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OGH 02.04.2025, 12Os26/25b

OGH 02.04.2025, 12Os26/25b

Rechtssatz


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Norm
RS0135409
§ 288 Abs 4 StGB erfasst auch falsche Zeugenangaben, die aus Anlass von Vernehmungen auf Basis einer Europäischen Ermittlungsanordnung erfolgen, weil derartige Rechtshilfeleistungen nach den Bestimmungen der StPO zu erbringen sind.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, Dr. Haslwanter LL.M., Dr. Sadoghi und Mag. Riffel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Vogel in der Strafsache gegen * W* wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und 4 StGB, AZ 73 Hv 47/23z des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen die Urteile des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , AZ 31 Bs 59/24i, und des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 73 Hv 47/23z-49, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, und des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 73 Hv 47/23z des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , AZ 31 Bs 59/24i, § 288 Abs 1 und 4 StGB.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil vom , GZ 73 Hv 47/23z-39, erkannte das Landesgericht für Strafsachen Wien * W* (anklagekonform [ON 21]) des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB schuldig.

[2] Danach hat er am in W* als Zeuge in einem Ermittlungsverfahren nach der österreichischen Strafprozessordnung, nämlich in dem von der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft München I gegen * M* geführten Rechtshilfeverfahren, AZ 83 HSt 13/20p, vor Beamten des Bundeskriminalamts bei seiner förmlichen Vernehmung zur Sache falsch ausgesagt, indem er im Urteil näher beschriebene Angaben tätigte.

[3] Aus Anlass der gegen dieses Urteil von der Staatsanwaltschaft erhobenen Berufung wegen Strafe hob das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht das angefochtene Urteil mit Urteil vom , AZ 31 Bs 59/24i (= ON 45), gemäß §§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 471, 489 Abs 1 StPO aus dem Grund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO in nichtöffentlicher Sitzung (§ 470 Z 3 iVm § 489 Abs 1 StPO) auf, wobei es dem Erstgericht eine neue Verhandlung und Entscheidung unter „Berücksichtigung seiner rechtlichen Überlegungen“ (BS 5) auftrug.

[4] Dazu führte es aus, dass § 288 Abs 4 StGB nur eine falsche Beweisaussage in einem Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung pönalisiere. Im konkreten Fall sei aber aufgrund einer Europäischen Ermittlungsanordnung eine Einvernahme im Rechtshilfeweg für die Staatsanwaltschaft München I durchgeführt worden. Zwar gelte das österreichische Strafrecht unabhängig vom Tatortrecht auch für Aussagen, die im Wege der Rechtshilfe vor einem ausländischen Gericht, der Kriminalpolizei oder der Staatsanwaltschaft abgelegt werden. Umgekehrt komme aber eine Anwendung des § 288 Abs 4 StGB, der bloß Ermittlungsverfahren nach der (wohl gemeint:) österreichischen Strafprozessordnung anspreche, auf Rechtshilfehandlungen für ausländische Ermittlungsverfahren schon im Hinblick auf das Analogieverbot nicht in Betracht.

[5] Auch § 55h Abs 4 EU-JZG spreche nicht gegen dieses Ergebnis, weil schon dessen Überschrift zeige, dass die Bestimmung ausschließlich für Telefon- oder Videokonferenzen im Rahmen einer Europäischen Ermittlungsanordnung gelte.

[6] Vielmehr sei von einem Verdacht in Richtung § 289 StGB auszugehen, weil * W* von zwei Beamten einer Abteilung des Bundeskriminalamts vernommen worden sei. Verwaltungsbehörden iSd § 289 StGB seien unter anderem die Sicherheitsbehörden, wobei die oberste Sicherheitsbehörde das Bundesministerium für Inneres sei, in dessen Sektion II (die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit) das Bundeskriminalamt eingegliedert sei. Dieses sei daher eine von § 289 StGB umfasste Verwaltungsbehörde.

[7] Mit rechtskräftigem Urteil vom , GZ 73 Hv 47/23z-49, erkannte das Landesgericht für Strafsachen Wien * W* wegen derselben Tathandlungen – ersichtlich in Befolgung der rechtlich verbindlichen Rechtsansicht des Berufungsgerichts (§ 293 Abs 2 iVm § 488 Abs 1 StPO) – des Vergehens der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach § 289 StGB schuldig. Danach hat er durch die betreffenden Aussagen „vor Beamten des österreichischen Bundeskriminalamtes, sohin vor einer Verwaltungsbehörde, als Zeuge bei seiner im Rechtshilfeweg zu AZ 83 HSt 13/20p [der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption] für die Staatsanwaltschaft München I aufgrund des von dieser geführten Ermittlungsverfahrens durchgeführten förmlichen Vernehmung zur Sache“ falsch ausgesagt.

[8] Die Generalprokuratur führt in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde Folgendes aus:

Im Verfahren AZ 73 Hv 47/23z des Landesgerichts für Strafsachen Wien stehen die Urteile des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom und des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Das Verfahren zur Aufklärung von mit gerichtlicher Strafe bedrohten Straftaten im Inland ist durch die Strafprozessordnung (StPO) geregelt (§ 1 Abs 1 StPO). Diese ist unabdingbar (Kirchbacher, StPO15 § 1 Rz 1), sodass grundsätzlich jede Ermittlungshandlung einer österreichischen Strafverfolgungsbehörde eine solche im Rahmen der StPO darstellt (vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 50).

Auch Ermittlungshandlungen, die österreichische Strafverfolgungsbehörden im Inland in Umsetzung eines ausländischen Rechtshilfeersuchens setzen, sind demnach Ermittlungshandlungen nach dem 1. bis 8. Hauptstück der StPO (vgl § 56 Abs 2 ARHG), zumal für die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens die Bestimmungen der StPO sinngemäß gelten bzw grundsätzlich nur österreichisches Strafprozessrecht Anwendung findet (vgl §§ 9 Abs 1, 55 Abs 1, 58 ARHG; Martetschläger in WK² ARHG § 58 Rz 1), die Leistung von Rechtshilfe unzulässig ist, wenn die materiellen Voraussetzungen für die Vornahme bestimmter Ermittlungshandlungen nach dem 8. Hauptstück der StPO nicht vorliegen (vgl § 51 Abs 1 Z 3 ARHG; Martetschläger in WK² ARHG § 51 Rz 4), und Ersuchen auf ein vom österreichischen Strafverfahrensrecht abweichendes Vorgehen nur dann entsprochen werden kann, wenn dies mit dem Strafverfahren und seinen Grundsätzen gemäß den Bestimmungen des 1. Hauptstücks der StPO vereinbar ist (§ 58 ARHG).

Nichts Anderes kann für Ermittlungshandlungen gelten, die österreichische Strafverfolgungsbehörden aufgrund einer – in Bezug auf ein Strafverfahren erlassenen (vgl Art 4a der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2014/41/EU vom über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen, Abl. L 2014/130/1 [im Folgenden: RL-EEA]) – Europäischen Ermittlungsanordnung (in weiterer Folge: EEA) vornehmen, zumal die EEA als eine auf die Durchführung einer Ermittlungsmaßnahme oder die Aufnahme von Beweisen in einem anderen Mitgliedstaat der EU gerichtete Entscheidung der ausstellenden Behörde (§ 2 Z 14 EU-JZG; vgl auch Punkt 7 der Präambel der RL-EEA) in ihrem Geltungsbereich das bisherige Rechtshilfesystem des ARHG ersetzt (vgl Martetschläger in WK² ARHG § 1 Rz 8; EBRV 66 BlgNR 26. GP 1).

Die Durchführung der mittels EEA beantragten Ermittlungsmaßnahmen oder Beweisaufnahmen (vgl Hinterhofer in WK² EU-JZG § 2 Rz 38) richtet sich – im Unterschied zu einer unter der Leitung eines Organs der ausstellenden Behörde durchgeführten Vernehmung mittels technischer Einrichtung zur Wort- und Bildübertragung oder im Wege einer Telefonkonferenz (§ 55h Abs 2 EU-JZG) – nach den Bestimmungen der StPO (vgl EBRV 66 BlgNR 26. GP 3 und 10 f); einem Ersuchen um ein vom österreichischen Recht abweichendes Vorgehen kann immer nur soweit entsprochen werden, als diesem keine wesentlichen innerstaatlichen Rechtsgrundsätze entgegenstehen (§ 55d Abs 6 EU-JZG; EBRV 66 BlgNR 26. GP 9).

In diesem Sinn finden demnach auch aufgrund einer EEA durchgeführte Ermittlungshandlungen grundsätzlich im Rahmen eines „Ermittlungsverfahren[s] nach der Strafprozessordnung“ statt, sodass falsche Aussagen in einem solchen Verfahren – ohne dass eine § 55h Abs 4 EU-JZG vergleichbare (und aufgrund der Anwendung des Prozessrechts des ausstellenden Staates erforderliche [vgl Art 24 Abs 7 RL-EEA]) Bestimmung notwendig wäre oder darin ein (unzulässiger [vgl § 1 StGB; RIS-Justiz RS0075142; Höpfel in WK² StGB § 1 Rz 17 und 50 ff]) Analogieschluss zu erblicken wäre (vgl RIS-Justiz RS0088846) – der Strafbarkeit nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB unterliegen.

Da der in § 288 Abs 4 StGB angeführte Begriff „Kriminalpolizei“ jene Sicherheitsbehörden und Sicherheitsdienststellen sowie ihre Organe bezeichnet, die Aufgaben im Dienste der Strafrechtspflege, insbesondere in der Aufklärung und der Verfolgung von Straftaten wahrnehmen (§ 18 StPO) und hiezu auch das Bundeskriminalamt, das in casu die Vernehmung des * W* als Zeugen auf Anordnung der im Wege einer EEA befassten Staatsanwaltschaft (WKStA) vorgenommen hatte (vgl dazu [ergänzend] ON 5 S 4 und ON 7 S 9) zählt (vgl Plöchl in WK² § 288 Rz 12; Vogl, WK-StPO § 18 Rz 1, 5, 60 und 62), wäre die verfahrensgegenständliche falsche Aussage des Genannten – anstatt wie vorliegend dem Vergehen der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach § 289 Abs 1 StGB – rechtsrichtig dem Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 StGB zu unterstellen gewesen.

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung angesichts der gegenüber § 288 Abs 1 StGB günstigeren Strafdrohung des § 289 StGB zum Vorteil der Verurteilten ausgewirkt hat, kommt eine Verknüpfung ihrer Feststellung mit konkreter Wirkung (§ 292 letzter Satz StPO) nicht in Betracht (vgl 14 Os 95/24p [Rz 23 und 25]).

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[9] § 288 Abs 4 StGB bedroht falsche Aussagen mit Strafe, die in einem „Ermittlungsverfahren nach der Strafprozessordnung“ getätigt werden und bezieht sich auf unwahre, im Rahmen von (hier: kriminalpolizeilichen) Vernehmungen abgelegte Angaben, die „in vollem Umfang den Förmlichkeiten der StPO (§§ 153 bis 166) entsprechen“ (ErläutRV Strafprozessreformbegleit I, 231 BlgNR 23. GP 26).

[10] Damit erfasst der genannte Tatbestand – wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt – auch falsche Zeugenangaben, die aus Anlass von Vernehmungen auf Basis einer Europäischen Ermittlungsanordnung erfolgen, weil derartige Rechtshilfeleistungen nach den Bestimmungen der StPO zu erbringen sind (Tomasits, Anordnung und Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung in Österreich, 113; vgl auch Herrnfeld in Göth-Flemmich/ Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 55e EU-JZG Rz 3 f).

[11] Die Ansicht des Oberlandesgerichts, derartige Falschaussagen seien § 289 StGB zu subsumieren, trifft daher nicht zu.

[12] Diese den Angeklagten begünstigende Gesetzesverletzung war – ohne Zuerkennung konkreter Wirkung (§ 292 vorletzter Satz StPO) – festzustellen.

[13] In Bezug auf das weiters angefochtene Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom (ON 49) war die Nichtigkeitsbeschwerde jedoch zu verwerfen:

[14] Dieses Gericht war nämlich, wie die Generalprokuratur an sich zutreffend bemerkt, im zweiten Rechtsgang an die in der kassatorischen Entscheidung des Oberlandesgerichts vertretene Rechtsansicht gebunden (§ 293 Abs 2 iVm § 488 Abs 1 StPO). Damit durfte das Erstgericht aber ohne Missachtung der vom Gesetz angeordneten Bindungswirkung von der rechtsirrigen Auffassung des Berufungsgerichts nicht abgehen, womit seine Entscheidung keinen Rechtsfehler aufweist. Derartige Folgeentscheidungen würden – wie der Vollständigkeit halber anzumerken bleibt – (nur) im Fall der Zuerkennung begünstigender Wirkung (§ 292 letzter Satz) rechtslogisch abhängige weitere Verfügungen darstellen und solcherart als beseitigt gelten (vgl RIS-Justiz RS0100444; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 28).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Strafrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2025:0120OS00026.25B.0402.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
GAAAG-11301