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VwGH vom 17.11.2022, Ra 2020/15/0079

VwGH vom 17.11.2022, Ra 2020/15/0079

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Ing. Dr. H T in L, vertreten durch die Plan Treuhand GmbH, Wirtschaftsprüfungs- u. Steuerberatungsgesellschaft in 4020 Linz, Kudlichstraße 41-43, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5101776/2018, betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerber, einer der Geschäftsführer der A GmbH, erzielte im Jahr 2011 im Rahmen des Dienstverhältnisses zu dieser GmbH Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von ca. 1,045.000 €, in denen ein Betrag von (brutto) 867.813,30 € als Teilabfindung seines Betriebspensionsanspruchs enthalten war, die infolge des Übertritts auf eine betriebliche Kollektivversicherung vorgenommen wurde. Von dieser Teilabfindung und den weiteren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit wurde von der A GmbH im Jahr 2011 Lohnsteuer von 515.017,03 € einbehalten. Diese Einkünfte wurden - neben anderen Einkünften - im Einkommensteuerbescheid 2011 vom erfasst, mit welchem Einkommensteuer in Höhe von 39.150 € (nach Anrechnung von Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 527.888,49 €) vorgeschrieben wurde.

2In der Folge stellte sich heraus, dass der zur Teilabfindung des mit Dienstvertrag vom eingeräumten Betriebspensionsanspruchs gewährte Betrag (insbesondere wegen der Einbeziehung bestimmter Zulagen bzw. Zuschläge) zu hoch ermittelt worden war. Der Revisionswerber musste daher im Jahr 2012 den irrtümlich zu viel erhaltenen Betrag in Höhe von „354.621,73 € brutto“ an seine Arbeitgeberin zurückzahlen (Zahlungsbeleg vom ). Das Bundesfinanzgericht stellte fest, dass dem Revisionswerber nach dieser Rückzahlung lediglich ein Nettobetrag von deutlich weniger als 100.000 € als Teilabfindung seines Betriebspensionsanspruchs verblieb.

3Der Revisionswerber stellte den Antrag, den Einkommensteuerbescheid des Jahres 2011 gemäß § 295a BAO oder § 299 BAO dahingehend zu ändern, dass die erfassten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um den Betrag der im Jahr 2012 erfolgten Rückzahlung vermindert angesetzt werden. Das Finanzamt wies den Antrag mit der Begründung ab, dass die Rückzahlung gemäß § 16 Abs. 2 EStG 1988 im Rückzahlungsjahr 2012 zu Werbungskosten führe. Das gegen die Abweisung erhobene Rechtsmittel wies das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom , RV/5100157/2014, ab. Die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , E 1985/2014, abgelehnt. Eine gegen die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ra 2015/15/0035, zurück und begründete, zur Herstellung des Veranlassungszusammenhanges mit nichtselbständigen Einkünften genüge es, wenn die Einnahmen ihre Wurzel im Dienstverhältnis fänden. Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zählten auch alle Vorteile, die zu Unrecht bezogen worden seien. Die Rückzahlung des zu Unrecht Erlangten mache den erfolgten Zufluss nicht rückgängig, sondern führe zu Werbungskosten. Somit lägen die Voraussetzungen des § 295a BAO nicht vor.

4Der Revisionswerber machte den rückgezahlten Betrag vom 354.624,91 € bei der Einkommensteuerveranlagung 2012 als Werbungskosten geltend. Im Einkommensteuerbescheid 2012 wurden diese Werbungskosten zwar anerkannt. Da aber die anderen Einkünfte dieses Jahres niedriger waren, konnte von den in Rede stehenden Werbungskosten ein Teilbetrag im Ausmaß von 142.321,20 € keine steuerliche Wirkung entfalten.

5Bei der Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 2013 versagte das Finanzamt dem im Ausmaß des verbliebenen Werbungskostenüberhangs (142.321,20 €) geltend gemachten Verlustvortrag die Anerkennung mit der Begründung, dass kein gemäß den §§ 4 bis 14 EStG 1988 ermittelter Verlust vorliege und daher ein Verlustvortrag nicht möglich sei. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom , RV/5100040/2016, abgewiesen. Mit Beschluss vom , E 1701/2016-11, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts erhobenen Beschwerde ab. Im Hinblick auf den rechtspolitischen Spielraum des Gesetzgebers bei der Behandlung verschiedener Einkunftsarten bestehe von Verfassungs wegen keine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei allen Einkunftsarten eine dem Verlustvortrag vergleichbare Verlustberücksichtigung vorzusehen.

6Der Revisionswerber beantragte auch für das Jahr 2014 die einkommensteuerliche Berücksichtigung des verbliebenen Werbungskostenüberhanges aus dem Jahr 2012 im Ausmaß von 142.321,20 €. Das Finanzamt entsprach dem im Einkommensteuerbescheid 2014 nicht. In der gegen den Einkommensteuerbescheid 2014 erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, die Nichtanerkennung des Verlustvortrages verletze ihn in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit und Unversehrtheit des Eigentums. Mit Erkenntnis vom , RV/5101584/2016, wies das Bundesfinanzgericht diese Beschwerde als unbegründet ab. Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , E 801/2017-6, ablehnte. Der Revisionswerber bekämpfte die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts auch mit Revision an den Verwaltungsgerichtshof, der diese allerdings mit Beschluss vom , Ra 2018/15/0064, zurückwies. Im Hinblick auf die klare Gesetzeslage war mit dem Vorbringen, der Verlust aus nichtselbständiger Arbeit müsse in das Veranlagungsjahr 2014 vorgetragen werden, keine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgezeigt worden.

7Mit Eingabe vom stellte der Revisionswerber den Antrag auf Nachsicht der Einkommensteuer 2011 mit dem Betrag von 83.421 €. Für den Fall, dass die Einkommensteuer des Jahres 2011 als nicht maßgeblich für die Bewilligung der Nachsicht angesehen werde, wurde der „Eventualantrag auf Nachsicht gem. § 236 BAO für die Einkommensteuer der Jahre 2011 bis 2015“ gestellt.

8Zur Begründung des Nachsichtsansuchens führte der Revisionswerber aus, der im Jahr 2011 überhöht ausbezahlte Abfindungsbetrag von 354.624,91 € habe zu einem Einkommensteueranfall in Höhe von 177.313 € (50 % Steuersatz) geführt. Für das Jahr 2012 habe sich durch die teilweise Berücksichtigung der Rückzahlung im Rahmen der Werbungskosten im Hinblick auf die weiteren Einkünfte eine Einkommensteuergutschrift von 78.343 € (aus anrechenbarer Lohnsteuer und Einkommensteuervorauszahlungen) ergeben. Wäre die Rückzahlung des Betrages von 354.624,91 € bereits in der Einkommensteuerveranlagung 2011 (und damit nicht im Einkommensteuerbescheid 2012) abgezogen worden, hätte sich für das Jahr 2012 eine Einkommensteuernachzahlung von 15.549 € ergeben. Saldiert resultiere daher für den Revisionswerber durch die Erfassung der Rückzahlung (nur) im Jahr 2012 ein überhöhter Einkommensteueranfall von 83.421 € (177.313 € minus 78.343 € minus 15.549 €). Mit näherer Begründung führte der Revisionswerber aus, der Anfall einer Einkommensteuer in Höhe von 83.421 € für ein nicht erzieltes Einkommen stelle eine konfiskatorische Besteuerung dar, verstoße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip und das objektive Nettoprinzip und stelle daher eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO dar.

9Das Finanzamt wies dieses Ansuchen mit Bescheid vom ab. Im gegenständlichen Fall sei es zur Rückzahlung eines Betrages von 354.624,91 € infolge eines Fehlers in der Ermittlung des Betrages für die Teilabfindung der Betriebspension gekommen. Worin dieser Fehler bestanden habe und worauf er zurückzuführen sei, werde im Nachsichtsantrag aber nicht ausgeführt. Aus den dem Finanzamt vorliegenden Unterlagen (Auszüge aus den Prüfungsberichten des Revisionsverbandes betreffend die Geschäftsjahre 2011 und 2012 der A GmbH) ergebe sich aber Folgendes:

10Im Rahmen der Prüfung habe der Revisionsverband in Bezug auf die teilweise Abfindung der aus dem Dienstvertrag des Geschäftsführers (Revisionswerber) bestehenden Firmenpensionsansprüche eine Stellungnahme der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft K, ein Memorandum der Anwaltskanzlei S und eine rechtsgutachterliche Stellungnahme der Anwaltskanzlei H eingeholt. In diesen Beurteilungen sei festgestellt worden, dass es sich bei der Kapitalablöse wie auch bei der mit einer Versicherung getroffenen Vereinbarung betreffend die Übernahme der weiteren Pensionsansprüche um ein „Insich-Geschäft“ des Geschäftsführers gehandelt habe. Die in einem solchen Fall erforderliche Genehmigung des Aufsichtsrates der Berichtsgesellschaft fehle. Bei der Berechnung des Pensionsanspruches sei von einer falschen Bemessungsgrundlage ausgegangen worden, sodass sich ein zu hohes Ablösekapital ergeben habe. Die Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft K habe in ihrer Stellungnahme vom festgestellt, dass von der Versicherung bei der Ermittlung der Versicherungswerte abweichend zur bisher vom Revisionsverband ermittelten Rückstellung für Altersvorsorge von anderen Rechnungszinssätzen sowie Sterbetafeln ausgegangen worden sei. Zudem sei die der Versicherung bekanntgegebene Bemessungsgrundlage für die dem Geschäftsführer zustehende Pension deutlich höher gewesen als die nach dem Dienstvertrag tatsächlich zustehende Bemessungsgrundlage. Dadurch sei es zu einem Bruttomehrbetrag von rund 203.000 € bis 354.000 € zu Lasten der A GmbH gekommen, je nach dem ob ein Überstundenpauschale berücksichtigt werde oder nicht, wobei nach Auffassung der Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft K die Regelungen im Dienstvertrag nur so verstanden werden könnten, dass das Überstundenpauschale nicht zu berücksichtigen sei. In einem zur rechtlichen Beurteilung eingeholten Memorandum der Anwaltskanzlei S vom werde ausgeführt, dass die Vereinbarung im Dienstvertrag des Geschäftsführers betreffend den Pensionszuschuss in Höhe von „45 % des letzten Bruttomonatsgehaltes ohne allfällige Zulagen“ keinen Spielraum für eine breite Interpretation der Berechnungsbasis zulasse. Aus diesen Ausführungen im Prüfungsbericht des Revisionsverbandes ergebe sich für das Finanzamt, dass die Kapitalabfindung der Pensionszusage, die zu der im gegenständlichen Nachsichtsverfahren relevanten Einkommensteuerbelastung des Jahres 2011 geführt habe, als „Insich-Geschäft“ des Revisionswerbers qualifiziert worden sei. Die für solche Fälle vorgesehene Genehmigung des Aufsichtsrates habe gefehlt. Zwar sei die Genehmigung des Aufsichtsrates am , somit nachträglich, erteilt worden, allerdings unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Revisionswerber bis den aus der unrichtigen Bemessungsgrundlage resultierenden zu hohen Abfindungsbetrag an die A GmbH zurückzahle. Aus den im Prüfungsbericht des Revisionsverbandes angeführten Ausführungen der Anwaltskanzlei H ergebe sich ebenfalls, dass dem „Insich-Geschäft“ nicht nur die Zustimmung des Aufsichtsrates gefehlt habe, sondern dass es darüber hinaus auch noch in einem wesentlich höheren Umfang abgeschlossen worden sei, als sich dies aus der Pensionszusage im Dienstvertrag des Revisionswerbers ergeben hätte.

11Für das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit als Voraussetzung für eine Nachsicht nach § 236 BAO sei ein außergewöhnlicher Geschehensablauf erforderlich, der auf eine vom Abgabepflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst habe. Nach Einschätzung des Finanzamtes habe der Revisionswerber im vorliegenden Fall in seiner Funktion als Geschäftsführer der A GmbH durchaus die Möglichkeit gehabt, den Geschehensablauf derart zu beeinflussen, dass die im Nachsichtsverfahren gegenständliche Abgabenbelastung erst gar nicht entstehe. Im Übrigen böten die Regelungen im Dienstvertrag nach Meinung des Finanzamtes keinen Spielraum für eine breite Auslegung der Berechnungsbasis für die Pensionsabfindung, sodass durch die Heranziehung der korrekten Berechnungsbasis eine Verpflichtung zur Rückzahlung nicht entstanden wäre.

12Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, in welcher vorgebracht wird, die Voraussetzungen einer Nachsicht lägen vor, und der Ansicht des Finanzamtes, der Revisionswerber habe die unrichtigerweise zu hohe Ermittlung des Pensionsabfindungsbetrages mitverursacht, mit umfangreicher Begründung und unter Vorlage mehrerer Unterlagen entgegen getreten wird. Es wird u.a. ausgeführt, die Pensionszusage, die Absicherung der Pensionszusage durch Versicherungsverträge und in Umsetzung dessen die vollständige Auslagerung und „Bewirtschaftung“ des Versicherungsvertrages sei rechtzeitig vom Vorsitzenden des Aufsichtsrates (Dr. S) genehmigt worden. Der Revisionswerber sei davon ausgegangen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende im Zusammenhang mit seiner Unterschrift auch das Kollegialorgan Aufsichtsrat befasst habe, was aber nicht im Einfluss- und Verantwortungsbereich des Revisionswerbers gelegen sei. Weiters handle es sich bei der Ermittlung des Abfindungsbetrages eines Firmenpensionsanspruches um eine auf versicherungsmathematischen Grundsätzen beruhende Berechnung, die sich für einen Versicherungsnehmer als Nicht-Fachmann in der Regel als äußerst komplex und schwierig nachvollziehbar darstelle. Die überhöhte Bemessungsgrundlage der Pensionsabfindung sei laut der rechtsgutachtlichen Stellungnahme der Anwaltskanzlei H auf die unterschiedliche Terminologie der Formulierungen im Dienstvertrages zurückzuführen gewesen. Laut dieser Stellungnahme sei die Bemessungsgrundlage deshalb um 23,43 % höher gewesen, weil man zu einer anderen Interpretation des Dienstvertrages gekommen sei. Beispielsweise habe die im Dienstvertrag verwendete Regelung betreffend „allfällige Zulagen“ zu Missverständnissen und in der Folge zu der überhöhten Bemessungsgrundlage geführt. Der Revisionswerber sei nicht in der Lage gewesen, den Geschehensablauf zu beeinflussen, weil für ihn die vorgenommene Interpretation und die damit einhergehende Höhe der Bemessungsgrundlage keine Zweifel hätten aufkommen lassen. Die Abfindungszahlung sei auf Basis des Vorschlages eines „Versicherungsmaklers“ erstellt worden. Ein Versicherungsmakler sei Sachverständiger im Sinne des § 1299 ABGB und Fachmann im Bereich des Versicherungswesens. Dass der Revisionswerber auf den Vorschlag des „Versicherungsmaklers“ und somit auf die Aussage eines Sachverständigen vertraut habe, könne nicht zu seinen Lasten ausgelegt werden.

13Nach Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht teilte dieses (mit einem E-Mail vom ) dem Revisionswerber mit, im gegenständlichen Fall sei die Lohnsteuer, welche auf den zu Unrecht ausbezahlten Teil der Pensionsabfindung entfalle, vom Arbeitgeber einbehalten und an das Finanzamt abgeführt worden. Diese Lohnsteuer bzw. der begehrte Nachsichtsbetrag von 83.421 € scheine am Abgabenkonto des Revisionswerbers naturgemäß gar nicht als fällige (fällig gewesene) und damit nachsichtsfähige Abgabenschuldigkeit im Sinne des § 236 BAO auf. Tatsächlich sei die auf den zu Unrecht bezogenen Teil der Pensionsabfindung entfallende Lohnsteuer somit nie beim Revisionswerber „eingehoben“ oder von ihm (an das Finanzamt) im Sinne des § 236 BAO „entrichtet“ worden; vielmehr sei diese Lohnsteuer vom Arbeitgeber „einbehalten“ und abgeführt worden. Bezahlt habe der Revisionswerber diese Lohnsteuer allerdings sehr wohl, aber nicht an das Finanzamt, sondern (durch Abzug vom Bruttobezug) an seinen ehemaligen Arbeitgeber.

14In der Stellungnahme vom brachte der Revisionswerber vor, gemäß § 83 EStG 1988 sei der Arbeitnehmer Steuerschuldner der Lohnsteuer, auch wenn die Einbehaltung und Abfuhr durch den Arbeitgeber erfolge. Die Lohnsteuer sei eine bloße Erhebungsform der Einkommensteuer und werde im Rahmen der Veranlagung auf die Einkommensteuerschuld angerechnet (§ 46 Abs. 1 Z 3 EStG 1988). Bei der im Einkommensteuerbescheid 2011 ausgewiesenen anrechenbaren Lohnsteuer handle es sich daher um eine nachsichtsfähige Abgabenschuld im Sinne des § 236 Abs. 2 BAO, auch wenn diese nicht am Abgabenkonto des Beschwerdeführers mit einem bestimmten Fälligkeitstermin gebucht worden sei.

15Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BFG die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig. Das Bundesfinanzgericht habe bereits am darauf hingewiesen, dass der begehrte Nachsichtsbetrag von 83.421,00 € nie am Abgabenkonto des Revisionswerbers aufgeschienen (als Lastschrift gebucht worden) sei und damit keine nachsichtsfähige Abgabenschuldigkeit im Sinne des § 236 BAO vorliege. Grund dafür sei der Umstand, dass die auf den zu Unrecht bezogenen Teil der Pensionsabfindung entfallende Lohnsteuer nie beim Beschwerdeführer im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO „eingehoben“ bzw. von ihm durch Überweisung auf sein Abgabenkonto im Sinne des § 236 Abs. 2 BAO „entrichtet“ worden sei. Vielmehr sei die Lohnsteuer vom Arbeitgeber „einbehalten“ und abgeführt worden. Es fehle daher schon an einer fälligen bzw. fällig gewesenen, am Abgabenkonto des Beschwerdeführers als Lastschrift gebuchten Abgabenschuldigkeit, die durch Abschreibung nachgesehen werden könne.

16Selbst wenn man aber eine nachsichtsfähige (bereits entrichtete) Abgabenschuld annehmen würde, wäre für das Nachsichtsverfahren aus folgendem Grund nichts gewonnen:

17Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes diene die Nachsicht nicht dazu, Unrichtigkeiten von Abgabenfestsetzungen zu beseitigen oder unterlassene Rechtsbehelfe nachzuholen. Deswegen begründe das Unterlassen eines für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung ausreichenden Erstattungsantrages nach § 240 Abs. 3 BAO keine Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO.

18Gerade weil im gegenständlichen Fall im Wege der Veranlagung ein Ausgleich der zu Unrecht vom Arbeitgeber einbehaltenen Lohnsteuerbeträge - wegen der fehlenden Möglichkeit eines Verlustvortrages - zu einem erheblichen Teil nicht möglich gewesen sei und damit neben dem unstrittigen Vorliegen der Voraussetzung des § 240 Abs. 3 lit. a BAO auch die Voraussetzungen des § 240 Abs. 3 lit. b und c BAO erfüllt seien, wäre nach Ansicht des BFG insoweit (hinsichtlich dieses nicht ausgleichsfähigen Teiles der Abgaben) ein Erstattungsantrag gemäß § 240 Abs. 3 BAO möglich gewesen.

19Vom Arbeitgeber sei aufgrund der erfolgten Rückzahlung eines Teiles der Pensionsabfindung durch den Beschwerdeführer im Ergebnis zu viel Lohnsteuer einbehalten worden. „Zu Unrecht“ einbehaltene Beträge im Sinne des § 240 Abs. 3 BAO seien solche, die entgegen der Gesetzeslage, also unter Verkennung rechtlicher Bestimmungen oder unter unzutreffender Beurteilung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse einbehalten worden seien.

20Wäre daher ein solcher für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung ausreichender Erstattungsantrag nach § 240 Abs. 3 BAO gestellt worden, hätte der Revisionswerber die im Veranlagungsweg nicht ausgleichbare restliche Lohn- bzw. Einkommensteuer erstattet erhalten. Wie der Verwaltungsgerichtshof erkannt habe, könne das Unterlassen eines solchen Antrages keine sachliche Unbilligkeit der Einhebung begründen. Die Einhebung einer Abgabe könne nicht sachlich unbillig im Sinne des § 236 BAO sein, wenn sie in einem dem Nachsichtsverfahren vorgelagerten Verfahren hätte erstattet werden können (Hinweis auf ).

21Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision. Im Zulässigkeitsvorbringen wird ausgeführt, das BFG habe zu Unrecht angenommen, dass Lohnsteuer von vornherein keiner Nachsicht zugänglich sei, weil sie nicht als Lastschrift am Abgabenkonto des Arbeitnehmers verbucht und daher nicht von ihm entrichtet werde. Diese Rechtsansicht des BFG widerspreche etwa dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 86/14/0062, wonach es mit der Zahlung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber zu einem entsprechenden Abfluss beim Arbeitnehmer komme. Zu Unrecht sei das BFG auch davon ausgegangen, dass im gegenständlichen Fall die Möglichkeit eines erfolgreichen Antrages auf Rückzahlung der Lohnsteuer nach § 240 Abs. 3 BAO bestanden habe und aus diesem Grund eine Nachsicht nach § 236 BAO nicht gewährt werden könne. Das BFG habe sich dabei zu Unrecht auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes , 2008/15/0270, gestützt, welche die Lohnsteuer auf eine Pensionsabfindung, die allerdings gar nicht ausbezahlt worden war, betreffe; in jenem Fall sei die Lohnsteuer - mangels eines Zuflusses der Pensionsabfindung - tatsächlich zu Unrecht einbehalten worden. Im gegenständlichen Fall sei hingegen die Abfindung an den Revisionswerber im Jahr 2011 ausbezahlt worden und somit kein Fehler in der Lohnsteuerberechnung des Jahres 2011 unterlaufen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

22Die Revision ist zulässig und begründet.

23§ 236 Abs. 1 und 2 BAO lauten:

„(1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

(2) Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.“

24§ 47 Abs. 1 EStG 1988 normiert für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit die Erhebung der Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer), wenn im Inland eine Betriebsstätte des Arbeitgebers besteht.

25Gemäß § 83 Abs. 1 EStG 1988 ist der Arbeitnehmer beim Lohnsteuerabzug Steuerschuldner. Gemäß § 78 Abs. 1 EStG 1988 hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten; gemäß § 79 Abs. 1 EStG 1988 hat er die Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen.

26Für die Veranlagung zur Einkommensteuer ergibt sich aus § 46 Abs. 1 Z 3 EStG 1988, dass auf die Einkommensteuerschuld die durch Steuerabzug einbehaltenen Beträge, soweit sie auf veranlagte Einkünfte entfallen, angerechnet werden. § 46 Abs. 2 EStG 1988 normiert:

„Ist die Einkommensteuerschuld kleiner als die Summe der Beträge, die nach Abs. 1 anzurechnen sind, so wird der Unterschiedsbetrag gutgeschrieben.“

27Das BFG führt aus, dass am Abgabenkonto des Revisionswerbers die abgeführte Lohnsteuer - im Zuge der Veranlagung zur Einkommensteuer 2011 - nicht als Gutschrift verbucht worden ist. Hiezu ist auf § 46 EStG 1988 zu verweisen, wonach die Lohnsteuer auf die Einkommensteuerschuld angerechnet wird.

28Die Lohnsteuer bildet eine Erhebungsform der Einkommensteuer. Die vom Arbeitgeber einbehaltene und an das Finanzamt abgeführte Lohnsteuer stellt für den Arbeitnehmer als Steuerschuldner eine „bereits entrichtete Abgabenschuldigkeit“ iSd § 236 Abs. 2 BAO dar, auf welche § 236 Abs. 1 BAO „sinngemäß“ Anwendung findet.

29Indem das BFG davon ausgegangen ist, dass die einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer keine entrichtete Abgabenschuldigkeit iSd § 236 BAO, und damit von vornherein einer Nachsicht nicht zugänglich sei, hat es sohin die Rechtslage verkannt.

30Im Übrigen sei ergänzend darauf verwiesen, dass sich das Nachsichtsansuchen auf „Einkommensteuer“ 2011 bezieht.

31Das BFG stützt die Abweisung der Beschwerde allerdings auch auf die alternative Begründung, wonach im gegenständlichen Fall die Nachsicht deswegen zu verweigern sei, weil der Revisionswerber die in Rede stehende Lohnsteuer durch einen Antrag nach § 240 Abs. 3 BAO zurückgezahlt erhalten hätte. Das Nachsichtsverfahren diene nicht dazu, unterlassene Rechtsbehelfe nachzuholen.

32Es trifft zu, dass die Nachsicht nicht dazu dient, in einem Festsetzungsverfahren unterlassene Einwendungen nachzuholen (vgl. ).

33Auch hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2008/15/0270, ausgesprochen, dass keine sachliche Unbilligkeit vorliegt, wenn ein Fehler in der Lohnsteuerberechnung in der vom Gesetz festgelegten Weise hätte beseitigt werden können und der für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung dazu ausreichende Erstattungsantrag nach § 240 Abs. 3 BAO unterlassen wurde.

34Mit der Auffassung, im gegenständlichen Fall hätte ein Antrag nach § 240 Abs. 3 BAO die Rückzahlung der in Rede stehenden Lohnsteuer bewirkt, verkennt das BFG allerdings das Gesetz.

35Gemäß § 25 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988 zählen zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Bezüge und Vorteile aus einem bestehenden oder früheren Dienstverhältnis. „Bezüge und Vorteile“ in diesem Sinn sind alle zugeflossenen vermögenswerten Vorteile (Geld oder geldwerte Vorteile), die in einem Veranlassungszusammenhang mit der nichtselbständigen Betätigung stehen (vgl. , mwN).

36In Bezug auf das Einkommensteuerverfahren 2011 des Revisionswerbers (bzw. einen darauf abstellenden Antrag auf Änderung nach § 295a BAO) und die zu Unrecht überhöht ausbezahlte Teilabfindung des Pensionsanspruchs hat der Verwaltungsgerichtshof bereits im Beschluss vom , Ra 2015/15/0035, ausgeführt:

„Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zählen nicht nur die im Dienstvertrag vereinbarten Entgelte, sondern auch alle anderen Vorteile, zu denen auch solche gehören, die zu Unrecht bezogen wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2002/15/0087).

Änderungen in den Folgejahren, insbesondere die Rückzahlung des zu Unrecht Erlangten können den einmal erfolgten Zufluss nicht mehr rückgängig machen (vgl. mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Doralt, EStG10, § 19 Tz. 11, und Hofstätter/Reichel, EStG, § 19 Tz. 47).

Zurückgezahlte Einnahmen sind gemäß § 16 Abs. 2 EStG 1988 - unter der Bedingung, dass weder der Zeitpunkt des Zufließens der Einnahmen, noch der Zeitpunkt der Erstattung willkürlich festgesetzt wurden - im Zeitpunkt der tatsächlichen Rückzahlung (§ 19 Abs. 2 EStG 1988) als Werbungskosten zu berücksichtigen. Gegenständlich war dies unstrittig erst im Jahr 2012 der Fall.“

37Für den Verwaltungsgerichtshof ist es vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar, dass das BFG die in Rede stehende Lohnsteuer als „zu Unrecht“ einbehalten beurteilt und folglich weiter ausführt, ein Antrag nach § 240 Abs. 3 BAO hätte zur Rückzahlung dieser im Jahr 2011 einbehaltenen Lohnsteuer an den Revisionswerber geführt. Dabei braucht gar nicht mehr darauf eingegangen zu werden, dass es dem Erfolg eines Antrages nach § 240 Abs. 3 BAO ohnedies schon von vornherein entgegen steht, wenn ein Ausgleich im Wege der Veranlagung zu erfolgen hätte.

38Somit ist auch die alternative Begründung nicht geeignet, das angefochtene Erkenntnis zu tragen, welches sich sohin als mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet erweist.

39Im fortzusetzenden Verfahren wird das BFG zu prüfen haben, ob die in § 236 Abs. 1 BAO normierten Voraussetzungen erfüllt sind.

40Eine sachliche Unbilligkeit iSd § 236 Abs. 1 BAO liegt vor, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung kommt (vgl. ). Der in der anormalen Belastungswirkung gelegene Widerspruch zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der eine vom Steuerpflichtigen nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (; , 96/14/0074; Ritz/Koran, BAO7, § 236 Tz. 11).

41In besonderen Ausnahmekonstellationen kann die Anwendung der Abgabenvorschriften im Einzelfall zu einem vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten nachteiligen Ergebnis führen, das eine sachliche Unbilligkeit bewirkt (vgl. , und , zu einem gravierenden atypischen Vermögenseingriff als Folge des Zufluss- Abflussprinzips).

42Im gegenständlichen Fall geht es um einen zugeflossenen vermögenswerten Vorteil, der in einem Veranlassungszusammenhang zu einem Dienstverhältnis steht und deshalb zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 25 Abs. 1 Z 1 lit. a EStG 1988) zählt. Für den Fall der Rückgewähr eines solchen Vorteils regelt das Gesetz den Ausgleich dahingehend, dass diese gemäß § 16 Abs. 2 EStG 1988 zu Werbungskosten führt.

43Unter besonderen Voraussetzungen kann dieses Regelsystem zu einem vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigten Ergebnis, also zu einer anormalen Belastungswirkung führen, die eine sachliche Unbilligkeit iSd § 236 Abs. 1 BAO darstellt. Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn dem Dienstnehmer ohne dessen relevantes Verschulden ein - im Veranlassungszusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehender - Vorteil zufließt, von dem sich nachträglich herausstellt, dass er unberechtigt bezogen wurde und daher wieder erstattet werden muss. Eine anormale Belastungswirkung kann in einem solchen Fall insoweit vorliegen, als die aus der Rückzahlung des Vorteils resultierenden Werbungskosten (§ 16 Abs. 2 EStG 1988) nicht in positiven Einkünften des Rückzahlungsjahres Deckung finden und sohin insoweit keine steuerliche Auswirkung zeitigen können, wenn dies zu einer gravierenden Belastung des Steuerpflichtigen führt. Liegt ein derartiger - die sachliche Unbilligkeit bewirkender - Ausnahmefall vor, wird im Rahmen der Ermessensübung unter anderem auch zu berücksichtigen sein, ob der Dienstnehmer die Möglichkeit hat, den lohnsteuerlichen Nachteil im Wege eines Schadenersatzanspruchs von einem Schadenverursacher (teilweise) ersetzt zu erhalten.

44Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

45Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020150079.L00

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