TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 24.03.2023, Ra 2021/02/0242

VwGH vom 24.03.2023, Ra 2021/02/0242

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des S in W, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Währinger Straße 2-4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-S-1411/005-2020, LVwG-S-1413/004-2020 und LVwG-S-1414/004-2020, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Dem unbestrittenen Akteninhalt und den dahin übereinstimmenden Vorbringen der Parteien folgend wurde der Revisionswerber gemäß § 9 Abs. 2 VStG als verantwortlicher Beauftragter für drei Unternehmen, die sich zu einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) für ein Bauprojekt zusammengeschlossen haben, bestellt.

2Mit drei im Wesentlichen gleichlautenden Straferkenntnissen der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen, eines vom und zwei vom , wurde dem Revisionswerber als gemäß § 9 Abs. 2 VStG bestellten verantwortlichen Beauftragten für jedes der drei Unternehmen der ARGE angelastet, er habe es zu verantworten, nicht dafür gesorgt zu haben, dass ein Arbeitnehmer bei der Benutzung von Arbeitsmitteln die für die Arbeitsmittel geltende Bedienungsanleitung eingehalten habe. Der Revisionswerber habe dadurch § 35 Abs. 1 Z 2 Arbeitnehmerinnenschutzgesetz (ASchG) iVm § 9 VStG verletzt, weshalb über ihn gemäß § 130 Abs. 1 Z 16 ASchG (jeweils) eine Geldstrafe von € 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 81 Stunden) verhängt wurde.

3Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) gab mit dem Erkenntnis vom den Beschwerden des Revisionswerbers gegen die drei Straferkenntnisse Folge und sprach aus, dass „die Straferkenntnisse aufgehoben“ werden.

4Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2021/02/0070 bis 0072 und 0078, wurde aufgrund der von der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen und dem Bundesminister für Arbeit erhobenen Revisionen dieses Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil das Verwaltungsgericht keine Sachentscheidung getroffen hat.

5Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom gab das Verwaltungsgericht den Beschwerden des Revisionswerbers insofern statt, als „die jeweiligen Sprüche der angefochtenen Straferkenntnisse zu einem einzigen Punkt zusammengefasst werden und nunmehr eine Gesamtstrafe von € 3.000 (Ersatzfreiheitsstrafe: 140 Stunden) festgesetzt wird“ (Spruchpunkt I.). Weiters legte es die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens neu fest und sprach aus, dass der Revisionswerber keine Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen habe (Spruchpunkt II.) und erklärte die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt III.).

6Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, dass sich ein Arbeitsunfall in einem Tunnel im Zusammenhang mit dem Betrieb eines näher genannten Betonmischers ereignet habe. Der Lenker sei mit Schrittgeschwindigkeit mit umgedrehter Trommel des Betonmischers gefahren und habe den Pumpenwart im Bereich der Oberschenkel und der Hände überfahren. Der Fahrer sei zu Beginn seiner Tätigkeit in den Betrieb eingewiesen worden und es seien ihm diverse Sicherheitsbestimmungen ausgefolgt worden. Diese Sicherheitsbestimmungen seien auch dem Pumpenwart - einem bosnischen Staatsangehörigen - zu Beginn seiner Tätigkeit ausgefolgt worden, jedoch in slowenischer Sprache. Für den Betonmischer existiere nur eine Bedienungsanleitung für solche Maschinen, die ohne Rückfahrkamera ausgestattet seien. Darin werde verpflichtend ein Einweiser für diverse Fahrmanöver vorgeschrieben. Der hier verwendete Betonmischer sei nachträglich mit Rückfahrkameras ausgestattet worden, welche für den Fahrer eine Sicht von 360 Grad ermögliche, sodass auch wenn der Fahrer - wie im gegenständlichen Fall - den Sitz wende, kein toter Winkel entstehe.

7In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Fahrer durch Unachtsamkeit an einem Arbeitsplatz mit einem Betonmischer hantiert und die Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten habe. Das gelte auch für den offensichtlich in den Gefahrenbereich der Maschine geratenen Arbeitnehmer. Es sei daher der objektive Tatbestand der Verwaltungsübertretung einwandfrei erfüllt. Auch die subjektive Tatseite sah das Verwaltungsgericht in Ermangelung eines entsprechend geeigneten, den Revisionswerber entlastenden Kontrollsystems als erfüllt an. Dem folgt eine Darstellung der formellen und materiellen Rechtsgrundlagen, insbesondere § 5 Abs. 5 und 6 Arbeitsmittel-Verordnung (AM-VO) und die §§ 14 und 35 ASchG. Dem Revisionswerber werde in den angefochtenen Straferkenntnissen ein und dieselbe Tat angelastet. Der Schutzzweck der Übertretungen sei auf den jeweils betroffenen Arbeitnehmer gerichtet. Der betroffene Arbeitnehmer könne vom selben Täter nur einmal verletzt werden und die Verwaltungsübertretung nur einmal verwirklicht werden. Daher habe das Gericht die Entscheidungen zu einer einzigen zusammenzufassen.

8Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9Der Revisionswerber macht zur Zulässigkeit seiner Revision unter anderem Begründungs- und Feststellungsmängel geltend. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit dem Tatvorwurf, dass eine Bedienungsanleitung nicht eingehalten worden wäre, befasst. Die vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung, dass der Betonmischer mit einer Rückfahrkamera ausgestattet gewesen sei, welche für den Fahrer eine Sicht von 360 Grad ermögliche und so kein toter Winkel entstehe, stehe in Widerspruch mit diesem Tatvorwurf. Die Bedienungsanleitung nehme nur Bezug auf die Standardausführung des Betonmischers ohne Rückfahrkamera. Deshalb sehe die Bedienungsanleitung vor, dass „bei gedrehtem Fahrersitz die Sicht auf den Aktionsradius erheblich eingeschränkt“ werde. Das Verwaltungsgericht habe keine Feststellungen zum konkreten Inhalt der Bedienungsanleitung getroffen und sich nicht damit auseinandergesetzt, ob die Bestimmung in der Bedienungsanleitung im Zusammenhang mit der Heranziehung eines Einweisers aufgrund der eingeschränkten Sicht überhaupt Anwendung auf die hier verwendete Maschine finde. In der rechtlichen Begründung werde nur allgemein darauf verwiesen, dass der Fahrer zweifelsfrei „die Sicherheitsbestimmungen“ nicht eingehalten habe, ohne darzulegen, welche Sicherheitsbestimmungen konkret damit gemeint seien. Die zitierten Bestimmungen der AM-VO und des § 14 ASchG würden sich auf ein anderes Verfahren beziehen.

10Die Revision ist zulässig und begründet.

11Gemäß § 29 Abs. 1 VwGVG sind die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts zu begründen. Diese Begründung hat, wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Auch in Verwaltungsstrafsachen ist gemäß § 38 VwGVG iVm § 24 VStG die Begründungspflicht im Sinn des § 58 AVG von Bedeutung (vgl. , mwN).

12Demnach sind in der Begründung eines Erkenntnisses die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche das Verwaltungsgericht im Fall des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte zudem (nur) dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgebenden Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. , mwN).

13Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt ein Begründungsmangel zur Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und in weiterer Folge zur Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof, wenn er entweder die Parteien des Verwaltungsverfahrens und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an der Verfolgung ihrer Rechte oder den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung auf deren inhaltliche Rechtmäßigkeit hindert. Wird das Verwaltungsgericht den Anforderungen an die Begründung von Erkenntnissen der Verwaltungsgerichte nicht gerecht, so liegt ein Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. erneut , mwN).

14Vorweg ist festzuhalten, dass durch die verwendete Formulierung, wonach den Beschwerden gemäß § 50 VwGVG „insofern“ stattgegeben wird, die Sprüche der Straferkenntnisse übernommen wurden. Diese führen als verletzte Norm § 35 Abs. 1 Z 2 ASchG an. Die dem Revisionswerber zur Last gelegte Tat lautete dahingehend, dass § 35 Abs. 1 Z 2 ASchG nicht eingehalten worden sei, weil entgegen der Bedienungsanleitung des Betonmischers kein Einweiser herangezogen worden sei.

15Der Revisionswerber weist zutreffend darauf hin, dass die Darstellung der rechtlichen Erwägungen im Sinn der angeführten hg. Rechtsprechung ungenügend geblieben ist. Es ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht ausreichend nachvollziehbar, von welcher Tathandlung das Verwaltungsgericht ausgeht, insbesondere ob und aus welchen Erwägungen es ein Handeln wider eine Bedienungsanleitung erblickt und die Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 35 Abs. 1 Z 2 ASchG angenommen hat. In den rechtlichen Erwägungen wird nur allgemein darauf verwiesen, dass „der Fahrer durch Unachtsamkeit an einem Arbeitsplatz mit einem Betonmischer hantiert hat“ und „die Sicherheitsbestimmungen“ nicht eingehalten worden seien, ohne diese in weiterer Folge näher zu konkretisieren. Das Verwaltungsgericht hat jegliche Auseinandersetzung damit unterlassen, dass der Betonmischer nach den (unbestrittenen) Feststellungen mit Rückfahrkameras ausgestattet gewesen sei, welche eine Sicht von 360 Grad ermöglichten und dadurch die Gefahr eines toten Winkels nicht vorgelegen sei. Durch die Anführung der § 5 Abs. 5 und 6 AM-VO und § 14 ASchG als maßgebliche Rechtsnormen bleibt zudem unklar, ob das Verwaltungsgericht allenfalls die Verwirklichung eines anderen Tatbildes als § 35 Abs. 1 Z 2 ASchG vor Augen hatte.

16Das angefochtene Erkenntnis entzieht sich insoweit einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof auf dessen inhaltliche Rechtmäßigkeit; es war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

17Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

18Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden. Der Anforderung des Art. 6 Abs. 1 EMRK wurde durch die Durchführung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Genüge getan (vgl. , mwN).

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021020242.L00

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.