Suchen Hilfe
VwGH 29.06.2020, Ra 2020/08/0102

VwGH 29.06.2020, Ra 2020/08/0102

Entscheidungsart: Beschluss

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der A, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W141 2224411-1/4E, betreffend Verlust der Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Jägerstraße), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesverwaltungsgericht in Bestätigung des bei ihm bekämpften Bescheides aus, dass die Revisionswerberin für den Zeitraum bis den Anspruch auf Notstandshilfe verloren hat.

2 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof einer Revision auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegen stehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

3 Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, ist es aber erforderlich, dass der Revisionswerber schon in seinem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darlegt, aus welchen tatsächlichen Umständen sich der von ihm behauptete unverhältnismäßige Nachteil ergibt (vgl. etwa , mwN). Im Fall der Auferlegung von Geldleistungen ist es notwendig, die im Zeitpunkt der Antragstellung bezogenen Einkünfte sowie Vermögensverhältnisse (unter Einschluss der Schulden nach Art und Ausmaß) konkret - tunlichst ziffernmäßig - anzugeben; weiters sind Angaben dazu erforderlich, welcher Vermögensschaden durch welche Maßnahme droht und inwiefern dieser Schaden im Hinblick auf die sonstigen Vermögensumstände der revisionswerbenden Partei unverhältnismäßig ist (vgl. etwa ; , Ra 2019/08/0156).

4 Der vorliegende Antrag enthält zwar Ausführungen zu den Einkünften und einzelnen laufenden Ausgaben der Revisionswerberin und ihrer Familienangehörigen. Allerdings enthält er keine Angaben darüber, welcher Vermögensschaden durch welche Maßnahme droht. Ein solcher Schaden und sein Ausmaß sind auch nicht ohne weiteres ersichtlich, zumal mit dem bekämpften Erkenntnis lediglich der Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe während eines bestimmten, in der Vergangenheit liegenden Zeitraumes ausgesprochen und nicht etwa die Rückzahlung eines bestimmten Betrages angeordnet wird. Die revisionswerbende Partei ist der oben dargestellten Konkretisierungsobliegenheit daher nicht nachgekommen. Der Antrag war daher abzuweisen.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der A A in W, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W141 2224411-1/4E, betreffend Verlust der Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Jägerstraße), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Jägerstraße (AMS) aus, dass die Revisionswerberin gemäß § 10 in Verbindung mit § 38 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum von bis verloren habe, wobei sich der Zeitraum um die in ihm liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen worden sei, verlängere. Nachsicht werde nicht erteilt. Begründend führte das AMS aus, die Revisionswerberin habe das Zustandekommen einer vom AMS zugewiesenen zumutbaren Beschäftigung beim potentiellen Dienstgeber S vereitelt, da sie sich nicht nachweislich beworben habe.

2 Die Revisionswerberin erhob dagegen Beschwerde, in der sie insbesondere vorbrachte, sie habe sich für die zugewiesene Stelle beim potentiellen Dienstgeber S sehr wohl beworben, und zwar indem sie - wie im Stellenangebot ausdrücklich verlangt - online ihre Daten in einem auf der Homepage des potentiellen Dienstgebers abrufbaren Formular eingegeben habe. Daraufhin habe sie mehr als eine halbe Stunde gewartet; während dieser Zeit sei auf dem Bildschirm angezeigt worden, dass die Daten gesendet würden. Als diese Anzeige verschwunden gewesen sei, habe sie angenommen, die Daten seien erfolgreich übermittelt worden.

3 Das AMS wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab. Die Revisionswerberin stellte einen Vorlageantrag, in dem sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5 Das Bundesverwaltungsgericht hielt insbesondere fest, dem Vorbringen der Revisionswerberin, sie habe sich ordnungsgemäß online beworben, könne nicht gefolgt werden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass eine von der Revisionswerberin abgesendete Online-Bewerbung nicht beim potentiellen Dienstgeber S angekommen wäre, zumal der zuständige Mitarbeiter des potentiellen Dienstgebers gegenüber dem AMS bestätigt habe, dass die Homepage einwandfrei funktioniert habe. In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesverwaltungsgericht, das Verhalten der Revisionswerberin (Unterlassen der Online-Bewerbung für die zugewiesene Stelle) sei als Vereitelung nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG anzusehen. Das Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung stützte das Bundesverwaltungsgericht darauf, dass der Sachverhalt hinreichend geklärt erschienen sei, zumal er durch die belangte Behörde in einem grundsätzlich ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren festgestellt und den Sachverhaltsfeststellungen in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten worden sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zur Zulässigkeit und Begründung der Revision wird insbesondere geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es zu Unrecht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterlassen habe. Die Revisionswerberin sei in der Beschwerde der Annahme der belangten Behörde, sie habe sich nicht ordnungsgemäß online für die zugewiesene Stelle beworben, entgegengetreten. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt hätte durch eine Einvernahme der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung geklärt werden müssen.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem das AMS erklärte, von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung abzusehen, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

10 Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich um „civil rights“ im Sinn des Art. 6 EMRK (vgl. ). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehört es im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer - bei der Geltendmachung von „civil rights“ in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden - mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa , mwN).

11 Im vorliegenden Fall ist die Revisionswerberin - wie dargestellt - den Feststellungen des AMS in prozessrelevanter Weise entgegengetreten. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher eine mündliche Verhandlung durchführen und darauf seine Feststellungen gründen müssen.

12 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

13 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Norm
VwGG §30 Abs2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020080102.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
JAAAA-78582