OGH 03.07.2025, 6Ob104/25z
Rechtssätze
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Normen | |
RS0043969 | Hat das Rekursgericht über einen Rekurs gegen einen Beschluss, gegen den ein abgesondertes Rechtsmittel nicht stattfindet, entschieden, so ist der dagegen erhobene Revisionsrekurs zulässig und in Abänderung des rekursgerichtlichen Beschlusses das Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung zurückzuweisen. |
Normen | |
RS0115201 | Entscheidet ein Rekursgericht über den Rekurs gegen einen nicht abgesondert anfechtbaren Beschluss meritorisch statt ihn als unzulässig zurückzuweisen, ist diese Entscheidung mangels funktioneller Zuständigkeit mit Nichtigkeit behaftet. |
Normen | |
RS0006598 | Auch für Rechtsmittel im Außerstreitverfahren gilt die Voraussetzung des Rechtsschutzinteresses. Die Frage nach dem Rekursinteresse betrifft die Zulässigkeit des Rechtsmittels. |
Normen | |
RS0006880 | Bei Fehlen eines Beschwerdeinteresses ist der Rekurs zurückzuweisen. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. M*, geboren * 2018, 2. E*, geboren * 2020, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters R*, vertreten durch Mag. Dr. Brigitta Braunsberger-Lechner und Mag. Thomas Loos, Rechtsanwälte in Steyr, gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr als Rekursgericht vom , GZ 2 R 12/25b-322, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom , GZ 3 Ps 63/24a-290, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass des Revisionsrekurses werden der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts ersatzlos aufgehoben und der Rekurs des Vaters zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die beiden Kinder entstammen der beendeten Lebensgemeinschaft von C* und R*. Die Obsorge kommt der Mutter alleine zu.
[2] Mit Schriftsatz vom beantragte der Vater, der Mutter die Obsorge über die Kinder mit sofortiger Wirkung vorläufig zu entziehen und diese ihm, hilfsweise dem Kinder- und Jugendhilfeträger zu übertragen. Er begründete dies mit der Weigerung der Mutter, an dem in Aussicht genommenen familienpsychologischen Gutachten mitzuwirken, und einer Kindeswohlgefährdung durch das Unterbinden von Kontakten zum Vater.
[3] Die Mutter sprach sich gegen den Antrag aus.
[4] Mit dem angefochtenen Beschluss vom wies das Erstgericht diesen Antrag des Vaters, der Mutter die Obsorge über die beiden Kinder mit sofortiger Wirkung vorläufig zu entziehen und diese auf ihn, hilfsweise auf den Kinder- und Jugendhilfeträger zu übertragen, ab. Zu diesem Zeitpunkt lag das vom Erstgericht mit Beschluss vom beauftragte familienpsychologische Sachverständigengutachten noch nicht vor.
[5] Das – ohne Vorstellung der Kinder bei der Sachverständigen erstellte – Gutachten langte am beim Erstgericht ein. Am fand in Anwesenheit beider Eltern und deren Vertretern eine mündliche Verhandlung statt, in der das Gutachten mit der Sachverständigen erörtert wurde.
[6] Mit Beschluss vom , den Vertretern der Eltern zugestellt am , sprach das Erstgericht aus, die alleinige Obsorge der Mutter bleibe vorläufig unverändert aufrecht (Punkt 1.), erteilte den Eltern konkrete Aufträge (Punkte 2. bis 4.) und wies den Antrag des Vaters auf Durchsetzung seines Kontaktrechts ab (Punkt 5.). Dieser Beschluss erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
[7] Mit Beschluss vom bestätigte das Rekursgericht den angefochtenen Beschluss des Erstgerichts vom und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[8] Dagegen richtet sich der von der Mutter beantwortete außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters.
[9] Aus Anlass des Revisionsrekurses des Vaters sind der Beschluss des Rekursgerichts ersatzlos zu beheben und der gegen den Beschluss des Erstgerichts erhobene Rekurs zurückzuweisen.
[10] 1.1. Auch für Rechtsmittel im Außerstreitverfahren gilt die Voraussetzung des Rechtsschutzinteresses (Beschwer; RS0006598 [T1]). Beschwer muss zur Zeit der Erhebung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung darüber noch fortbestehen (RS0006598 [T3]). Fehlt das Rechtsschutzinteresse (Beschwer), so ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RS0006880 [T26]; vgl RS0006598 [T17]). Entscheidet ein Gericht zweiter Instanz über einen unzulässigen Rekurs meritorisch, so ist der Mangel der funktionellen Zuständigkeit für eine solche Erledigung vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Nichtigkeit, die immer eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen; als Folge dessen ist der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen (RS0115201 [T4, T6]; RS0043969 [T8]). Zur Wahrnehmung der Nichtigkeit genügt ein zulässiges Rechtsmittel, worunter ein nicht jedenfalls unzulässiges Rechtsmittel zu verstehen ist (RS0041942 [T20]). Auf die Geltendmachung einer im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG erheblichen Rechtsfrage kommt es nicht an (1 Ob 116/18t = RS0041942 [T21]). Als Folge ist der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen (RS0043969 [T8]). Dieser Grundsatz gilt auch im Außerstreitverfahren (RS0043969 [T6]; RS0042059 [T8]; 2 Ob 136/24z [Rz 6]).
[11] 1.2. Die Beschwer fehlt einem Rechtsmittel auch dann, wenn die bekämpfte Entscheidung durch eine nachfolgend getroffene Entscheidung oder Vereinbarung überholt ist (vgl 8 Ob 655/89: Revisionsrekurs gegen eine aufgrund Neuregelung des Kontaktrechts nicht mehr wirksame Kontaktrechtsregelung).
[12] 2. Im vorliegenden Verfahren erwuchs der Beschluss vom , mit dem das vorläufige Weiterbestehen der Alleinobsorge der Mutter ausgesprochen wurde, mit Ablauf der Rechtsmittelfrist, sohin mit Ablauf des , in Rechtskraft. An der Überprüfung des erstinstanzlichen Beschlusses vom fehlte dem Vater daher im Zeitpunkt der Entscheidung des Rekursgerichts (am ) die Beschwer, zumal der Beschluss des Rekursgerichts nur solche nach Beschlussfassung eingetretenen aktenkundigen Entwicklungen berücksichtigt, die bereits Entscheidungsgrundlage des in Rechtskraft erwachsenen Beschlusses vom waren.
[13] Das Rekursgericht hat daher über einen wegen Wegfalls der Beschwer unzulässigen Rekurs meritorisch entschieden. Bereits das Rekursgericht hätte daher den Rekurs gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AußStrG zurückweisen müssen. Aus Anlass des vom Vater erhobenen nicht absolut unzulässigen Rechtsmittels sind der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts ersatzlos zu beheben und der zum Entscheidungszeitpunkt des Rekursgerichts unzulässige Rekurs zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2025:0060OB00104.25Z.0703.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
HAAAG-03954