VwGH vom 20.10.2022, Ra 2021/05/0041
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr.in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Dr. N H in S, vertreten durch Dr. Josef Hofer, M.B.L.-HSG, und Mag. Dr. Thomas Humer, LL.M., Rechtsanwälte in 4600 Wels, Dr.-Koss-Straße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , LVwG-152532/14/RK/FE, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde S; weitere Partei: Oberösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Gemeinde S hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde S vom wurde dem Revisionswerber aufgetragen, binnen einer Frist von sechs Monaten nach Rechtskraft des Bescheides eine näher bezeichnete, konsenslos errichtete Remise zu beseitigen und den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen. Dem lag zugrunde, dass die Remise lagemäßig nicht so wie im Einreichplan vom angegeben errichtet worden sei. Zudem sei an der Nordseite der Remise ein Anbau im Ausmaß von 12,0 m mal 2,10 m errichtet worden, für den keine Genehmigung eingeholt worden sei.
2Die dagegen vom nunmehrigen Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Verwaltungsgericht) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am , in deren Rahmen den Parteien Befund und Gutachten des vom Verwaltungsgericht beigezogenen bautechnischen Sachverständigen erstmals zur Kenntnis gebracht wurden - mit dem angefochtenen Erkenntnis vom mit der Maßgabe ab, dass der baupolizeiliche Auftrag dahingehend laute, dass dem Revisionswerber gemäß § 49 Abs. 1 Oö. Bauordnung 1994 (Oö. BauO 1994) aufgetragen werde, binnen einer Frist von sechs Monaten ab Zustellung des Erkenntnisses die konsenslos errichtete Remise samt Zubau auf den näher bezeichneten Grundstücken zu beseitigen und den vorigen Zustand wiederherzustellen. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision unzulässig sei.
3Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, hinsichtlich der ursprünglichen Remise sei von einem rechtswirksamen Konsens bezüglich des angezeigten Bauvorhabens laut Einreichplan vom auszugehen; die bauliche Anlage sei als Betriebsgebäude gemäß § 25 Abs. 1 Z 2 lit. a Oö BauO 1994 der Anzeigepflicht unterworfen. Es sei jedoch zu einer Lageverschiebung des Hauptbaukörpers (Remise) in östliche Richtung gekommen, weshalb dieser mit seiner nordöstlichen Außenwandecke direkt an die Grundgrenze des Grundstückes Nr. 848/1 reiche. Auch sei ein Anbau im Norden des Hauptbaukörpers konsenslos vorgenommen worden, durch den sich auch eine teilweise Situierung des östlichen Bereichs des Zubaus auf dem nördlichen Grundstück Nr. 848/1 ergebe. Mit der Lageverschiebung der Remise gehe eine Veränderung der Abstände zur westlichen Grundgrenze im Wege einer Abstandserhöhung und eine Verringerung zur nördlichen Grundgrenze gegenüber dem ursprünglich codierten Abstand von 3,0 m einher.
4Nach ausführlicher Darlegung von Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu Lageverschiebungen gegenüber dem genehmigten Stand führte das Verwaltungsgericht weiter aus, dass für die bauliche Anlage, wie sie am heutigen Tag stehe, zweifelsfrei ein behördlicher Konsens „abstrakt“ erforderlich wäre und legte weiters dar, weshalb ein solcher auch anhand diverser Ausnahmebestimmungen des Oö. Bautechnikgesetzes 2013 (BauTG 2013) nicht erteilt werden könne.
5Der konsenslos errichtete Zubau im Ausmaß von 12,0 m x 2,05 m mit einer Traufenhöhe von 2,5 m und einer Firsthöhe von 3,2 m komme teilweise auf dem Grundstück Nr. 848/1 und somit teilweise auf einem nicht als Bauland gewidmeten Grundstück (Verkehrsfläche gemäß § 29 Oö. Raumordnungsgesetz 1994 [ROG 1994]) zu liegen. Darüber hinaus scheitere die Anwendung von Ausnahmen zu den einzuhaltenden Abstandsbestimmungen iSd § 41 Oö. BauTG 2013 an der betrieblichen Verwendung als Lager. Abgesehen davon sei auf den Zubau nicht mehr näher einzugehen, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Vorliegen eines einheitlichen Bauwerks grundsätzlich das gesamte Bauwerk Gegenstand des baupolizeilichen Auftrages zu sein habe (Verweis auf ).
6Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision mit den Anträgen, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben und dem Revisionswerber die Kosten des Verfahrens zuzusprechen. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurden keine Revisionsbeantwortungen erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7Die Revision erweist sich angesichts ihrer Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung zum Abweichen des Verwaltungsgerichts von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Verletzung des Parteiengehörs als zulässig.
8In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass die eingeräumte Frist zur Erstattung einer Stellungnahme bzw. eines Gutachtens „angemessen“ zu sein hat, wobei auf die Umstände des konkreten Falles abzustellen ist (vgl. etwa und 0003; sowie : mehr als ein Monat nicht unangemessen; : sieben Tage unzureichend, wenn der Gegenstand der Stellungnahme neu, erstmalig und im Gegensatz zur bisherigen sachverständigen Einschätzung stehend ist; ebenso : vier Tage unzureichend).
9Zudem ist - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat - dem Revisionswerber nach der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht eine Frist einzuräumen, um dem in der Verhandlung mündlich ausgeführten Gutachten, das ihm vor der mündlichen Verhandlung nicht übermittelt wurde, auf gleicher fachlicher Ebene entgegentreten zu können (vgl. , mwN).
10Im gegenständlichen Fall wurde der Revisionswerber erstmals in der mündlichen Verhandlung mit dem Gutachten des Amtssachverständigen konfrontiert. Wie aus dem Verhandlungsprotokoll ersichtlich ist, wurde die Verhandlung nach einer 15-minütigen Pause, die der Einsicht der Parteien in das Gutachten diente, wieder fortgesetzt. Der Revisionswerber brachte in der Folge vor, dass dem Gutachten die vom erkennenden Richter zuvor dargelegte Lageverschiebung nicht zu entnehmen sei und stellte in der Folge einen Antrag auf Erstreckung der Verhandlung sowie auf Zustellung des Gutachtens, um Gelegenheit zur Stellungnahme zu erhalten. Dieser Antrag wurde seitens des Verwaltungsgerichts nicht behandelt.
11Zur Erstattung einer Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigen standen dem Revisionswerber somit lediglich 15 Minuten zur Verfügung, was im Hinblick auf die bereits oben dargelegte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls unzureichend ist.
12Dem Revisionswerber gelingt es im vorliegenden Fall auch, die Relevanz dieses Verfahrensmangels erfolgreich geltend zu machen. Er verweist darauf, dass er im Fall der Einräumung von Parteiengehör die Mängel des Gutachtens hätte vortragen können. So habe der Gutachter den Lageplan aus dem Einreichplan lediglich mit dem Katasterauszug verglichen, ohne jedoch Messungen durchführen zu können. Dem zugrunde gelegten Katasterplan sei die Lage des Baukörpers nicht zu entnehmen, weshalb er keine taugliche Grundlage für einen Vergleich mit dem Einreichplan darstelle. Lege man den Katasterplan über das Orthofoto des Geländes, so zeige sich, dass das Gebäude außerhalb des Rechtecks des ehemaligen Grundstücks „.82 Baufläche“ und so nahe an der westlichen Grundgrenze stehe, wie es der Einreichplan vorsehe. Auch würde gezeigt, dass zur Nordgrenze des fraglichen Grundstücks ein Abstand von 3 m bestehe.
13Träfe dieses Vorbringen zu und stellte der dem Gutachten und diesem folgend dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde gelegte Katasterplan nicht die tatsächliche Lage des Baukörpers dar, so ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht bei Vermeidung des vorliegenden Verfahrensfehlers zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre, zumal es sich hinsichtlich der Lage des Gebäudes gegenständlich nur auf den Katasterplan und nicht auch auf Messergebnisse stützte.
14Von der Lage der Remise hängt auch jene des ihr angeschlossenen Zubaus ab, hinsichtlich dessen das Verwaltungsgericht ebenfalls eine Abstandsunterschreitung bzw. eine teilweise Lage auf einer Verkehrsfläche angenommen und daher dessen Bewilligungsfähigkeit verneint hat. Die vorliegende Verletzung des Parteiengehörs schlägt daher auf das Schicksal des Zubaus - von dem das Verwaltungsgericht begründungslos angenommen hat, er bilde mit der Remise ein einheitliches Bauwerk - durch, sodass das angefochtene Erkenntnis in seiner Gesamtheit aufzuheben ist.
15Das angefochtene Erkenntnis war daher gem. § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
16Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021050041.L00 |
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