OGH 28.05.2025, 3Ob75/25p
Rechtssätze
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RS0006259 | Trotz der Untersuchungsmaxime (§ 2 AußStrG) gilt auch im außerstreitigen Unterhaltsbemessungsverfahren der Dispositionsgrundsatz; ein Anspruch, den der Berechtigte gar nicht geltend gemacht hatte, kann aber - ungeachtet der Tatsache, dass ein früherer Antrag nicht als Teilantrag bezeichnet und eine Nachforderung nicht ausdrücklich vorbehalten wurde - nicht in Rechtskraft erwachsen, ist doch Voraussetzung der materiellen Rechtskraftwirkung die Identität der Ansprüche. An dieser Identität mangelt es aber bei einem Begehren auf Unterhaltsleistungen für die Zukunft oder - wie nach nunmehriger Rechtsprechung zulässig (SZ 61/143) - für die Vergangenheit, wenn mit der Behauptung, die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners sei höher als ursprünglich angenommen, ein höherer Betrag begehrt wird. |
Normen | |
RS0047516 | Die einem Minderjährigen im Rahmen der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erwachsenden Verfahrenskosten begründen grundsätzlich einen vom Unterhaltspflichtigen abzudeckenden Sonderbedarf, wenn sie aus den laufenden Unterhaltsleistungen nicht bestritten werden können. Die Mittel zur Deckung dieses Sonderbedarfs kann der Unterhaltsberechtigte vom Unterhaltspflichtigen auch dann verlangen, wenn er sie selbst vorgestreckt hat, der Grund für den Anspruch also bereits in der Vergangenheit liegt; dies gilt umso mehr jetzt, wo Unterhalt generell auch für die Vergangenheit beansprucht werden kann. |
Normen | |
RS0053283 | Seit der zu 6 Ob 544/87 ergangenen Entscheidung eines verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes können Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden. Zutreffend folgerte daraus die Lehre, daß nun auch die Einstellung oder Herabsetzung der Unterhaltspflicht für die Vergangenheit möglich ist, sofern sich der hiefür maßgebliche Sachverhalt in der Vergangenheit verwirklichte. Dem ist beizupflichten, und zwar umso mehr, als auch schon bisher im Falle der Exekutionsführung seitens des Unterhaltsberechtigten über Oppositionsklage des Unterhaltsverpflichteten solche vergangene Zeiträume betreffende Einstellungen oder Herabsetzungen der Unterhaltspflicht möglich waren. |
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RS0007143 | Bei Geltendmachung eines Anspruchsteiles erfasst die Rechtskraft den Anspruch nur soweit, als über ihn entschieden wurde. Dabei macht es keinen Unterschied, ob im Antrag zum Ausdruck gebracht wurde, dass nur ein Anspruchsteil geltend gemacht werde und ob die Geltendmachung des Anspruchsrestes ausdrücklich vorbehalten wurde, ob sich die für die Unterhaltsbemessung maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse seit der Erlassung der Vorentscheidung geändert haben und welche Zeit seit der Vorentscheidung verstrichen ist, ist hiefür auch ohne Bedeutung. |
Normen | AußStrG §18 A AußStrG 2005 §43 ABGB §140 Ad ABGB §140 Ag ABGB idF KindNamRÄG 2013 §190 Abs3 ABGB idF KindNamRÄG 2013 §231 Ad ABGB idF KindNamRÄG 2013 §231 Ag ABGB §936 VIIc ZPO §411 Cb |
RS0107666 | Auch im außerstreitigen Verfahren ergangene Unterhaltsfestsetzungen unterliegen der materiellen Rechtskraft, sie können nur bei geänderten Verhältnissen abgeändert werden. Die materielle Rechtskraft der Entscheidung setzt aber voraus, dass dem Gericht alle für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen Umstände bekannt sein müssen, im Fall der Genehmigung eines Unterhaltsvergleichs (oder bei der gleichzuhaltenden Unterhaltsfestsetzung, die den Vergleich als tragende Begründung heranzieht) also auch der Umstand, dass eine für die Bejahung einer anfechtungsfesten Willenseinigung erforderliche Kenntnis der vertragschließenden Parteien über die Vergleichsgrundlage vorlag. Der Irrtum einer Partei und der darauf beruhende Willensmangel kann daher im Sinne der weiten Auslegung der Umstandsklausel gegen die materielle Rechtskraft ins Treffen geführt und zum Gegenstand eines Unterhaltserhöhungsantrags (auch für die Vergangenheit) gemacht werden. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und die Hofräte Dr. Stefula und Mag. Schober als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen N* 2019, wohnhaft bei ihrer Mutter S* H*, Russische Föderation, vertreten durch Mag. Jürgen Mayerhofer, Rechtsanwalt in Linz, Vater J*, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Kindes, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 15 R 291/24f-130, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom , GZ 70 Pu 34/22h-74, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen über die Unterhaltsbeiträge im Zeitraum von bis werden aufgehoben. Die Außerstreitsache wird auch insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen, sodass dies mit Rücksicht auf den Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichts für die Entscheidung des Erstgerichts über den gesamten Antrag des Kindes auf Unterhaltserhöhung gilt.
Im Übrigen, also hinsichtlich des geltend gemachten Sonderbedarfs, bleibt die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts aufrecht.
Text
Begründung:
[1] Mit Beschluss vom setzte das Erstgericht den ab vom Vater zu leistenden monatlichen Unterhalt für N* wie von ihr begehrt mit 419 EUR fest.
[2] Mit Antrag vom begehrte das Kind, den Unterhalt rückwirkend für die Zeit von bis um 80 EUR, von bis um 120 EUR, von bis um 132 EUR und von bis um 1.312 EUR zu erhöhen. Mit weiterem Antrag vom begehrte das Kind, den Vater überdies zur Zahlung eines Sonderbedarfs von 3.570 EUR für Rechtsanwaltskosten im Kontaktrechtsverfahren und von 2.582,20 EUR für medizinische Behandlungen, Medikamente und Untersuchungen zu verpflichten.
[3] Das Erstgericht wies die Anträge ab. Die für die Bemessung des Unterhalts maßgeblichen Umstände hätten sich seit seiner Festsetzung nicht geändert. Der begehrte Sonderbedarf könne jeweils aus den deutlich über dem Regelbedarf liegenden Unterhaltsleistungen gedeckt werden.
[4] Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich der Abweisung des Erhöhungsantrags für die Zeit von bis sowie der Abweisung des Antrags auf Zuspruch eines Sonderbedarfs für die Rechtsanwaltskosten (Spruchpunkt 1.). Die Abweisung des Erhöhungsantrags für die Zeiträume ab sowie die Abweisung des Antrags auf Zuspruch eines Sonderbedarfs für medizinische Behandlungen hob es dagegen auf und verwies die Sache ohne Rechtskraftvorbehalt zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück (Spruchpunkt 2.).
[5] Seine bestätigende Entscheidung begründete es damit, dass rechtskräftige Unterhaltsentscheidungen nur bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse abgeändert werden dürften. Der ins Treffen geführte Wechsel in eine andere Altersgruppe oder die Änderung der Regelbedarfssätze reichten dafür nicht aus. Eine Änderung der Umstände sei – wegen der seit der Unterhaltsfestsetzung verstrichenen Zeit – erst ab anzunehmen, sodass das Erstgericht den Antrag für die Zeit bis dahin zutreffend abgewiesen habe. Der Zuspruch von Sonderbedarf für Anwaltskosten scheitere daran, dass die Mutter nicht ausreichend bescheinigt habe, nicht in der Lage zu sein, diese selbst zu tragen. Abgesehen davon sei das Kind unabhängig davon gar nicht verpflichtet, die Kosten des Anwalts der Mutter im Verfahren über das Kontaktrecht des Vaters zu tragen, weil es dort Parteistellung habe und von der Mutter vertreten werde.
[6] Den Revisionsrekurs gegen diesen Teil der Entscheidung erklärte das Rekursgericht nachträglich für zulässig, weil es bei seiner Entscheidung unter Umständen die Bestimmung des § 49 AußStrG unrichtig angewandt habe.
[7] Gegen den bestätigenden Teil der Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes mit dem Antrag, auch die Entscheidung über den Unterhaltszeitraum von bis zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen sowie ihm den begehrten Sonderbedarf für die Anwaltskosten im Kontaktrechtsverfahren zuzusprechen.
[8] Der Vater erstattete keine Rechtsmittelbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Revisionsrekurs ist zulässig und teilweise auch berechtigt.
1. Zur Unterhaltserhöhung
[10] 1.1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass gesetzliche Unterhaltsansprüche grundsätzlich auch für die Vergangenheit begehrt werden können (RS0034969). Ebenso kann eine Unterhaltspflicht rückwirkend erhöht, eingeschränkt oder aufgehoben werden, sofern sich der dafür maßgebliche Sachverhalt in der Vergangenheit verwirklicht hat (RS0053283; RS0034969 [T14, T15]; 8 Ob 72/24g Rz 6). Eine Neufestsetzung des Unterhalts für die Vergangenheit darf nur nicht in die materielle Rechtskraft einer bereits bestehenden Unterhaltsentscheidung eingreifen (9 Ob 53/18m Pkt 2.; 1 Ob 152/13d Pkt 2.). Das ist dann nicht der Fall, wenn das Begehren, die Unterhaltspflicht in anderer Weise festzusetzen, auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gestützt wird (stRsp: RS0007161; RS0053297; RS0047398; vgl auch RS0107666).
[11] 1.2. Ein Anspruch, der gar nicht geltend gemacht wurde, kann nicht in Rechtskraft erwachsen (RS0006259; 7 Ob 16/14z Pkt 1.2.). Bei Geltendmachung eines Anspruchsteils erfasst die Rechtskraft den Anspruch daher nur insoweit, als über ihn entschieden wurde. Ob dabei offengelegt wurde, dass nur ein Anspruchsteil geltend gemacht werde, der Antrag als Teilantrag bezeichnet oder die Geltendmachung des Anspruchsrests ausdrücklich vorbehalten wurde, ist nicht von Bedeutung. Es kommt auch nicht darauf an, ob sich seit der Vorentscheidung die für die Unterhaltsbemessung maßgebenden Verhältnisse geändert haben und welche Zeit seither verstrichen ist (RS0007143 [insb T3]; 10 Ob 9/24g Rz 11). Wird ein Anspruch geltend gemacht, der noch nicht Gegenstand der vorangegangenen Entscheidung war, so kann der Unterhaltsberechtigte somit auch bei im Wesentlichen gleichgebliebenen Verhältnissen verlangen, dass der Unterhalt auf den ihm zustehenden Betrag rückwirkend erhöht wird; einzige materielle Grenze bildet in diesem Fall die Verjährung (RS0007161 [T3, T11]; 6 Ob 243/09t Pkt 2.). Anderes gilt nur, wenn in der Vorentscheidung durch (Teil-)Abweisung eines überhöhten Begehrens über den Unterhaltsanspruch abschließend (aufgrund der festgestellten Verhältnisse) rechtskräftig erkannt wurde (vgl RS0006259 [T1]; 10 Ob 9/24g Rz 12, 13).
[12] 1.3. Gegenstand der mit (dem früheren) Beschluss vom erfolgten Unterhaltsfestsetzung war der Antrag von N*, ihren Vater zur Leistung eines Unterhaltsbeitrags in Höhe von 416 EUR monatlich zu verpflichten. Aufgrund des auch im Unterhaltsverfahren geltenden Antragsprinzips und Dispositionsgrundsatzes (vgl 5 Ob 128/19p Pkt 4.; 8 Ob 32/17i Pkt 2.3) war das Erstgericht daran gebunden. Mit seinem dem Antrag zur Gänze stattgebenden Beschluss hat es auch nur darüber erkannt, wohingegen ein etwaiger höherer Unterhaltsanspruch nicht Entscheidungsgegenstand der Vorentscheidung war. Rechtskräftig entschieden wurde daher nur über den Unterhalt in der konkret begehrten Höhe.
[13] Davon ausgehend kommt es hier nicht darauf an, ob sich die zur damaligen Unterhaltsfestsetzung führenden Umstände wesentlich geändert haben. Da dem Unterhaltsfestsetzungsbegehren zur Gänze stattgegeben wurde, kann das Kind somit einen höheren Unterhaltsbeitrag fordern, ohne dass es dazu einer Änderung der Verhältnisse bedarf. Aus diesem Grund hängt die Berechtigung des Erhöhungsantrags auch nicht davon ab, ob das im Rekurs erstattete Vorbringen zur Änderung der Umstände vom Rekursgericht zu Recht als unzulässige Neuerung iSd § 49 AußStrG qualifiziert wurde.
[14] 1.4. Zusammenfassend kann die Abweisung des Erhöhungsantrags somit nicht darauf gestützt werden, dass im hier zu beurteilenden Zeitraum von bis keine Umstandsänderung eingetreten sei. Der Revisionsrekurs erweist sich insofern daher (im Sinn einer Aufhebung der hier angefochtenen Entscheidung) als berechtigt.
[15] Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht auch für die Unterhaltsperioden von bis zu prüfen haben, ob die Einkommensverhältnisse des Vaters die begehrte Unterhaltserhöhung rechtfertigen.
2. Zum Sonderbedarf
[16] 2.1. Dazu spricht das Kind im Revisionsrekurs zwar den von den Vorinstanzen verneinten Deckungsmangel an (vgl RS0047516; RS0109908 [T11]; RS0047564 [T4, T5]). Es wird auch der Ansicht des Rekursgerichts entgegengetreten, es lägen keine besonderen Umstände vor, die für einen ausnahmsweisen Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten als Sonderbedarf sprächen (vgl RS0047539 [insb T6]).
[17] 2.2. Darauf kommt es hier aber nicht an. Wenn das Rekursgericht ausführt, das Kind sei gar nicht zum Ersatz der Kosten des Rechtsanwalts der Mutter verpflichtet, weshalb bei ihm auch kein Sonderbedarf entstanden sei, hat es dessen Aktivlegitimation für den Anspruch verneint. Auf diese selbständig zu beurteilende Rechtsfrage (vgl RS0043338 [T12]) geht der Revisionsrekurs nicht ein, sodass diese aus der Überprüfungsbefugnis des Obersten Gerichtshofs ausgeschieden ist (vgl RS0043352 [T30, T35, T39]; RS0043338 [T17, T20]). Insoweit bleibt es bei der Entscheidung des Rekursgerichts.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2025:0030OB00075.25P.0528.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
LAAAG-03918