Richtlinie des BMF vom 26.03.2024, 2024-0.234.213

1. Allgemeine Bestimmungen zur Zuständigkeit

1.1. Begriffsbestimmungen

1.1.1. Der Begriff der "Zuständigkeit"

1Seit 1. Jänner 2021 gibt es zwei bundesweit zuständige Finanzämter: das Finanzamt Österreich (FAÖ) und das Finanzamt für Großbetriebe (FAG).

Dass das Finanzamt Österreich infolge seines bundesweiten Aufgabenbereichs in mehrere Dienststellen untergliedert ist, ist eine Angelegenheit der inneren Organisation dieses Finanzamts. Welche Dienststelle bzw. welche Organwalter welcher Dienststelle des Finanzamts Österreich für dieses tätig werden, ist daher keine Frage der Zuständigkeit, sondern nur eine Frage der inneren Gliederung der Behörde (BFG 22.2.2022, RV/7102838/2021).

2Das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe traten für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich mit 1. Jänner 2021 an die Stelle des am 31. Dezember 2020 zuständig gewesenen Finanzamtes ( § 323b Abs. 1 BAO). Die am 31. Dezember 2020 bei einem Finanzamt anhängigen Verfahren werden von der jeweils am 1. Jänner 2021 zuständigen Abgabenbehörde in dem zu diesem Zeitpunkt befindlichen Verfahrensstand fortgeführt ( § 323b Abs. 2 BAO ; VwGH 25.5.2022, Ra 2021/15/0035 Rz 18).

3Unter der Zuständigkeit eines Finanzamtes wird der nach der Art der Sache der Verwaltungsangelegenheit umschriebene Aufgabenbereich des Finanzamtes verstanden. Die Zuständigkeit hat immer eine sachliche Komponente - dh. das Finanzamt ist für die Erhebung einer bestimmten Abgabe oder für die Wahrnehmung einer bestimmten Angelegenheit zuständig. Die Zuständigkeit kann aber auch eine bestimmte auf die Person des Abgabepflichtigen ( § 77 BAO) bezogene Komponente enthalten - dh. ein Finanzamt ist grundsätzlich für die Erhebung bestimmter Abgaben eines durch persönliche Merkmale bestimmten Abgabepflichtigen zuständig (vgl. zB BFG 16.4.2021, RS/7100032/2021; 29.4.2021, RS/7100038/2021; 10.5.2021, RS/7100037/2021; 28.4.2021, RS/5100007/2021).

4Die Zuständigkeit eines Finanzamtes ist in der BAO oder einem (materiellrechtlichen) Bundesgesetz, einem Staatsvertrag oder einer Verordnung geregelt ( § 51 BAO). Vereinzelt werden einem Finanzamt Aufgabenbereiche auch durch ein Landesgesetz übertragen.

5Die Zuständigkeit muss im Zeitpunkt der Vornahme der Amtshandlung (zB Bekanntgabe des Bescheides gemäß § 97 BAO) gegeben sein; sie richtet sich daher nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Amtshandlung (VwGH 20.1.2010, 2006/13/0015).

6Eine vor dem 1. Jänner 2021 vom zuständigen Finanzamt genehmigte Erledigung, die erst nach dem 31. Dezember 2020 bekannt gegeben und damit wirksam wird, gilt als Erledigung der Abgabenbehörde, die im Zeitpunkt des Wirksamwerdens für die jeweilige Angelegenheit zuständig ist ( § 323b Abs. 3 BAO).

7Die Zuständigkeit ist von Amts wegen wahrzunehmen ( § 53 erster Satz BAO). Eine allfällige Unzuständigkeit ist somit in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen (vgl. zB VwGH 11.12.1992, 88/17/0104; VwGH 26.1.1995, 92/16/0145; VwGH 21.5.2001, 2001/17/0043).

8Die Erlassung eines Bescheides durch eine unzuständige Behörde führt nicht zur Nichtigkeit des Bescheides. Die Partei ( § 78 BAO) kann mit Bescheidbeschwerde gegen den von einem nicht zuständigen Finanzamt erlassenen Bescheid vorgehen und darin deren Unzuständigkeit geltend machen.

1.1.2. Der Begriff der "Erhebung"

9Unter Erhebung sind alle der Durchführung der Abgabenvorschriften dienenden abgabenbehördlichen Maßnahmen zu verstehen ( § 1 Abs. 3 BAO). Zur Erhebung gehört die Ermittlung des Sachverhaltes, die Festsetzung der Abgabe, ihre Einhebung (einschließlich Rückzahlung und Nachsicht sowie Erlassung von Haftungsbescheiden [zB VwGH 6.8.1996, 93/17/0093; VwGH 24.6.2010, 2010/16/0014].) und zwangsweise Einbringung (vgl. zB VwGH 25.4.1996, 96/16/0068) sowie die Androhung und Festsetzung von Zwangsstrafen (VwGH 9.12.1992, 91/13/0204). Die gesetzliche Definition des Begriffes "Erhebung" wurde durch das Finanz-Organisationsreformgesetz (FORG), BGBl. I Nr. 104/2019, aus § 49 Abs. 2 BAO in den § 1 Abs. 3 BAO verschoben. Die Auslegung des § 1 Abs. 3 BAO entspricht daher jener des § 49 Abs. 2 BAO aF.

1.1.3. Der Begriff der "Abgabenbehörde"

10Die Bundesfinanzverwaltung besteht aus Abgabenbehörden und sonstigen Einrichtungen der Bundesfinanzverwaltung.

Der Begriff der "Abgabenbehörde" (im organisatorischen Sinn) umfasst den Bundesminister für Finanzen, die beiden Finanzämter (Finanzamt Österreich und Finanzamt für Großbetriebe) und das Zollamt Österreich.

Zu den sonstigen Einrichtungen der Bundesfinanzverwaltung gehören das Amt für Betrugsbekämpfung, die Zentralen Services und der Prüfdienst für Lohnabgaben und Beiträge.

Das Amt für Betrugsbekämpfung ist keine Abgabenbehörde, sondern sowohl sonstige Einrichtung der Bundesfinanzverwaltung als auch Finanzstrafbehörde. Organe des Amts für Betrugsbekämpfung können allerdings unter den im Bundesgesetz über die Schaffung eines Amtes für Betrugsbekämpfung - ABBG genannten Voraussetzungen als Organ der Abgabenbehörde tätig werden ( § 2 Abs. 4 ABBG).

Das Zollamt Österreich ist sowohl Abgabenbehörde als auch Finanzstrafbehörde. Zur Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen dem Zollamt Österreich als Finanzstrafbehörde und dem Amt für Betrugsbekämpfung siehe VwGH 29.3.2022, Ra 2021/16/0032.

Das Amt für den nationalen Emissionszertifikatehandel ist eine organisatorische Untergliederung des Zollamts Österreich, das bestimmte Aufgaben des Zollamtes Österreich zu erledigen hat ( § 63 Abs. 1 Z 10 und Z 11 BAO; § 49 Abs. 2 Emissionszertifikategesetz 2011; § 7 CBAM-VG 2023).

Abgesehen von den in § 49 Z 1 BAO aufgezählten Abgabenbehörden sind in unterschiedlichen Bundesgesetzen Behörden als Abgabenbehörden (im funktionellen Sinn) eingerichtet:

  • der für Angelegenheiten des Familienlastenausgleiches zuständige Bundesminister gemäß § 51 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967,

  • die Agrarmarkt Austria (AMA) für die Erhebung des Agrarmarketingbeitrags gemäß § 21i Abs. 3 AMA-Gesetz 1992, BGBl. Nr. 376/1992,

  • die Vertretungsbehörden gemäß § 15 Abs. 1 Konsulargebührengesetz 1992 - KGG 1992, BGBl. Nr. 100/1992,

  • der für das Bergwesen zuständige Bundesminister gemäß § 191 Abs. 5 Mineralrohstoffgesetz - MinroG, BGBl. I Nr. 38/1999,

  • der Bundeskanzler in Angelegenheiten der Kompensation gemäß § 31 Abs. 11 bis 16 ORF-Gesetz.


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Zusatzinformationen
Gültig ab:
26.03.2024
Betroffene Normen:
§ 323b Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 323b Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 77 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 51 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 97 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 323b Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 78 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 49 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ABBG, Bundesgesetz über die Schaffung eines Amtes für Betrugsbekämpfung, BGBl. I Nr. 104/2019
§ 2 Abs. 4 ABBG, Bundesgesetz über die Schaffung eines Amtes für Betrugsbekämpfung, BGBl. I Nr. 104/2019
§ 49 Z 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 51 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 15 Abs. 1 KGG 1992, Konsulargebührengesetz 1992, BGBl. Nr. 100/1992
§ 191 Abs. 5 MinroG, Mineralrohstoffgesetz, BGBl. I Nr. 38/1999
§ 53 erster Satz BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 21i Abs. 3 AMA-Gesetz 1992, BGBl. Nr. 376/1992
§ 63 Abs. 1 Z 10 und 11 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 49 Abs. 2 EZG 2011, Emissionszertifikategesetz 2011, BGBl. I Nr. 118/2011
§ 7 CBAM-VG 2023, CBAM-Vollzugsgesetz 2023, BGBl. I Nr. 196/2023
§ 31 Abs. 11 bis 16 ORF-G, ORF-Gesetz, BGBl. Nr. 379/1984
Stammfassung:
2021-0.891.220

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
KAAAA-76470