VwGH 28.05.2025, Ro 2024/13/0020
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssatz
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Normen | EURallg UmgrStG 1991 §12 UmgrStG 1991 §22 Abs3 UStG 1994 §12 Abs10 UStG 1994 §6 Abs1 Z9 12010E267 AEUV Art267 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art16 Abs1 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art19 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art2 Abs1 lita 62017CJ0416 Kommission / Frankreich |
RS 1 | Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Ist Art. 2 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuerrichtlinie) dahin auszulegen, dass die Einbringung von bebauten Liegenschaften durch einen Steuerpflichtigen, der diese Liegenschaften bisher durch Vermietung steuerpflichtig (zum Vorsteuerabzug berechtigend) verwendet hat, in eine Gesellschaft, deren einziger Gesellschafter er ist (sodass für diese Einbringung keine zusätzlichen Gesellschaftsanteile eingeräumt werden), als Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt zu beurteilen ist? FALLS FRAGE 1 MIT NEIN BEANTWORTET WIRD: 2. Ist Art. 16 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der zur ersten Frage geschilderte Vorgang eine der Einbringung vorangehende Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke bewirkt? 3. Steht Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie einer nationalen Bestimmung entgegen, die die Übertragung von Gesamt- oder Teilvermögen (Betrieben oder Teilbetrieben) nur in Fällen einer Umgründung (die nach dem nationalen Recht nur dann vorliegt, wenn dieses Vermögen der Erzielung bestimmter Einkunftsarten nach dem nationalen Ertragsteuerrecht dient) so behandelt, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt? 4. Kommt dem Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie unmittelbare Wirkung zu, sodass sich ein Steuerpflichtiger vor einem nationalen Gericht gegenüber der zuständigen Steuerbehörde auf den Grundsatz der Nicht-Lieferung berufen kann, wenn der nationale Gesetzgeber vor dem Beitritt des Mitgliedstaats zur Europäischen Union eine Regelung eingeführt und seither beibehalten hat, die nur auf bestimmte Fälle, hingegen nicht auf Unternehmensvermögen, das der Erzielung von Einkünften (nach dem nationalen Ertragsteuerrecht) aus Vermietung und Verpachtung dient, anwendbar ist? |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat MMag. Maislinger, die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Stüger, über die Revision des F R in W, vertreten durch die LeitnerLeitner GmbH, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in 4040 Linz, Ottensheimerstraße 32, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7102828/2009, betreffend Umsatzsteuer 2007 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Österreich, 1030 Wien, Marxergasse 4), den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 2 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuerrichtlinie) dahin auszulegen, dass die Einbringung von bebauten Liegenschaften durch einen Steuerpflichtigen, der diese Liegenschaften bisher durch Vermietung steuerpflichtig (zum Vorsteuerabzug berechtigend) verwendet hat, in eine Gesellschaft, deren einziger Gesellschafter er ist (sodass für diese Einbringung keine zusätzlichen Gesellschaftsanteile eingeräumt werden), als Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt zu beurteilen ist?
2. Falls Frage 1 mit Nein beantwortet wird: Ist Art. 16 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der zur ersten Frage geschilderte Vorgang eine der Einbringung vorangehende Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke bewirkt?
3. Steht Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie einer nationalen Bestimmung entgegen, die die Übertragung von Gesamt- oder Teilvermögen (Betrieben oder Teilbetrieben) nur in Fällen einer Umgründung (die nach dem nationalen Recht nur dann vorliegt, wenn dieses Vermögen der Erzielung bestimmter Einkunftsarten nach dem nationalen Ertragsteuerrecht dient) so behandelt, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt?
4. Kommt dem Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie unmittelbare Wirkung zu, sodass sich ein Steuerpflichtiger vor einem nationalen Gericht gegenüber der zuständigen Steuerbehörde auf den Grundsatz der Nicht-Lieferung berufen kann, wenn der nationale Gesetzgeber vor dem Beitritt des Mitgliedstaats zur Europäischen Union eine Regelung eingeführt und seither beibehalten hat, die nur auf bestimmte Fälle, hingegen nicht auf Unternehmensvermögen, das der Erzielung von Einkünften (nach dem nationalen Ertragsteuerrecht) aus Vermietung und Verpachtung dient, anwendbar ist?
Begründung
A. Sachverhalt und bisheriges Verfahren
1 Der Revisionswerber führte ein Einzelunternehmen; zum Vermögen dieses Unternehmens gehörten insbesondere mehrere bebaute Liegenschaften. Mit „Sacheinlage- und Einbringungsvertrag“ vom brachte der Revisionswerber dieses Einzelunternehmen (das Unternehmensvermögen) ohne Gewährung neuer Anteile in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (R GmbH) ein; der Revisionswerber war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der R GmbH. Die bebauten Liegenschaften wurden jeweils (zunächst vom Revisionswerber, sodann von der R GmbH) zur Erzielung von umsatzsteuerpflichtigen (auch zum Vorsteuerabzug berechtigenden) Umsätzen (Vermietung) verwendet. Die Einbringung des Unternehmensvermögens sollte (nach dem Vertrag) unter Anwendung des Artikels III Umgründungssteuergesetz (UmgrStG) erfolgen. Demnach sollte (wie bei Schilderung der nationalen Rechtslage noch näher dargestellt) diese Einbringung insbesondere nicht als steuerbarer Umsatz im Sinne des Umsatzsteuergesetzes 1994 (UStG 1994) beurteilt werden.
2 Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer (abweichend von der Abgabenerklärung des Revisionswerbers) für das Jahr 2007 fest. Das Finanzamt ging davon aus, dass die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels III UmgrStG nicht vorgelegen seien. Die Tätigkeit des Revisionswerbers sei nach dem Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) nicht als gewerbliche Vermietung (Einkünfte aus Gewerbebetrieb), sondern als Vermögensverwaltung (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) anzusehen; es sei daher kein einbringungsfähiges Vermögen im Sinne des Art. III UmgrStG vorhanden gewesen. Da somit auf diese Einbringung die Begünstigungen des Art. III UmgrStG nicht anwendbar seien, stelle die Einlage der Liegenschaft einen Tausch gegen die Gewährung von Anteilen dar. Dabei sei zu beachten, dass der Umsatz von Grundstücken „unecht“ umsatzsteuerbefreit sei; es habe daher eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges gemäß § 12 Abs. 10 und 11 UStG 1994 zu erfolgen.
3 Der Revisionswerber bekämpfte diesen Bescheid. Er machte geltend, es liege eine dem UmgrStG unterliegende Betriebseinbringung vor. Auch bei Unanwendbarkeit des UmgrStG liege aber - unter Verweis auf Rechtsprechung des EuGH - kein Tatbestand vor, der unter das Umsatzsteuerrecht falle. Mangels Ausgabe neuer Gesellschaftsanteile liege jedenfalls kein Tausch vor. Es liege auch keine Entnahme vor. Eine Vorsteuerberichtigung habe daher nicht zu erfolgen. Die zur Vorsteuerberichtigung angesetzten Beträge seien - wie näher ausgeführt wird - überhöht.
4 Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde des Revisionswerbers nur der Höhe nach Folge.
5 Auch das Bundesfinanzgericht ging davon aus, dass mangels Vorliegens eines einbringungsfähigen Vermögens die Begünstigungen des Art. III UmgrStG nicht anwendbar seien. Das Bundesfinanzgericht teilte aber die Rechtsansicht des Revisionswerbers, dass die Sacheinlage nicht umsatzsteuerbar sei. Mangels Steuerbarkeit liege weder eine Entnahme noch ein Tausch vor. Unstrittig sei, dass der Revisionswerber zu Recht Vorsteuern abgezogen habe. Eine Änderung der Verhältnisse, die für den Vorsteuerabzug maßgeblich gewesen seien, könne nach den Bestimmungen des § 12 Abs. 10 und 11 UStG 1994 zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzuges führen. Die Änderung der Verhältnisse müsse in einer Änderung der Verwendung von Vorleistungen zur Ausführung von Umsätzen gelegen sein. Da die Sacheinlage der Liegenschaften des Revisionswerbers in die R GmbH nicht umsatzsteuerbar sei, hätten sich durch die Einbringung der bisher im steuerpflichtigen Unternehmensbereich des Revisionswerbers verwendeten Grundstücke die für den Vorsteuerabzug grundsätzlich maßgeblichen Verhältnisse tatsächlich geändert. Die von der belangten Behörde vorgenommene Vorsteuerkorrektur sei damit dem Grunde nach zu Recht erfolgt.
6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die nunmehrige Revision. Der Revisionswerber stimmt dem Bundesfinanzgericht zu, dass im Zuge der Einbringung des Einzelunternehmens ein nicht steuerbarer Vorgang verwirklicht worden sei. Dieser Vorgang löse aber keine Vorsteuerberichtigung aus. Zum einen liege keine Änderung der Verhältnisse gemäß § 12 Abs. 10 UStG 1994 vor. Zum anderen aber liege eine nichtsteuerbare Übertragung eines Gesamtvermögens im Sinne des Artikels 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie vor, sodass auch aus diesem Grund keine Vorsteuerkorrektur vorzunehmen sei. Artikel 19 der Richtlinie sei unmittelbar anwendbar.
7 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht. Darin führt das Finanzamt insbesondere aus, dass - entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts - die Sacheinlage des Revisionswerbers als steuerbarer Umsatz iSd § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 zu beurteilen sei; mangels Option zur Steuerpflicht sei dieser Umsatz gemäß § 6 Abs. 1 Z 9 UStG 1994 unecht von der Umsatzsteuer befreit. Dies habe zur Folge, dass zwingend eine Vorsteuerberichtigung gemäß § 12 Abs. 10 UStG 1994 vorzunehmen sei. Würde man von einem unentgeltlichen Vorgang ausgehen, wären dieselben Konsequenzen zu ziehen; auch eine Entnahme wäre unecht steuerbefreit.
B. Maßgebende Bestimmungen
1. Nationales Recht
8 Das Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG 1994) in der im Streitfall anzuwendenden Fassung lautet auszugsweise:
„§ 1. (1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. Die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. [...]
§ 3. [...]
(2) Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme eines Gegenstandes durch einen Unternehmer aus seinem Unternehmen
- für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen,
- für den Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen, oder
- für jede andere unentgeltliche Zuwendung, ausgenommen Geschenke von geringem Wert und Warenmuster für Zwecke des Unternehmens.
Eine Besteuerung erfolgt nur dann, wenn der Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.
[...]
§ 6. (1) Von den unter § 1 Abs. 1 Z 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:
[...]
9.a) die Umsätze von Grundstücken im Sinne des § 2 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987; [...]
(2) Der Unternehmer kann [...] einen Umsatz, der nach § 6 Abs. 1 Z 9 lit. a [...] steuerfrei ist, als steuerpflichtig behandeln. [...]
§ 12. [...]
(3) Vom Vorsteuerabzug sind ausgeschlossen:
1. Die Steuer für die Lieferungen und die Einfuhr von Gegenständen, soweit der Unternehmer diese Gegenstände zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet,
[...]
(10) Ändern sich bei einem Gegenstand, den der Unternehmer in seinem Unternehmen als Anlagevermögen verwendet oder nutzt, in den auf das Jahr der erstmaligen Verwendung folgenden vier Kalenderjahren die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend waren (Abs. 3), so ist für jedes Jahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges durchzuführen.
[...].
Bei Grundstücken im Sinne des § 2 des Grunderwerbsteuergesetzes 1987 (einschließlich der aktivierungspflichtigen Aufwendungen und der Kosten von Großreparaturen) tritt an die Stelle des Zeitraumes von vier Kalenderjahren ein solcher von neun Kalenderjahren.
[...]
(12) Die Bestimmungen der Abs. 10 und 11 gelten sinngemäß auch für Gegenstände, die nicht zu einem Betriebsvermögen gehören.
[...]
(15) Erbringt ein Unternehmer an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen eine Lieferung gemäß § 3 Abs. 2 [...], so ist er berechtigt, dem Empfänger der Lieferung [...] den dafür geschuldeten Steuerbetrag gesondert in Rechnung zu stellen. Dieser in der Rechnung gesondert ausgewiesene Betrag gilt für den Empfänger der Lieferung oder sonstigen Leistung als eine für eine entgeltliche steuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung gesondert in Rechnung gestellte Steuer. [...]“
9 Das Umgründungssteuergesetz (UmgrStG) lautet in der im Streitfall anwendbaren Fassung auszugsweise:
„§ 12. (1) Eine Einbringung im Sinne dieses Bundesgesetzes liegt vor, wenn Vermögen (Abs. 2) auf Grundlage eines schriftlichen Einbringungsvertrages (Sacheinlagevertrages) und einer Einbringungsbilanz (§ 15) nach Maßgabe des § 19 einer übernehmenden Körperschaft (Abs. 3) tatsächlich übertragen wird. Voraussetzung ist, dass das Vermögen am Einbringungsstichtag, jedenfalls aber am Tag des Abschlusses des Einbringungsvertrages, für sich allein einen positiven Verkehrswert besitzt. Der Einbringende hat im Zweifel die Höhe des positiven Verkehrswertes durch ein begründetes Gutachten eines Sachverständigen nachzuweisen.
(2) Zum Vermögen zählen nur
1. Betriebe und Teilbetriebe, die der Einkunftserzielung gemäß § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 des Einkommensteuergesetzes 1988 dienen, [...]
(3) Übernehmende Körperschaften können sein:
1. Unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften oder Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (§ 1 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes 1988).
[...]
§ 22. [...]
(3) Einbringungen nach § 12 gelten nicht als steuerbare Umsätze im Sinne des Umsatzsteuergesetzes 1994; die übernehmende Körperschaft tritt für den Bereich der Umsatzsteuer unmittelbar in die Rechtsstellung des Einbringenden ein. [...]“.
10 § 2 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) lautet auszugsweise:
„(3) Der Einkommensteuer unterliegen nur:
1. Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft (§ 21),
2. Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 22),
3. Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 23),
[...]
6. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (§ 28),
[...]“
11 Die Bundesabgabenordnung (BAO) lautet auszugsweise:
„§ 22. (1) Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des privaten Rechts kann die Abgabepflicht nicht umgangen oder gemindert werden.
[...]
(3) Liegt Missbrauch vor, so sind die Abgaben so zu erheben, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären.“
2. Unionsrecht
12 Die Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem lautet auszugsweise:
„Artikel 2
(1) Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;
[...]
Artikel 16
Einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt ist die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf oder für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.
[...]
Artikel 19
Die Mitgliedstaaten können die Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens, die entgeltlich oder unentgeltlich oder durch Einbringung in eine Gesellschaft erfolgt, behandeln, als ob keine Lieferung von Gegenständen vorliegt, und den Begünstigten der Übertragung als Rechtsnachfolger des Übertragenden ansehen.
Die Mitgliedstaaten können die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Wettbewerbsverzerrungen für den Fall zu vermeiden, dass der Begünstigte nicht voll steuerpflichtig ist. Sie können ferner die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder -umgehungen durch die Anwendung dieses Artikels vorzubeugen.
[...]
Artikel 184
Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war.
[...]
Artikel 188
(1) Bei der Lieferung eines Investitionsgutes innerhalb des Berichtigungszeitraums ist dieses so zu behandeln, als ob es bis zum Ablauf des Berichtigungszeitraums weiterhin für eine wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen verwendet worden wäre.
Diese wirtschaftliche Tätigkeit gilt als in vollem Umfang steuerpflichtig, wenn die Lieferung des Investitionsgutes steuerpflichtig ist.
Die wirtschaftliche Tätigkeit gilt als in vollem Umfang steuerfrei, wenn die Lieferung des Investitionsgutes steuerfrei ist.
(2) Die in Absatz 1 genannte Berichtigung wird für den gesamten noch verbleibenden Berichtigungszeitraum auf einmal vorgenommen. Ist die Lieferung des Investitionsgutes steuerfrei, können die Mitgliedstaaten jedoch von der Berichtigung absehen, wenn es sich bei dem Erwerber um einen Steuerpflichtigen handelt, der die betreffenden Investitionsgüter ausschließlich für Umsätze verwendet, bei denen die Mehrwertsteuer abgezogen werden kann.“
C. Erläuterung der Vorlagefragen
Zur den ersten beiden Fragen
13 Strittig ist im Verfahren, ob aus Anlass der Einbringung des Vermögens des Einzelunternehmens des Revisionswerbers in die R GmbH eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs (§ 12 Abs. 10 UStG 1994) zu erfolgen hat.
14 Die Regelung des § 12 Abs. 10 UStG 1994 hat ihre unionrechtliche Grundlage (nunmehr) in den Bestimmungen der Art. 184 bis 192 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Diese sind Bestandteil der Vorsteuerabzugsregelung. Sie sollen die Genauigkeit der Vorsteuerabzüge in der Weise erhöhen, dass die Neutralität der Mehrwertsteuer gewährleistet wird, sodass die auf einer früheren Stufe bewirkten Umsätze weiterhin nur insoweit zum Abzug berechtigen, als sie der Erbringung von Leistungen dienen, die dieser Steuer unterliegen. Dieser Mechanismus verfolgt somit das Ziel, einen engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung der betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze herzustellen (vgl. Finanzamt Bad Neuenahr-Ahrweiler, C-374/19, Rn. 20; , Drebers, C-243/23, Rn. 46; vgl. auch Sögard Fastigheter, C-787/18, Rn. 40 und 74 ff).
15 Für den Vorsteuerabzug sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Leistung maßgeblich. Sind in diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen erfüllt, kann der Vorsteuerabzug in voller Höhe vorgenommen werden. Fallen die Voraussetzungen nachträglich weg, so berührt dies nicht den vorgenommenen Vorsteuerabzug. Eine Änderung der Verhältnisse kann aber nach § 12 Abs. 10 UStG 1994 zu einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs führen. Eine derartige Änderung der Verhältnisse liegt etwa dann vor, wenn eine Liegenschaft, die zunächst (wie im vorliegenden Fall) zur Erzielung steuerpflichtiger Umsätze verwendet worden war, sodann steuerfrei (§ 6 Abs. 1 Z 9 lit. a UStG 1994) veräußert wird (vgl. ).
16 Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs hat aber nach übereinstimmender Ansicht der Verfahrensparteien nach nationalem Recht dann nicht zu erfolgen, wenn die Einbringung (Übertragung) des Vermögens nicht umsatzsteuerbar ist.
17 Dazu stellt sich zunächst die Frage, ob eine Einbringung (Sacheinlage) nach allgemeinen Regeln umsatzsteuerbar ist. Dies wäre der Fall, wenn die Einbringung (Sacheinlage) als Lieferung gegen Entgelt anzusehen wäre. Ein beim Revisionswerber steuerbarer Vorgang läge aber auch dann vor, wenn einer nicht steuerbaren Einbringung eine steuerbare Entnahme vorausgehen würde, die also einer Lieferung gegen Entgelt gleichzustellen wäre.
18 Es entspricht der herrschenden Ansicht zum nationalen Recht, dass die Einlage (Einbringung) eines in seinem Unternehmen verwendeten Gegenstandes durch diesen Unternehmer in eine Gesellschaft als steuerbare Leistung zu beurteilen ist, und zwar entweder als Leistung gegen Entgelt in der Form von zusätzlichen Gesellschaftsanteilen (oder allenfalls einer Wertsteigerung der Gesellschaftsanteile), oder - bei Nichtvorliegen eines derartigen Entgelts - als vorangehende steuerbare Entnahme des Gegenstandes aus dem Unternehmen (vgl. Ruppe/Achatz, Umsatzsteuergesetz, 6. Auflage, § 1 Tz 82/3).
19 Ausgehend nur von nationalem Recht wäre daher abzuleiten, dass beim Revisionswerber (und zwar unabhängig von der Frage der Entgeltlichkeit) ein steuerbarer Vorgang vorliegt. Gemäß § 6 Abs. 1 Z 9 UStG 1994 ist dieser Umsatz steuerfrei (die Option zur Steuerpflicht nach § 6 Abs. 2 UStG 1994 wurde vom Revisionswerber nicht ausgeübt). Damit ist der Tatbestand für die Vorsteuerberichtigung erfüllt, da ein Gegenstand, den der Unternehmer (Revisionswerber) in seinem Unternehmen als Anlagevermögen verwendet oder genutzt hat, zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet wurde.
20 Hingewiesen sei noch darauf, dass bei Ausübung der Option zur Steuerpflicht nach § 6 Abs. 2 UStG 1994 durch den Revisionswerber die (entgeltliche oder unentgeltliche) Einlage (Einbringung) der Liegenschaften nach nationalem Recht steuerpflichtig gewesen wäre; eine Vorsteuerberichtigung wäre in diesem Fall nicht vorzunehmen gewesen. Im Fall einer unentgeltlichen Übertragung wäre der Revisionswerber auch berechtigt gewesen, dem Empfänger (der R GmbH) gemäß § 12 Abs. 15 UStG 1994 den für die (bei Optionsausübung steuerpflichtige) Entnahme geschuldeten Steuerbetrag gesondert in Rechnung zu stellen; der Empfänger wäre insoweit zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen (vgl. zur Bedeutung der Möglichkeit, auf andere Optionen zurückgreifen zu können, Malburg, C-204/13, Rn. 46).
21 Ob die Einlage (Einbringung) eines Grundstückes in eine Gesellschaft nach dem Unionsrecht (entgegen der Annahme des Bundesfinanzgerichts) einen der Mehrwertsteuer unterliegenden Umsatz darstellt, ist in der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs - soweit überblickbar - noch nicht abschließend geklärt.
22 Im Urteil vom , Polski Trawertyn, C-280/10, geht der EuGH erkennbar davon aus, dass die Einbringung einer Liegenschaft in eine Gesellschaft wenn auch steuerfrei, so doch steuerbar (im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit) ist (vgl. aaO Rn. 32; vgl. dazu auch Malburg, C-204/13, Rn. 35: „in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fiel“; vgl. weiters - zur Steuerbemessungsgrundlage einer Sacheinlage von Grundstücken - Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Warszawie, C-241/23).
23 Aus anderen Entscheidungen des EuGH könnte hingegen geschlossen werden, dass die Einlage (Einbringung) nicht der Mehrwertsteuer unterliege. So führte der EuGH in seinem Urteil vom , KapHag, C-442/01, Rn. 39, aus, der Beitritt eines neuen Gesellschafters zu einer Personengesellschaft gegen Zahlung einer Bareinlage stelle keine wirtschaftliche Tätigkeit des Gesellschafters dar. Der deutsche Bundesfinanzhof (BFH , V R 79/01, BStBl. 2004 II S. 375) ist in Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung des EuGH zum Ergebnis gekommen, dass diese Rechtsprechung des EuGH lediglich die Frage eines Leistungsaustausches aus der Sicht der Gesellschaft betreffe; ihr könne nicht entnommen werden, dass entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ein Einzelunternehmer, der Wirtschaftsgüter seines Unternehmens in eine Gesellschaft gegen Gewährung von Geschäftsanteilen einbringe, seinerseits keine Leistung gegen Entgelt erbringe. In seinem Urteil vom , Finanzamt R (Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit einem Gesellschafterbeitrag), C-98/21, hat der EuGH aber ausgeführt, ein Beitrag einer (dort) Holdinggesellschaft zugunsten ihrer Tochtergesellschaften, sei es in Form von Bar- oder Sacheinlagen, stelle keine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Richtlinie dar (aaO Rn. 53).
24 Artikel 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie (vgl. dazu auch die Erläuterungen zur dritten und vierten Frage) könnte dafür sprechen, dass eine Sacheinlage (Einbringung einer Liegenschaft) in eine Gesellschaft an sich als steuerbarer Vorgang zu beurteilen ist, setzt diese Bestimmung doch offenkundig die Steuerbarkeit (im Allgemeinen) voraus und schließt sie im Falle der Übertragung eines Gesamt- oder Teilvermögens aus (vgl. dazu aber die Schlussanträge des Generalanwalts vom , KapHag, C-442/01, Rn. 40).
25 Würde die Sacheinlage keine wirtschaftliche Tätigkeit eines Steuerpflichtigen darstellen, handelte es sich schon deswegen nicht um eine Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt (im Sinne der Richtlinie). Im vorliegenden Fall könnte aber insbesondere auch der Umstand gegen eine Lieferung gegen Entgelt sprechen, dass der Einlage des Revisionswerbers keine offensichtliche Gegenleistung (Entgelt) der R GmbH gegenübersteht, weil keine zusätzlichen Gesellschaftsanteile eingeräumt wurden. Allenfalls könnte die Erhöhung des Wertes der Gesellschaftsanteile (durch die Einbringung der Liegenschaften) als Gegenleistung beurteilt werden.
26 Der Vorgang könnte aber dahin zu beurteilen sein, dass der Einlage der Liegenschaften des Revisionswerbers in die R GmbH eine Entnahme dieser Liegenschaften aus dem Unternehmen des Revisionswerbers vorausgeht. Der Revisionswerber hat (unbestritten) als Mehrwertsteuerpflichtiger bezüglich der in Rede stehenden Liegenschaften Vorsteuerabzüge vorgenommen. Insoweit könnte der Einlage der Liegenschaften somit eine Entnahme dieser Liegenschaften aus dem Unternehmen des Revisionswerbers vorausgehen, die im Sinne des Art. 16 Mehrwertsteuerrichtlinie als einer Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt gleichgestellt (vgl. dazu z.B. Posnania Investment, C-36/16, Rn. 37 ff; vgl. auch Deco Proteste - Editores, C-505/22; sowie Finanzamt X, C-207/23) anzusehen wäre.
27 Wären aber weder die Einlage als Lieferung gegen Entgelt noch die der Einlage vorausgehende Entnahme als einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt zu beurteilen, würde dies im vorliegenden Fall nach übereinstimmender Ansicht der Parteien nach nationalem Recht nicht zur Vorsteuerberichtigung führen.
Zur dritten Frage
28 Ist eine Sacheinlage durch einen Steuerpflichtigen in eine Gesellschaft nach allgemeinen Regeln hingegen als wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen steuerbar (Lieferung gegen Entgelt oder die vorausgehende Entnahme einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt), stellt sich die weitere Frage, ob diese Steuerbarkeit durch eine Sonderregelung für den vorliegenden Fall ausgeschlossen ist.
29 Hiezu ist nach nationalem Recht zu bemerken, dass Einbringungen, die die Voraussetzungen des § 12 UmgrStG erfüllen, nach § 22 Abs. 3 UmgrStG nicht als steuerbare Umsätze im Sinne des UStG 1994 gelten; die übernehmende Körperschaft tritt für den Bereich der Umsatzsteuer unmittelbar in die Rechtsstellung des Einbringenden ein. Eine Einbringung iSd UmgrStG führt zu keiner Berichtigung der Vorsteuer nach § 12 Abs. 10 UStG 1994 (vgl. ; Furherr in Kofler, UmgrStG13, § 22 Tz 24). Die Voraussetzungen des § 12 UmgrStG sind im vorliegenden Fall (im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbestritten) aber nicht erfüllt: Es besteht kein einbringungsfähiges Vermögen iSd § 12 UmgrStG, da kein Betrieb vorliegt, der der Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb dienen würde; die durch die Nutzung der Liegenschaften erzielten Einkünfte des Revisionswerbers sind vielmehr nach nationalem Ertragsteuerrecht als solche aus Vermietung und Verpachtung anzusehen (vgl. die den Revisionswerber betreffende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2023/13/0059).
30 Unionsrechtliche Grundlage für die Nicht-Steuerbarkeit der Einbringung ist (nunmehr) Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Zweck dieser Richtlinienbestimmung (bzw. deren Vorgängerbestimmung Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG) ist es, den Mitgliedstaaten zu gestatten, die Übertragung von Unternehmen oder Unternehmensteilen zu erleichtern, nämlich sie zu vereinfachen und zu vermeiden, dass die Mittel des Begünstigten übermäßig steuerlich belastet werden, zumal er diese Belastung später durch einen Vorsteuerabzug wiedererlangen würde (vgl. Zita Modes, C-497/01, Rn. 39; , Schriever, C-444/10, Rn. 23; , Mailat, C-17/18, Rn. 13).
31 Dass im vorliegenden Fall die Einbringung einen Geschäftsbetrieb oder selbständigen Unternehmensteil umfasst hat, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden konnte, und der Begünstigte (R GmbH) beabsichtigte, den Geschäftsbetrieb zu betreiben (und diese Absicht auch umsetzte), ist unbestritten.
32 Art. 19 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie räumt den Mitgliedstaaten ein Wahlrecht ein. Nach Auffassung des Revisionswerbers ist ein Mitgliedstaat dazu verpflichtet, dieses Wahlrecht nur entweder für sämtliche in der Bestimmung aufgezählten Übertragungen auszuüben oder für keine einzige; es könne also nur ein „Alles oder Nichts“ vorgesehen werden.
33 Der Text des Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie enthält mehrfach das Wort „oder“. Die Mitgliedstaaten können die Übertragung eines Gesamtvermögens „oder“ eines Teilvermögens als Nicht-Lieferung behandeln. Auch die verschiedenen Übertragungsvarianten - entgeltlich, unentgeltlich, Einbringung in eine Gesellschaft - sind mit einem „oder“ verknüpft. Es ist daher fraglich, ob der Richtlinienwortlaut dahin zu verstehen ist, dass sämtliche dort genannten Varianten in gleicher Weise einheitlich zu behandeln sind, oder ob insoweit differenziert werden könnte und damit nur einzelne der alternativ genannten Fälle, die von einem Mitgliedstaat als besonders berücksichtigungswürdig angesehen werden, als Nicht-Lieferung behandelt werden können.
34 Das österreichische Umgründungssteuergesetz behandelt nur jene Übertragungen von Betrieben und Teilbetrieben nicht als steuerbare Umsätze, die eine Umgründung im Sinne dieses Gesetzes darstellen. Bei derartigen Vorgängen handelt es sich (im Allgemeinen) um Fälle einer steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge, im Zuge derer ein Betrieb oder ein Teilbetrieb übertragen wird. Wegen dieser steuerlichen Gesamtrechtsnachfolge werden auf mehreren Gebieten des Steuerrechts (im Einkommensteuerrecht, Körperschaftsteuerrecht, bei Gebühren und auch bei der Umsatzsteuer) Erleichterungen gewährt.
35 Keine Nichtsteuerbarkeit besteht hingegen für die entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung von Betrieben oder Teilbetrieben im Rahmen einer steuerlichen Einzelrechtsnachfolge.
36 Die steuerliche Gesamtrechtsnachfolge hat der nationale Gesetzgeber (unter anderem) daran geknüpft, dass das Unternehmensvermögen (Betrieb oder Teilbetrieb) zur Erzielung von Einkünften gemäß § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 des nationalen Einkommensteuergesetzes dient, also der Erzielung von Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Einkünften aus selbständiger Arbeit oder Einkünften aus Gewerbebetrieb. Nicht erfasst von dieser Regelung ist hingegen die Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, sodass eine Übertragung eines derartigen Unternehmens nur im Wege einer steuerlichen Einzelrechtsnachfolge möglich ist und daher (nach dem UmgrStG) nicht als Nicht-Lieferung behandelt werden kann.
37 Der Revisionswerber stützt sich auf das Urteil des Gerichtshofes vom , Zita Modes, C-497/01. Es ist aber fraglich, ob jener Fall mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist. Nach dem damaligen luxemburgischen Recht galt die Übertragung eines Gesamtvermögens oder eines Teilvermögens auf einen anderen Steuerpflichtigen unabhängig von ihrer Form und ihrem Rechtsgrund nicht als Lieferung von Gegenständen. In einem solchen Fall galt der Übernehmer als Rechtsnachfolger des Übertragenden. Luxemburg hatte demnach sämtliche im damaligen Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie behandelten Varianten als nicht steuerbar eingestuft.
38 Strittig war damals, ob Art. 5 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass, wenn ein Mitgliedstaat von der Möglichkeit nach Art. 5 Abs. 8 Satz 1 Gebrauch gemacht hat, die Übertragung einer Vermögensmasse für Mehrwertsteuerzwecke nicht als Lieferung von Gegenständen zu behandeln, dieser Grundsatz der Nicht-Lieferung für jede Übertragung einer Vermögensmasse oder nur dann gilt, wenn der Begünstigte eine wirtschaftliche Tätigkeit derselben Art ausübt wie der Übertragende (vgl. EuGH Zita Modes, Rn. 20). Ob allenfalls andere Einschränkungen des Grundsatzes der Nicht-Lieferung mit der Richtlinienbestimmung vereinbar wären, war damals nicht zu prüfen.
39 Wie bereits dargelegt, ist der Wortlaut des Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie zur Frage, ob diese Bestimmung auf bestimmte Übertragungen (hier Übertragungen mit steuerlicher Gesamtrechtsnachfolge) eingeschränkt werden darf, nicht eindeutig. Aus der mehrfachen Verwendung des Wortes „oder“ könnte - wie bereits dargelegt - abgeleitet werden, dass die Mitgliedstaaten nur für einzelne der genannten Übertragungen das Wahlrecht ausüben können, die sie für besonders berücksichtigungswürdig halten.
40 Würde es zutreffen, dass jede Übertragung von Unternehmensvermögen erfasst ist, dann wäre allenfalls auch anzunehmen, dass schon die bloße Übertragung einer vermieteten Wohnung zur Folge hätte, dass ein nichtsteuerbarer Vorgang vorliegt. Im vorliegenden Fall ist das Umgründungssteuerrecht nur deshalb nicht anwendbar, weil die Vermietung im Ertragsteuerrecht nicht als betriebliche Tätigkeit, sondern als vermögensverwaltend gilt und es sich bei dem übertragenen Vermögen um vermietete Liegenschaften handelt. Es stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf den Zweck des Art. 19 nicht ein wesentlicher Unterschied zwischen der Übertragung einer vermieteten Wohnung und der Übertragung betrieblicher Einheiten im Rahmen einer umfassenden steuerlichen oder gesellschaftsrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge besteht.
41 Wahlrechte der Mitgliedstaaten sieht auch Art. 19 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie vor. Demnach können die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Wettbewerbsverzerrungen für den Fall zu vermeiden, dass der Begünstigte nicht voll steuerpflichtig ist. Die R GmbH ist aber unbestritten voll steuerpflichtig, insbesondere unterliegt auch die Vermietung durch die R GmbH weiterhin der Mehrwertsteuer. Eine derartige Beschränkung könnte daher nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im vorliegenden Fall dem Grundsatz der Nicht-Lieferung nicht entgegenstehen.
42 Weiters sieht Art. 19 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen können, um Steuerhinterziehungen oder -umgehungen durch die Anwendung dieses Artikels vorzubeugen. Die Vermeidung von Steuerhinterziehung und -umgehung durch die Mitgliedstaaten stellt aber ein Ziel dar, das von der Mehrwertsteuerrichtlinie (allgemein) anerkannt und gefördert wird; den Mitgliedstaaten ist auch vor dem Inkrafttreten expliziter Regelungen die Möglichkeit eingeräumt, Maßnahmen zur Vermeidung von Steuerhinterziehung und -umgehung zu erlassen (vgl. z.B. Larentia + Minerva und Marenave, C-108/14 und C-109/14, Rn. 42). Es ist (vorerst) nicht erkennbar, dass es zur Vorbeugung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen erforderlich wäre, die Nicht-Steuerbarkeit der Übertragung von Vermögen auf Betriebe und Teilbetriebe (Einkunftserzielung gemäß § 2 Abs. 3 Z 1 bis 3 EStG 1988) einzuschränken und damit die Übertragung eines Vermögens, das der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dient, generell auszuschließen. Dem gegenüber wird für die Vorsteuerberichtigung gemäß § 12 Abs. 12 UStG 1994 ausdrücklich vorgesehen, dass diese Regelungen (sinngemäß) auch für Gegenstände gelten, die nicht zu einem Betriebsvermögen gehören. Missbräuchlichen Gestaltungen könnte auf Grundlage der nationalen Bestimmung des § 22 BAO auch dann entgegengetreten werden, wenn die Einbringung nicht dem UmgrStG unterliegt.
Zur vierten Frage
43 Falls Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie (wie zur dritten Frage erörtert) der Beschränkung des Grundsatzes der Nicht-Lieferung auf Unternehmensvermögen, das im Wege einer Umgründung übertragen werden kann, entgegensteht, stellt sich die weitere Frage, ob Art. 19 der Richtlinie (in dieser Auslegung) unmittelbar anwendbar ist.
44 Eine Interpretation des § 22 Abs. 3 UmgrStG in der Weise, dass diese Nicht-Steuerbarkeit für jede Übertragung eines Geschäftsbetriebs oder eines selbständigen Unternehmensteils gelten solle, scheitert am klaren Wortlaut dieser Bestimmung. Die Einschränkung auf Betriebe oder Teilbetriebe entspricht auch der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers. Eine (analoge) Anwendung des § 22 Abs. 3 UmgrStG auf den Fall der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung scheidet (unter Heranziehung der im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden; vgl. dazu z.B. neuerlich EuGH Drebers, Rn. 84 f) aus.
45 Ist eine unionsrechtskonforme Auslegung der nationalen Regelung nicht möglich, ist aber zu prüfen, ob die Bestimmung der Richtlinie unmittelbare Wirkung entfalten kann, sodass sich der Abgabepflichtige gegenüber der Steuerbehörde auf diese Bestimmung berufen kann.
46 Sind Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau und hat der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt, so kann sich der Einzelne gegenüber allen Trägern der Verwaltung dieses Staates auf derartige Bestimmungen berufen (vgl. z.B. Golfclub Schloss Igling, C-488/18, Rn. 26 ff; sowie neuerlich EuGH Drebers, Rn. 86 ff).
47 Dass eine Richtlinienbestimmung (wie hier) den Mitgliedstaaten eine Wahlmöglichkeit eröffnet, schließt nicht zwangsläufig aus, dass sich der Inhalt der Rechte des Einzelnen bereits aufgrund der Richtlinie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt. Auch die Unbedingtheit einer Verpflichtung wird nicht jedenfalls dadurch in Frage gestellt, dass den Mitgliedstaaten ein Gestaltungsspielraum eingeräumt wird (vgl. - wenn auch zu anderen, nicht unmittelbar vergleichbaren Bestimmungen - Flughafen Köln/Bonn, C-226/07, Rn. 30 und 31; , Balkan and Sea Properties und Provadinvest, C-621/10 und C 129/11, Rn. 57). Fraglich kann aber sein, ob Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie einer Präzisierung auf nationaler Ebene bedürfte und damit die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften voraussetzte (vgl. dazu z.B. EuGH Larentia + Minerva und Marenave, Rn. 50; sowie EuGH Golfclub Schloss Igling, Rn. 31).
48 Die einem Mitgliedstaat eingeräumte freie Wahl in Bezug auf die Entscheidung, ob von einer in der Mehrwertsteuerrichtlinie eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht werden soll, hindert nicht die Nachprüfung, ob der Mitgliedstaat die Voraussetzungen dafür beachtet hat und ob er insbesondere innerhalb der Grenzen seines Ermessens geblieben ist. Das zustehende Ermessen kann durch die Ausübung der von der Richtlinie vorgesehenen Befugnis vollständig ausgeschöpft sein (vgl. z.B. wiederum EuGH Drebers, Rn. 90 f).
49 Durch die Einschränkung des in Art. 19 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Grundsatzes der Nicht-Lieferung (Nicht-Steuerbarkeit iSd UStG 1994) auf bestimmte Fallkonstellationen (bestimmte Einkunftsarten nach dem nationalen Einkommensteuerrecht) könnte das Ermessen überschritten sein. Es ist aber fraglich, ob ein Verstoß gegen ein erst im Wege der Interpretation abzuleitendes Einschränkungsverbot (vgl. dazu die Erwägungen zur dritten Frage) auch gleichzeitig als Überschreitung des Ermessens anzusehen wäre.
50 Es ist aber weiters fraglich, ob überhaupt eine Ausübung einer von der Richtlinie eingeräumten Befugnis (und allenfalls eine Überschreitung des Ermessens) anzunehmen ist. Das Umgründungssteuergesetz, das in § 22 Abs. 3 den Grundsatz der Nicht-Steuerbarkeit enthält, stammt aus dem Jahr 1991 (BGBl. Nr. 699/1991; damals noch als § 22 Abs. 2 UmgrStG), also bereits vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union. Sie wurde also insoweit vor Gebundenheit des nationalen Gesetzgebers an die Mehrwertsteuerrichtlinie (und damit auch vor Einräumung dieser Befugnis) erlassen.
51 Wäre aber die Richtlinienbestimmung (in der Auslegung, dass der Grundsatz der Nicht-Lieferung nicht wie im nationalen Recht vorgesehen einschränkbar ist) unmittelbar auch für die vorliegende Fallkonstellation anwendbar, würde dies dazu führen, dass die vorgenommene Einbringung nicht als Lieferung gegen Entgelt (oder als einer solchen Lieferung gleichgestellt) zu beurteilen wäre. Dies würde wiederum bewirken, dass eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach nationalem Recht nicht zu erfolgen hätte. Der Begünstigte der Übertragung (die R GmbH) müsste sodann (im Hinblick auf das übertragene Vermögen betreffend Umsatzsteuer) als Rechtsnachfolger des Revisionswerbers angesehen werden.
52 Insgesamt scheint die Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf diese Fragen nicht derart offenkundig zu sein, dass für vernünftige Zweifel keinerlei Raum bliebe (vgl. Kommission/Französische Republik, C-416/17, Rn. 110).
53 Die Fragen werden daher dem EuGH mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt.
Wien, am
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Normen | EURallg UmgrStG 1991 §12 UmgrStG 1991 §22 Abs3 UStG 1994 §12 Abs10 UStG 1994 §6 Abs1 Z9 12010E267 AEUV Art267 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art16 Abs1 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art19 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art2 Abs1 lita 62017CJ0416 Kommission / Frankreich |
Schlagworte | Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1 |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2025:RO2024130020.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
YAAAF-91327