VwGH vom 20.10.2022, Ra 2021/06/0041
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag. ͣ Merl, Mag. Rehak, Mag. Liebhart-Mutzl und Mag. Bayer als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. der B R in W und 2. der U R in A, beide vertreten durch die Lercher & Hofmann Rechtsanwälte GmbH in 6832 Röthis, Schlösslestraße 31a, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , LVwG 318-92/2019-R6, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Altach; weitere Partei: Vorarlberger Landesregierung; mitbeteiligte Partei: Dr. K K in A, vertreten durch Dr. Martin Fiel, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Drevesstraße 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Mitbeteiligten die Baubewilligung für die Verlegung der Zufahrtsstraße, Errichtung einer Garage, eines Swimmingpools und einer Sichtschutzmauer auf einem näher bezeichnetem Grundstück unter Auflagen erteilt.
2Das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (im Folgenden: Verwaltungsgericht) gab der Beschwerde der revisionswerbenden Nachbarn gegen den oben genannten Bescheid mit dem angefochtenen Erkenntnis insoweit Folge, als hinsichtlich der Verlegung der Straße eine zusätzliche näher bezeichnete gewässerschutztechnische Auflage vorgeschrieben wurde. Im Übrigen bestätigte das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe, dass die beantragte Errichtung eines Swimmingpools nicht mehr Gegenstand des Bauverfahrens sei. Gleichzeitig sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer ordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei.
3Begründend führte das Verwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, durch die beantragte Verlegung der Zufahrtsstraße nach Westen ergebe sich ein Abstand des neuen Straßenrandes zur dortigen Grundgrenze von 28 Zentimetern. Die Zufahrtsstraße sei nicht dem Gemeingebrauch gewidmet. Bei der gegenständlichen Straße handle es sich um eine ebenerdig befestigte Fläche, die der Erschließung mehrerer Wohnhäuser diene. Sie falle unter die Bestimmung des § 6 Abs. 4 lit. b Vorarlberger Baugesetz (BauG), weshalb keine Mindestabstände einzuhalten seien.
4Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in welcher eine Entscheidung in der Sache, in eventu durch Aufhebung begehrt wird.
5Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6Die Revision erweist sich angesichts der in der Revision aufgeworfenen Frage, ob es sich bei der gegenständlichen Erschließungsstraße um eine ebenerdig befestigte Fläche iSd § 6 Abs. 4 lit. b BauG handle, als zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
7§ 6 BauG lautet in seiner Stammfassung (LGBl. Nr. 52/2001):
„§ 6 Mindestabstände
(1) Oberirdische Gebäude, ausgenommen kleine Gebäude nach § 19 lit. a bis c, müssen von der Nachbargrenze mindestens 3 m entfernt sein. Abweichend davon dürfen Bauteile nach § 5 Abs. 5 lit. b und c bis zu 2 m an die Nachbargrenze heranreichen.
(2) Oberirdische Bauwerke, die keine Gebäude sind, sowie oberirdische kleine Gebäude nach § 19 lit. a bis c müssen mindestens 2 m von der Nachbargrenze entfernt sein.
(3) Unterirdische Bauwerke und unterirdische Teile von Bauwerken müssen mindestens 1 m von der Nachbargrenze entfernt sein.
(4) Für Einfriedungen oder sonstige Wände oder Geländer bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück gilt kein Mindestabstand.“
8Mit der Baugesetz Novelle 2007 (LGBl. Nr. 44/2007) wurde § 6 BauG wie folgt geändert:
„§ 6 Mindestabstände
(1) Oberirdische Gebäude, ausgenommen kleine Gebäude nach § 19 lit. a bis c, müssen von der Nachbargrenze mindestens 3 m entfernt sein. Abweichend davon dürfen Bauteile nach § 5 Abs. 5 lit. b und c bis zu 2 m an die Nachbargrenze heranreichen.
(2) Oberirdische Bauwerke, die keine Gebäude sind, sowie oberirdische kleine Gebäude nach § 19 lit. a bis c müssen mindestens 2 m von der Nachbargrenze entfernt sein.
(3) Unterirdische Bauwerke und unterirdische Teile von Bauwerken müssen mindestens 1 m von der Nachbargrenze entfernt sein; für befestigte Flächen, insbesondere Hauszufahrten und Abstellplätze, gilt jedoch kein Mindestabstand.
(4) Für Einfriedungen oder sonstige Wände oder Geländer bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück gilt kein Mindestabstand.
(5) Ergeben sich aus einem Bebauungsplan oder einer Verordnung über die Art der Bebauung kleinere Mindestabstände als nach den Abs. 1 bis 3, gelten diese.“
9Der Landesgesetzgeber hielt in den erläuternden Bemerkungen (vgl. ErläutRV 38 BlgVlbgLT [2007] 28. GP) fest, dass es sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei befestigten Hauszufahrten oder etwa einem Abstellplatz um Bauwerke nach § 2 Abs. 1 lit. f BauG handle, die nach der Rechtslage mindestens einen Meter von der Nachbargrenze entfernt sein müssten. Dies entspreche nicht den ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers und führe in der Praxis zu Problemen. Durch eine Ergänzung des § 6 Abs. 3 solle nunmehr klargestellt werden, dass bei Errichtung befestigter Flächen, z.B. Hauszufahrten, Abstellplätzen oder sonstiger befestigter Verkehrs- oder Lagerflächen, kein Mindestabstand einzuhalten sei, soweit es sich bei diesen Bauvorhaben um unterirdische Bauwerke handle; eine befestigte Fläche sei dann unterirdisch, wenn sie mit dem geplanten oder behördlich verfügten Gelände bündig abschließe.
10Mit dem Seveso-Anpassungsgesetz - Sammelnovelle vom wurde § 6 BauG in der hier maßgeblichen Fassung des LGBl. Nr. 54/2015 neuerlich novelliert und lautet wie folgt:
„§ 6 Mindestabstände
(1) Der Mindestabstand zur Nachbargrenze beträgt für:
a)ein Gebäude 3 m;
b)ein sonstiges Bauwerk 2 m.
(2) Abweichend von Abs. 1 lit. a genügt ein Mindestabstand von 2 m für:
a)kleine Gebäude nach § 19 lit. a bis c;
b)Gebäudeteile nach § 5 Abs. 5 lit. b und c.
(3) Abweichend von Abs. 1 und 2 genügt ein Mindestabstand von 1 m für:
a)Bauwerke und Teile von Bauwerken bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück;
b)unterirdische Bauwerke oder unterirdische Teile von Bauwerken.
(4) Abweichend von Abs. 1 bis 3 gilt kein Mindestabstand für:
a)Einfriedungen oder sonstige Wände oder Geländer bis zu einer Höhe von 1,80 m über dem Nachbargrundstück;
b)ebenerdig befestigte Flächen wie Hauszufahrten und Abstellplätze.
(5) Ergeben sich aus einem Bebauungsplan oder einer Verordnung über die Art der Bebauung kleinere Mindestabstände als nach Abs. 1 bis 3, gelten diese.“
11In den erläuternden Bemerkungen (vgl. Erläut RV 54 BlgVlbgLT [2015] 30. GP) hielt der Landesgesetzgeber fest, dass nach den bisherigen Bestimmungen bei der Errichtung befestigter Flächen, z.B. Hauszufahrten, Abstellplätzen oder sonstiger befestigter Verkehrs- oder Lagerflächen, kein Mindestabstand einzuhalten sei, soweit es sich bei diesen Bauvorhaben um unterirdische Bauwerke handle. Eine befestigte Fläche sei dann unterirdisch, wenn sie mit dem geplanten oder behördlich verfügten Gelände bündig abschließe (vgl. Beilage 38/2007, Bericht zu § 6 Abs. 3). Aufgrund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Begriff „unterirdisch“ bzw. „oberirdisch“ (unter Hinweis auf ) sei aber davon auszugehen, dass auch befestigte Flächen, z.B. Hauszufahrten und Abstellplätze, als oberirdische Bauwerke anzusehen seien und daher - anders als ursprünglich vom Gesetzgeber gewollt - ein Mindestabstand erforderlich sei. Daher werde im § 6 Abs. 4 lit. b des Entwurfs klargestellt, dass für ebenerdig befestigte Flächen wie Hauszufahrten und Abstellplätze kein Mindestabstand einzuhalten sei. Eine befestigte Fläche sei dann ebenerdig, wenn sie mit dem geplanten oder behördlich verfügten Gelände bündig abschließe (bei einer Tiefgaragenabfahrt handle es sich nicht um eine solche Fläche).
12Aus der dargestellten Gesetzesentwicklung und den erläuternden Bemerkungen lässt sich entnehmen, dass der Landesgesetzgeber ebenerdig befestigte Flächen, zunächst als unterirdische Bauwerke qualifizierte. Mit der Baugesetznovelle 2007 (LGBl. Nr. 44/2007) wurde klargestellt, dass für diese Flächen kein Mindestabstand einzuhalten sei, und diese Ausnahme ausdrücklich in die gesetzliche Bestimmung aufgenommen. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Begriff „oberirdisch“ und „unterirdisch“ wurde mit der Seveso-Anpassungsgesetz - Sammelnovelle vom (LGBl. Nr. 54/2015) klargestellt, dass für ebenerdig befestigte Flächen wie Hauszufahrten und Abstellplätze kein Mindestabstand einzuhalten sei.
13§ 6 Abs. 4 lit. b BauG enthält im Hinblick auf die Verwendung des Wortes „wie“ eine demonstrative und keineswegs abschließende Aufzählung ebenerdig befestigter Flächen. Dieses Ergebnis entspricht dem sich aus den dargestellten erläuternden Bemerkungen ergebenden Willen des Landesgesetzgebers, der in diesem Zusammenhang „befestigte Verkehrsflächen“ ausdrücklich nennt (vgl. etwa Erläut RV 54 BlgVlbgLT [2015] 30. GP).
14Nach den insoweit unbestrittenen tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts ist die gegenständliche Erschließungsstraße ebenerdig und befestigt. Sie ist somit unter die genannte Gesetzesbestimmung zu subsumieren. Daraus folgt, dass keine Mindestabstände einzuhalten sind.
15Soweit die Revision zu ihrer Begründung vorbringt, die gegenständliche Erschließungsstraße sei als Straße im Sinne des § 2 Abs. 1 Vorarlberger Straßengesetz (StrG) zu qualifizieren, womit der Begriff „Straße“ bereits klar definiert worden sei, sodass es sich bei einer Straße nicht um eine „sonstige Verkehrsfläche“ im Sinne der erläuternden Bemerkungen handeln könne, ist darauf hinzuweisen, dass sich schon aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 StrG ergibt, dass der Landesgesetzgeber Straßen unter den Oberbegriff der Verkehrsflächen einordnet.
16Für eine teleologische Auslegung des § 6 Abs. 4 lit. b BauG in dem in der Revision aufgezeigten Sinn besteht aufgrund des Wortlauts der gesetzlichen Bestimmung und des klaren Willens des Landesgesetzgebers kein Raum.
17Da es sich bei der gegenständlichen Erschließungsstraße um keine öffentliche Straße handelt, geht der Vergleich der Revisionswerberinnen mit den Abstandsbestimmungen des § 43 Abs. 1 StrG ins Leere.
18Bereits der Inhalt der Revision ließ erkennen, dass die von den Revisionswerberinnen behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, die Revision war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021060041.L00 |
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WAAAA-78611