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OGH 12.06.2025, 15Os39/24k

OGH 12.06.2025, 15Os39/24k

Rechtssätze


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Normen
RS0117928
Ein entschlagungsberechtigter Zeuge hat kein korrespondierendes Recht, bei der Hauptverhandlung nicht zu erscheinen. Erklärt er aber bereits davor unmissverständlich, vom Entschlagungsrecht Gebrauch machen zu wollen, hat der Antragsteller darzutun, weshalb erwartet werden könne, dass sich der Zeuge gleichwohl zur Aussage bereit finden werde. Geschieht dies nicht, trägt der Antrag bloßen Erkundungscharakter und kann sanktionslos abgewiesen werden.
Normen
RS0118870
Sieht sich der Oberste Gerichtshof unter ausdrücklichem Hinweis auf eine verfehlte Subsumtion mangels eines darüber hinausgehenden konkreten Nachteils für den Angeklagten nicht zu amtswegigem Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO veranlasst, so besteht bei der Entscheidung über die Berufung, bei der das Berufungsgericht an die in der Rechtsmittelschrift vorgetragenen Berufungsgründe nicht gebunden ist, insoweit auch keine (dem Berufungswerber zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch des Erstgerichtes über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO.
Normen
RS0127712
Die Zustimmung des Anklägers oder des Angeklagten zu einem Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO beinhaltet deren Einverständnis (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO), dass die vom Vortrag umfassten Aktenstücke in der Hauptverhandlung vorkommen (§ 258 Abs 1 StPO), weil der Vortrag die Verlesung oder Vorführung nach § 252 Abs 1 oder Abs 2 StPO substituiert, demnach eine Zustimmung zum Vortrag eine umfassende Willenserklärung zum Vorkommendürfen darstellt. Ein Referat nach § 252 Abs 2a StPO kann angesichts der Zustimmung von Ankläger und Angeklagtem ‑ unter diesem Gesichtspunkt ‑ daher keine Nichtigkeit bewirken.
Normen
StPO nF §281 Abs1 Z11
StPO §345 Abs1 Z13
RS0099920
Die bloße Nichtberücksichtigung weiterer Milderungsgründe oder deren unzutreffende Gewichtung stellt den Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z 13 StPO nicht her.
Normen
RS0132828
Die nicht auf bestimmte Feststellungen bezogene bloße Aufzählung der in der Hauptverhandlung vorgeführten Beweismittel stellt keine Begründung, sondern nur das Referat des Protokollinhalts dar. Überhaupt bedeutet die Erwähnung eines Tatumstands in den Entscheidungsgründen noch nicht, dass dieser auch gewürdigt wurde.
Normen
RS0115552
Im Fall eines offenen (ungerügten) Widerspruchs zwischen Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) geben für die Beurteilung einer Rechtsrüge oder Subsumtionsrüge die Entscheidungsgründe den Ausschlag.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann, Dr. Haslwanter LL.M., Dr. Sadoghi und Mag. Riffel in Gegenwart des Schriftführers Mag. Hule in der Strafsache gegen N* M* und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten N* M* und A* S* sowie die Berufungen der Angeklagten E* Sc*, K* U* und R* Se* sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 42 Hv 13/09a-707a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S* wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch II.1., demzufolge auch im diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruch aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten M* wird zurückgewiesen.

Der Angeklagte S* wird mit seiner Berufung und die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer auf diesen Angeklagten bezogenen Berufung auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten M*, Sc*, U* und Se* sowie der weiteren Berufung der Staatsanwaltschaft werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten M* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden N* M* (I.1. und 2.) sowie (jeweils als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB) A* S* (II.1.), E* Sc*, K* U* und R* Se* (II.2.) des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach haben – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – in W*

I. M* mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Organe des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien durch Täuschung über Tatsachen, nämlich die Echtheit der von ihr vorgelegten Urkunden, unter Benützung falscher Urkunden zu Handlungen zu verleiten versucht, wobei durch die Taten ein 300.000 Euro übersteigender Schaden herbeigeführt werden sollte, nämlich

1. zur Einantwortung des Nachlasses der E*  B* im Betrag von 4.023.000 Euro an sie als Testamentserbin, wodurch die rechtmäßigen Erben in diesem Betrag an deren Vermögen geschädigt werden sollten, indem sie am ein fremdhändiges Testament der am verstorbenen B* vom , auf dem die Unterschrift der Genannten gefälscht worden war, vorlegte;

2. zur Genehmigung ihrer Adoption durch B*, indem sie am über ihren Anwalt Dr. Be* einen Adoptionsvertrag vom , auf dem die Unterschrift von B* gefälscht worden war, vorlegte, wobei ihr daraus ein gesetzliches Erbrecht zum Nachlass der B* in einem nicht mehr feststellbaren, 300.000 Euro übersteigenden Betrag erwachsen sollte, wodurch die rechtmäßigen Erben in einem im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens zu bestimmenden Betrag am Vermögen geschädigt werden sollten;

II.1. S* dadurch, dass er Sc*, U* und Se* als falsche Testamentszeugen an M* vermittelte, zu der unter I.1. angeführten Tathandlung beigetragen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S* sowie die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5a und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten M*.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*:

[4] Zutreffend – und in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zeigt die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) auf, dass (ungeachtet der Aufzählung auf US 6 f; RIS-Justiz RS0132828, RS0098818 [T1]) im Urteil nicht dargelegt wurde, wie die Tatrichter zu den Feststellungen betreffend die (äußere Seite der) Tathandlung dieses Beschwerdeführers gelangten.

[5] Das angefochtene Urteil war daher, soweit es diesen Angeklagten betraf, bereits bei der nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch ersichtlich aufzuheben und insoweit Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 285e StPO).

[6] Ein Eingehen auf sein weiteres Vorbringen erübrigt sich damit.

[7] Dieser Angeklagte war mit seiner Berufung ebenso wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf diesen bezogenen Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten M*:

[8] Die Verfahrensrüge (Z 4, inhaltlich auch Z 3) kritisiert, dass der Antrag, die Zeugin H* V* auch in dieser (nach Wiederaufnahme des Verfahrens durchgeführten) Hauptverhandlung zu vernehmen, abgewiesen und stattdessen das Hauptverhandlungsprotokoll über die Aussage der genannten Zeugin aus dem früheren Verfahren verlesen wurde.

[9] Der reklamierte Verstoß gegen § 252 Abs 1 StPO (Z 3) liegt jedoch nicht vor, weil die Beschwerdeführerin dem Vortrag des gesamten Aktes nach § 252 Abs 2a StPO – solcherart auch dem Vorkommen des Protokolls über diese Aussage – zugestimmt hatte (ON 707 S 7). Dessen Referat konnte somit unter dem angesprochenen Gesichtspunkt keine Nichtigkeit bewirken (vgl RIS-Justiz RS0127712, RS0098378 [T7]).

[10] Überdies legte der Beweisantrag (Z 4) nicht dar, dass von der genannten Zeugin neue, von den vorgekommenen Deponaten abweichende, für Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen erhebliche Angaben zu erwarten gewesen wären. Solcherart konnte er auch unter diesem Aspekt sanktionslos abgewiesen werden (vgl RIS-Justiz RS0117928 [T6]).

[11] Die Tatsachenrüge (Z 5a) soll nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Rügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

[12] Die Tatrichter nahmen – gestützt auf dessen Aussage – an, dass der Zeuge Dkfm. F* am ein Sparbuch an B* übergab und diese den Empfang mit ihrer eigenen Unterschrift bestätigte. Einen mit datierten Barbehebungsvermerk werteten sie unter Hinweis auf die Angaben des genannten Zeugen zu banktechnischen Umständen wegen eines Feiertags am als dieser Annahme nicht entgegenstehend. Im Rahmen der folgenden „Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse“, unter anderem (aber nicht nur) aufgrund eines Vergleichs mit dieser Unterschrift, stufte das Schöffengericht die ebenfalls mit datierte Unterschrift von B* am Testament als Fälschung ein (US 10 f, 30 f, 35 ff).

[13] Gegen diese Erwägungen richtet sich die Nichtigkeitswerberin unter Bezugnahme auf ihre Angaben in der Hauptverhandlung sowie mit einer eigenständigen Bewertung des genannten Buchungsdatums, der Aussage des Zeugen Dkfm. F* und der darauf gegründeten Schlussfolgerung, eine Fälschung der Unterschrift der B* am Testament sei nicht beweisbar.

[14] Mit diesem ausgewählte Verfahrensergebnisse betonenden Vorbringen (vgl aber RIS-Justiz RS0117446 [T1, T3]) übt sie Beweiswürdigungskritik nach Art einer – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) – Schuldberufung. Erhebliche Bedenken im bezeichneten Sinn (zum Maßstab vgl auch RIS-Justiz RS0119583) gegen die Richtigkeit der Feststellung, dass die Unterschrift am Testament gefälscht war (US 16), weckt die Beschwerdeführerin damit jedoch nicht.

[15] Mit ihrer Kritik an der Gewichtung einzelner Milderungsgründe (§ 34 Abs 1 Z 13 und 18 StGB) zeigt die Sanktionsrüge (Z 11) keinen Rechtsfehler bei der Strafbemessung auf, sondern erstattet ein Berufungsvorbringen (RIS-Justiz RS0099920).

[16] Diese Nichtigkeitsbeschwerde war daher – ebenso in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[17] Die Entscheidung über die verbliebenen Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Bleibt dazu – mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO – Folgendes klarzustellen:

[18] Ungeachtet der Aufteilung im Referat entscheidender Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) fällt der Beschwerdeführerin nach den für die Subsumtion maßgebenden Feststellungen in den Entscheidungsgründen (vgl RIS-Justiz RS0115552 [T2], RS0098734) ein einziges – mehraktiges (vgl RIS-Justiz RS0089830; Kirchbacher/Sadoghi in WK² StGB § 146 Rz 124 ff) – Betrugsgeschehen, solcherart eine einzige Tat im prozessualen und materiellen Sinn zur Last (vgl RIS-Justiz RS0122006; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 521). Bei der Berufungsentscheidung wird deshalb zu berücksichtigen sein (RIS-Justiz RS0118870), dass eine erschwerende Wertung des Zusammentreffens „zweier Verbrechen“ (vgl aber US 51) oder von Tatwiederholung (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) nicht in Betracht kommt.

[19] Der die Angeklagte M* betreffende Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Strafrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00039.24K.0904.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAF-91658