OGH 06.05.2025, 11Os11/25i
Rechtssätze
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Norm | |
RS0135387 | |
Normen | MRK Art7 Abs1 StGB §1 |
RS0075142 | Unter dem aus dem Gesetzlichkeitsprinzip abgeleiteten Analogieverbot ist, weil jede Auslegung denknotwendig einen Ähnlichkeitsschluß darstellt, nur das Verbot einer Analogie zum Zwecke der Rechtsneuschaffung (insbesondere in malam partem) zu verstehen (vgl Jescheck, Lehrbuch 4.Auflage, S 120). |
Norm | |
RS0088809 | Das Analogieverbot streitet für eine Auslegung der Strafgesetze, die sich so eng wie möglich an den vom Gesetzgeber vorgegebenen Wortlaut hält, sich dabei mit der alltäglichen und juristischen Wortbedeutung argumentativ auseinandersetzt und eine festgestellte Wortlautgrenze nicht mit dem Hinweis auf einen andersartigen "Sinn des Gesetzes" überspielt (Hassemer, Rechtskultur als Sprachkultur, Suhrkamp 1992,91). |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl, Dr. Brenner und Mag. Riffel in Gegenwart der Rechtspraktikantin Boyer LL.M. (WU), LL.M. als Schriftführerin in der Strafsache gegen R* P* wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom , GZ 38 Hv 81/24g-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, des Angeklagten und seines Verteidigers, Dr. König, zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil zur Gänze (im Verfallsausspruch ersatzlos) aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt:
R* P* wird gemäß § 259 Z 1 StPO vom wider ihn erhobenen Vorwurf freigesprochen, er habe im Zeitraum von bis als gesetzlicher Erwachsenenvertreter seiner Mutter I* P* seine Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und I* P* dadurch in einem 300.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt, indem er insgesamt 52 Abbuchungen oder Abhebungen in einem Gesamtausmaß von 481.517 Euro ohne pflegschaftsgerichtliche Genehmigung vom Konto der I* P* getätigt und das Geld für sich und seinen Bruder P* P* verwendet habe.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde R* P* wegen des nunmehr vom Freispruch umfassten Vorwurfs des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Rechtliche Beurteilung
[2] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten mit dem – inhaltlich zutreffenden – Einwand (hier der Sache nach Z 9 lit c), dass die Ausnahme (§ 166 Abs 1 zweiter Satz StGB) von den Privilegierungen nach § 166 Abs 1 erster Satz und Abs 3 StGB für den Angeklagten als gesetzlichen Erwachsenenvertreter nicht zum Tragen komme.
[3] Nach § 166 Abs 1 erster Satz und Abs 3 StGB ist unter anderem (und soweit hier relevant) ein Kind, das eine der dort genannten strafbaren Handlungen – hier: das Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB – zum Nachteil eines Elternteils begangen hat, in Ansehung der Strafdrohung und darüber hinaus insoweit privilegiert, dass es nur auf Verlangen des Verletzten (das heißt, über Privatanklage) zu verfolgen ist (vgl Kirchbacher/Ifsits in WK² StGB § 166 Rz 1; Germ/Hajszan, SbgK § 166 Rz 5).
[4] § 166 Abs 1 zweiter Satz StGB enthält eine Ausnahme von diesen Privilegierungen, wenn der an sich Privilegierte zu einem der dort genannten Vertreter bestellt wurde und in dieser Funktion zum Nachteil des Vertretenen gehandelt hat.
[5] Der – soweit hier von Bedeutung – gesetzliche Erwachsenenvertreter fällt jedoch schon mangels Bestellung (zu den Begriffen und Unterscheidungen vgl § 245 Abs 2 und 3 ABGB; Wagner/Burgstaller in Feniyves/Kerschner/Vonkilch, Klang-Kommentar § 245 ABGB Rz 11; Schauer in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 245 Rz 8, 11 f) in keine der in § 166 Abs 1 zweiter Satz StGB genannten Kategorien (zur Maßgeblichkeit der Wortlautgrenze und zum Analogieverbot vgl RIS-Justiz RS0088809, RS0075142) und ist deshalb von den Privilegierungen nach § 166 Abs 1 erster Satz und Abs 3 StGB nicht ausgenommen.
[6] Solcherart kommt dem Angeklagten, der nach dem Urteilssachverhalt die inkriminierte Tat als gesetzlicher Erwachsenenvertreter seiner Mutter zu deren Nachteil begangen hat (US 2 ff), nach aktueller Gesetzeslage sehr wohl die Privilegierung des § 166 StGB zu.
[7] In Übereinstimmung mit der Generalprokuratur war der Angeklagte mangels Vorliegens einer nach dem Gesetz erforderlichen Privatanklage des Opfers (§ 71 Abs 3 StPO) freizusprechen (§ 259 Z 1 StPO).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Strafrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00011.25I.0506.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
VAAAG-03812