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VwGH 25.05.2023, Ra 2020/06/0122

VwGH 25.05.2023, Ra 2020/06/0122

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
AVG §8
BauG Stmk 1995 §26 Abs1
RS 1
Für die Parteistellung des Nachbarn kommt es lediglich auf die Möglichkeit einer Rechtsverletzung an, nicht aber darauf, ob diese durch das Bauvorhaben auch erfolgt.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2011/05/0133 E RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart-Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des DI Dr. A G in S, vertreten durch die Greiml & Horwath RechtsanwaltPartnerschaft in 8010 Graz, Conrad-von-Hötzendorf-Straße 6, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom , LVwG 50.37-2323/2019-6, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde in einer Bauangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeinderat der Gemeinde St. Josef (Weststeiermark); mitbeteiligte Partei: Mag. G T in H; weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung;), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Gemeinde St. Josef (Weststeiermark) hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1 Mit Schreiben vom beantragte die Mitbeteiligte bei der Gemeinde St. J. die Baubewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit überdachtem KFZ-Abstellplatz und zwei PKW-Abstellplätzen auf einem näher bezeichneten Grundstück der KG. O. (Baugrundstück).

2 Der Revisionswerber ist in Bezug auf das Baugrundstück Nachbar im Sinne des § 4 Z 44 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG).

3 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde St. J. vom wurde der Mitbeteiligten die begehrte Baubewilligung unter der Vorschreibung von Auflagen erteilt; die dagegen vom Revisionswerber erhobene Berufung wies der Gemeinderat der Gemeinde St. J. (belangte Behörde) mit Bescheid vom als unbegründet ab.

4 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Berufungsbescheid Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG). Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am samt Erörterung eines im Zuge des Beschwerdeverfahrens eingeholten schalltechnischen Amtssachverständigengutachtens zog die Mitbeteiligte den Baubewilligungsantrag zurück. Mit Erkenntnis vom hob das LVwG aus Anlass der Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages die Baubewilligung auf.

5 Mit Schreiben vom suchte die Mitbeteiligte neuerlich um Baubewilligung für das Baugrundstück, und zwar für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit überdachtem PKW-Abstellplatz, an.

6 Mit Schreiben vom wurde der Revisionswerber zu der für anberaumten Bauverhandlung geladen; mit Schreiben vom übermittelte er der Baubehörde umfangreiche schriftliche Einwendungen gegen das nunmehrige Bauvorhaben, in welchen er unter anderem sämtliche Einwendungen aufrechterhielt, die er im vorhergehenden Bauverfahren erhoben hatte, und unter Verweis auf die dem Einwendungsschriftsatz vom beigelegte Verhandlungsschrift des LVwG vom befürchtete gesundheitsschädigende Lärm-Immissionen geltend machte.

7 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde St. J. vom wurde der Mitbeteiligten die beantragte Baubewilligung erteilt; die Einwendungen des Revisionswerbers „vom “ wurden unter einem als unbegründet abgewiesen.

8 Die belangte Behörde wies die gegen diesen Bewilligungsbescheid erhobene Berufung des Revisionswerbers mit Bescheid vom als unbegründet ab.

9 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das LVwG die Beschwerde des Revisionswerbers mangels Beschwerdelegitimation als unzulässig zurück (I.) und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig (II.).

10 Begründend führte das LVwG dazu zusammengefasst aus, dem Revisionswerber sei die Kundmachung und Anberaumung der Bauverhandlung der Bauverhandlung am zugestellt worden; er habe damit rechtzeitig die Verständigung von der Bauverhandlung erhalten. Wenn „sohin der Nachbar nicht rechtzeitig iSd § 27 Abs. 1 Stmk. BauG 1995 Einwendungen iSd § 26 Abs 1 gegen das Bauvorhaben vorgebracht hat“, so habe er „diesbezüglich seine Parteistellung verloren“. Im Beschwerdefall liege „keine Präklusion in dem Sinne vor, dass der Beschwerdeführer keine rechtzeitigen Einwendungen erhoben hätte“; der Revisionswerber habe sich mit Einwendungsschriftsatz vom sehr wohl gegen das in Beschwerde gezogene Bauvorhaben ausgesprochen, doch stelle § 27 Abs. 1 Stmk. BauG nicht allein auf die rechtzeitige Erhebung von Einwendungen ab, sondern darüber hinaus auch darauf, „dass Einwendungen im Sinne des § 26 Abs 1 (rechtzeitig) erhoben“ worden seien. Aus näheren Gründen sei „mangels Vorbringen von Einwendungen iSd § 26 Abs 1 Stmk. BauG 1995 anlässlich der mündlichen Bauverhandlung bzw. im Einwendungsschriftsatz vom und dem daraus resultierenden Verlust der Parteistellung die vorliegende Beschwerde mangels Beschwerdelegitimation als unzulässig zurückzuweisen“.

11 In der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision beantragt der Revisionswerber die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

12 Im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14 Die Revision ist aufgrund des in der Zulässigkeitsbegründung aufgezeigten Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die Frage der Präklusion des Revisionswerbers infolge einer unvertretbaren Rechtsansicht des LVwG zulässig. Sie ist auch begründet.

15 Das LVwG steht im angefochtenen Beschluss auf dem rechtlichen Standpunkt, der Revisionswerber habe bis zur Bauverhandlung am (vgl. § 27 Abs. 1 Stmk. BauG) keine Einwendungen vorgebracht, mit welchen subjektiv-öffentliche Rechte im Sinne des § 26 Stmk. BauG geltend gemacht worden wären, weshalb er gegen den Berufungsbescheid der belangten Behörde vom nicht beschwerdelegitimiert sei.

16 § 26 Abs. 1 Stmk. BauG, LGBl. Nr. 59/1995 in der hier maßgeblichen Fassung LGBl. Nr. 61/2017 lautet:

„§ 26

Nachbarrechte

(1) Der Nachbar kann gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen (subjektiv-öffentlichrechtliche Einwendungen). Das sind Bestimmungen über

1.die Übereinstimmung des Vorhabens mit dem Flächenwidmungsplan und einem Bebauungsplan, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist

2.die Abstände (§ 13);

3.den Schallschutz (§ 77 Abs. 1)

4.die brandschutztechnische Ausführung der Außenwände von Bauwerken an der Nachbargrenze (§ 52 Abs. 2)

5.die Vermeidung einer sonstigen Gefährdung oder unzumutbaren Belästigung bzw. unzumutbaren Beeinträchtigung (§ 57 Abs. 2, § 58, § 60 Abs. 1, § 66 zweiter Satz und § 88)

6.die Baueinstellung und die Beseitigung (§ 41 Abs. 6).“

17 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Einwendung im Rechtssinn gemäß § 42 Abs. 1 AVG dann vor, wenn das Vorbringen wenigstens die Behauptung der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts durch das den Gegenstand des Bewilligungsverfahrens bildende Vorhaben erkennen lässt. Das bedeutet, dass aus dem Vorbringen des Nachbarn zu erkennen sein muss, in welchem vom Gesetz geschützten Recht er sich durch die beabsichtigte Bauführung verletzt erachtet. Für die Erhebung von tauglichen Einwendungen reicht es aus, dass die Verletzung von Bestimmungen behauptet wird. Der Nachbar muss das Recht, in dem er sich verletzt erachtet, nicht ausdrücklich bezeichnen und auch nicht angeben, auf welche Gesetzesstelle sich seine Einwendung stützt; er muss seine Einwendung auch nicht begründen; es muss aus seinem Vorbringen nur erkennbar sein, welche Rechtsverletzung von ihm behauptet wird (vgl. für viele etwa , oder auch , Ra 2019/06/0155, jeweils mwN).

18 Nach der ebenso ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann die in vertretbarer Weise vorgenommene fallbezogene Auslegung von Parteierklärungen zwar nicht erfolgreich mit Revision bekämpft werden; einer vertretbaren Auslegung kommt keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall ist jedoch dann erfolgreich mit Revision bekämpfbar, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung im Sinn einer unvertretbaren Rechtsansicht unterlief (vgl. etwa nochmals , mwN).

19 Eine solche Fehlbeurteilung liegt hier vor. Der Revisionswerber machte in seinem im vorgelegten Verfahrensakt einliegenden Einwendungsschriftsatz vom - unter anderem auch unter Verweis auf das vorhergegangene Baubewilligungsverfahren, in welchem die Frage einer allfälligen unzumutbaren Lärmbelästigung eine zentrale Rolle einnahm - erneut eine befürchtete Lärmbelästigung, nunmehr im Zusammenhang mit dem verfahrensgegenständlichen Bauvorhaben, geltend. Er hat damit jedenfalls im Sinne des § 26 Abs. 1 Z 3 Stmk. BauG rechtzeitige Einwendungen erhoben; auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach es für die Parteistellung nur auf die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ankommt, nicht aber darauf, ob diese durch das Bauvorhaben tatsächlich erfolgt (vgl.  oder auch , Ra 2016/05/0058, mwN), ist in diesem Zusammenhang hinzuweisen.

20 Indem das LVwG ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht in Bezug auf die Präklusion des Revisionswerbers dessen Beschwerde als unzulässig zurückwies, belastete es seinen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

21 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

22 Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das auf Ersatz der Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil in dem in der genannten Verordnung vorgesehenen Pauschalbetrag die Umsatzsteuer bereits enthalten ist (vgl. etwa , mwN).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
AVG §8
BauG Stmk 1995 §26 Abs1
Schlagworte
Baurecht Nachbar
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020060122.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
YAAAA-78577