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Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

OGH 22.04.2025, 7Ob15/25v

Rechtssätze


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Normen
ARB allg
ARB 1995 Art9
ARB 2005 allg
RS0116448
Bei der Erfolgsaussichtsprüfung nach den ARB können die zur Prozesskostenhilfe entwickelten Grundsätze übernommen werden. Die vorzunehmende Beurteilung, ob "keine oder nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg" besteht, hat sich am Begriff "nicht als offenbar aussichtslos" des die Bewilligung der Verfahrenshilfe regelnden § 63 ZPO zu orientieren. "Offenbar aussichtslos" ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann (insbes bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand).
Normen
RS0037300
Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat.
Normen
RS0038849
Die Möglichkeit der Leistungsklage verdrängt bei gleichem Rechtsschutzeffekt die Feststellungsklage (JBl 1968,206 ua).
Norm
RS0039021
Der Satz, dass die Feststellungsklage nicht zuzulassen ist, wenn die Leistungsklage eingebracht werden kann, gilt nur dann, wenn durch den Leistungsanspruch auch der Feststellungsanspruch ausgeschöpft wird, das heißt, wenn weitere als die durch das Leistungsbegehren gezogenen Rechtsfolgen aus der Feststellung des fraglichen Rechtsverhältnisses oder Anspruches nicht in Betracht kommen.
Normen
RS0129063
Bei dem aus der Rechtsschutzversicherung resultierenden Anspruch handelt es sich um keinen nach § 294 EO pfändbaren Geldanspruch. Nur wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger bereits selbst befriedigt hat, verwandelt sich sein ursprünglicher Freistellungsanspruch in einen pfändbaren Kostenerstattungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer.
Normen
ARB 1994 Art9 Pkt2.2
ARB 2005 allg
ARB 2009 Art 9.2.2
Rechtsschutzversicherung allg
RS0124256
Der Grundsatz in der Rechtsschutzversicherung, dass im Deckungsprozess die Beweisaufnahmen und die Feststellungen zu im Haftpflichtprozess relevanten Tatfragen zu unterbleiben haben und daher dem Versicherer eine vorweg genommene Beweiswürdigung verwehrt ist, gilt allgemein und damit auch für die Prüfung der Frage, ob nach Artikel 9.2.2 ARB 1994 ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist aufgrund einer Prognose - im Fall eines bereits laufenden Haftpflichtprozesses aufgrund einer nachträglichen Prognose - nach dem im Zeitpunkt vor Einleitung des Haftpflichtprozesses vorliegenden Erhebungsmaterial vorzunehmen, weil eine Beurteilung der Beweischancen durch antizipierte Beweiswürdigung nicht in Betracht kommt.
Norm
Rechtsschutzversicherung ARB Art6.6.9
RS0135377
Art 6.6.9 ARB regelt die Fälligkeit des Leistungsanspruchs, und zwar vor Bezahlung der Kostenschuld die Fälligkeit des Befreiungsanspruchs (Freistellungsanspruchs) und nach deren Bezahlung die Fälligkeit des Kostenerstattungsanspruchs.
Normen
ABGB §1295 Ia7
ZPO §63
VersVG aF §64
ARB 1965 Art8
Rechtsschutzversicherung allg
RS0117144
Offenbar aussichtslos ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffsmittel oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, wie insbesondere bei Unschlüssigkeit des Begehrens oder bei unbehebbarem Beweisnotstand. Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolges genügt.
Normen
RS0127808
Die Rechtsschutzversicherung ist eine passive Schadensversicherung und keine Sachversicherung.
Normen
ARB 1965 allg
ARB 1965 Art1
ARB 1965 Art3
RS0081895
Die Rechtsschutzversicherung soll den Versicherungsnehmer instandsetzen, sein rechtliches Interesse wahrzunehmen, indem sie für die Kosten des Rechtsschutzes eintritt und deren Risiko durch Beistellung des Rechtsanwaltes auf Rechnung des Versicherers abnimmt (vgl Krieger VersR 1956, 301, 302 und Prölß in VR 1958,69 ff).

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Malesich, Dr. Weber, Mag. Fitz und Mag. Jelinek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* B*, vertreten durch die Vogl Rechtsanwalt GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei U* AG, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 265/23w-23, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Bludenz vom , GZ 3 C 140/23t-19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Zwischen den Parteien bestand ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung R 917 (ARB 2016) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

Artikel 6

Welche Leistungen erbringt der Versicherer?

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, übernimmt der Versicherer im Falle seiner Leistungspflicht die ab dem Zeitpunkt der Bestätigung des Versicherungsschutzes entstehenden Kosten gemäß Punkt 6., soweit sie für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers notwendig sind.

[...]

3. Notwendig sind die Kosten, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung zweckentsprechend und nicht mutwillig ist und hinreichende Aussicht auf deren Erfolg besteht. Die Prüfung der Erfolgsaussicht gemäß Artikel 9 unterbleibt im Straf-, Führerschein- und Beratungs-Rechtsschutz.

[...]

4. Der Versicherungsschutz erstreckt sich, soweit die Besonderen Bestimmungen nichts anderes vorsehen (Art. 19, 20, 21, 24, 25, 28, 30, 31), auch auf die außergerichtliche Wahrnehmung rechtlicher Interessen durch den Versicherer oder durch den von ihm beauftragten Rechtsanwalt und auf die Vertretung vor staatlichen Gerichten, Verwaltungsgerichten und Verwaltungsbehörden in allen Instanzen.

[...]

Der Versicherer zahlt

6.1 die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts bis zur Höhe des RATG oder, sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der AHK. [...]

6.2 die dem Versicherungsnehmer zur Zahlung auferlegten Vorschüsse und Gebühren für die von einem Gericht, einem Verwaltungsgericht oder einer Verwaltungsbehörde beigezogenen Sachverständigen, Dolmetscher und Zeugen sowie Vorschüsse und Gebühren für das gerichtliche, verwaltungsgerichtliche oder verwaltungsbehördliche Verfahren [...]

[...]

6.9 Der Versicherer hat die Leistungen nach Pkt 6. zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erbringen.

Die Leistung gemäß Pkt 6.1 ist fällig, sobald der Rechtsvertreter die Angelegenheit endgültig außergerichtlich erledigt oder das Verfahren rechtskräftig beendet ist und dem Versicherungsnehmer eine Honorarnote schriftlich gelegt wurde. [...]

Die Leistung gemäß Pkt. 6.2 bis 6.5 und 6.8 ist fällig, sobald der Versicherungsnehmer zu deren Zahlung verpflichtet ist oder diese Verpflichtung bereits erfüllt hat.

[...]

Artikel 7

Was ist vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?

[...]

1. Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht kein Versicherungsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen

1.11 in ursächlichem Zusammenhang mit

[...]

- der Finanzierung des Bauvorhabens einschließlich des Grundstückerwerbes.

[...]

Artikel 9

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

[...]

2.3 dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“

[2] Am ereignete sich an einem im Eigentum des Klägers stehenden Gebäude ein Brandschaden. Der Feuerversicherer lehnte die Versicherungsdeckung mit der Begründung ab, dass der Kläger am einen Antrag auf Abbruch des Gebäudes eingebracht habe. Abbruchobjekte seien aber ab Beantragung des Abbruchs nicht versichert.

[3] Dr. T* (vormaliger Rechtsvertreter) ersuchte über Auftrag des Klägers die Beklagte um Kostendeckung zur Geltendmachung der Ansprüche des Klägers aufgrund des Brandschadens. Der Feuerversicherer habe die Versicherungsdeckung unter Hinweis auf die Abbruchklausel abgelehnt, die allerdings mangels rechtswirksamer Einbeziehung und gröblicher Benachteiligung nicht Vertragsinhalt geworden sei. Die Beklagte lehnte die Deckung unter Hinweis auf Art  ARB 2016 ab.

[4] Der vormalige Rechtsvertreter erbrachte für den Kläger im Zeitraum vom bis außergerichtliche Leistungen im Zusammenhang mit dem Brandschaden. In der Folge wurde der nunmehrige Klagevertreter tätig.

[5] Mit Schreiben an den Kläger vom machte der vormalige Rechtsvertreter seinen Honoraranspruch von 7.200 EUR geltend.

[6] Mit Schreiben vom forderte der Klagevertreter die Beklagte auf, entweder das Honorar des vormaligen Rechtsvertreters zu bezahlen oder Deckung für die Abwehr der ungerechtfertigten Ansprüche des vormaligen Rechtsvertreters zu gewähren. Dies lehnte die Beklagte zunächst ab, bestätigte aber in der Folge die Deckung und beauftragte den Klagevertreter mit der Vertretung im Namen des Klägers.

[7] Mit Mahnklage vom machte der vormalige Rechtsvertreter seinen Honoraranspruch gegen den Kläger geltend. In der Tagsatzung vom schlossen die Parteien einen Vergleich, in dem sich der Kläger zur Zahlung von 3.600 EUR an Hauptsache und 198 EUR an Pauschalgebühr binnen 14 Tagen ab Rechtswirksamkeit des Vergleichs verpflichtete. Dieser Vergleich wurde mit Ablauf des mangels Widerrufs rechtswirksam (unstrittig; RS0121557 [T5, T9]). Die aufgrund dieses Vergleichs zu leistenden Zahlungen erbrachte bislang weder der Kläger noch die Beklagte. Der Klagevertreter legte dem Kläger die Honorarnote vom über 1.433,40 EUR für die Vertretung im Honorarprozess (RS0121557 [T3]). Diese Kosten bezahlte die Beklagte bislang nicht.

[8] Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte ihm zur Befriedigung und Abwehr der Kosten seines vormaligen Rechtsvertreters Deckung zu gewähren habe, in eventu Zahlung von 5.231,40 EUR (Hauptsache und Pauschalgebühren von 3.798 EUR und Vertretungskosten von 1.433,40 EUR). Die Anwaltskosten zur Hereinbringung der Versicherungsleistung gegenüber dem Feuerversicherer würden unter die Rechtsschutzdeckung fallen. Diese müsse die Beklagte als angemessene Kosten bezahlen.

[9] Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Sie wendet – soweit im Revisionsverfahren noch relevant – ein, es bestehe kein Feststellungsinteresse, weil sich mit Abschluss des rechtswirksamen Vergleichs der Befreiungsanspruch in einen Leistungsanspruch umgewandelt habe. Außerdem bestehe keine Rechtsschutzdeckung, weil aufgrund der Abbruchklausel die Prozessführung offenbar aussichtslos sei.

[10] Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt. Die Anwaltskosten des vormaligen Rechtsvertreters würden unter die Rechtsschutzdeckung fallen. Unabhängig davon, ob diese den verglichenen Betrag erreichen würden, habe sich die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers im Zusammenhang mit der Gebäudeversicherung nicht als offenbar aussichtslos erwiesen. Der Befreiungsanspruch verwandle sich erst dann in einen Kostenerstattungsanspruch, wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger befriedigt habe. Der Kläger habe aber den Vergleich nicht erfüllt.

[11] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge und bestätigte das Ersturteil mit den im Wesentlichen selben Erwägungen. Die Revision ließ es nachträglich zu.

[12] Die Beklagte beantragt in ihrer Revision, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass die Klagebegehren abgewiesen werden. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[13] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

[15] 1. Die Rechtsschutzversicherung als passive Schadensversicherung (RS0127808) schützt den Versicherungsnehmer gegen das Entstehen von Verbindlichkeiten (Passiva). Sie bietet Versicherungsschutz gegen die Belastung des Versicherungsnehmers mit Rechtskosten (7 Ob 50/22m). Die Hauptleistungspflicht des Versicherers in der Rechtsschutzversicherung besteht in der Tragung der angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen inländischen Rechtsanwalts (§ 158j Abs 1 VersVG; RS0081895 [T1]; 7 Ob 50/22m mwN).

[16] 2.1. Vor Fälligkeit des Leistungsanspruchs kann nur auf Feststellung dahin geklagt werden, dass der Versicherer verpflichtet ist, Rechtsschutzdeckung in bestimmten Angelegenheiten zu gewähren. Nach Eintritt der Fälligkeit ist die Frage der Deckungspflicht sodann Vorfrage für den Leistungsanspruch (RS0127808 [T4]). Beim Leistungsanspruch handelt es sich aber (zunächst) nur um einen Befreiungsanspruch, somit nicht (primär) um einen Geldanspruch. Nur wenn der Versicherungsnehmer seinen Kostengläubiger bereits selbst befriedigt hat, verwandelt sich sein Befreiungsanspruch in einen Kostenerstattungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer (RS0129063 [T1]).

[17] 2.2. Art 6.6.9 ARB regelt die Fälligkeit des Leistungsanspruchs, und zwar vor Bezahlung der Kostenschuld die Fälligkeit des Befreiungsanspruchs (Freistellungsanspruchs) und nach deren Bezahlung die Fälligkeit des Kostenerstattungsanspruchs (7 Ob 122/22z; 7 Ob 50/22m).

[18] 2.3. Freistellung von Anwaltskosten bedeutet, dass der Versicherer entweder diese nach Grund und Höhe anerkennt und zahlt oder für Ansprüche, die er für unberechtigt hält, die Kosten zu deren Abwehr übernimmt. In jedem Fall hat er dafür zu sorgen, dass der Versicherungsnehmer selbst keine Kosten zu tragen hat. (RS0127808 [T1]). Der Versicherer hat also ein Wahlrecht dahin, dass er alternativ zur Bezahlung der Rechnung – zunächst – Abwehrdeckung gewährt. Dann muss er sich mit dem Anwalt als Kostengläubiger auseinandersetzen und den Versicherungsnehmer bei gerichtlicher Inanspruchnahme durch Kostenübernahme unterstützen. Lehnt somit der Versicherer den Ausgleich aller oder eines Teils der verzeichneten Kosten ab, so besteht der Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers darin, dass ihm der Versicherer Deckung für die Abwehr des von ihm als unberechtigt erachteten Anspruchs zu gewähren hat. Ob und in welcher Höhe eine Kostenschuld des Versicherungsnehmers besteht, ist verbindlich nur in einem Verfahren zwischen dem Kostengläubiger und dem Versicherungsnehmer zu klären (RS0127808 [T3]).

[19] 3.1. Im vorliegenden Fall machte der vormalige Rechtsvertreter nach Beendigung seiner Tätigkeit den Honoraranspruch geltend. Die Beklagte übte ihr Wahlrecht dahingehend aus, dass sie dem Kläger Abwehrdeckung gewährte. Der Honorarprozess, den der (hier) Klagevertreter in der Folge für den (dort) beklagten Versicherungsnehmer führte, endete mit einem Vergleich. Das vom Kläger gegen die Beklagte erhobene Begehren umfasst nun sowohl die Kosten der Abwehrdeckung als auch den (verglichenen) Honoraranspruch des vormaligen Rechtsvertreters.

[20] 3.2. Beide Ansprüche des Klägers sind gegenüber dem beklagten Versicherer fällig im Sinn des Art 6.6.9 ARB 2016: Der vormalige Rechtsvertreter hat dem Kläger nach endgültiger Beendigung seiner Tätigkeit eine Honorarnote übermittelt. Darüber hinaus ist hier sogar bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung dieses Verfahrens nicht nur die Rechtswirksamkeit des Vergleichs im Honorarprozess eingetreten, sondern auch die dortige Leistungsfrist abgelaufen. Aber auch der die Abwehrdeckung betreffende Anspruch des Klägers ist fällig, weil der Klagevertreter die Vertretungskosten des Honorarprozesses gegenüber dem Kläger schriftlich geltend gemacht hat.

[21] 3.3. Die Freistellungsansprüche des Versicherungsnehmers gehen auf Befreiung von den bei der Wahrnehmung des versicherten rechtlichen Interesses entstehenden Kosten. Sie lauten hier dahin, dass die Beklagte schuldig ist, den Kläger von der Verbindlichkeit aus der Honorarnote seines vormaligen Vertreters und von den die im Honorarprozess angefallenen Kosten des Klägers freizustellen. Sie sind daher – wie ausgeführt – einem Geld-/Zahlungsanspruch nicht gleichgestellt. Vielmehr verwandeln sie sich erst dann in Kostenerstattungsansprüche gegen den Rechtsschutzversicherer, wenn der Versicherungsnehmer seine Kostengläubiger bereits selbst befriedigt, er den Kostenanspruch (der Rechtsanwälte) somit erfüllt hat (7 Ob 50/22m; 7 Ob 122/22z [zu einem prätorischen Vergleich]), was hier nach den Feststellungen aber nicht der Fall ist.

[22] Der Versicherungsnehmer hat nach Fälligkeit seines Leistungsanspruchs aber kein rechtliches Interesse an der Feststellung der Versicherungsdeckung (§ 228 ZPO), weil die Möglichkeit der Leistungsklage (im vorliegenden Stadium: auf Freistellung) nach ständiger Rechtsprechung bei gleichem Rechtsschutzeffekt die Feststellungsklage verdrängt (RS0038849; RS0039021; 7 Ob 217/22w).

[23] 3.4. Die Beklagte wandte ein, das rechtliche Interesse des Klägers an der Feststellungsklage sei aufgrund der Rechtswirksamkeit des Vergleichs weggefallen, er könnte nämlich bereits ein Leistungsbegehren erheben. Darauf erhob der Kläger eventualiter ein Zahlungsbegehren. Anders als zu 7 Ob 217/22w wandte hier auch weder die Beklagte ein, dass das Geldleistungsbegehren mangels Zahlung der Kostenschuld ebenfalls nicht berechtigt sei, noch wurde dies vom Erstgericht erörtert, wobei die nunmehr dargelegte Differenzierung beim Leistungsbegehren in der Rechtsschutzversicherung in dieser Ausdrücklichkeit der bisherigen Rechtsprechung, die sich im Wesentlichen mit Zahlungsbegehren von Zahlung der Kostenschuld durch den Versicherungsnehmer zu befassen hatte, nicht eindeutig zu entnehmen war. Auch die Frage der Fälligkeit der Leistungsansprüche gegenüber dem beklagten Versicherer wurde aber nicht konkret thematisiert. Da der Oberste Gerichtshof die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen darf, die sie nicht beachtet haben und die bislang weder von der Gegenseite ins Treffen geführt wurde, noch von den Gerichten aufgeworfen wurden (RS0037300 [insb auch T46, T41]), ist den Parteien Gelegenheit zur Äußerung zu diesem Aspekt zu geben. Zu diesem Zweck sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[24] 4. Schon an dieser Stelle wird darauf hingewiesen, dass die Rechtsverfolgung gegen den Feuerversicherer ex ante (zum relevanten Zeitpunkt vgl RS0124256 [T3, T4]) keineswegs aussichtslos im Sinn des Art 9.2.3 ARB 2016 war.

[25] „Offenbar aussichtslos“ ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann (insbesondere bei Unschlüssigkeit, aber auch bei unbehebbarem Beweisnotstand: RS0116448; RS0117144). In der Rechtsschutzversicherung gilt der Grundsatz, dass im Deckungsprozess Beweisaufnahmen und Feststellungen zu im Ausgangsverfahren relevanten Tatfragen zu unterbleiben haben und daher dem Versicherer eine vorweggenommene Beweiswürdigung verwehrt ist (vgl RS0124256).

[26] Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof schon ausgesprochen hat, dass eine klare Gesetzeslage oder bereits gelöste Rechtsfragen die Annahme rechtfertigen können, dass keine oder keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht (RS0124256 [T7]; 7 Ob 63/24a). Dies ist aber hier schon deshalb zu verneinen, weil der vormalige Rechtsvertreter des Klägers gegen die Deckungsablehnung des Feuerversicherers einwandte, dass die Abbruchklausel mangels vertraglicher Einbeziehung und wegen gröblicher Benachteiligung nicht Vertragsbestandteil geworden sei und diese Rechtsfragen einerseits von Feststellungen des Ausgangsverfahrens abhängen und andererseits durch die (einzige) von der Revisionswerberin zitierte Entscheidung 7 Ob 79/10h nicht geklärt wurden. Damit liegt auch der behauptete sekundäre Feststellungsmangel nicht vor.

[27] 5. Die Revision ist zusammengefasst im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

[28] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00015.25V.0422.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
LAAAG-03234