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VwGH vom 23.01.2023, Ra 2020/04/0129

VwGH vom 23.01.2023, Ra 2020/04/0129

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des G R in V, vertreten durch Dr. Martin Dellasega, Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG-2020/25/1391-2, betreffend gewerberechtliches Betriebsanlagenverfahren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck; mitbeteiligte Parteien: 1. A GmbH in V, und 2. Marktgemeinde Völs in 6176 Völs, Dorfstrasse 31), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Zum Verfahrensverlauf:

1Der Revisionswerber erhob mit Schriftsatz vom Beschwerde gegen einen Bescheid der belangten Behörde vom , Zl. IL-BA-4496/1/10-2020, mit welchem der Erstmitbeteiligten gemäß § 333, § 74 Abs. 2, § 77 Abs. 1 und § 359 GewO 1994 iVm § 93 Abs. 2 ASchG die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer näher genannten Betriebsanlage erteilt wurde.

2Mit Beschluss vom , Zl. LVwG-2020/32/0760-3, wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden LVwG Tirol) die Beschwerde vom als unzulässig zurück.

3In der Begründung führte das LVwG Tirol aus, der Bescheid vom sei zwar rechtlich existent geworden, mangels Erkennbarkeit des Genehmigenden jedoch als nicht erlassen anzusehen. Das LVwG Tirol sei nicht zuständig, über einen nicht erlassenen Bescheid zu entscheiden.

In der Folge erließ die belangte Behörde am in derselben Angelegenheit (wiederum) den Bewilligungsbescheid.

4Mit Schriftsatz vom erhob der Revisionswerber wiederum Beschwerde. Diese Beschwerde war - abgesehen vom Datum des Schriftsatzes - deckungsgleich mit jener vom . Der Revisionswerber führte im Schriftsatz vom insbesondere das Datum, die Geschäftszahl sowie das Zustelldatum des Bescheids der BH Innsbruck vom an.

5Nach Vorlage des Verwaltungsaktes an das LVwG Tirol richtete dieses an die Rechtsvertretung des Revisionswerbers die Aufforderung, zur Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde Stellung zu nehmen. Der vom Revisionswerber angefochtene Bescheid der BH Innsbruck vom sei diesem am zugestellt worden; sohin sei davon auszugehen, dass die Beschwerde vom verspätet sei.

6Der Revisionswerber teilte in seiner Beantwortung des Verspätungsvorhalts mit Schriftsatz vom Folgendes mit:

„[Im] Erkenntnis, LVwG-2020/32/0760-3, hat das [LVwG Tirol] festgestellt, dass ein ‚Nichtbescheid‘ vorliegt. Die [BH Innsbruck] hat daraufhin am den angefochtenen Bescheid neuerlich erlassen. Dieser Bescheid wurde mir am zugestellt, so dass die von mir am erhobene Beschwerde rechtzeitig ist.“

2. Zum angefochtenen Beschluss:

7Mit Beschluss vom , Zl. LVwG-2020/25/1391-2, wies das LVwG Tirol die Beschwerde vom als unzulässig zurück. Unter einem erklärte es die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof für nicht zulässig.

8In der Begründung führte das LVwG Tirol aus, der Revisionswerber richte sich in seiner Beschwerde vom eindeutig und ausschließlich gegen den Bescheid der BH Innsbruck vom . Es sei folglich nicht möglich, den Prozessgegenstand auf den Bescheid der BH Innsbruck vom umzudeuten. Die Beschwerde sei somit einerseits verspätet; andererseits stehe einer Entscheidung in der Sache das Prozesshindernis der entschiedenen Sache entgegen.

9Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung. Die mitbeteiligten Parteien erstatteten ebenfalls eine Revisionsbeantwortung.

103. Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

11Der Revisionswerber bringt zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision vor, das LVwG Tirol hätte aufgrund aller Angaben des Revisionswerbers im Verfahren erkennen müssen, dass er mit seiner Beschwerde vom beabsichtigte, den Bescheid der BH Innsbruck vom und nicht jenen vom anzufechten. Indem das LVwG Tirol entsprechende Parteierklärung außer Acht gelassen habe, weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

12Die Revision erweist sich in Hinblick auf dieses Vorbringen als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als begründet.

13Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass es bei der Ermittlung von Rechtsqualität und Inhalt eines Anbringens nicht auf die Bezeichnung durch den Einschreiter, sondern auf den Inhalt der Eingabe, also auf das daraus erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters ankommt. Entscheidend ist, wie das Erklärte, also der Wortlaut des Anbringens unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel darf nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat. Bei eindeutigem Inhalt eines Anbringens sind aber davon abweichende, nach außen nicht zum Ausdruck gebrachte Absichten und Beweggründe ohne Belang. Es ist unzulässig, entgegen dem erklärten Willen der Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar erschlossen werden kann, mag auch das Begehren, so wie es gestellt worden ist, von vornherein aussichtslos oder gar unzulässig sein. Weist ein Anbringen einen undeutlichen Inhalt auf, so hat die Behörde durch Herbeiführung einer entsprechenden Erklärung den wahren Willen des Einschreiters festzustellen. Keinesfalls ist es der Behörde gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen (vgl. , mwN).

14Das LVwG Tirol weicht von dieser Rechtsprechung insofern ab, als es den Willen des Revisionswerbers, welchen Bescheid er anzufechten beabsichtigt, ausschließlich auf Basis der in seiner Beschwerde vom getätigten Angaben deutet. Hierbei misst das LVwG Tirol der in der Beantwortung des Verspätungsvorhalts getätigten (in Rn. 8 wiedergegebenen) Äußerung des Revisionswerbers nicht hinreichend Bedeutung zu. Der Revisionswerber brachte mit dieser Äußerung objektiv erkennbar zum Ausdruck, einen anderen Bescheid (nämlich jenen vom ) als den im Schriftsatz seiner Beschwerde vom bezeichneten bekämpfen zu wollen. In Folge dieser Äußerung konnte das LVwG Tirol - auch unter Berücksichtigung der Aktenlage - nicht mehr davon ausgehen, der Revisionswerber beabsichtige, mit seiner Beschwerde vom den Bescheid vom anzufechten.

15Indem das LVwG Tirol entgegen dem oben Gesagten die Beschwerde des Revisionswerbers vom als unzulässig zurückgewiesen hat, hat es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020040129.L00

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