öffentliches Recht zukommt. Dem Nachbarn steht somit ein subjektiv-öffentliches Recht zu, dass nur mit den in § 7 Abs. 4 Bebauungsplan beschriebenen baulichen Anlagen an seine Nachbargrundgrenze herangebaut wird; er hat demnach ein Recht darauf, dass hinsichtlich der projektierten baulichen Anlage die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Es kommt daher entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht allein auf jene Länge der baulichen Anlage an, mit welcher an die Grundstücksgrenze der Mitbeteiligten herangebaut werden soll, und es ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes auch nicht ausschlaggebend, wie die bauliche Anlage der Mitbeteiligten gegenüber „in Erscheinung tritt“ und in welchem Winkel sie von der Nachbargrundgrenze ausgehend in das Baugrundstück geführt wird. Zu den in diesem Zusammenhang ergangenen Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis ist zu bemerken, dass es sich bei der in § 7 Abs. 4 des Bebauungsplanes enthaltenen Regelung nicht um eine gesetzliche Ausnahme bzw. Privilegierung, sondern um eine im Bebauungsplan festgelegte Abstandsregelung im Sinn des § 4 Abs. 2 K-BV handelt, welche hinsichtlich der zu den Grundstücksgrenzen einzuhaltenden Abstände eine lex specialis zu den K-BV darstellt (vgl. wiederum , mwN). Auch aus der vom Verwaltungsgericht zitierten hg. Judikatur ist für den Revisionsfall nichts zu gewinnen, weil darin lediglich die Frage erörtert wird, ob bzw. inwieweit Regelungen über die zulässige Gebäudehöhe (auch) dem Schutz der Nachbarn dienen. Dass aber eine Bestimmung, nach welcher nur mit bestimmten baulichen Anlagen an die Nachbargrundgrenze herangebaut werden darf, (auch) dem Schutz jenes Nachbarn dient, an dessen Grundstücksgrenze herangebaut werden soll, ist evident.

14Entscheidend ist demnach, ob das im Revisionsfall geplante Carport für zwei Pkw, mit welchem an die Grundgrenze der Mitbeteiligten herangebaut werden soll, den in § 7 Abs. 4 des Bebauungsplanes genannten Anforderungen entspricht. Wie aus den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis und dem dem Bauansuchen angeschlossenen Einreichplan zu entnehmen ist, überschreitet weder die an der Nachbargrundgrenze liegende Seite (mit einer brandabschnittsbildenden Wand im Ausmaß von 9,85 m) noch die dieser gegenüberliegende Seite des Bauvorhabens die gemäß § 7 Abs. 4 des Bebauungsplanes zulässige Maximallänge von 10 m.

15Indem das Verwaltungsgericht ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht - wonach es für die Beurteilung der Frage, ob die zulässige Maximallänge von 10 m eingehalten wird, auf den gegenüber der Mitbeteiligten in Erscheinung tretenden Bereich ankomme - zur tatsächlichen, an der Nachbargrundgrenze liegenden Länge der baulichen Anlage noch die Länge der darüber hinaus in Erscheinung tretenden gegenüberliegenden Seite des Bauvorhabens addiert und folglich das Bauansuchen der Revisionswerberin bereits aufgrund der sich daraus ergebenden Überschreitung der gemäß § 7 Abs. 4 des Bebauungsplanes zulässigen Maximallänge von 10 m abgewiesen hat, belastete es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

16Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013, in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021060055.L00

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