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Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

OGH 25.06.2025, 5Ob203/24z

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Mag. Wurzer als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Painsi, Dr. Weixelbraun-Mohr, Dr. Steger und Dr. Pfurtscheller als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Betroffenen R* S*, wegen Erneuerung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung, über die Revisionsrekurse des Betroffenen und des VertretungsNetz, *, als dessen Rechtsbeistand, beide vertreten durch Maga. Dr.in Jasmine Senk, Rechtsanwältin in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 270/24t-302, mit dem der Rekurs des durch den Erwachsenenvertreter als Rechtsbeistand vertretenen Betroffenen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Urfahr vom , GZ 19 P 73/21w-297, als verspätet zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung:

[1] Das Erstgericht sprach im Verfahren über die Erneuerung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung aus, dass die gerichtliche Erwachsenenvertretung für den Betroffenen erneuert werde, das VertretungsNetz Erwachsenenvertretung als gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt bleibe und der Wirkungsbereich der gerichtlichen Erwachsenenvertretung (unter anderem) die Vertretung vor Gerichten, Ämtern, Behörden und Sozialversicherungsträgern umfasse.

[2] Dieser Beschluss wurde dem Erwachsenenvertreter am zugestellt, dem Betroffenen durch Hinterlegung (erst) am .

[3] Gegen diesen Beschluss richtete sich der vom weiter bestellten Erwachsenenvertreter in seiner Funktion als Rechtsbeistand im Erneuerungsverfahren als Vertreter des Betroffenen verfasste Rekurs.

[4] Das Rekursgericht wies diesen Rekurs als verspätet zurück.

[5] Die 14-tägige Frist für den Rekurs beginne mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des selbständig anfechtbaren Beschlusses. Dem Rechtsbeistand sei der angefochtene Beschluss am zugestellt worden, demzufolge habe die Rekursfrist mit Ablauf des geendet. Die Einbringung des Rekurses durch den Rechtsbeistand am sei damit nicht rechtzeitig.

[6] Der Rekurs des Rechtsbeistands wäre nur dann rechtzeitig, wenn dieser für sein im Namen des Betroffenen erhobenes Rechtsmittel auch die Rechtsmittelfrist des Betroffenen in Anspruch nehmen dürfe. Dem Betroffenen sei der angefochtene Beschluss nämlich durch Hinterlegung zur Abholung ab zugestellt worden. In diesem Fall wäre die 14-tägige Rekursfrist bei Einbringung am also gewahrt. Die Berufung auf den Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses an den Betroffenen sei allerdings unzulässig, weil das einer Verlängerung der dem Rechtsbeistand zustehenden Rekursfrist gleichkäme, zumal der Betroffene auch bei einem durch seinen Rechtsbeistand bzw Vertreter in seinem Namen erhobenen Rechtsmittel selbst ein weiteres, gesondertes Rechtsmittel erheben könne.

[7] Das Rekursgericht erklärte den Revisionsrekurs für zulässig, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht dazu Stellung genommen habe, ob sich der Rechtsbeistand in einem Erneuerungsverfahren auf den Zeitpunkt der Zustellung an den Betroffenen berufen könne.

[8] Gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts richten sich die Revisionsrekurse des Betroffenen einerseits und (in dessen Namen) des Erwachsenenvertreters und Rechtsbeistands (vgl Pkt 3 zweiter Abs) im Erneuerungsverfahren andererseits.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revisionsrekurse sind zulässig und berechtigt.

[10] 1. Der Beschluss, mit dem das Gericht zweiter Instanz den Rekurs wegen Verspätung zurückweist, ist (nur) unter den Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG anfechtbar (RS0120565 [T3, T14]; RS0120974 [T7, T8, T9]).

[11] Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses gegen den Zurückweisungsbeschluss setzt daher voraus, dass die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG abhängt. Eine solche, nämlich die verfehlte Zurückweisung eines Rechtsmittels wegen vermeintlicher Verspätung (vgl RS0041365 [T4]), zeigen die – im Wesentlichen identen – Revisionsrekurse hier auf.

[12] 2. Gemäß § 128 Abs 1 AußStrG sind die Vorschriften über das Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters (§§ 117 bis 127 AußStrG) auch auf das Verfahren über die Erweiterung, Einschränkung, Übertragung, Erneuerung und Beendigung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung anzuwenden. Die Aufgaben des Rechtsbeistands iSd § 119 AußStrG kommen in diesen Verfahren dem bisher bestellten gerichtlichen Erwachsenenvertreter zu (§ 128 Abs 2 Satz 2 AußStrG).

[13] Der Rechtsbeistand vertritt die betroffene Person im Erwachsenenschutzverfahren. Er ist insoweit gesetzlicher Vertreter, der in ihrem Namen alle Verfahrenshandlungen vornehmen kann, die auch von der betroffenen Person getätigt werden können. Der Rechtsbeistand ist nicht Adressat von eigenen Verfahrensrechten, weil er – wie andere Verfahrensvertreter auch – seine Rechte von den Rechten der betroffenen Person ableitet. Als Stellvertreter im Verfahren kann er im Namen und im Interesse der Partei und an deren Stelle Verfahrenshandlungen vornehmen. Dem Rechtsbeistand stehen grundsätzlich also keine von der betroffenen Person losgelösten Verfahrensrechte zur Durchsetzung eigener Interessen zu (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 66; 4 Ob 238/22m; 3 Ob 87/19v; vgl bereits zur alten Rechtslage: RS0125240).

[14] 3. Nach der (mit dem 2. ErwSchG eingeführten) Bestimmung des § 116a AußStrG kann die betroffene Person im Erwachsenenschutzverfahren unabhängig von ihrer Verfahrensfähigkeit Verfahrenshandlungen vornehmen. Sie kann daher im gesamten Verfahren selbständig Anträge stellen und Rechtsmittel erheben. Ein Vertreter oder Rechtsbeistand (§ 119 AußStrG) schränkt die Möglichkeit der betroffenen Person nicht ein, im Verfahren selbständig zu handeln. Damit schließt der in § 119 AußStrG geschaffene Vertretungszwang die Fähigkeit der betroffenen Person, eigene Verfahrenshandlungen neben dem Vertreter vorzunehmen, nicht aus. Die betroffene Person kann also ungeachtet eines in ihrem Namen vom Vertreter, Verfahrenshelfer oder Rechtsbeistand in ihrem Namen erhobenen Rechtsmittels selbst ein eigenes gesondertes Rechtsmittel erheben (§ 116a Abs 4 iVm Abs 1 AußStrG; 8 Ob 106/23f; 3 Ob 87/19v; RS0132628). Die eigenständige Beteiligungsmöglichkeit der betroffenen Person soll gerade auch im Rechtsmittelverfahren und neben seinem Vertreter gegeben sein (vgl ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 65; 1 Ob 45/21f).

[15] Die Möglichkeit der Beteiligung am Verfahren kommt ihr „unabhängig von ihrer Verfahrensfähigkeit“, also ihrer verfahrensrechtlichen Handlungsfähigkeit, zu. Erheben daher die betroffene Person persönlich und der Vertreter oder Rechtsbeistand im Namen des Betroffenen jeweils gesondert ein Rechtsmittel, so sind beide Rechtsmittel einer inhaltlichen Behandlung zu unterziehen (§ 116a Abs 1 Satz 2 AußStrG; 3 Ob 87/19v). Der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels gilt in solchen Konstellationen nicht (3 Ob 87/19v; 1 Ob 45/21f; bereits zur alten Rechtslage: RS0126515).

[16] Das Gesagte gilt für einen gesetzlichen bzw selbstgewählten Vertreter, einen vom Gericht bestellten Rechtsbeistand, aber auch für einen Verfahrenshelfer (3 Ob 87/19v).

[17] 4. Steht der betroffenen Person ganz allgemein ein eigenständiges Rekursrecht (also unabhängig von einer in ihrem Namen erfolgten Rekurserhebung Dritter) zu, müssen ihr sämtliche Beschlüsse zugestellt werden. Das wurde konsequenterweise mit dem 2. ErwSchG in § 116a Abs 2 Satz 1 AußStrG ausdrücklich angeordnet (3 Ob 87/19v).

[18] Bei dem von der betroffenen Person selbst eingebrachten Rechtsmittel ist für die Berechnung der Rechtsmittelfrist darauf abzustellen, wann die Entscheidung der betroffenen Person zugestellt wurde. Nur und erst die Zustellung der Entscheidung an die betroffene Person löst die Rechtsmittelfrist für sie aus; die Zustellung an den Vertreter ersetzt die Zustellung an sie nicht (3 Ob 55/13d; 3 Ob 87/19v). Rechtsmittel der betroffenen Person und ihrer Vertreter sind also voneinander unabhängig (6 Ob 164/14g; 6 Ob 157/15d). Die Rekursfrist wird deshalb für jede dieser Personen nach Maßgabe der jeweiligen Zustellung des anzufechtenden Beschlusses ausgelöst (zur Rechtslage vor dem 2. Erwachsenen-SchutzG: 3 Ob 140/09y; 6 Ob 164/14g; allgemein: RS0129752).

[19] Die in der Entscheidung 6 Ob 125/15y vertretene Rechtsansicht, dass bei der Bestellung eines Verfahrenshelfers die Zustellung an die Partei im Hinblick auf § 6 Abs 4 AußStrG iVm § 93 ZPO (dazu RS0006023) bedeutungslos sei, ist schon aufgrund der mit dem 2. Erwachsenen-SchutzG vorgenommenen Änderungen überholt (3 Ob 87/19v).

[20] 5. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Rekursfrist für die betroffene Person einerseits und den Rechtsbeistand andererseits für jede dieser Personen nach Maßgabe der jeweiligen Zustellung des anzufechtenden Beschlusses berechnet wird, gilt auch für die durch das 2. ErwSchG geänderte Rechtslage (vgl etwa 2 Ob 127/20w), hat doch der Rechtsbeistand die gleichen Rechtsmittelbefugnisse wie bisher (Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 119 Rz 4). Mit Blick auf die hier zu beurteilende Konstellation bedarf dieser Grundsatz jedoch insofern einer Klarstellung, als zu differenzieren ist: Zwischen einem Rechtsmittel des Rechtsbeistands, das dieser in seiner Funktion eigenständig im Namen und Interesse der betroffenen Person erhebt, und einem Rechtsmittel, das der Rechtsbeistand auf expliziten Auftrag der betroffenen Person – gleich einem selbst gewählten Vertreter – in deren Vertretung einbringt und in dem er ausschließlich die Sichtweise der betroffenen Person zur Darstellung bringt.

[21] Als Vertreter der betroffenen Person ist der Rechtsbeistand zur Wahrung ihrer Interessen verpflichtet. Wegen der möglichen Beeinträchtigung ihrer Interessen müssen dabei die Wünsche der betroffenen Person nicht notwendigerweise ihrem Wohl entsprechen (Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 119 Rz 30). Der Rechtsbeistand hat im Wohle der betroffenen Person aus Eigenem und damit gegebenenfalls auch ohne dessen Zustimmung oder selbst gegen dessen Wunsch zu handeln.

[22] Die betroffene Person wiederum kann unabhängig von ihrer Verfahrensfähigkeit Verfahrenshandlungen vornehmen und ihre Anträge sind bei der Entscheidung zu berücksichtigen, wenn sie nicht mit jenen des Vertreters übereinstimmen (§ 116a AußStrG). Die betroffene Person könnte dafür nach den allgemeinen Anforderungen an die Erteilung einer Vollmacht einen frei gewählten Vertreter beauftragen (vgl etwa Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 119 Rz 8; Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 117 Rz 7). Die Rechtsmittelwerber weisen zutreffend darauf hin, dass als Ausdruck der Unterstützungsfunktion des Erwachsenenschutzgesetzes die von der betroffenen Person gewählte Person auch der Rechtsbeistand sein kann. Immerhin ordnet § 116a Abs 2 Satz 2, 2. HS AußStrG ausdrücklich an, dass der Rechtsbeistand der betroffenen Person den Inhalt des Beschlusses in geeigneter Weise zu erläutern hat. Ungeachtet der in § 116a Abs 4 AußStrG angeordneten Reduktion der Inhaltsvoraussetzungen für ein Rechtsmittel der betroffenen Person entspricht es dem dem 2. ErwSchG zugrundeliegenden Autonomiegedanken im Allgemeinen und den Wertungen des § 116a Abs 4 AußStrG im besonderen, nicht nur den von der betroffenen Person selbst (oder in dessen Auftrag von einem Verfahrenshelfer oder einem frei gewählten Vertreter) verfassten Rekurs als eigenständiges Rechtsmittel der betroffenen Person zu verstehen, sondern auch den Rekurs, der vom Rechtsbeistand im Rahmen der ihn treffenden Pflicht zur Unterstützung im Namen der betroffenen Person ausschließlich auf deren Wunsch erhoben wird und
– erkennbar – nur das Vorbringen der betroffenen Person wiedergibt. Erhebt der Rechtsbeistand das Rechtsmittel in diesem Sinn nicht eigenständig in seiner eigentlichen Funktion als gesetzlicher Vertreter sondern als Vertreter im Auftrag der betroffenen Person, richtet sich die Rechtsmittelfrist nach der Zustellung an die betroffene Person. Es wäre nicht sachgerecht, wenn das Rechtsmittel ausgehend von der für die betroffene Person maßgeblichen Rechtsmittelfrist zwar als rechtzeitig angesehen würde, wenn ihn die betroffene Person selbst eingebracht oder einen frei gewählten Vertreter mit der Einbringung beauftragt hätte, jedoch als verspätet, wenn der Betroffene zur Einbringung die Unterstützung seines Rechtsbeistands in Anspruch genommen hat, nur weil dessen eigene Rechtsmittelfrist früher abgelaufen ist.

[23] 6. Der von einem Rechtsbeistand im Namen der betroffenen Person erhobene Rekurs kann also als eigener selbständiger Rekurs der betroffenen Person zu behandeln sein, wenn die betroffene Person formal und inhaltlich als Rekurswerber auftritt. So bestätigte der Oberste Gerichtshof in der vor dem 2. ErwSchG ergangenen Entscheidung 6 Ob 164/14g die Verspätung des Rechtsmittels nach Maßgabe der Zustellung des angefochtenen Beschlusses an den Vertreter, weil der Vertreter in seinem Rekurs zwar Rechte der Betroffenen geltend gemacht, der Vertreter sich aber allein als Rekurswerber bezeichnet hat.

[24] Ist die Person des Rechtsmittelwerbers vor dem Hintergrund dieser Ausführungen – anders als hier – nicht ausreichend klar, ist ein zweckentsprechendes Verbesserungsverfahren einzuleiten. Ist dessen Ergebnis die Bestätigung dessen, dass die Eingabe als eigenständiges Rechtsmittel der betroffenen Person anzusehen ist, ist die Rechtzeitigkeit nach der Zustellung des angefochtenen Beschlusses an diese zu beurteilen.

[25] 7. In dem hier vom Rekursgericht als verspätet zurückgewiesenen Rekurs wurde der Betroffene selbst als Rekurswerber bezeichnet und aus den Rekursausführungen geht eindeutig hervor, dass diese der Argumentation des Betroffenen selbst folgen. Dieser Rekurs ist daher als selbständiger Rekurs des durch den Erwachsenenvertreter als Rechtsbeistand vertretenen Betroffenen zu verstehen und zu behandeln.

[26] Den Revisionsrekursen war daher Folge zu geben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2025:0050OB00203.24Z.0625.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
UAAAG-03941