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VwGH 05.12.2024, Ro 2023/01/0008

VwGH 05.12.2024, Ro 2023/01/0008

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
MRK Art8
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
RS 1
Bei Transsexualität (gebräuchlich sind auch die Begriffe Transidentität, Gender -Dysphorie, Transgender, in jüngerer Zeit vielfach Gender-Inkongruenz) ist ein Mensch eindeutig genetisch und/oder anatomisch bzw. hormonell einem Geschlecht (männlich/weiblich) zugewiesen, fühlt sich in diesem Geschlecht aber falsch oder unzureichend beschrieben bzw. lehnt auch jede Form der Geschlechtszuordnung und Kategorisierung ab. Das psychische Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität stimmt also nicht mit dem biologischen Geschlecht überein bzw. möchte sich die Person gelegentlich überhaupt nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen.
Normen
MRK Art8
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
RS 2
Das PStG 2013 sagt nichts darüber aus, wann davon auszugehen ist, dass sich das Geschlecht einer Person geändert hat. Die österreichische Rechtsordnung und auch das soziale Leben gehen (nach wie vor) davon aus, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist. Welchem Geschlecht operierte Transsexuelle zuzuordnen sind, hat bisher - anders als etwa in Deutschland - keine gesetzliche Regelung gefunden. Auch ist eine ausdrückliche Regelung der Transsexualität bisher nicht erfolgt (vgl. so zum Ganzen , Rn. 12 f, mwN).
Normen
MRK Art8 Abs2
PStG 2013 §1
PStG 2013 §2
PStG 2013 §44
PStG 2013 §53
RS 3
An der Vollständigkeit und Richtigkeit der in den Personenstandsurkunden und im ZPR eingetragenen bzw. aufscheinenden Personenstandsfälle und -daten besteht ein erhebliches - auch im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK bedeutsames - öffentliches Interesse. In diesem Zusammenhang hat auch der EGMR insbesondere das Prinzip der Unverrückbarkeit des Personenstands und die Gewährleistung der Einheitlichkeit, Zuverlässigkeit und Beständigkeit von personenstandsrechtlichen Beurkundungen, noch mehr aber das Erfordernis der Rechtssicherheit, als maßgebliche öffentliche Interessen hervorgehoben (vgl. EGMR , Y/Frankreich, 76888/17, Z 78; vgl. weiters EGMR , A.H. ua./Deutschland, 7246/20, Z 122).
Normen
PStG 2013 §11 Abs1
PStG 2013 §2 Abs1
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
PStG 2013 §35 Abs1
PStG 2013 §40 Abs1
PStG 2013 §40 Abs2
PStG 2013 §44
VwRallg
RS 4
Nach dem klaren Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen des PStG 2013 ist die Personenstandsbehörde zur Eintragung der Personenstandsfälle sowie der diesen Personenstandsfällen zu Grunde liegenden Personenstandsdaten verpflichtet; die entsprechenden Eintragungen (im ZPR) sind zwingend vorgesehen (argum: "sind ... einzutragen"; "ist ... vorzunehmen" etc.; vgl. in diesem Sinn auch die Materialen zu § 35 PStG 2013, RV 1907 BlgNR 24. GP, 10: "Abs. 1 entspricht dem ... Grundsatz, dass jeder im Inland eingetretene Personenstandsfall einzutragen ist."). Die betreffenden Personenstandsfälle bzw. Personenstandsdaten - und somit auch das Geschlecht - haben daher im ZPR aufzuscheinen. Dieses Erfordernis ergibt sich im Übrigen auch aus dem in § 40 Abs. 1 PStG 2013 normierten Grundsatz der Vollständigkeit der einzutragenden Daten. Demnach ist auch das - im Zuge der Eintragung des Personenstandsfalls der Geburt einzutragende - Geschlecht einer Person im ZPR einzutragen und hat (in weiterer Folge) im ZPR aufzuscheinen.
Normen
PStG 2013 §11 Abs1
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
PStG 2013 §35 Abs1
PStG 2013 §40 Abs2
PStG 2013 §41 Abs1
RS 5
Eine (ersatzlose) Streichung des Eintrags des Geschlechts ist nach Maßgabe des PStG 2013 unzulässig, zumal mit der Streichung bewirkt würde, dass ab dem Zeitpunkt der Freischaltung im ZPR (§ 40 Abs. 2 PStG 2013), kein Geschlecht der betreffenden Person (mehr) eingetragen ist, was der Rechtslage nach dem PStG 2013 widerspricht. Vor diesem Hintergrund kann die in § 41 Abs. 1 leg. cit. vorgesehene "Änderung" des Eintrags nicht dahin verstanden werden, dass damit auch die Streichung des Geschlechts ermöglicht würde; vielmehr verpflichtet diese Bestimmung die Personenstandsbehörde dazu, das eingetragene Geschlecht einer Person auf Antrag durch einen anderen - nach Maßgabe der rechtlichen Voraussetzungen zulässigen - Geschlechtseintrag zu ersetzen.
Normen
MRK Art8 Abs1
PStG 2013 §11 Abs1
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
PStG 2013 §35 Abs1
PStG 2013 §40 Abs2
PStG 2013 §41 Abs1
PStG 2013 §44
PStG 2013 §53
VwRallg
RS 6
Die Möglichkeit einer Streichung des Geschlechtseintrags ist nicht im Wege einer verfassungskonformen Interpretation (des "Geschlechts"-Begriffs des § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013) mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des , geboten. Demnach darf der Gesetzgeber unbestritten auf das Geschlecht als maßgebliches Personenstandsdatum abstellen, ist diesfalls aber grundsätzlich gehalten, eine Eintragung vorzusehen. Konkret besteht nach dem PStG 2013 eine Verpflichtung zur Eintragung der allgemeinen Personenstandsdaten und somit auch des Geschlechts einer Person in das ZPR; diesbezüglich postuliert der VfGH auch eine "Verpflichtung zur Angabe des Geschlechts" sowohl bei der Eintragung der Personenstandsfälle in das ZPR als auch auf den einschlägigen Personenstandsurkunden. Diese Verpflichtung zur Eintragung schließt aber eine Streichung des Geschlechts bzw. das Unterlassen einer diesbezüglichen Eintragung aus.
Normen
MRK Art8 Abs2
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
PStG 2013 §35 Abs1
PStG 2013 §41 Abs1
PStG 2013 §44
VwRallg
RS 7
Der VfGH hat im Erkenntnis vom , G 77/2018, grundsätzlich zwischen Intersexualität und Transidentität unterschieden (vgl. dazu , Rn. 23). Lediglich für Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich, d.h. intersexuelle Personen, wird demnach eine Verpflichtung zu einem und eine starre Beschränkung auf einen binären Geschlechtseintrag nicht den Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerecht, weshalb § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 bei verfassungskonformer Interpretation dahin zu verstehen ist, dass für Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich auch andere Bezeichnungen (als "männlich" oder "weiblich"), wie insbesondere "divers", "inter" oder "offen", verwendet werden können, um das Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität dieser Menschen zum Ausdruck zu bringen (vgl. VfGH G 77/2018, Rn. 37). Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich sind daher personenstandsrechtlich, insbesondere bei Eintragungen im ZPR, nicht gezwungen, zur Bezeichnung des Geschlechts die Begriffe männlich oder weiblich zu verwenden. Gleichzeitig hat der VfGH aber ausgesprochen, dass § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 so zu verstehen ist, dass die Personenstandsbehörden zur Bezeichnung des Geschlechts als allgemeines Personenstandsdatum eine der genannten oder diesen vergleichbaren Bezeichnungen auf Antrag "einzutragen haben" (VfGH G 77/2018, Rn. 38); die Ausführungen des VfGH in Rn. 42 des erwähnten Erkenntnisses ändern nach Auffassung des VwGH daran nichts. Soweit in dem "Erlass - Durchführungsanleitung für die standesamtliche Arbeit" des BMI in diesem Zusammenhang - neben dem wahlweisen Geschlechtseintrag mit den Bezeichnungen "divers", "inter" oder "offen" - auch die Möglichkeit der Löschung eines erfolgten Geschlechtseintrags vorgesehen ist, entspricht diese (lediglich behördeninterne) Anordnung - abgesehen davon, dass damit offensichtlich nur die Fälle der Intersexualität ("Für Menschen die weder männlich noch weiblich sind, ...") angesprochen werden und im Kontext von Transsexualität daher von vornherein nicht von Bedeutung sind - demnach nicht der Rechtslage nach dem PStG 2013.
Normen
MRK Art8
PStG 2013 §11 Abs1
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
PStG 2013 §35 Abs1
PStG 2013 §40 Abs2
PStG 2013 §44
PStG 2013 §53
PStG 2013 §54
RS 8
Nach dem PStG 2013 besteht eine (verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenkliche) Verpflichtung zum Eintrag des Geschlechts im ZPR (sowie auf der Geburtsurkunde).
Normen
MRK Art8
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
PStG 2013 §35 Abs1
RS 9
Die Ausführungen des VfGH im Erkenntnis vom , G 77/2018, zu den Erfordernissen eines von den Kategorien "männlich" und "weiblich" abweichenden Geschlechtseintrags beziehen sich lediglich auf intersexuelle Personen, d.h. auf Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich, die sich keinem der konventionellen Geschlechter zugehörig fühlen. Auf die Gruppe der transsexuellen (transidenten) Menschen stellt die Entscheidung nicht ab.
Normen
MRK Art8
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
RS 10
Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte gehen sowohl die österreichische Rechtsordnung als auch das soziale Leben (nach wie vor) von dem Prinzip aus, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist (vgl. ; ; ; , 2008/06/0032; vgl. im Übrigen zum erweiterten Ermessensspielraum der Konventionsstaaten bei der Regelung dieser Frage EGMR Y/Frankreich, 76888/17, Z 80). Dieses Prinzip gilt unbeschadet des Umstandes, dass es eine "geringe Zahl" von Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich (intersexuelle Personen) gibt (vgl. zur besonderen Schutzbedürftigkeit dieser Gruppe VfGH G 77/2018, Rn. 20).
Normen
MRK Art8
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
PStG 2013 §35 Abs1
RS 11
Für die Eintragung des Geschlechts kommt es grundsätzlich auf das biologische, körperliche Geschlecht an. Eine andere Auslegung ist dem VwGH mangels ausdrücklicher Regelung durch den Gesetzgeber verwehrt (vgl. zur äußersten Zurückhaltung bei korrigierenden Auslegungsmethoden etwa , Rn. 13, mwN; vgl. demgegenüber noch die - auf die psychische Komponente des Geschlechtszugehörigkeitsempfindens abstellende - Judikatur zur alten Rechtslage nach dem PStG, etwa ; , 2009/17/0263).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofräte Dr. Fasching, Mag. Brandl, Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des Bürgermeisters der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-101/V/020/14327/2022-13, betreffend eine Angelegenheit nach dem Personenstandsgesetz 2013 (mitbeteiligte Partei: A B in W, vertreten durch Dr. Helmut Graupner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 22-24/4/9), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Eingabe vom beantragte die mitbeteiligte Partei „nach § 41 Personenstandsgesetz die Streichung des Geschlechtseintrag[s] im Geburtenbuch“.

2 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Wien (im Folgenden: Amtsrevisionswerber) vom wurde dieser Antrag abgewiesen.

3 Begründend führte der Amtsrevisionswerber aus, am sei die Beurkundung der Geburt der mitbeteiligten Partei mit dem Geschlechtseintrag „männlich“ im damaligen Geburtenbuch erfolgt. Nach dem Personenstandsgesetz 2013 (PStG 2013) seien mit sämtliche Personenstandsbücher durch das elektronisch geführte Zentrale Personenstandsregister (ZPR) ersetzt worden. Die Geburtsbeurkundung der mitbeteiligten Partei sei im ZPR nacherfasst worden. Der Antrag der mitbeteiligten Partei sei daher als Antrag auf Streichung ihres Geschlechtseintrags im nunmehr elektronisch geführten ZPR zu interpretieren.

Bestehende Eintragungen könnten auf Antrag gemäß § 41 PStG 2013 nur abgeändert oder gemäß § 42 leg. cit. berichtigt werden. Der Gesetzgeber habe u.a. auch das Geschlecht als Ordnungsmerkmal bestimmt; das PStG 2013 sehe eine Angabe sowie Eintragung des Geschlechts verpflichtend vor.

4 Dagegen erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Beschwerde Folge und sprach aus, dass der Eintrag des Geschlechts zu streichen sei. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.

6 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die mitbeteiligte Partei sei „biologisch gesehen dem männlichen Geschlecht zugehörig“; sie besitze aber eine „nicht binäre Geschlechtsidentität“ und identifiziere sich weder als männlich noch als weiblich „und auch mit keiner anderen bestimmten Geschlechtsbezeichnung.“

7 Die mitbeteiligte Partei habe seit früher Kindheit Unbehagen „mit wachsendem Leidensdruck“ im eigenen biologischen (männlichen) Geschlecht empfunden. Der Wunsch, keinem der binären Geschlechter männlich/weiblich zugeordnet zu werden, habe sich in der Pubertät verstärkt. Die mitbeteiligte Partei habe sich in psychotherapeutische Behandlung begeben, deren Fokus auf der weiteren Stärkung der nichtbinären Transidentität in der Öffentlichkeit und auf weiterer Unterstützung bei der Entfaltung der nicht-binären Identität im Kontakt mit anderen Menschen liege.

8 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht - nach Wiedergabe der bezughabenden Bestimmungen des PStG 2013 sowie des Art. 8 und 14 EMRK - aus, im Erlass „Durchführungsanleitung für die standesamtliche Arbeit“ des Bundesministers für Inneres (BMI) in der Fassung vom werde - unter Hinweis auf näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes - zur Transsexualität ausgeführt, dass für die Änderung der Eintragung des Geschlechts im Geburtenbuch kein operativer Eingriff, wie die Entfernung der primären Geschlechtsmerkmale erforderlich sei. Maßgeblich sei vielmehr ein aller Voraussicht nach irreversibles Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht und eine deutliche Annäherung an das äußere Erscheinungsbild des anderen Geschlechts, was in aller Regel nur durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ausreichend geklärt werden könne. Unter den angeführten Voraussetzungen sei daher eine Eintragung der Geschlechtsänderung durchzuführen.

9 Bei Transidentität sei ein Mensch eindeutig genetisch und/oder anatomisch bzw. hormonell einem Geschlecht zugewiesen, fühle sich in diesem Geschlecht aber falsch oder unzureichend beschrieben bzw. lehne auch jede Form der Geschlechtszuordnung und Kategorisierung ab.

10 Die innerlich gefühlte Geschlechtsidentität eines Menschen („Psychisches Geschlecht“) müsse nicht seinem biologischen Geschlecht entsprechen und werde auf der Basis seines eigenen psychischen Empfindens festgelegt.

11 Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom , G 77/2018, sei zum Schutz der Geschlechtsidentität bei der Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister auch eine Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich zu beachten. Im obgenannten Erlass des BMI hätten die Begriffe „divers“, „inter“ oder „offen“ Eingang gefunden und sei auch eine Streichung des Eintrags unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen. Die österreichische Rechtslage basiere demnach nicht mehr alleine auf dem Grundsatz der Geschlechterbinärität; für die Variante der Intersexualiät der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich seien nicht nur durch den VfGH, sondern auch durch den zuständigen BMI verschiedene weitere Eintragungen und auch die vollkommene Streichung des Eintrags vorgesehen.

12 Im vorliegenden Fall habe die mitbeteiligte Partei keinen Fall von Intersexualität, sondern Transidentität vorgebracht. Nach dem erwähnten Erkenntnis des VfGH sei - nach Maßgabe der Anforderungen des Art. 8 EMRK - die Wahrung der individuellen Geschlechtsidentität zu beachten und sicherzustellen. Nach der Definition der beim Bundeskanzleramt eingerichteten Bioethikkommission, auf deren Stellungnahme auch der VfGH mehrfach verweise, sei unter Geschlechtsidentität das innere Gefühl eines Menschen zu verstehen, das nicht seinem biologischen Geschlecht entsprechen müsse und auf der Basis seines eigenen psychischen Empfindens festgelegt werde. Ausgehend davon könne der vom VfGH in verfassungskonformer Auslegung des § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 geforderte Schutz der „Geschlechtsidentität“ nicht auf den Bereich der Intersexualität beschränkt werden, zumal der VfGH die Anwendung seiner Auslegung auf Fälle der Transidentität nicht nur nicht ausdrücklich ausgeschlossen, sondern durch die Verwendung der Begriffe „Geschlechtsidentität“ und „Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich“ (von der sowohl Intersexualität als auch Transidentität umfasst seien) klargestellt habe.

13 Öffentliche Interessen, die - im Gegensatz zur Intersexualität - gegen eine Berücksichtigung der Transidentität bei der verfassungskonformen Auslegung des § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 sprächen (wie etwa eine ausschließlich auf Geschlechterbinärität basierende Rechtslage), seien nicht hervorgekommen.

14 Schließlich würden die Ausführungen des EGMR in seinen Urteilen vom , Van Kück/Deutschland, und vom , A.P, Garçon und Nicot/Frankreich, darauf hinweisen, dass eine Ungleichbehandlung von Menschen mit einer Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich (hier: Fälle der Intersexualität einerseits sowie der Transsexualität andererseits) unter dem Blickwinkel einer möglichen Verletzung von Art. 14 EMRK betrachtet werden müsse.

15 Ausgehend von der Rechtsprechung des VfGH sowie der dort zitierten Rechtsprechung des EGMR stelle im Lichte des Art. 8 EMRK somit auch Transidentität eine im Rahmen eines verfassungskonformen Vollzuges des PStG 2013 zu beachtende Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich dar. Auch bei der Prüfung eines Antrags auf Streichung der Eintragung des Geschlechts im ZPR sei daher die Wahrung der individuellen Geschlechtsidentität in Fällen von Transidentität sicherzustellen.

16 Dem Antrag der mitbeteiligten Partei, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühle, sei daher stattzugeben und auszusprechen gewesen, dass der Eintrag des Geschlechts antragsgemäß (somit im ZPR) zu streichen sei.

17 Zur Zulässigkeit der Revision führte das Verwaltungsgericht begründend aus, dass von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () abgewichen werde und dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, „ob in den Fragen einer Streichung des Geschlechtseintrages im Personenstandsregister ein Antragsverfahren, bei dem allein der Antrag maßgebend ist, vorliegt“.

18 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision. In dem vom Verwaltungsgericht durchgeführten Vorverfahren erstattete die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

19 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

20 Die maßgeblichen Bestimmungen des Personenstandsgesetzes 2013, BGBl. I Nr. 16 idF BGBl. I Nr. 104/2018 (PStG 2013), lauten auszugsweise:

1. HAUPTSTÜCK
ALLGEMEINER TEIL

1. Abschnitt
Allgemeines

Personenstand und Personenstandsfall

§ 1. (1) Personenstand im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung einschließlich ihres Namens.

(2) Personenstandsfälle sind Geburt, Eheschließung, Begründung einer eingetragenen Partnerschaft und Tod.

Personenstandsdaten

§ 2. (1) Personenstandsdaten einer Person sind:

1. allgemeine Personenstandsdaten (Daten zum Personenkern);

...

(2) Allgemeine Personenstandsdaten sind:

...

3. Geschlecht;

...

2. HAUPTSTÜCK

PERSONENSTANDSFALL

1. Abschnitt

Geburt

Anzeige der Geburt

§ 9. (1) Die Anzeige der Geburt hat spätestens eine Woche nach der Geburt im Datenfernverkehr durch Übermittlung an ein vom Auftragsverarbeiter des ZPR bezeichnetes Service (Arbeitsspeicher) zu erfolgen.

...

Eintragung der Geburt

§ 10. (1) Die Eintragung erfolgt bei der Personenstandsbehörde am Ort der Geburt.

...

Inhalt der Eintragung - Geburt

§ 11. (1) Über die allgemeinen und besonderen Personenstandsdaten des Kindes hinaus sind einzutragen:

...

3. HAUPTSTÜCK

EINTRAGUNG DES PERSONENSTANDSFALLES UND PERSONENSTANDSREGISTER

1. Abschnitt

Eintragung des Personenstandsfalles

Pflicht zur Eintragung

§ 35. (1) Jeder im Inland eingetretene Personenstandsfall sowie Änderungen, Ergänzungen und Berichtigungen des Personenstandes sind einzutragen.

...

Grundlage der Eintragung

§ 36. (1) Eintragungen sind auf Grund von Anzeigen, Anträgen, Erklärungen, Mitteilungen und von Amts wegen vorzunehmen. Diese Dokumente sind bei jener Behörde aufzubewahren, die die Amtshandlung führt.

(2) Vor der Eintragung ist der maßgebliche Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Ist dies im Wege des ZPR nicht möglich, sind hiezu Personenstandsurkunden und andere geeignete Urkunden heranzuziehen. Eintragungen, die nicht auf Grundlage geeigneter Urkunden erfolgen, sind entsprechend zu kennzeichnen.

...

Abschluss der Eintragung

§ 40. (1) Die Eintragung ist ohne unnötigen Aufschub vorzunehmen. Ist eine vollständige Eintragung innerhalb angemessener Frist nicht möglich, ist sie unvollständig durchzuführen.

(2) Die Eintragung ist durch die Freigabe im ZPR abzuschließen.

(3) Die Eintragung zu den allgemeinen und besonderen Personenstandsdaten begründet vollen Beweis im Sinne des § 292 Abs. 1 ZPO, soweit es sich nicht um die Staatsangehörigkeit handelt.

...

§ 41

Änderung und Ergänzung

§ 41. (1) Die Personenstandsbehörde hat eine Eintragung zu ändern, wenn sie nach der Eintragung unrichtig geworden ist.

(2) Die Personenstandsbehörde hat eine unvollständige Eintragung zu ergänzen, sobald der vollständige Sachverhalt ermittelt worden ist.

...

Zentrales Personenstandsregister (ZPR)

§ 44. (1) Die Personenstandsbehörden sind als gemeinsam Verantwortliche gemäß Art. 4 Z 7 in Verbindung mit Art. 26 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. Nr. L 119 vom S. 1, (im Folgenden: DSGVO) ermächtigt, allgemeine und besondere Personenstandsdaten für die Wahrnehmung der ihnen nach diesem Bundesgesetz übertragenen Aufgaben gemeinsam in der Art zu verarbeiten, dass jeder Verantwortliche auch auf jene Daten in der Datenverarbeitung Zugriff hat, die dieser von den anderen Verantwortlichen zur Verfügung gestellt wurden (Zentrales Personenstandsregister - ZPR).

...

Lokales Personenstandsregister (LPR)

§ 45. (1) Personenstandsbehörden dürfen Personenstandsdaten zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben in einem lokalen Personenstandsregister, das im Rahmen des ZPR geführt wird, verarbeiten.

...

ZPR Abfrage

§ 47. (1) Der Personenkern (§ 2 Abs. 2) sowie Vornamen der Eltern und frühere Namen stehen, soweit dies zur Besorgung einer ihr gesetzlich übertragenen Aufgabe erforderlich ist, jeder Behörde im Wege des Datenfernverkehrs zur Verfügung, wenn sie die betroffene Person nach dem Namen und allenfalls einem weiteren Merkmal bestimmen kann. Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden, sowie die Sozialversicherungsträger und die gesetzlichen Interessensvertretungen haben in einem Verfahren die entsprechenden Daten des Personenkerns unter Berücksichtigung des Abs. 3 zu verarbeiten. Der Personenkern (Paragraph 2, Absatz 2,) sowie Vornamen der Eltern und frühere Namen stehen, soweit dies zur Besorgung einer ihr gesetzlich übertragenen Aufgabe erforderlich ist, jeder Behörde im Wege des Datenfernverkehrs zur Verfügung, wenn sie die betroffene Person nach dem Namen und allenfalls einem weiteren Merkmal bestimmen kann. Einrichtungen des Bundes, der Länder und der Gemeinden, sowie die Sozialversicherungsträger und die gesetzlichen Interessensvertretungen haben in einem Verfahren die entsprechenden Daten des Personenkerns unter Berücksichtigung des Absatz 3, zu verarbeiten.

(2) ...

(3) Treten bei einer Abfrage Zweifel an der Richtigkeit der im ZPR verarbeiteten Daten auf, ist jeder gemäß Abs. 1 und 2 Abfrageberechtigte verpflichtet, die Personenstandsbehörde unverzüglich im Wege des ZPR darüber in Kenntnis zu setzen.

...

Personenstandsurkunde

§ 53. (1) Personenstandsurkunden sind Registerauszüge aus dem ZPR. Soweit kein schutzwürdiges Interesse entgegensteht und in den nachfolgenden Bestimmungen nichts anderes bestimmt ist, geben diese den wesentlichen aktuellen Inhalt der Eintragung wieder. Auf Antrag können Personenstandsurkunden mit den Daten zu einem bestimmten Zeitpunkt erstellt und gefertigt werden. Dieser Zeitpunkt ist auf der Urkunde ersichtlich zu machen.

(2) ...

(3) Die Personenstandsbehörden haben auszustellen:

1. Geburtsurkunden;

...

Geburtsurkunde

§ 54. (1) Die Geburtsurkunde hat zu enthalten:

1. ...

2. das Geschlecht des Kindes;

...

Aufbewahrung der Bücher

§ 60. (1) ...

(2) Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes dürfen keine Eintragungen in die Personenstandsbücher vorgenommen werden.

...“

Verfahrensgegenstand

21 Zunächst ist hinsichtlich der Ausführungen zur Zulässigkeitsbegründung im angefochtenen Erkenntnis festzuhalten, dass es bei der Auslegung von Parteianbringen auf das aus diesen erkenn- und erschließbare Ziel des Einschreiters ankommt; Parteierklärungen und damit auch Anbringen sind ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Dem Geist des AVG ist ein übertriebener Formalismus fremd, weswegen auch bei der Auslegung von Parteianbringen im Sinne des § 13 AVG kein streng formalistischer Maßstab anzulegen ist.

Dabei kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Im Zweifel muss davon ausgegangen werden, dass eine Partei nicht einen von vornherein sinnlosen Antrag stellt (vgl. zum Ganzen etwa ; , Ra 2024/07/0053, jeweils mwN).

22 Davon ausgehend begegnet es fallbezogen keinen Bedenken, dass der auf Streichung des Geschlechts „im Geburtenbuch“, gerichtete Antrag der mitbeteiligten Partei sowohl vom Amtsrevisionswerber als auch vom Verwaltungsgericht als Antrag auf Streichung des Geschlechts im ZPR verstanden und behandelt wurde, zumal die im vormaligen Personenstandsgesetz 1983 (PStG) geregelte Führung (u.a.) eines Geburtenbuches, in dem auch das Geschlecht des Kindes einzutragen war (vgl. § 3 iVm § 19 Z 3 leg. cit.) im PStG 2013 nicht mehr vorgesehen, sondern das Geschlecht der mitbeteiligten Partei nunmehr im ZPR eingetragen ist (vgl. auch § 60 Abs. 2 PStG 2013, wonach keine Eintragungen in die Personenstandsbücher mehr vorgenommen werden dürfen).

23 Vor dem Hintergrund, dass die mitbeteiligte Partei ihren Antrag ausdrücklich auf § 41 PStG 2013 stützte, ist dieser Antrag daher dahin zu verstehen, dass eine „Änderung“ des Geschlechtseintrags in der Weise begehrt wurde, dass der Geschlechtseintrag im ZPR (vollständig) gestrichen wird.

24 Durch dieses Begehren war der Gegenstand des verwaltungsbehördlichen Verfahrens wie auch des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht bestimmt. Vom Verwaltungsgericht war im Beschwerdeverfahren demnach über die Frage abzusprechen, ob die Streichung des Geschlechtseintrags („männlich“) der mitbeteiligten Partei einen - rechtlich zulässigen - Fall der „Änderung“ im Sinne des § 41 Abs. 1 PStG 2013 darstellt. Das Verwaltungsgericht hat diese Frage im Ergebnis bejaht und demgemäß die Streichung des Geschlechtseintrags verfügt.

Transsexualität/-identität

25 Im Revisionsfall geht es um die Frage, ob die mitbeteiligte Partei - im Hinblick auf ihre festgestellte Transsexualität - ein Recht auf (ersatzlose) Streichung ihres Geschlechtseintrags im ZPR hat.

26 Bei Transsexualität (gebräuchlich sind auch die Begriffe Transidentität, Gender -Dysphorie, Transgender, in jüngerer Zeit vielfach Gender-Inkongruenz) ist ein Mensch eindeutig genetisch und/oder anatomisch bzw. hormonell einem Geschlecht (männlich/weiblich) zugewiesen, fühlt sich in diesem Geschlecht aber falsch oder unzureichend beschrieben bzw. lehnt auch jede Form der Geschlechtszuordnung und Kategorisierung ab. Das psychische Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität stimmt also nicht mit dem biologischen Geschlecht überein bzw. möchte sich die Person gelegentlich überhaupt nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen.

Auch das PStG 2013 sagt nichts darüber aus, wann davon auszugehen ist, dass sich das Geschlecht einer Person geändert hat. Die österreichische Rechtsordnung und auch das soziale Leben gehen (nach wie vor) davon aus, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist. Welchem Geschlecht operierte Transsexuelle zuzuordnen sind, hat bisher - anders als etwa in Deutschland - keine gesetzliche Regelung gefunden. Auch ist eine ausdrückliche Regelung der Transsexualität bisher nicht erfolgt (vgl. so zum Ganzen , Rn. 12 f, mwN).

Verpflichtung zur Eintragung des Geschlechts

27 An der Vollständigkeit und Richtigkeit der in den Personenstandsurkunden und im ZPR eingetragenen bzw. aufscheinenden Personenstandsfälle und -daten besteht ein erhebliches - auch im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK bedeutsames - öffentliches Interesse. In diesem Zusammenhang hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) insbesondere das Prinzip der Unverrückbarkeit des Personenstands und die Gewährleistung der Einheitlichkeit, Zuverlässigkeit und Beständigkeit von personenstandsrechtlichen Beurkundungen, noch mehr aber das Erfordernis der Rechtssicherheit, als maßgebliche öffentliche Interessen hervorgehoben (vgl. EGMR , Y/Frankreich, 76888/17, Z 78; vgl. weiters EGMR , A.H. ua./Deutschland, 7246/20, Z 122).

28 Das Geschlecht einer Person gehört gemäß § 2 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 3 PStG 2013 zu den allgemeinen Personenstandsdaten (Daten zum Personenkern), die gemäß § 11 Abs. 1 leg. cit. von der Personenstandsbehörde einzutragen sind. Die Eintragung des Geschlechts in das ZPR erfolgt im Zuge der Eintragung der Geburt.

29 Gemäß § 35 Abs. 1 PStG 2013 hat die Personenstandsbehörde die Pflicht, jeden im Inland eingetretenen Personenstandsfall sowie Änderungen, Ergänzungen und Berichtigungen des Personenstandes einzutragen, wobei die Eintragung ohne unnötigen Aufschub und in der Regel vollständig durchzuführen und durch Freischaltung im ZPR abzuschließen ist (§ 40 Abs. 1 und 2 PStG 2013). Gemäß § 41 Abs. 1 PStG 2013 hat die Personenstandsbehörde eine Eintragung zu ändern, wenn sie nach der Eintragung unrichtig geworden ist.

30 Nach dem klaren Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen des PStG 2013 ist die Personenstandsbehörde zur Eintragung der Personenstandsfälle sowie der diesen Personenstandsfällen zu Grunde liegenden Personenstandsdaten verpflichtet; die entsprechenden Eintragungen (im ZPR) sind zwingend vorgesehen (argum: „sind ... einzutragen“; „ist ... vorzunehmen“ etc.; vgl. in diesem Sinn auch die Materialen zu § 35 PStG 2013, RV 1907 BlgNR 24. GP, 10: „Abs. 1 entspricht dem ... Grundsatz, dass jeder im Inland eingetretene Personenstandsfall einzutragen ist.“).

31 Die betreffenden Personenstandsfälle bzw. Personenstandsdaten - und somit auch das Geschlecht - haben daher im ZPR aufzuscheinen. Dieses Erfordernis ergibt sich im Übrigen auch aus dem in § 40 Abs. 1 PStG 2013 normierten Grundsatz der Vollständigkeit der einzutragenden Daten.

32 Demnach ist auch das - im Zuge der Eintragung des Personenstandsfalls der Geburt einzutragende - Geschlecht einer Person im ZPR einzutragen und hat (in weiterer Folge) im ZPR aufzuscheinen.

33 Eine (ersatzlose) Streichung des Eintrags des Geschlechts ist daher nach Maßgabe des PStG 2013 unzulässig, zumal mit der Streichung bewirkt würde, dass ab dem Zeitpunkt der Freischaltung im ZPR (§ 40 Abs. 2 PStG 2013), kein Geschlecht der betreffenden Person (mehr) eingetragen ist, was der dargelegten Rechtslage nach dem PStG 2013 widerspricht.

34 Vor diesem Hintergrund kann die in § 41 Abs. 1 leg. cit. vorgesehene „Änderung“ des Eintrags nicht dahin verstanden werden, dass damit auch die Streichung des Geschlechts ermöglicht würde; vielmehr verpflichtet diese Bestimmung die Personenstandsbehörde dazu, das eingetragene Geschlecht einer Person auf Antrag durch einen anderen - nach Maßgabe der rechtlichen Voraussetzungen zulässigen - Geschlechtseintrag zu ersetzen.

Erkenntnis des = VfSlg. 20.258

35 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Möglichkeit einer Streichung des Geschlechtseintrags auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Interpretation (des „Geschlechts“-Begriffs des § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013) mit Blick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK vor dem Hintergrund des erwähnten Erkenntnisses des , geboten.

Dies aus nachstehenden Erwägungen:

36 Der VfGH hat in dieser Entscheidung u.a. Folgendes ausgeführt (Unterstreichungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

„ [...]

10 § 35 PStG 2013 verpflichtet zur Eintragung von im Inland - sowie unter bestimmten Voraussetzungen auch im Ausland - eingetretenen Personenstandsfällen in das ZPR. Den Inhalt dieser Eintragung geben die §§ 11, 20, 27, 30 und 32 PStG 2013 je Personenstandsfall eigens vor, wobei jeweils die allgemeinen Personenstandsdaten - und damit unter anderem das Geschlecht - einzutragen sind.

[...]

12 Das PStG 2013 sieht in den §§ 53 ff. weiters die Ausstellung von Personenstandsurkunden vor. Personenstandsurkunden sind Auszüge aus dem ZPR, die, soweit kein schutzwürdiges Interesse entgegensteht und nichts anderes bestimmt ist, den wesentlichen aktuellen Inhalt der Eintragung im ZPR wiedergeben (§ 53 Abs. 1 PStG 2013). In der Fassung BGBl. I 120/2016 (Deregulierungs- und Anpassungsgesetz 2016 - Inneres) ermöglicht § 53 Abs. 1 PStG 2013 zudem auf Antrag die Ausstellung von Personenstandsurkunden mit den Daten zu einem bestimmten Zeitpunkt, der auf der Urkunde ersichtlich zu machen ist. Die Geburtsurkunde etwa hat unter anderem das Geschlecht des Kindes zu enthalten (vgl. § 54 Abs. 1 Z 2 PStG 2013).

13 2.2. Das PStG 2013 verpflichtet also zur Angabe des Geschlechts sowohl bei der Eintragung der Personenstandsfälle in das ZPR als auch auf Personenstandsurkunden. Dabei konkretisiert das PStG 2013 - anders als etwa das Personenstandsdatum des Namens (vgl. § 38 PStG 2013) - das Personenstandsdatum ‚Geschlecht‘ nicht näher, insbesondere nennt das PStG 2013 keine Geschlechtskategorien für die Angabe des Geschlechts im ZPR und in Personenstandsurkunden. Daran ändert auch § 77 PStG 2013 nichts, der zwar (nur) von Frauen und Männern spricht, dessen Stoßrichtung jedoch die sprachliche Gleichbehandlung und nicht eine Kategorisierung bzw. begriffliche Festlegung des Personenstandsdatums ‚Geschlecht‘ ist.

14 Das Regelungssystem des PStG 2013 ist in Bezug auf das allgemeine Personenstandsdatum des Geschlechts aber auch vor dem Hintergrund der in der Rechtsordnung, sofern eine solche erfolgt, wohl vorherrschenden Kategorisierung des ‚Geschlechts‘ in ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ und einer sozialen Realität zu sehen, die Menschen (unter anderem) auch wesentlich mit ihrem Geschlecht wahrnimmt und dabei (immer noch) überwiegend von einer binären Einteilung in Menschen männlichen oder weiblichen Geschlechts ausgehen dürfte. So hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 18.929/2009 festgehalten, dass sowohl die österreichische Rechtsordnung als auch das soziale Leben davon ausgehen, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist; diese Einschätzung der sozialen Realität mag heute relativiert sein, grundsätzlich verändert hat sie sich nicht.

[...]

23 Stellt der Gesetzgeber - wie mit der in Prüfung stehenden Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 - für personenstandsrechtliche Zwecke in einem öffentlichen Register auf das Geschlecht als Personenstandsdatum ab, ist er durch Art. 8 EMRK grundsätzlich gehalten, eine Eintragung vorzusehen, die die jeweilige individuelle Geschlechtsidentität zu reflektieren vermag ...

[...]

32 Nun bestehen an einer Rechtssicherheit generierenden Stabilität, Konsistenz und Verlässlichkeit staatlicher Personenstandsregister öffentliche Ordnungsinteressen genauso wie an der Identifikations- und Zuordnungsfunktion des Geschlechts in seiner Eigenschaft als Personenstandsdatum (vgl. EGMR, Fall A.P., Garçon und Nicot, Z 132). Unbestritten darf der Gesetzgeber daher auf das Geschlecht grundsätzlich als für den Personenstand relevantes Datum abstellen.

33 Er darf dies insbesondere auch dahingehend, dass die zur Geschlechtsangabe zur Verfügung stehenden Bezeichnungen und Kategorien einen realen Bezugspunkt im sozialen Leben haben müssen und nicht frei erfunden sein dürfen (in diesem Sinn zu Familiennamen VfSlg. 20.100/2016). § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 dient also einem der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten legitimen Ziele, insbesondere dem der öffentlichen Ordnung.

[...]“

37 Demnach darf der Gesetzgeber unbestritten auf das Geschlecht als maßgebliches Personenstandsdatum abstellen, ist diesfalls aber grundsätzlich gehalten, eine Eintragung vorzusehen. Konkret besteht nach dem PStG 2013 eine Verpflichtung zur Eintragung der allgemeinen Personenstandsdaten und somit auch des Geschlechts einer Person in das ZPR; diesbezüglich postuliert der VfGH auch eine „Verpflichtung zur Angabe des Geschlechts“ sowohl bei der Eintragung der Personenstandsfälle in das ZPR als auch auf den einschlägigen Personenstandsurkunden.

38 Diese Verpflichtung zur Eintragung schließt aber eine Streichung des Geschlechts bzw. das Unterlassen einer diesbezüglichen Eintragung aus.

39 Im Übrigen hat der VfGH grundsätzlich zwischen Intersexualität und Transidentität unterschieden (vgl. dazu , Rn. 23) und beziehen sich die (weiteren) Ausführungen im erwähnten Erkenntnis auf Fragen des Geschlechtseintrags von „Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich“, dh. intersexuellen Personen (vgl. insbesondere VfGH G 77/2018, Rn. 15: „... bei der [im Folgenden relevanten] Fallkonstellation der Intersexualität ...“; vgl. in diesem Sinn auch ).

40 Lediglich für diese Menschen (mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich) wird demnach eine Verpflichtung zu einem und eine starre Beschränkung auf einen binären Geschlechtseintrag nicht den Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerecht, weshalb § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 bei verfassungskonformer Interpretation dahin zu verstehen ist, dass für Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich auch andere Bezeichnungen (als „männlich“ oder „weiblich“), wie insbesondere „divers“, „inter“ oder „offen“, verwendet werden können, um das Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität dieser Menschen zum Ausdruck zu bringen (vgl. VfGH G 77/2018, Rn. 37)

41 Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich sind daher personenstandsrechtlich, insbesondere bei Eintragungen im ZPR, nicht gezwungen, zur Bezeichnung des Geschlechts die Begriffe männlich oder weiblich zu verwenden. Gleichzeitig hat der VfGH aber ausgesprochen, dass § 2 Abs. 2 Z 3 PStG 2013 so zu verstehen ist, dass die Personenstandsbehörden zur Bezeichnung des Geschlechts als allgemeines Personenstandsdatum eine der genannten oder diesen vergleichbaren Bezeichnungen auf Antrag „einzutragen haben“ (VfGH G 77/2018, Rn. 38); die Ausführungen des VfGH in Rn. 42 des erwähnten Erkenntnisses ändern nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes daran nichts.

42 Soweit in dem vom Verwaltungsgericht erwähnten „Erlass - Durchführungsanleitung für die standesamtliche Arbeit“ des BMI in diesem Zusammenhang - neben dem wahlweisen Geschlechtseintrag mit den Bezeichnungen „divers“, „inter“ oder „offen“ - auch die Möglichkeit der Löschung eines erfolgten Geschlechtseintrags vorgesehen ist, entspricht diese (lediglich behördeninterne) Anordnung - abgesehen davon, dass damit offensichtlich nur die Fälle der Intersexualität („Für Menschen die weder männlich noch weiblich sind, ...“) angesprochen werden und im vorliegenden Kontext daher von vornherein nicht von Bedeutung sind - demnach nicht der dargestellten Rechtslage nach dem PStG 2013.

Anwendung auf den Revisionsfall

43 Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich für den vorliegenden Revisionsfall zum einen, dass - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nach dem PStG 2013 eine (verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenkliche) Verpflichtung zum Eintrag des Geschlechts im ZPR (sowie auf der Geburtsurkunde) besteht.

44 Zum anderen ist darauf zu verweisen, dass sich die Ausführungen des VfGH zu den Erfordernissen eines von den Kategorien „männlich“ und „weiblich“ abweichenden Geschlechtseintrags lediglich auf intersexuelle Personen beziehen, d.h. auf Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich, die sich keinem der konventionellen Geschlechter zugehörig fühlen. Auf die Gruppe der transsexuellen (transidenten) Menschen stellt die Entscheidung nicht ab.

45 Der Amtsrevisionswerber hat daher hat im Bescheid vom den Antrag auf Änderung in Form einer Streichung des Geschlechtseintrags der mitbeteiligten Partei im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

46 Nach der dargestellten Rechtslage wäre die dagegen gerichtete Beschwerde vom Verwaltungsgericht abzuweisen gewesen.

47 Abschließend sei dazu angemerkt:

48 Soweit die Abweisung des Antrags auf Streichung des Geschlechtseintrags zur Folge hat, dass der ursprüngliche Geschlechtseintrag („männlich“) und sohin das biologische Geschlecht der mitbeteiligten Partei im ZPR (weiter) aufscheint, bestehen dagegen keine Bedenken.

49 Nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte gehen nämlich - wie erwähnt - sowohl die österreichische Rechtsordnung als auch das soziale Leben (nach wie vor) von dem Prinzip aus, dass jeder Mensch entweder weiblich oder männlich ist (vgl. neben der erwähnten Judikatur des VfGH und OGH etwa bereits ; , 2008/06/0032; vgl. im Übrigen zum erweiterten Ermessensspielraum der Konventionsstaaten bei der Regelung dieser Frage abermals EGMR Y/Frankreich, 76888/17, Z 80); dieses Prinzip gilt - wie im Hinblick auf die erwähnte Rechtsprechung des VfGH nunmehr zu ergänzen ist - unbeschadet des Umstandes, dass es eine „geringe Zahl“ von Menschen mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung gegenüber männlich oder weiblich (intersexuelle Personen) gibt (vgl. zur besonderen Schutzbedürftigkeit dieser Gruppe VfGH G 77/2018, Rn. 20).

50 Der Verwaltungsgerichtshof hat im erwähnten - bereits zum PStG 2013 ergangen - Beschluss Ro 2018/01/0015 (Rn. 25) unter Hinweis auf die erwähnte Rechtsprechung des VfGH bereits klargestellt, dass es für die Eintragung des Geschlechts grundsätzlich auf das biologische, körperliche Geschlecht ankommt. Eine andere Auslegung ist dem Verwaltungsgerichtshof mangels ausdrücklicher Regelung durch den Gesetzgeber (vgl. oben Rn. 26) verwehrt (vgl. zur äußersten Zurückhaltung bei korrigierenden Auslegungsmethoden etwa , Rn. 13, mwN; vgl. demgegenüber noch die - auf die psychische Komponente des Geschlechtszugehörigkeitsempfindens abstellende - Judikatur zur alten Rechtslage nach dem PStG, etwa ; , 2009/17/0263). Dies ist im Fall der mitbeteiligten Partei das männliche Geschlecht.

Ergebnis

51 Das Verwaltungsgericht hat aus den dargelegten Gründen das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sodass es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
MRK Art8
MRK Art8 Abs1
MRK Art8 Abs2
PStG 2013 §1
PStG 2013 §11 Abs1
PStG 2013 §2
PStG 2013 §2 Abs1
PStG 2013 §2 Abs2 Z3
PStG 2013 §35 Abs1
PStG 2013 §40 Abs1
PStG 2013 §40 Abs2
PStG 2013 §41 Abs1
PStG 2013 §44
PStG 2013 §53
PStG 2013 §54
VwRallg
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Verwaltungsrecht allgemein Rechtsquellen VwRallg1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2024:RO2023010008.J00
Datenquelle

Fundstelle(n):
QAAAF-96872